Mulla Ali Bastami

Vorwort

 

Wir haben das Glück in einer Zeit und in einem Land zu leben, in dem wir frei sind, unsere Meinung zu äußern und uns für die Dinge einzusetzen, von denen wir überzeugt sind. Doch dieses Privileg ist bei weitem nicht überall auf der Welt und seit jeher gegeben. In den nächsten Kapiteln werden Geschichten von jungen Menschen erzählt, die vor ca. 150 Jahren im heutigen Iran lebten und für ihre Überzeugungen verfolgt wurden. Sie standen, als die ersten Gläubigen einer neuen Religion, gegen die althergebrachten Normen, Traditionen und Wertvorstellungen und lehrten – im krassen Gegensatz zur damaligen patriarchalischen Gesellschaft – die Vision einer geeinten Menschheit, in der die Gleichberechtigung von Mann und Frau und die Harmonie von Religion und Wissenschaft Pfeiler der Gesellschaft sind.

Auch wenn wir heute in einer anderen gesellschaftlichen Situation leben, muss dennoch jeder Einzelne tagtäglich für seine Überzeugungen einstehen. Wir werden zwar nicht mit unserem Leben bedroht, es erfordert aber trotzdem Mut gegen Ungerechtigkeit und Hass einzutreten. Diesen Mut zu beweisen verbindet uns mit den Helden der Vergangenheit und lässt uns verstehen, was sie durchgemacht haben.

Sich dessen bewusst zu werden, dass sie sich nicht mal um Haaresbreite von dem abwandten, was sie als richtig und wahr angesehen haben, hinterlässt uns allen eine bleibende Inspiration und das angewandte Beispiel für aufrichtige Liebe gelebtem Glauben.

 

 

Mullá ‘Alí wurde in Bastámi, im westlichen Teil der Region Khurásáns geboren. Dort erhielt er seine Grundschulbildung, heiratete seine Frau und bekam mit ihr drei Kinder. Seine Studien vollendete er in Mashad, wo er für seine Aufrichtigkeit und seinen Eifer für philosophische Diskurse bekannt wurde. Im Zuge seiner Studien, hörte er zum ersten Mal von der Shaykhí Bewegung. Er war derart angezogen von den Lehren Siyyid Kázims, dass er ihm unverzüglich schrieb, seine Familie, sein Heim verließ und nach Karbilá zog, um von ihm unterwiesen zu werden.

Dort widmete er mehrere Jahre dem Studium dieser neuen Bewegung, die das Kommen eines neuen Offenbarer Gottes verkündete. Mullá ‘Alí zählte zu den Gefährten Siyyid Kázims, die diesen bei seiner letzten Pilgerreise begleiteten und erlebte wie dieser 1843 plötzlich verschied. Da Siyyid Kázim keinen Nachfolger ernannt hatte, brach eine Zeit von Ungewissheit unter den Shaykhí an. Einige behaupteten die Führerschaft werde nun an sie übergehen, während andere von dem Ableben Siyyid Kázims so gelähmt wurden, dass sie sich außerstande sahen, seinen letzten Wunsch zu erfüllen und nach dem Verheißenen zu suchen. Lediglich eine Handvoll Schüler machten sich zu diesem einzigartigen Unterfangen auf. Mullá ‘Alí begab sich zuerst nach Kufih und erreichte schließlich Shíráz wenige Zeit nachdem Mullá Husayn bereits den Báb gefunden hatte. Dieser hatte ihm jedoch aufgetragen, fürs Erste niemandem von deren Gespräch zu erzählen.
Mulla Husayn empfing Mulla Ali Bastami und seine Gefährten in Shiraz und verbrachte einige Zeit mit ihnen. Als sie sich über Mulla Husayns innere Seelenruhe wunderten, fragten sie ihn wie es sein könne, dass er so ruhig ist wenngleich der Verheißene noch nicht gefunden wurde. Er antwortete, man müsse sich nur Gott zuwenden, sein Vertrauen in Ihn setzen und sich von allen materiellen Dingen dieser Welt lösen. Einige der Gefährten erkannten die tiefere Bedeutung hinter diesen Worten und zogen sich zurück, um sich in einem Zustand der Meditation und des Fastens körperlich und geistig auf die Erscheinung des “Verheißenen aller Zeitalter” vorzubereiten. So suchten und fanden schließlich alle Gefährten den Báb selbstständig und von sich aus.

Mullá ‘Alí hatte in der dritten Nacht seiner Zurückgezogenheit einen Traum. Vor seinen Augen erschien ein Licht, das sich von ihm wegbewegte. Angezogen von seinem Glanz folgte er ihm, bis es ihn schließlich zu seinem verheißenen Geliebten führte. Augenblicklich stand er auf, riss glückstrahlend seine Zimmertür auf und eilte zu Mullá Husayn. Er warf sich in die Arme seines Gefährten und berichtete ihm von seinem sonderbaren Traum. Bei Tagesanbruch eilten Mullá Husayn und Mullá ‘Alí zur Wohnung des Báb. Bei diesem Zusammentreffen, so berichtet Mullá Husayn, herrschte ein Geist tiefster Begeisterung und Verehrung. Der ganze Raum schien erfüllt und belebt zu sein von jener himmlischen Kraft, die von den Worten des Báb ausging.

Als insgesamt 18 Menschen den Báb eigenständig erkannten – diese sollten in die Geschichte eingehen als die Buchstaben des Lebendigen – wurde jeder von ihnen mit einer besonderen Mission ausgesandt. Mullá ‘Alí erhielt eine ganz besondere Aufgabe; er sollte das Erscheinen des verheißenen Mahdí (jedoch nicht die Identität des Báb) in den schiitischen Hochburgen Najaf und Karbilá verkünden, wo die anerkanntesten Geistlichen des schiitischen Islams residierten. Der Báb sprach zu Mullá ‘Alí Worte voll Liebe und Güte und deutete ihm an, dass ihn bei dieser Aufgabe auch schwere Zeiten und Ablehnung erwarteten. Er sagte ihm, dass sein Glaube unverrückbar sein müsse wie ein Felsen, der jeden Sturm übersteht und jede Not überdauert.

Diese Worte waren kaum ausgesprochen, als sich Mullá ‘Alí rasch von seinem Sitz erhob und zu seiner Reise aufbrach. Im Spätsommer des Jahres 1844 erreichte Mullá ‘Alí die Stadt Najaf, wo der Schrein des Imám ‘Alí steht. Er überbrachte zunächst Shaykh Muhammad Hasan Najafi, dem führenden Geistlichen seiner Zeit, die frohe Botschaft vom Kommen des Verheißenen, welche dieser jedoch ablehnte und die Ausweisung Mullá ‘Alís aus Najaf anwies.

Nun lenkte Mullá ‘Alí seine Schritte nach Karbilá, wo er die Schriften des Báb, besonders unter den Shaykhí in Umlauf brachte. Viele der Shaykhí zeigten sich interessiert und nahmen die Botschaft an. Der Eifer Mullá ‘Alís, welcher überall in der Stadt verkündete, dass der Messias erschienen sei und der Streit, der sich daraus ergab, wurden alsbald so aufsehenerregend, dass sogar der britische Konsul in Baghdad davon erfuhr. Die schiitische Geistlichkeit ließ Mullá ‘Alí verhaften und nach Baghdad bringen. Dort wurden vom Gouverneur die berühmtesten sunnitischen und schiitischen Kleriker versammelt, um Mullá ‘Alí zu verhören. Sie lasen eine Abschrift des Báb, die Mullá ‘Alí bei sich trug und kamen zu dem Entschluss, dass der Autor der Schrift – dessen Identität zu der Zeit noch unbekannt war – aufgrund Seines Anspruchs auf eine göttliche Offenbarung nach dem Propheten Muhammad verhaftet gehört, ebenso wie der Bote, in dessen Besitz das Buch gefunden wurde. Da sich die Kleriker uneins waren über das angemessene Bestrafungsverfahren wurde Mullá ‘Alí nach Istanbul, der damaligen Hauptstadt des Osmanischen Reiches, gebracht. Dort verkündete er erneut vor einer Gruppe versammelter Kleriker offen und furchtlos seinen Glauben. Man verurteilte ihn hernach zu lebenslanger Zwangsarbeit auf den Galeeren der königlichen Marine. Dort verschied Mullá ‘Alí auch schließlich.

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