Vorwort
Wir haben das Glück in einer Zeit und in einem Land zu leben, in dem wir frei sind, unsere Meinung zu äußern und uns für die Dinge einzusetzen, von denen wir überzeugt sind. Doch dieses Privileg ist bei weitem nicht überall auf der Welt und seit jeher gegeben. In den nächsten Kapiteln werden Geschichten von jungen Menschen erzählt, die vor ca. 150 Jahren im heutigen Iran lebten und für ihre Überzeugungen verfolgt wurden. Sie standen, als die ersten Gläubigen einer neuen Religion, gegen die althergebrachten Normen, Traditionen und Wertvorstellungen und lehrten – im krassen Gegensatz zur damaligen patriarchalischen Gesellschaft – die Vision einer geeinten Menschheit, in der die Gleichberechtigung von Mann und Frau und die Harmonie von Religion und Wissenschaft Pfeiler der Gesellschaft sind.
Auch wenn wir heute in einer anderen gesellschaftlichen Situation leben, muss dennoch jeder Einzelne tagtäglich für seine Überzeugungen einstehen. Wir werden zwar nicht mit unserem Leben bedroht, es erfordert aber trotzdem Mut gegen Ungerechtigkeit und Hass einzutreten. Diesen Mut zu beweisen verbindet uns mit den Helden der Vergangenheit und lässt uns verstehen, was sie durchgemacht haben.
Sich dessen bewusst zu werden, dass sie sich nicht mal um Haaresbreite von dem abwandten, was sie als richtig und wahr angesehen haben, hinterlässt uns allen eine bleibende Inspiration und das angewandte Beispiel für aufrichtige Liebe gelebtem Glauben.
Quddús, der mit bürgerlichem Namen Mirzá Muhammad-‘Alí hieß, war zwar der letzte der achtzehn Buchstaben des Lebendigen, doch in seinen Fähigkeiten und seinem Wissen allen anderen überlegen. Geboren im Jahre 1822 wuchs er in der kleinen Stadt von Bárfurúsh in der Provinz Mázandaráns auf. Seine Familie war im Reisanbau tätig. In seiner Kindheit war er für eine gewisse Zeit der Hausdiener des lokalen Shaykhí Führer Mullá Muhammad-Hamza. Seitens seiner Mutter stammte er von Imám Hasan ab, was ihn zu einem direkten Nachfahren des Propheten Muhammad machte. Das Leben von Quddús weist erstaunlicherweise viele Parallelen zum Leben des Báb selbst auf. So verlor auch er, ähnlich wie der Báb, in früher Kindheit einen Elternteil. Als er noch sehr jung war, wurde Quddús in eine Schule nach Mashad geschickt, in welcher er vermutlich erstmals Mullá Husayn begegnete. Im Alter von achtzehn Jahren verließ er Mashad um nach Karbilá zu gehen und fortan ein Schüler Siyyid Kázims zu werden. Da Quddús immer das Sinnbild von Demut und Bescheidenheit war, fiel er unter seinen Mitschülern kaum auf. Er kam stets als letzter und nahm immer den geringsten Platz in der Vorlesung ein. Und nach jeder Vorlesung war er der erste, der ging. Die Ruhe, die er immer bewahrte, und die Bescheidenheit seines Wesens unterschieden ihn von den anderen Gefährten.
Quddús war vier Jahre lang Schüler Siyyid Kázims in Karbilá, ehe er 1843 zurück in seine Heimat ging. Nachdem zunächst Mullá Husayn und seine Gefährten nach Shíráz kamen und den Báb als den Verheißenen anerkannten, traf schließlich auch Quddús alleine und auf sich selbst gestellt dort an. Wegesmüde und staubbedeckt erreichte er eines Abends Mullá Husayn, wie dieser gemeinsam mit dem Báb zu Seiner Wohnung zurückkehrte.
Er ging auf Mullá Husayn zu, umarmte ihn und fragte, ob er nun sein Ziel erreicht habe. Mullá Husayn versuchte zunächst, ihn zu beruhigen, und riet ihm, erst einmal eine Weile zu rasten. Danach wolle er ihm alles erklären. Der Jüngling lehnte jedoch ab, diesem Rat zu folgen. Er richtete den Blick auf den Báb und sagte zu Mullá Husayn: ‚Warum versuchst du, Ihn vor mir zu verbergen? Ich kann Ihn an Seiner Haltung erkennen.“
Nachdem Quddús nun zum Báb gefunden und der letzte Buchstabe des Lebendigen wurde, verbrachte er die nächsten vierzehn Monate mit dem Báb. Gemeinsam gingen sie für neun Monate auf Reise nach Arabien, wo der Báb in dem muslimischen Pilgerort Mekka den Geistlichen dort Seine Sendung erklärte. Nach seiner Rückkehr machte sich Quddús auf, durch viele Städte Persiens zu reisen, um diese neue Sache zu verbreiten und verkündete allen Menschen, denen er begegnete, dass nun ein neuer Tag angebrochen sei. Seine Eloquenz, der Liebreiz seiner Persönlichkeit und seine außerordentliche Freundlichkeit gegenüber jedem fesselten seine Zuhörer, wohin er auch ging.
Quddús reiste weiter nach Bárfurúsh und verkehrte dort freimütig mit allen Bevölkerungsschichten und hatte durch seine umfassende Gelehrsamkeit bald die Zuneigung und uneingeschränkte Bewunderung der Stadtbewohner errungen.
Bei den Erhebungen von Shaykh Tabarsi, übernahm Quddús die Führung der Freunde und ging dabei allen mit größter Opferbereitschaft und Entsagung als Beispiel voran. In der Tat hatte er während seines Lebens schwere Leiden zu erdulden und antwortete dennoch stets gelassen und standhaft. So sagte er einmal:
“Ist auch mein Körper verletzt, so ist meine Seele doch voll Freude. Meine Dankbarkeit gegen Gott kennt keine Grenzen. Wenn ihr mich liebt, dann lasst nicht zu, dass diese Freude durch eure Seufzer und Klagen getrübt werde.“
Am 16. Mai 1849 wurde Quddús, nachdem er aufgrund seines Glaubens und seiner Reden verfolgt wurde, auf dem Sabzih Maydan hingerichtet.