Vorwort
Wir haben das Glück in einer Zeit und in einem Land zu leben, in dem wir frei sind, unsere Meinung zu äußern und uns für die Dinge einzusetzen, von denen wir überzeugt sind. Doch dieses Privileg ist bei weitem nicht überall auf der Welt und seit jeher gegeben. In den nächsten Kapiteln werden Geschichten von jungen Menschen erzählt, die vor ca. 150 Jahren im heutigen Iran lebten und für ihre Überzeugungen verfolgt wurden. Sie standen, als die ersten Gläubigen einer neuen Religion, gegen die althergebrachten Normen, Traditionen und Wertvorstellungen und lehrten – im krassen Gegensatz zur damaligen patriarchalischen Gesellschaft – die Vision einer geeinten Menschheit, in der die Gleichberechtigung von Mann und Frau und die Harmonie von Religion und Wissenschaft Pfeiler der Gesellschaft sind.
Auch wenn wir heute in einer anderen gesellschaftlichen Situation leben, muss dennoch jeder Einzelne tagtäglich für seine Überzeugungen einstehen. Wir werden zwar nicht mit unserem Leben bedroht, es erfordert aber trotzdem Mut gegen Ungerechtigkeit und Hass einzutreten. Diesen Mut zu beweisen verbindet uns mit den Helden der Vergangenheit und lässt uns verstehen, was sie durchgemacht haben.
Sich dessen bewusst zu werden, dass sie sich nicht mal um Haaresbreite von dem abwandten, was sie als richtig und wahr angesehen haben, hinterlässt uns allen eine bleibende Inspiration und das angewandte Beispiel für aufrichtige Liebe gelebtem Glauben.
Mona Mahmudnizhads Leben begann am 10. September 1965, unter schwierigen Umständen im Jemen, wo sie vermutlich auch geblieben wären, wenn die Regierung nicht 1969 alle Ausländer des Landes verwiesen hätte. So waren sie, Mona, ihre Eltern und ihre sieben Jahre ältere Schwester Taraneh gezwungen in ihre Heimat, Iran, zurückzukehren. Sie verbrachten einige Jahre in den Städten Isfahán, Kirmansháh und Tabriz, bevor sie sich letztlich 1974 in Shiraz, dem Geburtsort des Báb, niederließen.
In der Schule wurde Mona sofort als vortreffliche Schülerin wahrgenommen und zählte zu den herausragendsten der Schule. Sie hatte eine schöne Stimme und eine echte Liebe für alle um sie herum, vor allem diejenigen, die jünger waren als sie. Wenn sie in der Schule ankam, wurde Mona immer von vielen Kindern umringt, alle wollten bei ihr zu sein. Als Jugendliche war sie in der ganzen Stadt, bei Kindern und Erwachsenen, sowohl innerhalb als außerhalb der Bahá’í-Gemeinde, bekannt. Sie wurde „Engel von Shiraz“ genannt. Wenn sie Menschen traf, die sie liebte, füllten sich ihre Augen mit Tränen, sie rannte auf sie zu, um sie einfach zu umarmen. Sie rief dann aus “O mein Gott! Ich will dich so sehr umarmen und drücken!”
Sie lernte viele Gebete und Absätze aus den Schriften auswendig. Sie schrieb Gedichte und auch Aufsätze, sogar in der Schule schrieb sie einen aufsehenerregenden Aufsatz über Freiheit. Sie war unerschütterlich. Sie nahm an Vertiefungen und Kursen teil, an denen meist nur Studenten teilnahmen, die viel älter waren als sie. Mona hatte solch eine tiefe geistige Verbindung zum Glauben, dass sie oft mitten in der Nacht aufwachte, um zu meditieren und zu beten. Als sie fünfzehn Jahre alt wurde, empfand sie es als ihren ersten wahren Geburtstag und begann Kinderklassen zu leiten, in welchen sie unter anderem die Weltreligionen und die Entwicklung geistiger Fähigkeiten erarbeitete. Sie war immer darauf bedacht, die Kinder zu ermutigen, ihre Talente und Fähigkeiten im Dienst an ihren Mitmenschen einzusetzen und die Einheit und Vielfalt der Menschheit wertzuschätzen.
Ihre Beteiligung an Aktivitäten nahm stetig zu und es schien auch herausfordernd, da sie so viel Zeit damit verbrachte und weniger Zeit hatte, für ihre Prüfungen in der Schule zu lernen. Nach einem Gespräch mit ihrem Vater, in dem sie ein großes Vorbild sah, und nach reiflichem Lesen in den Schriften, über die Leiden aller Offenbarer Gottes und die Rolle vom Dienen im Leben, entschied sie sich nicht mehr über ihre Probleme zu sprechen und versuchte, ihre Aufgaben nach ihrem besten Können anzugehen. Sie begann sogar zur Schule zu laufen, statt mit dem Bus zu fahren, so dass sie genug Taschengeld sparte um Kreide, Bücher und Stifte für die Kinderklasse zu kaufen.
Aufgrund der steigenden Macht des islamischen Klerus leitete die Islamische Revolution eine neue Phase der massiven Unterdrückung gegen die Bahá’í ein. In Shiraz waren die Verfolgungen besonders heftig, wo 1978 ein Mob das Haus des Báb zerstörte und dutzende weitere Häuser in Brand setzten.
Mona‘s Verhaftung fand um 19:30 am 23.Oktober 1982 statt. Mona war zu Hause mit ihren Eltern. Ihre Schwester Taraneh war mittlerweile verheiratet und lebte nicht mehr mit ihnen. Als es an der Tür klingelte, lernte Mona für einen Englischtest, ihr Vater schrieb einige Briefe und die Mutter machte etwas Hausarbeit. Ihr Vater öffnete die Tür und vier bewaffnete Männer der Revolutionsarmee forderten einzutreten und sagten, dass sie im Auftrag des öffentlichen Anklägers der Stadt Shiraz das Haus der Mahmudnizads durchsuchen sollen.
Als die Durchsuchung beendet war, wiesen die Wachmänner Mona und ihren Vater an, mitzukommen. Monas Mutter war äußerst bestürzt und sagte: “Ich kann verstehen, dass sie meinen Mann mitnehmen wollen, aber warum nehmt ihr Mona. Sie ist doch nur ein Kind.“ Daraufhin sagte einer der Wachmänner „Nenn‘ sie nicht ein Kind. Sie ist ein Bahá’í Lehrer. Schau dieses Gedicht an. Dies ist nicht das Werk eines Kindes! Es könnte die Welt in Flammen setzen. Eines Tages wird sie ein großer Lehrer der Sache.“ Die Wachen nahmen Mona und ihren Vater mit, und konfiszierten alle ihre Papiere und Aufnahmen von Monas Gesang.
Mona war die erste Bahá’í, die an diesem Abend ins Frauengefängnis kam, über die nächsten Tage kamen 40 weitere hinzu. Ebenso waren politische Gefangene und Kriminelle im Gefängnis. Für Mona und ihre Mitgefangenen – Mona war mit gerade 17 Jahren eindeutig die jüngste unter ihnen – folgte eine Zeit der endlosen Befragungen, Folter und Spott von Seiten der Behörden. Sie wurde gewöhnlich von 10 Uhr morgens bis 4 Uhr nachts befragt, über ihren Glauben, ihre Aktivitäten, und ob sie nicht einfach ihren Glauben ablegen will. Die Prozedur des Verfahrens erstreckte sich über vier Verfahren und auch Verlegungen in andere Gefängnisse und dauerte mehrere Monate an. Im März 1983 wurde ihr Vater hingerichtet.
Im Gefängnis zeigte Mona auch unter diesen schwierigen Bedingungen Ermutigung, Standhaftigkeit, wahre Freundschaft und aufrichtige Liebe zu allen Insassen des Gefängnisses. Auf Anfrage sang sie ihnen leise Lieder vor, insbesondere in Zeiten der Not. Sie war aber auch sehr vorsichtig, dass sie sie nicht in Schwierigkeiten brachte. Sie hatte ein großes Herz und war sehr reif für ihr Alter. Öfters brachte sie alle zum Lachen, einmal gab ihr jemand im Gefängnis eine kleine grüne Pflaume. Sie schnitt diese in siebzehn kleine Teile für jeden ein Stück in ihrem Zellenblock. Sie dekorierte eine Ecke mit einem Tablett mit Messer und Gabel, und rief alle, um ein Stückchen zu genießen. Alle freuten sich und lachten den ganzen Tag darüber.
Als im Juni 1983 verkündet wurde, dass Mona und die anderen neun Frauen ihre letzte Chance bekommen ihren Glauben zu widerrufen oder zu Tode verurteilt wurden, hatte Mona in der Nacht einen Traum: Sie war im Gefängnis und sagte das lange Pflichtgebet. Abdu’l-Bahá kam durch die Zellentür und setzte sich aufs Bett, auf welchem Monas Mutter schlief. Er streichelte den Kopf ihrer Mutter und die andere Hand streckte er nach Mona aus, die bei sich dachte, dass Er vielleicht gehen würde, wenn sie weiter betete. So kniete sie sich vor ‘Abdu’l-Bahá und legte ihre Hände in Seine. ‘Abdu’l-Bahá fragte Mona, „Was wünschst du dir?“ Mona antwortete „Standhaftigkeit.“ ‘Abdu’l-Bahá fragte wieder, „Was wünschst du dir von uns?“ Mona antwortete, “Standhaftigkeit für all’ die Freunde.“ ‘Abdu’l-Bahá fragte zum dritten Mal, „Was wünschst du dir?“ Mona antwortete wieder, „Standhaftigkeit.“ Daraufhin sagte Abdu’l-Bahá zweimal: “Es sei gewährt. Es sei gewährt.“
Am nächsten Morgen, es war der 12. Juni, erzählte sie allen Bahá’í Gefangenen ihren Traum und während des Tages sang jeder das kurze Gebet „Gibt es einen Befreier von Schwierigkeiten außer Gott“, welches oft in Krisenzeiten gesagt wurde. Bei der Andacht am Abend umarmte sie Zarrin Muquimi, die gerade ihre letzte Befragung hinter sich hatte, und sagte „O Mona, um was für einen wunderbaren Wunsch du im Traum gebeten hast. Du hättest Freiheit für dich oder deine Mutter wünschen können. Du hättest sogar Freiheit für uns alle wünschen können. Aber stattdessen hast du den schönsten Wunsch erbeten und Abdu’l-Bahá hat ihn gewährt.“
Am 18. Juni 1983, nachdem zehn Frauen sich nach wiederholten Befragungen weigerten ihren Glauben abzuschwören, wurden sie heimlich zur Tötung durch Erhängen verurteilt. Sie wurden in der Nacht mit einem Bus zu einem Polo-Feld gebracht. Auf dem Weg sagen sie Lieder und waren auf das schlimmste gefasst. Den letzten Weg den Willen der Frauen zu brechen, verordneten die Behörden, dass jede Frau hintereinander gehängt werden würden, so dass jede gezwungen wurde zuzuschauen. Mona fragte, ob sie die letzte sein kann, so dass sie für die Stärke jeder einzelnen vor ihr beten kann. Als sie an der Reihe war, küsste sie das Seil und legte die Schlinge um ihren Hals und betete für die ganze Menschheit.
Nach der Hinrichtung berichtete Monas Mutter von einem Gespräch, welches sie mit Mona zuvor hatte: „Allmählich hatte ich ein Stadium erreicht, in welchem ich fühlte, dass wahre Unterwerfung möglich war, dennoch war ich gleichzeitig niedergeschlagen. Ich erzählte Mona von meinem Seinszustand. Plötzlich sagte ich zu ihr ängstlich: ‚Ich glaube, dass sie dich nicht freilassen werden und mit all den Dingen, die passieren, wenn sie dich nicht hinrichten, behalten sie dich 15-20 Jahre im Gefängnis. Und wenn sie dich entlassen, wärst du 35 oder 40 Jahre alt. Wie soll ich das aushalten?‘
Mona antwortete „Mutter, wenn ich wüsste, dass wegen meiner Hinrichtung, alle Jugendlichen der Welt sich erheben werden, um sich die Hände am Dienst an der Menschheit zu reichen, selbstlos werden, der Welt die neuen Lehren zu verkünden und versuchen, den ganzen Planeten zu verändern, würde ich darum bitten, mir 100.000 Leben zu geben.“
Ihre Mutter beschrieb: “Ich fühlte mich so klein vor der Größe ihrer Seele, es war als wäre sie die Mutter und ich das Kind. Und nun hatte sie erreicht, was sie wollte mit ihrem einen Leben…“