Mulla Husayn

Vorwort

Wir haben das Glück in einer Zeit und in einem Land zu leben, in dem wir frei sind, unsere Meinung zu äußern und uns für die Dinge einzusetzen, von denen wir überzeugt sind. Doch dieses Privileg ist bei weitem nicht überall auf der Welt und seit jeher gegeben. In den nächsten Kapiteln werden Geschichten von jungen Menschen erzählt, die vor ca. 150 Jahren im heutigen Iran lebten und für ihre Überzeugungen verfolgt wurden. Sie standen, als die ersten Gläubigen einer neuen Religion, gegen die althergebrachten Normen, Traditionen und Wertvorstellungen und lehrten – im krassen Gegensatz zur damaligen patriarchalischen Gesellschaft – die Vision einer geeinten Menschheit, in der die Gleichberechtigung von Mann und Frau und die Harmonie von Religion und Wissenschaft Pfeiler der Gesellschaft sind.

Auch wenn wir heute in einer anderen gesellschaftlichen Situation leben, muss dennoch jeder Einzelne tagtäglich für seine Überzeugungen einstehen. Wir werden zwar nicht mit unserem Leben bedroht, es erfordert aber trotzdem Mut gegen Ungerechtigkeit und Hass einzutreten. Diesen Mut zu beweisen verbindet uns mit den Helden der Vergangenheit und lässt uns verstehen, was sie durchgemacht haben.

Sich dessen bewusst zu werden, dass sie sich nicht mal um Haaresbreite von dem abwandten, was sie als richtig und wahr angesehen haben, hinterlässt uns allen eine bleibende Inspiration und das angewandte Beispiel für aufrichtige Liebe gelebtem Glauben.

 

 

 

Mullá Husayn wurde im Jahre 1813 in Bushrúyih geboren. Seine Mutter war eine der hervorragendsten Poetinnen ihrer Zeit. Sie hatte mit ihrem Gemahl Hájí Abdu‘llah fünf Kinder, von denen drei große Berühmtheit in der Geschichte des Glaubens erlangen sollten. Diese waren: allen voran Mullá Husayn, Muhammad Hasan und ihre jüngere Schwester Bibi Kuchik. Von früher Kindheit an widmete sich Mullá Husayn dem Studium der Religion, sodass er bereits im Alter von 21 Jahren in der Stadt Mashad zu einem Mujtahid, einem Doktor des islamischen Rechtes, wurde. Als er von den Lehren Shaykh Ahmads hörte, sagte ihm sein Herz, er müsse unbedingt nach Karbilá gehen, um Siyyid Kázim zu begegnen. Doch dann erfuhr er, dass sein Vater in Bushrúyih verstarb, was ihn zwang zu seiner Familie zurückzukehren, um für seine Mutter und seine jüngeren Geschwister Sorge zu tragen. Innerlich gedrängt, fühlte er sich nicht in der Lage länger in seiner Heimatstadt zu bleiben. Er spürte, dass er unbedingt nach Karbilá aufbrechen müsse und bereite schon seine Abreise vor. Eines Nachts hatte er einen eindrucksvollen Traum. Er sah den Propheten Muhammad, der ihn liebevoll anschaute, ihn zu sich rief und wie ein liebevoller Vater umarmte. Dann legte der Prophet Seine gesegneten Lippen auf die Mullá Husayns. Plötzlich fühlte Mullá Husayn wie sein Mund mit so viel Wasser gefüllt wurde, dass es unvermeidlich aus ihm herausfloss, und einem Ozean gleich, die gesamte Welt durchströmte. Als er aus seinem Traum erwachte, war er sichtlich mitgenommen. Seine Verwandten, die den Traum hörten, waren überzeugt, dass Mullá Husayn eine große Zukunft als Gelehrter vor sich liegen habe und beschlossen ihn auf seiner Reise nach Karbilá zu begleiten. Mullá Husayn, dessen Ausdruck und Verhalten sich nach dem Traum sichtlich verändert hatte, machte sich mit seiner Familie auf den Weg nach Karbilá. Nach einer beschwerlichen und gefährlichen Reise, welche sich auf ungefähr 1722 km erstreckte, erreichte er im Jahre 1831 schließlich sein Ziel, wo sich das Zentrum der Shaykhí Gemeinde befand. Der lange Weg, den Mullá Husayn auf sich nahm, zeigt, welch beispielhafte Sehnsucht er empfand, der Wahrheit näher zu kommen. In Karbilá war Mullá Husayn äußerst mittellos. Er hatte gerade genug zu essen, um sich am Leben zu halten. Dennoch hörte man ihn nie klagen, denn versunken in seinem Geiste war er völlig zufrieden. Mullá Husayn war ungefähr zehn Jahre lang Schüler des verehrten Siyyid Kázim und wurde von diesem mehr als jeder andere seiner Studenten geliebt. Als es notwendig wurde, die Sache Shaykh Ahmads vor seinen Feinden zu verteidigen, wählte Siyyid Kázim Mullá Husayn aus, den er als einzigen dazu im Stande sah, diese Aufgabe zu erfüllen.

Nach dem Heimgang seines geliebten Lehrers machte sich Mullá Husayn in der zweiten Januarhälfte des Jahres 1844 auf, die große Aufgabe zu erfüllen, den Verheißenen zu finden. Zahlreich waren seine Herausforderungen gewesen, bevor er nach Shíráz kam und den Báb fand. Zunächst hatte Siyyid Kázim ihn auf eine besondere Mission ausgesandt, dann musste er bei seiner Rückkehr erfahren, dass sein Meister verschieden war. Er musste zusehen, wie seine Kameraden sich um die vakante Position ihres Lehrers entzweiten und dessen gewahr werden, dass sie von den Lehren des großen Siyyid nichts begriffen hatten, ehe er sich schließlich auf eine sehr lange und beschwerliche Reise begab, die ihn letztlich zum höchsten aller Ziele führen sollte. Vierzig Tage lang sollte Mullá Husayn im gesamten Kosmos die einzige Seele sein, die den Báb gefunden und anerkannt hatte. Er erzählt über jene besondere Zeit, in der er als einziger die neue Offenbarung Gottes empfangen hatte:

 

„Während jener Tage ließ mich der Báb bei verschiedenen Gelegenheiten zu Sich rufen. Er sandte in der Nacht Seinen äthiopischen Diener zur Moschee und ließ mir Seinen höchst liebevollen Willkommensgruß entbieten. Sooft ich Ihn besuchte, verbrachte ich die ganze Nacht bei Ihm. Hellwach bis zur Morgendämmerung saß ich Ihm zu Füßen, hingerissen vom Charme Seiner Worte, die Welt mit ihren Sorgen und ihrem Treiben vollkommen vergessend. Wie rasch flogen diese kostbaren Stunden dahin! Nur widerstrebend zog ich mich bei Tagesanbruch von Ihm zurück. In jenen Tagen konnte ich kaum die Abendstunde erwarten! Und mit welchem Kummer und Bedauern nahm ich das Heraufdämmern des neuen Tages wahr!“

 

Da ihm der Báb untersagt hatte, von Seinem Kommen zu sprechen, ehe die Zahl der Buchstaben des Lebendigen erfüllt war, konnte er sogar seinem Bruder und seinem Neffen kein Wort darüber verraten. Er selbst sollte einmal sagen, dass die vierzig Tage nach der Anerkennung des Báb die schwierigste Zeit seines Lebens waren, weil er so verliebt gewesen war, ihm jedoch verboten wurde von seiner Liebe zu schwärmen. Als sich der Báb nach Ablauf der angekündigten vierzig Tage anschickte mit Quddús gemeinsam nach Arabien zu reisen, sprach Er zu Mullá Husayn:

 

„Gräme dich nicht, dass du nicht auserwählt worden bist, Mich auf Meiner Pilgerfahrt nach Hijáz zu begleiten. Ich werde dafür deine Schritte nach jener Stadt lenken, die ein Geheimnis von so unbeschreiblicher Heiligkeit birgt, dass weder Hijáz noch Shíráz je hoffen können, ihr gleichzukommen. Ich hoffe, dass es dir mit Gottes Hilfe gelingen möge, die Schleier von den Augen der Halsstarrigen wegzunehmen und die Gemüter der Böswilligen zu erhellen. Besuche auf deinem Weg Isfahán, Káshán, Tihrán und Khurásán. Von dort begib dich nach dem Iráq und erwarte dort den Ruf deines Herrn, der über dir wacht, und der dich dorthin lenken wird, wo immer es Sein Wunsch und Wille ist. Was Mich betrifft, so werde Ich Mich in Begleitung von Quddús und Meinem äthiopischen Diener auf Meine Pilgerfahrt nach Hijáz begeben, Ich werde Mich den Pilgern von Fárs anschließen, die in Kürze dorthin fahren werden. Ich werde Mekka und Medina besuchen und dort die Aufgabe erfüllen, mit der Gott Mich betraut hat. So Gott will, werde Ich von dort über Kúfih zurückkehren, wo Ich dich zu treffen hoffe. Sollte es anders bestimmt werden, dann werde Ich dich bitten, Mich in Shíráz zu treffen. Sei dessen gewiß, dass die Heerscharen des unsichtbaren Königreichs dir helfen und deine Kräfte mehren werden.“

 

Mullá Husayn wurde vom Báb für zwei wichtige Aufgaben ausersehen, die er in Tihrán zu erfüllen hatte. Als erstes sollte er den „Schatz“ finden, von dem der Báb zu ihm gesprochen hatte. Dies bedeutete, dass er Bahá’u’lláh die Botschaft des Báb überbringen sollte, was ihm durch die Vermittlung eines gewissen Mullá Muhammad Núríy-i-Mu’allim gelang. Mullá Husayn lernte ihn in einer Shaykhí Schule in Tihrán kennen und erzählte ihm dort zum ersten Mal vom Glauben. Er wurde schnell ein entflammter Verkünder und sollte Bahá’u’lláh einige Passagen des Qayyúmu’l Asmá übergeben, was in der Folge zur Annahme des Glaubens durch Bahá’u’lláh und Seinen Bruder Mirzá Musa Aqáy-i-Kalím führte. Zum anderen, wurde Mullá Husayn nach Tihrán gesandt, um den Sháh mit dem Anspruch des Báb vertraut zu machen, indem er auch ihm eine Kopie des Qayyúmu’l Asmá übermittelte. Dies scheiterte jedoch, da Geistliche das Schriftstück verschwinden ließen, aus Angst, der König könne sich überzeugen lassen.

Nachdem der Báb aus Arabien zurückgekehrt war, gelangte Mullá Husayn in Shíráz erneut in Seine Gegenwart. Von Shíráz sandte der Báb Mullá Husayn nach Khurásán um den Menschen Seinen Glauben zu lehren. In jede Stadt in die er kam, entflammte er in den Herzen der Menschen das Feuer der Liebe Gottes. Anfang des Jahres 1848 entschloss sich Mullá Husayn zu Seinem Geliebten in die Festung von Máh-Kú zu pilgern. Dort verbrachte er neun Tage, bis ihn der Báb bei seinem Abschied anwies, sich nach Mázandarán zu begeben und unterwegs die Freunde in verschiedenen Orten zu besuchen, um sie in ihrem Glauben zu bestärken sowie neue Seelen mit der Botschaft Gottes vertraut zu machen. In Mázandarán angekommen, sagte ihm der Báb, würde er zudem einen verborgenen Schatz entdecken, der ihn auf den weiteren Weg seines Dienstes an der Sache Gottes führen würde. Der Schatz, von dem der Báb sprach, war Quddús, dem Mullá Husayn bis zum letzten Atemzug unbedingte Ergebenheit und Dienstbarkeit bezeigte. Um jene Zeit wurde in Mashad das Bábíyyih, das erste Zentrum in der Geschichte des Glaubens, errichtet, in dem Mullá Husayn und Quddús gemeinsam einen steten Fluss der Bevölkerung zur Anerkennung des Báb führten und ihnen von der Erscheinung des Verheißenen aller Zeitalter berichteten. Nach einiger Zeit erhielt Mullá Husayn ein Tablet des Báb, in dem er aufgerufen wurde die schwarze Fahne zu hissen, die laut einer islamischen Überlieferung das Kommen des Verheißenen ankündigen würde, um Quddús, der in Bárfurúsh mittlerweile gefangen war, zur Hilfe zu eilen und überall im Lande den Ruf des Báb erschallen zu lassen. Im Zuge dessen, kam es zur Episode um die legendäre Schlacht von Shaykh Tabarsi, bei dem Mullá Husayn sein Leben mit dem Märtyrertod küren sollte. Gobineau schreibt treffend:

 

„Schließlich starb er, und die neue Religion, die in ihm ihren wichtigsten Märtyrer gewann, verlor mit einem Schlag einen Mann, der ihr durch seine Charakterstärke und Gewandtheit noch wertvolle Dienste hätte leisten können, hätte er länger gelebt. Die Muslime erinnern sich mit Schrecken an diesen Führer; die Bábí hegen für ihn eine entsprechende Verehrung. Beide haben von sich aus recht. Eines ist sicher, Mullá Husayn hat als erster dem Glauben des Báb im persischen Reich zu der Stellung verholfen, wie sie eine religiöse oder politische Richtung im Empfinden des Volkes erst dann erringt, wenn sie eine Leistung kriegerischer Mannhaftigkeit vollbracht hat.“

 

Shoghi Effendi verewigt ihn, den er in Gott geht vorüber auch als den vertrauten und geliebten Statthalter des Báb bezeichnet, mit den Worten:

 

„Mullá Husayn, der erste ‚Buchstabe des Lebendigen‘, genannt Bábu’l-Báb, ‚das Tor zum Tor‘, als der ‚Erste Spiegel‘ bezeichnet, über den aus der Feder des Báb Lobpreisungen, Gebete und Besuchsgebete im dreifachen Umfang des Qur‘an ausgeschüttet wurden, der in diesen Preisliedern als ‚Mein Herzensgeliebter‘ angesprochen wird, dessen Grabesstaub dieselbe Feder als so mächtig bezeichnet, dass er die Sorgenvollen zu ermuntern und die Kranken zu heilen vermöchte, den ‚die am Anfang und am Ende‘ der Bábí-Sendung ‚erstandenen Geschöpfe‘ beneiden und immerdar bis zum ‚Tag des Gerichts‘ beneiden werden…dem Siyyid Kázim so viel Hochachtung erwies, dass bei seinen Jüngern die Vermutung aufkam, der Empfänger solcher Huldigungen könne der Verheißene selbst sein – auch er starb im frühen Mannesalter den Märtyrertod in Tabarsí.“

 

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