DER VERHEISSENE TAG IST GEKOMMEN
SHOGHI EFFENDI
BAHÁ’Í-Verlag GmbH . FRANKFURT AM MAIN
Deutsch auf Grund der englischen Ausgabe „The Promised Day is Come“,
Wilmette /Ill., USA 1943
Alle Rechte vorbehalten (c) Bahá’í-Verlag GmbH 1967 (Bahá’í- Jahr 124)
[5] INHALT
Einführung: Die Bahá’í-Weltreligion 7
Vorwort 15
1 Der verheißene Tag ist gekommen 21
2 Das Gottesgericht 23
3 Welche Antwort auf Seinen Ruf? 26
4 Schlaglichter dieses ergreifenden Dramas 33
5 Eine Welt rückte von Ihm ab 38
6 EmpfängerderBotsclrafl 42
7 Tablets an die Könige 45
8 Das Größte Gesetz geoffenbart 51
9 Dem Papste geoffenbart 58
10 Halte den Unrerdrücker ab 70
11 Gottes Stellvertreter auf Erden 76
12 Rasche und vollständige Demütigung 84
13 Der Aufsrieg des Bolschewismus 92
14 Das Ende des Heiligen Römischen Reiches 97
15 Was geschah mir der Türkei und Persien? 98
16 Der Untergang des türkischen Reiches 101
17 Göttliche Vergeltung am Hause der Kadscharen 105
18 Der Niedergang im Geschick des Königrums 112
19 Anerkennung des Königtums 113
20 Der Zerfall religiöser Orthodoxie 118
21 Worte an die muhammadanischen Geistlichen 132
22 Das sinkende Glück des schiischen Islám 141
23 Der Zusammenbruch des Kalifates 147
24 Eine Warnung an alle Völker 153
25 Seine Borschaften an christliche Führer 154
26 Christliche Nationen gegen christliche Nationen 161
27 Die Fortdauer der Offenbarung 164
28 Die drei falschen Götter 172
29 Die geschwächten Pfeiler der Religion173
30 Gottesplan 176
31 Das künftige Große Zeitalter 178
32 Religion und soziale Entwicklung 180
33 Die weitere, umfassende Treue 184
34 Ein Weltstaatenbund 185
35 Erläuterungen 189
36 Index 202
1 [21] DER VERHEISSENE TAG IST GEKOMMEN
1:1 An die Geliebten Gottes und die Dienerinnen des Allerbarmers im Westen:
1:2 Freunde und Miterben des Reiches von Bahá’u’lláh!
1:3 Ein Sturm von beispielloser Heftigkeit und unberechenbarer Bahn, von verheerenden Wirkungen, aber unvorstellbar herrlichen späteren Folgen fegt heute über das Antlitz der Erde. seine Gewalt wällist unbarmherzig an Raum und Ausmaß. Seine säubernde Kraft, die zwar meist übersehen wird, nimmt mit jedem Tage zu. Ein Spielball seiner verheerenden Macht, wird die Menschheit bei den Ausbrüchen seines unwiderstehlichen Wütens zu Boden geschmettert. Sie kann weder seine Herkunfl erkennen noch sein Ausmaß begreifen oder seine Folgen abschätzen. Zu Tode verstört und ohnmächtig muß sie zusehen, wie dieser gewaltige Sturm Gottes über die fernsten und schönsten Länder der Erde hereinbricht, ihre Grundfesten erschüttert, ihr Gleichgewicht zerstört, ihre Völker spaltet, die Heime ihrer Bewohner vernichtet, ihre Städte verwüstet, ihre Könige verstößt, ihre Bollwerke niederreißt, ihre Ordnungen zerschmettert, ihr Licht verdüstert und die seelen ihrer Bewohner quält.
1:4 „Die Zeit für die Zerstörung der Welt und ihrer Menchen ist gekommen“, hat die prophetische Feder Bahá’u’lláhs verkündet. „Die Stunde naht“, so bekräftigt Er ausdrücklich, „da die heftigste Zuckung auftreten wird“. „Der werheißene Tag ist da, der Tag, da qualwolle Heimsuchungen über euren Häuptern und unter euren Füßen aufbrechen und künden: `Schmecket, was eure Hände angerichtet haben!`“ „Bald werden die Schläge Seiner Züchtigung euch treffen und wird euch der Staub der Hölle verhüllen.“ Und weiter: „Und wenn die festgesetzte Stunde gekommen ist, wird plötzlich erscheinen, was die Glieder der Menschheit erzittern macht.“ „Der Tag naht, da ihre (der Zivilisation) Flamme die Städte verzehren und die Zunge der Erhabenheit werkünden wird: `Das Reich ist Gottes, des Allmächtigen, des Allgepriesenen!`“ „Bald kommt der Tag“, hat Er, auf die Narren der Welt weisend, geschrieben, „da sie um Hilfe schreien und keine Antwort erhalten werden“. „Der Tag rückt heran“, hat Er des weiteren geweissagt, „da der Ingrimm des Allmächtigen sie packen wird. Er ist wahrlich der Allmächtige, der Allbezwinger, der Machtwollste! Er wird die Erde von der Befleckung ihrer Verderbnis reinigen und zum Erbe denen Seiner Diener geben, die Ihm nahe sind.“
1:5 [22] „Für jene aber, die Ihn, das Erhabene Tor Gottes, verleugnen“, so hat auch der Báb im Qayyámu’l-Asmá‘ bekräftigt, „haben Wir nach Gottes gerechtem Ratschluß schmerzliche Qualen Gorbereitet. Und Er, Gott, ist der Mächtige, der Weise.“ Und weiter: „O Völker der Erde! Ich schwöre bei eurem Herrn! Ihr werdet tun, wie frühere Geschlechter getan. So warnt euch denn selbst vor der schrecklichen, schmerzlichsten Vergeltung Gottes. Denn wahrlich, Gott ist aller Dinge mächtig.“ Und wiederum: „Bei Meiner Herrlichkeit! Ich will mit den Händen Meiner Macht die Ungläubigen Vergeltungen spüren lassen, die nur Ich kenne, und will über die Getreuen die moschusgewürzten Düfte wehen lassen, die Ich im innersten Herzen Meines Thrones gehegt habe.“
1:6 Liebe Freunde! Das machtvolle Walten dieses gewaltigen Umbruchs ist nur für die faßbar, die den Anspruch Bahá’u’lláhs wie auch des Báb anerkannt haben. Ihre Anhänger wissen gar wohl woher es kommt und wohin es letzten Endes führen wird. Mögen sie auch nicht wissen, wie weit es reichen wird, so erkennen sie doch klar seinen Ursprung, ahnen seine Richtung, bejahen seine Notwendigkeit, beobachten zuversichtlich seinen geheimnisvollen Verlauf, flehen um Milderung seiner Strenge, mühen sich einsichtig um eine Abschwächung seines Wütens und richten ihren ungetrübten Blick voraus auf das Ende der schrecknisse und die Hoffnungen, die es zwangsläufig zeitigen muß.
2 [23] Das Gottesgericht
2:1 Dieses Gericht Gottes, wie es denen erscheint, die Bahá’u’lláh als sein Sprachrohr und seinen größten Boten auf Erden erkannt haben, ist eine furchtbare Vergeltung, aber auch ein Akt der heiligen, höchsten Züchtigung. Es ist eine göttliche Heimsuchung und zugleich eine Läuterung für die ganze Menschheit. Seine Feuerbrände strafen die Verderbnis des Menschengeschlechts und schweißen dessen einzelne Teile zu einer organischen, unteilbaren, weltweiten Gemeinschaff zusammen. In diesen schicksalsschweren Jahren, Ausklang des ersten und zugleich Anbruch eines neuen Jahrhunderts des Bahá’í-Zeitalters, wird die Menschheit, wie von Ihm, dem Richter und Erlöser des Menschengeschlechts verordnet, zur Rechenschaft für ihre Taten gerufen und zugleich für ihre künftige Sendung geläutert und gerüstet, sie kann weder die Verantwortung für die Vergangenheit abschütteln noch der für die Zukunft ausweichen. Gott, der Wachsame, der Gerechte, der Liebende, der allweise Verordner, kann in dieser höchsten Sendung die Sünden einer noch nicht neugeborenen Menschheit, ob Unterlassungs- oder Tatsünden, nicht ungestraft lassen, noch wird Er gewillt sein, seine Kinder ihrem Schicksal zu überlassen oder ihnen in ihrem langen, mühsamen, schmerzensreichen Werdegang durch die Zeitalter hindurch jenen Gipfel des Segens zu versagen, der ihr unveräußerliches Recht und zugleich ihre eigentliche Bestimmung ist.
2:2 [24] „Regt euch, ihr Völker“, ist einmal die schicksalhafte Warnung, die Bahá’u’lláh selbst gegeben hat, „in der Erwartung der Tage göttlicher Gerechtigkeit, denn die verheißene Stunde ist nun da!“ „Gebt hin, was ihr besitzt, und ergreift, was Gott, der den Menschen den Nacken beugt, brachte! Wißt wahrlich, daß, wenn ihr euch nicht von dem abkehrt, was ihr begangen habt, von allen Seiten Züchtigung über euch kommen wird und ihr schmerzlichere Dinge schauen werdet als je zuwor!“ „Wir haben euch eine Zeit bestimmt, o Menschen! Wenn ihr versäumt, euch zur festgesetzten Stunde Gott zuzuwenden, so wird Er, wahrlich, gewaltig Hand an euch legen und euch mit schmerzlicher Trübsal von allen Seiten bedecken. wahrlich, streng ist die Züchtigung, mit der euch euer Herr dann heimsucht!“ Und weiter: „Gott herrscht gewißlich über das Leben derer, die Uns Unrecht taten, und Er sieht ihr Treiben wohl. Er wird sie sicherlich um ihrer Sünden willen ergreifen. Er ist der grimmigste Rächer.“ Und schließlich: „O Völker dieser Welt! Wißt wahrlich, daß unerwartete Trübsal euch verfolgt und schmerzhafte Vergeltung eurer harrt. Denkt nicht, daß vor Meinem Antlitz getilgt ist, was ihr begangen habt. Bei Meiner Schönheit! Mit offenen Lettern hat Mein Griffel all euer Tun auf Tafeln von Chrysolith geschrieben.“ (Verborgene Worte, persisch 63).
2:3 Bahá’u’lláh erklärt ein anderes Mal mit Nachdruck, wobei Er einer jetzt verdunkelten Welt eine strahlende Zukunft voraussagt: „Die ganze Erde ist jetzt im Zustand der Trächtigkeit. Der Tag naht, da sie die edelsten Früchte hervorbringen wird, da ihr die stolzesten Bäume, die entzückendsten Blüten, die himmlischsten Segnungen entsprießen werden.“ „Die Zeit ist nahe, da alles Erschaffene seine Bürde abwerfen wird. Verherrlicht sei Gott, der diese Gnade gewährt, die alle Dinge, ob sichtbar oder unsichtbar, umfängt.“ „Diese großen Unterdrückungen“, hat Er ferner im Vorausblick auf das goldene Zeitalter der Menschheit geschrieben, „bereiten die Menschheit auf das Kommen der Größten Gerechtigkeit vor.“ Diese Größte Gerechtigkeit ist die Gerechtigkeit, auf der sich der Bau des Größten Friedens allein gründen kann und muß, während der Größte Friede hinwiederum jene größte Weltkultur einleiten wird, die für immer mit Dem verbunden sein wird, der den Größten Namen trägt.
2:4 [25] Geliebte Freunde! Schon an die hundert Jahre sind vergangen, seit die Offenbarung Bahá’u’lláhs für die Welt angebrochen ist, eine Offenbarung, deren Wesen, wie Er selbst bestätigt, „keiner der Offenbarer der alten Zeiten, es sei denn bis zu einem vorgezeichneten Grade, jemals voll begriffen hat“. Ein volles Jahrhundert lang hat Gott dem Menschengeschlecht Zeit gegeben, den Begründer einer solchen Offenbarung anzuerkennen, sich seine Sache zu eigen zu machen, seine Größe zu verkünden und seine Ordnung aufzurichten. In einhundert Bänden, den Aufbewahrungsorten unschätzbarer Lehren, starker Gesetze, einzigartiger Grundsätze, inständiger Ermahnungen, wiederholter Warnungen, erstaunlicher Weissagungen, erhabener Anrufungen und bedeutsamer Auslegungen, hat der Träger einer solchen Botschaft, wie kein Offenbarer zuvor, die Sendung verkündet, die Gott Ihm anvertraut hatte. An Kaiser, Könige, Fürsten und Machthaber, an Herrscher, Regierungen, Geistlichkeiten und Völker in Ost und West, an Christen, Juden, Muhammadaner und Zoroastrier sandte Er vor nahezu fünfzig Jahren unter den tragischsten Umständen diese unschätzbaren Perlen der Erkenntnis und Weisheit, die im Weltmeer Seiner unvergleichlichen Äußerungen verborgen lagen. Ansehen und Reichtum entsagend, bereit zu Kerker und Verbannung, blind für Verruf und Schmähung, leibliche Unbill und grausame Entbehrungen auf sich nehmend ließ Er, der Statthalter Gottes auf Erden, sich von Ort zu Ort, von Land zu Land verbannen, bis Er zuletzt, im Größten Gefängnis, seinen gemarterten Sohn für die Erlösung und Einigung der ganzen Menschheit als Pfand darbrachte. „Wir haben wahrlich“, so hat Er selbst bezeugt, „Unsere Pflicht nicht versäumt, die Menschen zu ermahnen und ihnen zu bringen, was Wir von Gott, dem Allmächtigen, dem Allgepriesenen, geheißen wurden. Hätten sie auf Mich gehört, so hätten sie die Erde als eine andere Erde gesehen.“ Und weiter: „Gibt es noch irgendeine Entschuldigung für irgend jemanden in dieser Offenbarung? Bei Gott, dem Herrn des mächtigen Thrones, nein! Meine Zeichen sind um die Erde gegangen, und Meine Macht hat das ganze Menschengeschlecht umfaßt, und dennoch liegen die Menschen in einem seltsamen Schlaf.“
3 [26] Welche Antwort auf seinen Ruf?
3:1 Wie hat – so mögen wir wohl fragen – die Welt, der Gegenstand solcher göttlicher Fürsorge, Dem gedankt, der ihretwillen alles geopfert hat? Was für ein Willkommen hat sie Ihm bereitet, und was für eine Antwort hat sein Ruf geweckt? Ein in der Geschichte des schiitischen Islám nie dagewesenes Getöse begrüßte das junge Licht des Glaubens in seinem Geburtslande inmitten eines Volkes, das verrufen war für seine krasse Unwissenheit, seinen wilden Fanatismus, seine barbarische Grausamkeit, seine eingefleischten Vorurteile und die grenzenlose Macht, mit der eine fest verschanzte Geistlichkeit die Massen an sich kettete. Die Verfolgung, die einen Mut entflammte, der, nach dem Zeugnis keines Geringeren als des verstorbenen Lord Curzon of Kedleston, von dem Mut, den die Feuer von Smithfield entfachten, nicht übertroffen ward, mähte mit verhängnisvoller schnelle nicht weniger als zwanzigtausend heldenhafte Gläubige nieder, die sich geweigert hatten, ihren neuen Glauben gegen die flüchtigen Ehren und die Geborgenheit eines sterblichen Lebens einzutauschen.
3:2 Zu den leiblichen Qualen, die diesen Duldlern bereitet wurden, kamen die so unverdienten Anschuldigungen, wie Leugnung aller Werte, Okkultismus, Verneinung der staatlichen Ordnung, Religionsklitterung, Unsittlichkeit, Sektenbildung, Ketzerei, parteiliche Umtriebe, deren jede durch die Glaubenssätze selbst und den Lebenswandel der Gläubigen überzeugend widerlegt wurden, die aber die Zahl derer anschwellen ließen, die aus Unwissenheit oder Bosheit diesen Glauben schädigten.
3:3 [27] Die erschreckende Gleichgültigkeit der Männer von stand und Rang, der unerbittliche Haß der geistlichen Wiürdenträger eben des Glaubens, dem er entsprungen war, der höhnische Spott des Volkes, in dem die Religion entstanden war, die äußerste Mißachtung, die die meisten Könige und Herrscher ihrem Stifter gegenüber zeigten, als Er sich an sie wandte, die Verurteilungen, Drohungen und Verbannungen, die von jenen beschlossen wurden, unter deren Macht der Glaube groß geworden war und sich zuerst verbreitet hatte, die Verdrehung, die seine Grundsätze und Gesetze durch die Neider und Böswilligen in Ländern und Völkern weitab von seinem Ursprungslande erfuhren – dies alles sind nur die Beweise der Behandlung durch ein Geschlecht, das in Selbstzufriedenheit versunken war, sich um Gott nicht kümmerte und die von seinen Boten geoffenbarten Vorzeichen, Weissagungen, Warnungen und Mahnungen vergessen hatte.
3:4 Die Schläge, die so schwer auf die Jünger eines kostbaren, herrlichen und starken Glaubens niederfielen, konnten jedoch nicht den Grimm seiner Verfolger besänftigen. Auch die absichtlichen, böswilligen Verdrehungen seiner Grundlehren, seiner Ziele und Zwecke, seines Hoffens und Strebens, seiner Einrichtungen und Tätigkeiten waren noch nicht genug, um die Hand des Unterdrückers und des Verleumders zurückzuhalten, die mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln seinen Namen zu vernichten und seine Ordnung auszurotten suchten. Die Hand, die eine so große Zahl untadeliger, demütiger Verehrer und Diener des Glaubens niedergeschmettert hatte, wurde jetzt erhoben, um den Begründern des Glaubens die schwersten und grausamsten Schläge zu erteilen.
3:5 [28] Der Báb – „der Punkt“, wie Bahá’u’lláh bestätigte, „um den die Wirklichkeiten der Propheten und Gottesboten kreisen“ – geriet als erster in den Strudel, der seine Anhänger verschlingen sollte. Plötzliche Gefangennahme und Einkerkerung im ersten Jahre seiner kurzen, ereignisreichen Laufbahn; absichtliche öffentliche Beschimpfung vor den geistlichen Würdenträgern in Shíráz; strenge und lange Kerkerhaft in den kahlen Bergfesten von Adhirbáyján; verachtende Geringschätzung und feige Eifersucht von seiten des höchsten Richters des Reiches und des ersten Ministers der Regierung; ein sorgfältig abgekartetes, possenhaftes Verhör vor dem Thronerben und hochgestellten Geistlichen in Tabríz; eine schändliche Bastonade im Bethaus durch die Hand des Shaykhu’l-Islám der Stadt; schließlich die Aufhängung im Kasernenhof in Tabríz und die Feuergarbe von über siebenhundert Kugeln auf seine jugendliche Brust unter den Augen einer verstockten Menge von zehntausend Menschen, und als Gipfel die schmähliche Schaustellung seiner zerfetzten Überreste am Grabenrande draußen vor dem Stadttor – dies waren nacheinander die Abschnitte der wildbewegten, tragischen Wirkungszeit eines Mannes, dessen Zeitalter die Vollendung aller Zeitalter einleitete und dessen Offenbarung die Verheißung aller Offenbarungen erfüllte.
3:6 „Ich schwöre bei Gott“, so hat der Báb selbst in seinem Tablet an Muhammad-Sháh geschrieben, „wüßtest du, was Mir alles in diesen vier Jahren aus den Händen deines Volkes und deines Heeres widerfahren ist, so würde dir aus Furcht vor Gott der Atem stocken … Wehe, wehe ob der Dinge, die Mich betroffen haben! Ich schwöre bei dem Allerhöchsten! Würde man dir erzählen, an was für einem Ort Ich hause, so würdest du selbst als erster Erbarmen mit Mir empfinden. Im Herzen eines Gebirges ragt eine Festung (Máh-kú) … nur von zwei Wächtern und vier Hunden bewohnt. So male dir denn Meine Bedrängnis aus … In diesem Gebirge mußte Ich allein verbleiben, und keiner von Meinen Vorgängern hat erlitten, was Ich erlitten habe, und kein Übeltäter hat ertragen, was Ich ertragen habe.“
3:7 [29] „Wie verblendet seid ihr doch, o Meine Geschöpfe“, hat Er, als Stimme Gottes redend, im Bayán geoffenbart, „… die ihr, ohne jedes Recht, Ihn auf einen Berg (Máh-kú) verbannt habt, von dessen Bewohnern nicht einer der Erwähnung wert ist … Bei Dem, der bei Mir ist, ist nur der eine Buchstabe des Lebendigen Meines Buches. In Seiner Gegenwart, die Meine Gegenwart ist, scheint nachts nicht einmal eine Lampe. Und doch leuchten an Stätten (der Andacht), die in vielerlei Weise sich Ihm zukehren, unzählige Lampen! Alles, was auf Erden ist, ist für Ihn erschaffen, und alle haben mit Wonne an Seinen Wohltaten teil, und doch sind jene Ihm gegenüber so verblendet, daß sie Ihm sogar eine Lampe verweigern.“
3:8 Und was ist Bahá’u’lláh widerfahren, dessen Offenbarung in ihrem Kern, wie vom Báb bezeugt ist, mit einer Kraft begabt wurde, die die vereinten Kräfte der Sendung des Báb übertrifll? Wurde Er, für den der Báb litt und unter so tragischen und wundersamen Umständen starb, nicht fast ein halbes Jahrhundert lang unter der Herrschaft der beiden mächtigsten Gewalthaber des Morgenlandes zur Zielscheibe einer mit List ausgeheckten Verschwörung gemacht, die an Wirkung und Dauer kaum ihresgleichen in der Geschichte früherer Religionen findet?
3:9 „Die Grausamkeiten, die Mir Meine Unterdrücker zufügten“, so hat Er selbst in seiner Qual ausgerufen, „haben Mich gebeugt und Mein Haar gebleicht. Solltest du vor Meinem Throne erscheinen, so würdest du die Urewige Schönheit nicht wiedererkennen, denn die Frische ihres Antlitzes ist verwandelt und ihr Glanz ist in der Bedrängnis durch die Ungläubigen erloschen. Ich schwöre bei Gott! Ihr Herz, ihre Seele und ihre Lebenskraft sind geschwunden.“ „Könntest du mit Meinem Ohre hören“, so erklärt Er des weiteren, „dann würdest du hören, wie ‚Alí (der Báb) Mich vor dem Allherrlichen Gefährten beklagt, wie Muhammad um Mich am höchsten Horizont weint und wie der Geist (Jesus) sich im Himmel Meines Ratschlusses dessentwegen aufs Haupt schlägt, was diesem Mißhandelten von seiten eines jeden gottlosen Sünders zugestoßen ist.“ „Vor Mir“, hat Er an anderer Stelle geschrieben, „reckt sich die Schlange der Wut mit aufgesperrten Kiefern, Mich zu verschlingen, hinter Mir schleicht der Löwe des Zorns, Mich zu zerreißen, und über Mir, o Mein Geliebter, ziehen die Wolken Deines Ratschlusses und regnen auf Mich die Schauer der Trübsale, während unter Mir die Speere des Unglücks starren, Meine Glieder und Meinen Leib zu durchbohren.“ „Könnte man dir erzählen“, so bekräftigt Er weiterhin, „was die Urewige Schönheit befallen hat, so würdest du in die Wildnis fliehen und bitterlich weinen. In deinem Gram würdest du dich aufs Haupt schlagen und wie von der Natter gestochen aufschreien … Bei der Gerechtigkeit Gottes! Jeden Morgen, wenn Ich aufstand, sah Ich unzählige Trübsale hinter Meiner Tür lauern, und jeden Abend, wenn Ich Mich niederlegte, war, ach, Mein Herz von Qual zerrissen durch alles, was es von der tükischen Grausamkeit der Feinde zu erleiden hatte. Mit jedem Stück Brot, das die Urewige Schönheit bricht, ist der Ansturm einer neuen Trübsal gepaart, und jedem Tropfen, den sie trinkt, ist die Bitternis der schmerzlichsten Prüfungen beigemischt. Jedem Schritt, den sie tut, zieht ein Heer ungeahnten Elends woran, während Legionen quälender Sorgen ihr nach folgen.“
3:10 [30] Ist Er nicht schon im jugendlichen Alter von siebenundzwanzig Jahren aus freien Stücken aufgestanden, um als einfacher Anhänger die im Werden begriffene Sache des Báb zu verfechten? Hat Er nicht mit der Übernahme der tatsächlichen Führung einer geächteten, gehetzten Glaubensgemeinschaft sich selbst, seine Familie, seine Habe, seinen Stand und seinen Ruf schweren Gefahren, blutigen Angriffen, allgemeiner Plünderung und wütenden Schmähungen von seiten der Regierung wie auch des Volkes ausgesetzt? Wurde nicht Er, ein Offenbarer, dessen Tag „jeder Prophet angekündigt hat“, nach dem „die Seele jedes Gottgesandten gedürstet hat“ und in dem „Gott die Herzen der ganzen Schar Seiner Boten und Propheten geprüft hat“, auf Anstiften der schiitischen Geistlichkeit und auf Geheiß des Sháh selbst nicht weniger als vier Monate lang gezwungen, in gänzlicher Finsternis zu leben, in der Gesellschaft gemeinster Verbrecher, von wundreibenden Ketten niedergezogen, in der Pestluft des ungezieferverseuchten unterirdischen Kerkers in Tihrán, einem Orte, der, wie Er später erklärte, auf geheimnisvolle Weise gerade zum Schauplatz der Verkündigung wurde, die Gott Ihm über sein Prophetenamt machte?
3:11 [31] „Wir wurden“, so schrieb Er in seinem „Brief an den Sohn des Wolfes“, „vier Monate lang an einen unvorstellbar stinkenden Ort verwiesen. Dem Verlies, worin dieser Unterdrückte und andere ebenso Mißhandelte festgehalten waren, wäre eine dunkle, enge Grube vorzuziehen … Das Verlies war in dichte Finsternis getaucht, und Unsere Mitgefangenen zählten nahezu hundertfünfzig Seelen: Diebe, Mörder und Straßenräuber. Obwohl überfüllt, hatte es keinen anderen Ausgang als den Durchlaß, durch den Wir hereingekommen waren. Keine Feder kann jenen Ort beschreiben, keine Zunge seinen Gestank schildern. Die meisten dieser Männer hatten weder Kleider noch Bettzeug, darauf zu liegen. Gott allein weiß, was Wir an dem faulig stinkenden, finsteren Ort zu erdulden hatten!“ „‚Abdu’l-Bahá“, schreibt Dr. J. E. Esslemont, „erzählt, wie Ihm eines Tages erlaubt wurde, den Gefängnishof zu betreten, um seinen geliebten Vater zu sehen, wenn Er zu seiner täglichen Bewegung herauskam. Bahá’u’lláh war schrecklich entstellt und so krank, daß Er kaum gehen konnte, sein Haar und Bart waren ungekämmt, sein Hals wund und geschwollen vom Druck eines schweren Eisenringes, Sein Leib gebeugt vom Gewicht der Ketten.“ „Drei Tage und drei Nächte“, so hat Nabíl in seiner Chronik verzeichnet, „erhielt Bahá’u’lláh weder Speise noch Trank. Ruhe oder Schlaf waren Ihm unmöglich. Der Ort war voll Ungeziefer, und der Gestank dieser grauenhaftcn Behausung konnte wohl die Lebensgeister derer ersticken, die seine Schrecken zu erdulden hatten.“ „so heftig waren Seine Leiden, daß die Spuren jener Grausamkeit seinem Leib auf Lebzeiten eingekerbt blieben.“
3:12 [32] Welche anderen Trübsale trafen Ihn vor und unmittelbar nach diesem schrecklichen Geschehen? Wie war es mit seiner Festsetzung im Hause eines Bezirksbürgermeisters von Tihrán? Und was war mit der ungezügelten Gewalttat, als Er von einer wütenden Volksmenge bei dem Dorfe Níyálá gesteinigt wurde? Und wie war es mit seiner Einkerkerung durch die Schergen aus dem Heer des Sháh in Mázindarán und die Bastonade, die Er auf Befehl und in Gegenwart der versammelten Siyyids und höchsten Geistlichen erhielt, denen Er durch die Behörden von Ámul ausgeliefert worden war? Was war mit dem Hohn- und Spottgeheul, mit dem eine Menge roher Raufbolde Ihn weiterhin verfolgte? Und was war mit der ungeheuerlichen Anklage, die das Kaiserhaus, der Hof und das Volk gegen Ihn erhoben, als der Anschlag auf Násiri’d-Dín Sháh verübt worden war? Was war mit den schändlichen Beschimpfungen, der Schmach und dem Spott, mit denen Er überhäuft wurde, als Er von den Beamten der Regierung verhaftet und aus Níyávarán „zu Fuß und in Ketten, barhaupt, barfuß“ und, der prallen Hochsommersonne schutzlos preisgegeben, nach dem Siyáh-Chál in Tihrán geführt wurde? Und was war mit der Habgier, womit bestechliche Beamte sein Haus plünderten, seinen ganzen Besitz wegschleppten und über seine Habe verfügten? Und was war mit dem grausamen Erlaß, durch den Er von der kleinen Schar der verwirrten, gehetzten, hirtenlosen Anhänger des Báb hinweggerissen, von Verwandten und Freunden getrennt und im tiefen Winter, beraubt und verleumdet, nach dem ‚Iráq verbannt wurde?
3:13 So hart diese Trübsale waren, die mit verwirrender Schnelligkeit einander folgten als Ergebnis vorbedachter Angriffe und planmäßiger Machenschaften des Hofes, der Geistlichkeit, der Regierung und des Volkes, so waren sie doch nur das Vorspiel einer qualvollen, langwährenden Gefangenschaft, die jener Erlaß der Form nach eingeleitet hatte. Diese lange Verbannung währte mehr als vierzig Jahre, führte Ihn nacheinander nach dem ‚Iráq, nach Sulaymáníyyih, Konstantinopel, Adrianopel und zuletzt in die Strafkolonie ‚Akká und endete erst bei seinem Tode mit über siebzig Jahren. So kam eine Gefangenschaft zum Abschluß, die an Tragweite, Dauer, Vielfalt und Härte ihrer Leiden in der Geschichte früherer Gottesoffenbarungen kein Beispiel hat.
3:14 Es ist nicht nötig, sich über die einzelnen Geschehnisse zu verbreiten, die ein düsteres Licht auf die erschütternde Geschichte jener Jahre werfen, oder bei Charakter und Taten der Völker, Herrscher und Geistlichen zu verweilen, die mitwirkten und dazu beitrugen, die Szenen dieses größten Dramas in der Geistesgeschichte der Welt noch bitterer zu machen.
4 [33] Schlaglichter dieses ergreifenden Dramas
4:1 Einige wenige Schlaglichter dieses ergreifenden Dramas sollen genügen, um den mit der Geschichte des Glaubens vertrauten Leser an die Wechselfälle zu erinnern, die diese Sache durchgemacht und die die Welt bisher mit so kalter Gleichgültigkeit betrachtet hat. Der erzwungene, jähe Rückzug Bahá’u’lláhs in die Berge von Sulaymáníyyih und die schmerzlichen Folgen, die Seine zweijährige völlige Zurückgezogenheit zeitigte; das unaufhörliche Ränkespiel, dem sich die Spitzen des schiitischen Islám in Najaf und Karbilá in ständiger enger Fühlung mit ihren Verbündeten in Persien hingaben; die Verschärfung der unterdrückenden Maßnahmen durch Sultán ‚Abdu’l-‚Azíz, die den Treubruch gewisser hervorragender Mitglieder der verbannten Gemeinde auslöste; die Durchführung einer weiteren Verbannung auf Befehl des Sultáns, dieses Mal nach einer entlegenen, sehr öden Stadt, was solche Verzweiflung hervorrief, daß zwei der Verbannten zum Selbstmordversuch getrieben wurden; die scharfe Überwachung, die sie bei der Ankunft in ‚Akká durch feindlich gesinnte Beamte erfuhren, und die unerträgliche zweijährige Gefangenschaft in der Kaserne der Stadt, das Verhör, dem hernach der türkische Páshá seinen Gefangenen im Amtsgebäude unterzog; seine nicht weniger als acht Jahre währende Haft in einer bescheidenen Behausung, die von der verpesteren Luft dieser Stadt umgeben war, wobei seine einzige Erholung darauf beschränkt war, den engen Raum seines Zimmers abzuschreiten – diese und andere Trübsale künden von der Art der schweren Prüfungen und erlittenen Beleidigungen, weisen aber auch mit dem Finger der Anklage auf jene Mächtigen auf Erden hin, die ihn entweder so schmerzlich mißhandelt oder ihm absichtlich ihre Hilfe vorenthalten haben.
4:2 [34] Kein Wunder, daß von der Feder Dessen, der diese Qual mit so erhabener Geduld trug, diese Worte geoffenbart wurden: „Er, der Herr des Sichtbaren und Unsichtbaren, ist nun allen offenbar. sein gesegnetes Selbst ist mit solchem Leid gequält worden, daß, wenn alle Meere, die sichtbaren und die unsichtbaren, zu Tinte würden, alle Bewohner des Reiches zu Federn und alle im Himmel und auf Erden zu Schreibern, sie gewiß unfähig wären, dies aufzuzeichnen.“ Und wiederum: „Die meisten Meiner Lebenstage bin Ich wie ein Sklave, der unter einem Schwerte sitzt, das an einem Faden hängt, und der nicht weiß, ob es früher oder später auf ihn herabfällt.“ „Alles“, so bekräftigt Er, „was dieses Geschlecht Uns bieten konnte, waren Wunden von seinen Pfeilen, und der einzige Kelch, den es Unseren Lippen reichte, war der Kelch seines Giftes. Auf Unserem Hals tragen wir noch die Narben von Ketten, und Unserem Leib sind die Beweise unbarmherziger Grausamkeit aufgedrückt.“ „Zwanzig Jahre sind verronnen, o Könige!“ hat Er auf dem Höhepunkt seiner Sendung an die Könige der Christenheit geschrieben, „in denen Wir jeden Tag die herben Qualen einer neuen Trübsal geschmeckt haben. Keiner vor Uns hat erduldet, was Wir erduldet haben. Könntet ihr dies doch fassen! Die, welche sich gegen Uns erhoben, haben Uns dem Tode ausgeliefert, Unser Blut vergossen, Unsere Habe geplündert und Unsere Ehre werletzt. Obwohl ihr um die meisten Unserer Leiden wußtet, habt ihr es doch unterlassen, dem Angreifer in den Arm zu fallen. Ist es nicht eure klare Pflicht, die Tyrannei des Unterdrückers zu verhindern und eure Untertanen unparteiisch zu behandeln, auf daß eure hohe Gerechtigkeit der ganzen Menschheit woll bewiesen werde?“
4:3 [35] Wo ist der Herrscher im Osten oder Westen – so darf man vertrauensvoll fragen -, der irgendwann seit dem Heraufdämmern einer so überragenden Offenbarung sich entschlossen hätte, seine Stimme zu ihrem Ruhme oder gegen ihre Verfolger zu erheben? Welche Menschen haben im Laufe einer so langen Gefangenschaft den Drang verspürt, aufzustehen und die Flut solcher Trübsale einzudämmen? Eine einzige Frau ausgenommen, die in einsamer Glorie leuchtet -, wo ist der Herrscher, der sich in noch so bescheidenem Maße zu einer Antwort auf den durchdringenden Ruf Bahá’u’lláhs getrieben gefühlt hätte? Wer unter den Großen der Erde war geneigt, diesem jungen Gottesglauben die Wohltat seiner Anerkennung oder Unterstützung zu gewähren? Welche der vielen Bekenntnisse, Sekten, Rassen, Parteien und Klassen und der so mannigfaltigen Schulen des menschlichen Denkens hielt es für nötig, den Blick auf das aufsteigende Licht dieses Glaubens zu richten, seine sich entfaltende Ordnung zu betrachten, sein unauffälliges Wachstum zu bedenken, seine gewichtige Botschaft zu würdigen, seine lebenerneuemde Kraft anzuerkennen, seine heilbringende Wahrheit anzunehmen oder seine ewigen Wahrheiten zu verkünden? Wer unter den Weisen der Welt und den sogenannten Männern der Einsicht und der Weisheit kann, nahezu ein Jahrhundert danach, mit Recht behaupten, er habe den Kerngedanken dieses Glaubens selbstlos gutgeheißen, seine Ansprüche unparteiisch erwogen, sich genügend mit seinen Schriften beschäftigt, beharrlich die Trennung von Wahrheit und Dichtung betrieben oder seiner Sache die geziemende Behandlung gewährt? Wo sind, wenige Einzelfälle ausgenommen, die hervorragenden Vertreter der Künste oder Wissenschaften, die einen Finger gerührt oder ein Wort der Empfehlung gemurmelt hätten, um seinen Glauben zu verteidigen oder zu preisen, der der Welt eine so unschätzbare Wohltat beschert, der so lange und schmerzlich gelitten hat und der in sich eine so begeisternde Verheißung für eine so zerschlagene, so augenfällig bankrotte Welt bewahrt?
4:4 [36] Zu der Flut der Prüfungen, die den Báb niederwarfen, den langwährenden Trübsalen, die über Bahá’u’lláh hereinbrachen, den Warnungen, die vom Herold wie vom Stifter der Bahá’íReligion erschollen, kommen die nicht weniger als siebzig Jahre lang von ‚Abdu’l-Bahá erduldeten Leiden, seine Beschwörungen und dringenden Bitten, die Er an seinem Lebensabend in bezug auf die in wachsendem Maße die ganze Menschheit bedrohenden Gefahren aussprach, in dem Jahre geboren, das Zeuge des Anfangs der Bábí-Religion war, mit den ersten Feuern der Verfolgung getauft, die um diese keimende Sache wüteten; als achtjähriger Knabe Augenzeuge der gewaltsamen Umwälzungen, die den Glauben, dessen sein Vater sich angenommen hatte, erschütterten; sein Gefährte bei den Schmähungen, in den Gefahren und Unbilden, die die mehrfachen Verbannungen aus der Heimat in weit entfernte Länder nach sich zogen; verhaftet und gezwungen, bald nach seiner Ankunft in ‚Akká den Schimpf der Gefangenschaft in dunkler Zelle zu ertragen; Gegenstand wiederholter Untersuchungen und Zielscheibe dauernder Angriffe und Beleidigungen unter der gewalttätigen Herrschaft des Sultáns ‚Abdu’l-Hamíd und später unter der unbarmherzigen Militärdiktatur des argwöhnischen, grausamen Jamál Páshá – hatte auch Er, der Mittelpunkt und die Achse des unvergleichlichen Bündnisses von Bahá’u’lláh und vollkommenes Vorbild seiner Lehren, aus den Händen von Machthabern, Geistlichen, Regierungen und Untertanen den Schmerzenskelch zu kosten, den der Báb, Bahá’u’lláh und so viele ihrer Anhänger geleert hatten.
4:5 [37] Die Warnungen, die seine Feder und seine Stimme in zahllosen Tablets und Reden während einer fast lebenslangen Haft und auf seinen ausgedehnten Reisen in Europa und Amerika gegeben haben, sind allen, die sich um die Verbreitung des Glaubens seines Vaters in der westlichen Welt mühen, genügend bekannt. Wie oft und wie leidenschaftlich mahnte Er Menschen von Einfluß und die breite Öffentlichkeit, die von seinem Vater verkündeten Lehren unbefangen zu prüfen! Wie eingehend, wie nachdrücklich entwickelte Er die Lehren des von Ihm ausgelegten Glaubens, erläuterte Er dessen Grundwahrheiten, betonte Er dessen Merkmale und verkündete Er die erlösende Kraft seiner Grundsätze! Wie eindringlich deutete Er das drohende Chaos an, die nahenden Umwälzungen, den Weltbrand, der in Seinen letzten Lebensjahren das Ausmaß seiner Gewalt und die Stärke seines Einbruchs in die menschliche Gesellschaft erst ahnenließ! von den schmerzlichen Prüfungen und plötzlichen Enttäuschungen mitbetroffen, die den Báb und Bahá’u’lláh heimsuchten; zu Lebzeiten mit einem Erfolg bedacht, der zu seinen überragenden, unaufhörlichen, regen Bemühungen in gar keinem Verhältnis stand; noch Augenzeuge der ersten Verwirrungen der welterschütternden Katastrophe, die einer ungläubigen Menshheit wartete; vom Alter gebeugt, das Auge verdüstert von dem heraufziehenden Gewitter, das eine glaubenslose Generation durch den Empfang der Sache seines Vaters heraufbeschwor; blutenden Herzens über das den eigensinnigen Kindern Gottes drohende Verhängnis – so erlag Er zuletzt dem Gewicht von Mühsalen, für die jene, die sie Ihm und denen vor Ihm auferlegt hatten, bald zu einer schrecklichen Abrechnung geladen werden sollten.
4:6 [38] „Beschleunige, o mein Gott“, so rief Er aus, als das Unglück Ihn schmerzlich überfallen hatte, „die Tage meines Aufstiegs zu Dir, meiner Ankunft bei Dir und meines Zutritts zu Dir, auf daß ich von der finsteren Grausamkeit befreit werde, die sie mir zugefügt haben, in das Lichtmeer Deiner Nähe eingehe und im Schatten Deines größten Erbarmens raste, o mein Herr, Du Allherrlicher.“ „Yá Bahá’u’l-Abhá“ (o Herrlichkeit der Herrlichkeiten), schrieb Er in einem Tablet in der letzten Woche seines Lebens, „ich habe der Welt und ihren Menschen entsagt, mein Herz ist gebrochen und bedrückt wegen der Ungläubigen. Im Käfig dieser Welt flattere ich wie ein geängstigter Vogel umher und sehne mich jeden Tag, zu Deinem Reich aufzufliegen. Yá Bahá’u’l-Abhá! Lasse mich wom Kelche des Opfers trinken und mache mich frei! Erlöse mich von diesen Leiden und Prüfungen, diesen Mühen und Trübsalen!“
4:7 Liebe Freunde! Wehe, tausendmal wehe, daß eine so unvergleichlich große, so unendlich kostbare, so urgewaltige, so offensichtlich lautere Offenbarung von einem so blinden, verdorbenen Geschlecht eine so schändliche Behandlung erfahren hat! „O Meine Diener!“ bezeugt Bahá’u’lláh selbst. „Der eine wahre Gott ist Mein Zeuge! Dieser größte, unergründliche, wogende Ozean ist euch nahe, wunderbar nahe. Seht, er ist euch näher als eure Halsschlagader! Schnell, wie ein Augenaufschlag, könnt ihr, wenn ihr nur wollt, diese unvergängliche Gunst, diese Gottesgnade, dieses dauerhafte Geschenk, diese stärkste und unaussprechlich herrliche Güte erlangen und an ihr teilhaben.“
5 [39] Eine Welt rückte von Ihm ab
5:1 Fast hundert Jahre sind seit jener Umwälzung vergangen; was erblickt nun das Auge, das die Weltbühne betrachtet und auf die Frühzeit der Bahá’í-Geschichte zurückschaut? Es bietet sich ihm eine Welt, in die Todeskämpfe streitender Ordnungen, Rassen und Völker verkrampft, in die Schlingen ihrer angehäuften Falschheiten verstrickt, von Dem immer weiter abrückend, der der alleinige Urheber ihrer Geschicke ist, und immer tiefer in ein selbstmörderisches Blutbad versinkend, das durch die Mißachtung und Verfolgung Dessen, der ihr Erlöser ist, verursacht worden war. Das Auge erblickt einen noch immer geächteten Glauben, der aber schon durch seine Puppenhülle hindurchbricht, aus dem Dunkel einer hundertjährigen Unterdrückung auftaucht, den schrecklichen Beweisen des Ingrimms Gottes gegenübersteht und ausersehen ist, sich über die Trümmer einer zerschmetterten Kultur zu erheben. Es ist eine Welt, die geistig ausgeplündert ist, sittlich bankrott, politisch zerrüttet, gesellschaftlich erschüttert, wirtschaftlich gelähmt, zuckend, blutend und zerbrechend unter der strafenden Rute Gottes. Und es ist ein Glaube, dessen Ruf unerhört verhallte, dessen Ansprüche verworfen, dessen Warnungen verschmäht, dessen Anhänger niedergemäht, dessen Zwecke und Ziele verleumdet, dessen Aufforderungen an die Herrscher der Erde mißachtet wurden, dessen Herold den Kelch des Märtyrertums leerte, über dessen Stifter eine Flut unerhörter Trübsale hereinbrach und dessen Vorbild dem Gewicht lebenslanger Kümmernisse und schrecklicher Mißgeschicke erlag. Es ist eine Welt, die ihren Halt verloren hat, in der die helle Flamme der Religion dem Erlöschen nahe ist, in der die Kräfte eines lärmenden Nationalismus und Rassenwahns die Rechte und Vorrechte Gottes selbst an sich gerissen haben, in der eine offen wütende Verweltlichung als unmittelbare Folge der Glaubenslosigkeit siegestrunken ihr Haupt erhoben hat und ihre häßlichen Kennzeichen zeigt, in der die „Majestät des Königtums“ geschändet worden ist und diejenigen, die seine Wahrzeichen trugen, größtenteils vom Thron gestoßen worden sind; in der die einst allmächtige Geistlichkeit des Islám und, in geringerem Maße, des christentums in Verruf gekommen sind und in der das Gift von Vorurteilen und Unredlichkeit an den Lebensorganen einer schon zerrütteten Gesellschaft nagt. Es ist ein Glaube, dessen Einrichtungen – das Vorbild und die krönende Glorie des kommenden Zeitalters – mißachtet und zuweilen sogar zerstört und vernichtet wurden, dessen sich entfaltendes System verhöhnt und teilweise unterdrückt und verstümmelt wurde, dessen sich entwickelnde Ordnung, die einzige Zuflucht einer vom Verhängnis ereilten Zivilisation, verschmäht und in Frage gestellt, dessen Muttertempel beschlagnahmt und enteignet und dessen „Haus“, „Leitstern einer anbetenden Welt“, durch einen, wie vom höchsten Weltgerichtshof bezeugt, groben Rechtsmißbrauch seinen unversöhnlichen Feinden ausgeliefert und von ihnen geschändet worden ist.
5:2 [40] Wir leben in einer Zeit, in der man zur richtigen Einschätzung zwei Vorgänge auseinanderhalten muß. Erstens: Die letzten Zuckungen einer verbrauchten, gottlosen Ordnung, die sich trotz der Zeichen und Fingerzeige einer hundert Jahre alten Offenbarung hartnäckig geweigert hat, ihre Handlungsweise den Geboren und Idealen dieses vom Himmel gesandten Glaubens anzupassen. Zweitens : Die Geburtswehen einer erlösenden, göttlichen Ordnung, die zwangsläufig die bestehende ablösen wird und in deren Verwaltungsgefüge keimhaft eine unvergleichliche, weltweite Kultur im Stillen heranreift. Die eine ist daran, abgebaut zu werden, und geht in Bedrängnis, Blutvergießen und Trümmern unter. Die andere eröffnet neue Ausblicke auf Gerechtigkeit, Einigkeit, Frieden und Kultur, wie kein Zeitalter sie je gesehen hat. Die erstere hat ihre Kraft erschöpft, ihre Falschheit und Unfruchtbarkeit erwiesen, ihre Gelegenheit unwiederbringlich verscherzt und eilt ins Verderben. Die letztere, mannhaft und unüberwindlich, zersprengt ihre Ketten und verficht ihren Anspruch, die einzige Zuflucht zu sein, in der die leidgeprüfte Menschheit, von ihren Schlacken gereinigt, ihre Bestimmung erreichen kann.
5:3 „Bald“, hat Bahá’u’lláh geweissagt, „wird die Ordnung des heutigen Tages zusammengerollt und eine neue an ihrer Statt ausgebreitet werden.“ Und weiter: „Bei Mir selbst! Der Tag naht heran, da Wir die Welt und alles, was darinnen ist, zusammengerollt und eine neue Ordnung an ihrer Statt ausgebreitet haben werden.“ „Der Tag naht heran, da Gott ein Volk erweckt, das Unsere Tage ins Gedächtnis rufen, die Geschichten Unserer Prüfungen erzählen und die Herstellung Unserer Rechte fordern wird von denen, die ohne einen Funken Beweis Uns mit offenkundiger Ungerechtigkeit behandelt haben.“
5:4 [41] Liebe Freunde! Für die Prüfungen, die den Glauben Bahá’u’lláhs betroffen haben, liegt die erschreckende, unentrinnbare Verantwortung bei denen, in deren Hände die Zügel der weltlichen und geistlichen Gewalt gelegt waren. Die Könige der Erde und die geistlichen Führer der Welt müssen in erster Linie die Wucht einer so furchtbaren Verantwortung tragen. „Ein jeder weiß wohl“, bezeugt Bahá’u’lláh selbst, „daß sich alle Könige von Ihm weggewandt und alle Religionen sich Ihm widersetzt haben.“ „Seit unwordenklichen Zeiten“, erklärte Er, „haben jene, die äußerlich mit Vollmacht ausgestattet waren, die Menschen gehindert, ihr Angesicht Gott zuzuwenden. Sie verübelten es den Menschen, sich um den Größten Ozean zu versammeln, da sie schon immer und auch heute noch darin den Grund für die Untergrabung ihrer eigenen Hoheit erblicken.“ „Die Könige“, hat Er ferner geschrieben, „haben wie die Minister und Geistlichen bemerkt, daß es nicht zu ihrem Vorteil war, Mich anzuerkennen, obwohl Mein Vohaben in den göttlichen Büchern und Tablets ganz deutlich offenbart worden ist und der Allwahre laut werkündet hat, daß diese Größte Offenbarung für die Besserung der Wielt und die Erhöhung der Völker erschienen ist.“ „Barmherziger Gott!“ schreibt der Báb in den „sieben Beweisen“ (Dalá’il-i-Sab’ih) über die „sieben mächtigen Herrscher der Welt“ zu seiner Zeit, „keiner Von ihnen ist von Seiner (des Báb) Offenbarung benachrichtigt worden, und wäre er es, hätte keiner an Ihn geglaubt. Wer weiß, sie verlassen wohl die Welt hienieden floller Sehnsucht und ohne gemerkt zu haben, daß das, worauf sie gewartet haben, eingetreten ist. Gerade das ist einst den Herrschern zugestoßen, die am Ewangelium festhielten. Sie harrten des Propheten Gottes (Muhammad), und als Er wirklich erschien, erkannten sie Ihn nicht. Schaut, wie diese Herrscher hohe Geldsummen ausgeben, ohne auch nur daran zu denken, einen Beamten zu ernennen, der ihnen in ihren Reichen von der Offenbarung Gottes berichten würde! Sie hätten dadurch den Zweck erfüllt, zu dem sie erschaffen worden sind. Alle ihre Wünsche waren und sind darauf gerichtet, Spuren ihrer Namen zurückzulassen.“ In derselben Abhandlung rügt der Báb auch die christlichen Geistlichen, die Wahrheit der Sendung Muhammads nicht anerkannt zu haben, und gibt folgcnde erleuchtende Darlegung: „Der Tadel gebührt ihren Gelehrten, denn wenn diese geglaubt hätten, wäre die Masse ihrer Landsleute ihnen gefolgt. So seht denn, was geschehen ist! Die Gelehrten der Christenheit werden für gelehrt gehalten, weil sie die Lehren Christi rein erhalten – aber bedenkt nun, wie sie selbst bewirkten, daß die Menschen den Glauben nicht angenommen haben, noch zur Erlösung gelangt sind!“
6 [42] Empfänger der Botschaft
6:1 Man darf nicht vergessen, daß es die Könige der Erde und die religiösen Führer der Welt waren, die vor allen anderen Klassen von Menschen zu unmittelbaren Empfängern der vom Báb und von Bahá’u’lláh verkündeten Botschaft gemacht wurden. Sie waren es, die in zahlreichen historischen Tablets mit Bedacht angeredet und aufgefordert wurden, auf den Ruf Gottes zu hören, und an die in klarer, zwingender Sprache die Aufrufe, Ermahnungen und Warnungen durch seine verfolgten Boten gerichtet wurden, sie, die Könige und Führer, waren es, die, als der Glaube geboren, und später, als seine Sendung verkündet wurde, noch größtenteils unbestrittene und unumschränkte weltliche und kirchliche Gewalt über ihre Untertanen und Anhänger ausübten. sie waren es, die, thronend in Pomp und Prunk eines durch konstitutionelle Begrenzungen kaum erst eingeengten Königtums oder verschanzt in den Bollwerken einer scheinbar unverletzlichen kirchlichen Macht, letzten Endes die Verantwortung für jede Art von Unrecht trugen, das durch jene begangen wurde, deren Schicksal sie unmittelbar beherrschten. Es ist keine Übertreibung zu sagcn, daß in den meisten Ländern des europäischen und asiatischen Festlandes Absolutismus einerseits und völlige Unterwürfigkeit unter die Kirchenherrschaft andererseits noch auffallende Charakterzüge des politischen und religiösen Lebens der Massen waren. Diese, beherrscht und gefesselt, waren der nötigen Freiheit beraubt, die sie befähigt hätte, den Anspruch und die Verdienste der ihnen dargebrachten Botschaft abzuschätzen oder vorbehaltlos ihre Wahrheit anzunehmen.
6:2 [43] Kein Wunder denn, daß der Begründer des Bahá’í-Glaubens, und in geringercm Maße auch sein Herold, auf die höchsten Herrscher und religiösen Führer der Welt die volle Kraft ihrer Botschaften gerichtet, sie zu Empfängern einiger Ihrer erhabensten Tablets gemacht und sie in ebenso klarer wie eindringlicher Sprache aufgefordert haben, auf Ihren Ruf zu achten. Kein Wunder, daß sie sich der Mühe unterzogen haben, vor deren Augen die Wahrheit Ihrer Offenbarungen zu entfalten und Ihre schmerzen und Leiden zu schildern. Kein Wunder, daß sie die Kostbarkeit günstiger Gelegenheiten betont haben, die zu ergreifen in der Macht dieser Herrscher und Führer lag, und sie in bedeutsamer Sprache vor der schweren Verantwortung gewarnt haben, welche mit der Verwerfung von Gottes Botschaft auf sie zurückfallen würde, und daß sie, nachdem sie zurückgestoßen und abgewiesen worden waren, ihnen die furchtbaren Folgen voraussagten, die solch eine Abweisung mit sich bringt. Kein Wunder, daß Er, der König der Könige und Statthalter Gottes, als Er verlassen, verschmäht und verfolgt war, diese kurze und bedeutungsvolle Weissagung ausgesprochen hat: „Zwei Gruppen von Menschen wurde die Macht entzogen: Königen und Geistlichen.“
6:3 Was die Könige und Kaiser betrifft, die nicht nur in ihrer Person die Majestät irdischer Herrschaff versinnbildlichten, sondern meistens auch tatsächlich eine unanfechtbare Gewalt über die Massen ihrer Untertanen ausübten, so bildet ihre Beziehung zum Glauben Bahá’u’lláhs eine der aufschlußreichsten Episoden des Heroischcn und des Gestaltgebenden Zeitalters dieses Glaubens: Die göttlichen Forderungen, deren Reichweite eine so große Zahl gekrönter Häupter Europas und Asiens erfaßte, der Inhalt und die sprache der Botschaften, die sie in unmittelbare Berührung mit dem Quell von Gottes Offenbarung brachten, die Art ihrer Reaktion auf einen so eindrucksvollen Anstoß und die Folgen, die sich ergaben und deren Zeuge wir heute noch sind – das sind die hervorragenden Züge eines Themas, das ich nur unzulänglich streifen kann und das voll und angemessen von künftigen Bahá’í-Geschichtsschreibern behandelt werden wird.
6:4 [44] Der Kaiser von Frankreich, Napoleon III., der mächtigste Herrscher seiner Zeit auf dem europäischen Festland; Papst Pius IX., das oberste Haupt der größtcn Kirche des christentums und Zepterträger weltlicher wie geistlicher Gewalt; Alexander II., der allmädlitige Zar des weiten russischen Reiches; die berühmte Königin Viktoria, deren Herrschaft sich über das größte politische Bundesgebiet ausdehnte, das die Welt je gesehen hat; Wilhelm I., der Besieger Napoleons III., König von Preußen und neu ausgerufener Kaiser des geeinigten Deutschland; Franz Joseph, der selbstherrliche Kaiser und König der österreichisch-ungarischen Monarchie, der Erbin des weltberühmten Heiligen Römischen Reiches; der tyrannische ‚Abdu’l’Azíz, der die zusammengefaßte Macht des Sultanats und Kalifats verkörperte; der berüchtigte Násiri’d-Dín Sháh, der despotische Beherrscher Persiens und mächtige Potentat des schiitischen Islám – mit einem Wort, die meisten der hervorragenden Verkörperungen der Macht und der Herrschergewalt seiner Zeit, wurden einer nach dem anderen Gegenstand von Bahá’u’lláhs besonderer Aufmerksamkeit und hatten in verschiedenem Maße die Wucht der Kraft, die von seinen Rufen und Warnungen ausging, zu ertragen.
6:5 Es sollte indessen immer festgehalten werden, daß Bahá’u’lláh sich nicht darauf beschränkt hat, seine Botschaft nur an einige wenige Herrscher zu senden, wie mächtig auch das Zepter war, das jeder einzelne trug, und wie weitläufig auch die Gebiete, die sie regierten. Alle Könige der Erde wurden gemeinsam durch seine Feder angeredet, angerufen und gewarnt zu einer Zeit, da der stern seiner Offenbarung zum Zenit stieg und Er als Gefangener in den Händen und in der Nähe des Hofes seines königlichen Feindes lag. In einem denkwürdigen Tablet, der Súriy-i-Mulúk (Súrih der Könige), in welchem der Sultán, seine Minister, die Könige der Christenheit, der französische und der persische Botschafter an der Hohen Pforte, die muhammadanischen geistlichen Führer in Konstantinopel, die Gelehrten und die Bewohner dieser Stadt, das Volk Persiens und die Philosophen der Welt ausdrücklich angeredet und ermahnt worden sind, richtet Er das Wort an die Schar der Monarchen im Osten und Westen wie folgt:
7 [45] Tablets an die Könige
7:1 „O Könige der Erde! Hört auf die Stimme Gottes, die von diesem erhabenen, früchtebeladenen Baume aus ruft, der den Karminroten Hügeln auf der heiligen Ebene entsprossen ist, und die die Worte anstimmt: `Es gibt keinen Gott außer Ihm, dem Mächtigen, dem Allvermögenden, dem Allweisen` … Fürchtet Gott, o ihr Könige, und laßt euch diese erhabenste Gnade nicht entgehen. So werft denn euren Besitz hinweg und klammert euch an den Halt Gottes, des Erhabenen, des Großen. Wendet eure Herzen dem Antlitz Gottes zu, gebt auf, wonach euch eure Wünsche trachten ließen, und seid nicht bei denen, die zugrunde gehen. O Diener, berichtet ihnen die Geschichte ‚Alís (des Báb), wie Er zu ihnen kam mit der Wahrheit, mit Seinem herrlichen und gewichtigen Buch, in Seinen Händen ein Zeugnis und einen Beweis von Gott und mit heiligen und gesegneten Zeichen von Ihm. Ihr jedoch, o Könige, habt versäumt, auf die Erwähnung Gottes in Seinen Tagen zu achten und euch von den Lichtern führen zu lassen, die aufgingen und aufleuchteten über dem Horizonte eines strahlenden Himmels. Ihr erforschtet nicht Seine Sache, wo dies zu tun doch besser für euch gewesen wäre als alles, was die Sonne bescheint – o könntet ihr es doch verstehen! Ihr bliebt unachtsam, bis die Geistlichen Persiens, diese Grausanten, das Urteil über Ihn fällten und Ihn zu Unrecht töteten. Sein Geist stieg zu Gott empor, und die Augen der Bewohner des Paradieses und die Engel, die Ihm nahe sind, weinten schmerzlich über diese Grausamkeit. Hütet euch, weiterhin so nachlässig zu sein, wie ihr es ehedem wart. So kehrt denn zu Gott zurück, eurem Schöpfer, und gesellt euch nicht zu den Achtlosen … Mein Antlitz kam aus den Schleiern hervor und goß seine Strahlen auf alles, was im Himmel und auf Erden ist. Dennoch habt ihr euch Ihm nicht zugewandt, obwohl ihr für Ihn geschaffen seid, o ihr Könige! Befolgt daher, was Ich euch sage, hört darauf mit euren Herzen und gehört nicht zu denen, die sich abgewandt haben. Denn euer Ruhm besteht nicht in eurer Herrschaft, sondern wielmehr in eurer Nähe zu Gott und im Befolgen Seines Gebotes, wie es in Seinen heiligen und verwahrten Tablets herniedergesandt wurde. Sollte einer von euch über die ganze Erde herrschen und über alles, was darinnen und darauf besteht, ihre Meere, ihre Länder, ihre Berge und ihre Ebenen, und doch nicht von Gott erwähnt werden, so würde ihm all dies nichts nützen – o könntet ihr es doch erkennen!… So erhebt euch denn, seid standhaft, macht wieder gut, was euch entgangen ist, und geht Seinem heiligen Hofe, am Strande Seines mächtigen Ozeans, entgegen, auf daß die Perlen der Erkenntnis und Weisheit, die Gott für euch in der Hülle Seines strahlenden Herzens aufgespeichert hat, euch offenbart werden mögen … Hütet euch, daß ihr den Odem Gottes nicht hindert, über eure Herzen zu wehen, den Odem, durch welchen die Herzen derer, die sich Ihm zugewandt haben, lebendig gemacht werden können …“
7:2 [46] „Legt die Gottesfurcht nicht ab, o Könige der Erde“, hat Er in demselben Tablet geoffenbart, „und hütet euch, die Grenzen zu überschreiten, die der Allmächtige bestimmt hat. Befolgt, was Er euch in Seinem Buche eingeschärft hat, und gebt wohl acht, dessen Schranken nicht zu übertreten. Seid wachsam, daß ihr niemandem ein Unrecht zufügt, und sei es auch so klein wie ein Senfkorn. Beschreitet den Pfad der Gerechtigkeit, denn dieser, wahrlich, ist der gerade Pfad. Legt eure Streitigkeiten bei und setzt eure Kriegsrüstung herab, so daß die Last eurer Ausgaben erleichtert und eure Gemüter und Herzen beruhigt werden. Heilt die Zwistigkeiten, die euch zerspalten, und ihr werdet nicht länger Kriegsrüstungen benötigen, ausgenommen, was der Schutz eurer Städte und Gebiete erfordert. Fürchtet Gott und gebt acht, nicht über die Grenzen der Mäßigung hinauszugehen und zu den Unbesonnenen gezählt zu werden. Wir haben erfahren, daß ihr jedes Jahr eure Ausgaben wermefirt und die Lasten dafür euren Untertanen aufbürdet. Dies, wahrlich, ist mehr, als sie tragen können, und eine drückende Ungerechtigkeit. Entscheidet gerecht zwischen den Menschen und seid die Symbole der Gerechtigkeit unter ihnen. Dies ist, wenn ihr ehrlich urteilt, was euch geziemt und was eurer Stufe angemessen ist.
7:3 [47] Hütet euch, ungerecht zu handeln an jemandem, der euch anruft und unter eurem Schutze steht. Wandelt in der Furcht Gottes und seid unter denen, die ein Gott gefälliges Leben führen. Verlaßt euch nicht auf eure Macht, eure Waffen und Schätze. Setzt euer ganzes Vertrauen und eure Zuwersicht in Gott, der euch erschaffen hat, und sucht Seine Hilfe in allen euren Angelegenheiten. Beistand kommt von Ihm allein. Er hilft, wem Er will, mit den Heerscharen der Himmel und der Erde.
7:4 Wißt, daß die Armen das Pfand Gottes in eurer Mitte sind, Seid achtsam, daß ihr Sein Pfand nicht weruntreut, daß ihr nicht ungerecht an ihnen handelt und daß ihr nicht auf den Wegen der Verräter wandelt. Ihr werdet ganz sicherlich zur Rechenschaft über Sein Pfand gerufen werden an dem Tage, da die Waage der Gerechtigkeit aufgestellt ist, an dem Tage, da jedermann das seinige zugeteilt wird, da die Taten aller Menschen, ob reich oder arm, gewogen werden.
7:5 [48] Wenn ihr den Ratschlägen, die Wir in unvergleichlicher und unzweideutiger Sprache in diesem Tablet geoffenbart haben, keine Beachtung schenkt, dann wird von allen Seiten göttliche Züchtigung über euch kommen, und der Urteilsspruch Seiner Gerechtigkeit wird gegen euch verkündet werden. An jenem Tage werdet ihr keine Macht haben, Ihm zu widerstehen, und ihr werdet eure eigene Ohnmacht erkennen. Habt Erbarmen mit euch selbst und mit denen, die euch unterstellt sind, und richtet sie nach den von Gott in Seinem heiligsten und erhabenen Tablet verordneten Geboten, einem Tablet, in dem Er allem und jedem Sein das festgesetzte Maß zugewiesen hat, in dem Er deutlich eine Erklärung aller Dinge gegeben hat, die in sich selbst schon eine Ermahnung ist an alle, die an Ihn glauben.
7:6 Prüft Unsere Sache, erforscht die Dinge, die Uns befallen haben, entscheidet gerecht zwischen Uns und Unseren Feinden und gesellt euch zu jenen, die gegen ihre Nächsten unparteiisch handeln. Wenn ihr dem Unterdrücker nicht in den Arm fallt, wenn ihr versäumt, die Rechte der Niedergetretenen zu schützen, welches Recht habt ihr dann, euch unter den Menschen zu rühmen? Wessen könnt ihr euch mit Recht preisen? Ist es euer Essen und Trinken, auf das ihr sto!z seid, sind es die Reichtümer, die in euren Schatzkammern lagern, die Buntheit und der Wert des Schmuckes, mit dem ihr euch bedeckt? Wenn wahrer Ruhm im Besitz solch vergänglicher Dinge bestünde, dann mußte notwendigerweise die Erde, auf der ihr wandelt, sich vor euch rühmen, denn sie versorgt und beschenkt euch nach dem Ratschluß des Allmächtigen gerade mit diesen Dingen. In ihrem Innern ist alles, was ihr besitzt, enthalten, so wie Gott es werordnet hat. von ihr leitet ihr eure Reichtümer als ein Zeichen Seiner Gnade her. So schaut denn euren Zustand, dessen ihr euch so rühmt. Könntet ihr ihn doch erkennen! Nein, bei Ihm, der das Königreich der ganzen Schöpfung in Seiner Gewalt hält! Euer wahrer und dauernder Ruhm liegt nur in eurem Festhalten an den Geboten Gottes, im Befolgen Seiner Gesetze aus ganzem Herzen, in eurem Entschluß, sie erfüllt zu sehen und unbeirrt den rechten Weg zu wandeln …“
7:7 [49] Und wiederum im selben Tablet: „Zwanzig Jahre sind verronnen, o Könige, während derer Wir jeden Tag die herben Qualen einer neuen Trübsal empfunden haben. Keiner vor Uns hat das erduldet, was Wir erduldet haben. Könntet ihr es doch fassen! Die sich gegen Uns erhoben, haben Uns hingerichet, Unser Blut vergossen, Unseren Besitz geplündert und Unsere Ehre verletzt. Obwohl der meisten Unserer Leiden gewahr, habt ihr es dennoch unterlassen, dem Angreifer in den Arm zu fallen. Ist es denn nicht eure klare Pflicht, der Tyrannei des Unterdrückers Einhalt zu gebieten und eure Untertanen unparteiisch zu behandeln, auf daß euer hoher Gerechtigkeitssinn der ganzen Menschheit voll bewiesen werde?“
7:8 „Gott hat euren Händen die Zügel der Regierung des Volkes übergeben, daß ihr in Gerechtigkeit über die Menschen herrschen, die Rechte der Niedergetretenen schützen und die Übeltäter strafen möget. Wenn ihr die Pflicht vernachlässigt, die Gott euch in Seinem Buche vorgeschrieben hat, so werden eure Namen in Seinen Augen zu denen der Ungerechten gezählt werden. Schmerzlich, in der Tat, wird euer Irrtum für euch sein. Wollt ihr euch an das hängen, was euch eure Einbildung vorgespiegelt hat, und die Gebote Gottes, des Erhabensten, des Unerreichbaren, des Allbezwingers, des Allmächtigen, werwerfen? Werft die Dinge, die ihr besitzt, hinweg und haltet euch an das, was Gott euch zu tun geboten hat. Sucht Seine Gnade, denn wer sie sucht, der wandelt auf Seinem geraden Pfad.“
7:9 „Bedenkt den Zustand, in dem Wir Uns befinden, und betrachtet die Leiden und übel, mit denen Wir geprüft worden sind! Vernachlässigt Uns nicht, und sei es auch nur für einen Augenblick, und urteilt unparteiisch über Uns und Unsere Feinde! Dies wird sicherlich ein offenbarer Vorteil für euch sein. Also berichten Wir euch Unsere Geschichte und erzählen im einzelnen die Dinge, die Uns zugestoßen sind, damit ihr Unsere Leiden von Uns nehmen und Unsere Bürde erleichtern möget. Laßt den, der es will, Uns von Unserem Übel befreien, und was den betrifft, der nicht will -, Mein Herr ist sicherlich der Beste aller Helfer.“
7:10 [50] „Warne das Volk, o Diener, und mache es bekannt mit den Dingen, die Wir dir herabgesandt haben. Lasse dich durch die Furcht vor niemandem bestürzen und geselle dich nicht zu den Wankenden. Der Tag naht heran, da Gott Seine Sache erhöht und Sein Zeugnis verherrlicht haben wird vor den Augen aller, die in den Himmeln und auf Erden sind. Setze dein ganzes Vertrauen in allen Lebenslagen auf deinen Herrn, richte deinen Blick auf Ihn und wende dich ab von all denen, die Seine Wahrheit verschmähen. Lasse Gott, deinen Herrn, dir als Beistand und Helfer genügen. Wir haben gelobt, deinen Triumph auf Erden zu sichern und Unsere Sache über alle Menschen zu erheben, auch wenn kein König zu finden wäre, der dir seinen Blick zuwendete …“
7:11 Im Kitáb-i-Aqdas (dem Heiligsten Buche), dieser unsdiätzbaren Schatzkammer, die für alle Zeiten die hellsten Ausstrahlungen des Geistes Bahá’u’lláhs in sich birgt, der Charta seiner Weltordnung, dem Hauptverwahrungsort seiner Gesetze, dem Vorläufer seines Bündnisses, dem Hauptwerk, das einige seiner edelsten Ermahnungen, gewichtigsten Aussprüche und unheilverkündenden Prophezeiungen enthält, das geoffenbart wurde während der Hochflut seiner Trübsale, zu einer Zeit, da die Herrscher der Erde Ihn endgültig preisgegeben hatten – in einem solchen Buche lesen wir folgendes:
7:12 „O Könige der Erde! Er, der höchste Herr über alle, ist gekommen. Das Reich ist Gottes, des allmächtigen Beschützers, des Selbstbestehenden. Betet niemanden an außer Gott und erhebt euer Angesicht mit strahlendem Herzen zu eurem Herrn, dem Herrn aller Namen. Dies ist eine Offenbarung, welcher nichts, was immer ihr besitzt, gleichgestellt werden kann – könntet ihr es doch erkennen! Wir sehen, daß ihr euch über das freut, was ihr von anderen angesammelt habt und das euch ausschließt von den Welten, die nichts außer Meinem Verwahrten Tablet ermessen kann. Die Schätze, die ihr gesammelt habt, lenken euch weit ab von eurem letzten Ziel. Dies ziemt euch schlecht – o könntet ihr das doch verstehen! Reinigt eure Herzen Von allen irdischen Verunreinigungen und eilt, einzutreten in das Königreich eures Herrn, des Schöpfers von Erde und Himmel, der die Welt erzittern und alle ihre Völker wehklagen ließ, ausgenommen jene, die auf alle Dinge Gerzichtet haben und sich an dem festhielten, was im Verborgenen Tablet verordnet wurde.“
8 [51] Das Größte Gesetz geoffenbart
8:1 Und weiterhin: „O Könige der Erde! Das Größte Gesetz ist an diesem Ort geoffenbart worden, auf diesem Schauplatz höchsten Glanzes. Alles Verborgene ist ans Licht gebracht worden kraft des Willens des Höchsten Gesetzgebers, Dessen, der die letzte Stunde angekündigt hat, durch welchen der Mond gespalten und jeder unwiderruflicfie Befehl gedeutet worden ist.“
8:2 „Ihr seid nur Vasallen, o Könige der Erde. Er, der König der Könige, ist im Gewande Seiner wunderbarsten Herrlichkeit erschienen und lädt euch vor sich, den Helfer in der Gefahr, den Selbstbestehenden. Hütet euch, daß euch nicht der Hochmut davon abhalte, den Quell der Offenbarung zu erkennen, daß die Dinge dieser Welt euch nicht wie mit einem Schleier von Ihm, dem Schöpfer des Himmels, ausschließen. Erhebt euch und dient Ihm, der Sehnsucht aller Völker, der euch durch ein Wort erschuf und verordnete, daß ihr für alle Zeiten die Wahrzeichen Seiner Herrschaft sein sollt.“
„Bei der Gerechtigkeit Gottes! Es ist nicht Unser Wunsch, Hand an eure Königreiche zu legen. Unsere Bestimmung ist, die Herzen der Menschen zu ergreifen und zu besitzen. Auf sie sind die Augen Bahás gerichtet. Dies bezeugt das Königreich der Namen – könntet ihr es doch verstehen! Wer seinem Herrn nachfolgt, wird der Welt und allem, was darinnen ist, entsagen. Wieviel größer muß dann die Loslösung Dessen sein, der eine so erhabene Stufe innehat! Verlaßt eure Paläste und eilt, Einlaß in Sein Königreich zu gewinnen. Dies wird euch in dieser und in der nächsten Welt von Nutzen sein. Das bezeugt der Herr des Reiches in der Höhe – würdet ihr es doch erkennen!“
8:3 [52] „Wie groß ist die Glückseligkeit, die den König erwartet, der sich erheben wird, Meiner Sache in Meinem Königreich zu helfen, und der sich von allem außer Mir loslösen wird! Solch ein König wird zu den Gefährten der Roten Arche gezählt, der Arche, die Gott dem Volk von Bahä bereitet hat. Alle müssen seinen Namen werherrlichen, seine Stufe ehren und ihm helfen, die Städte aufzuschließen mit den Schlüsseln Meines Namens, des allmächtigen Beschützers aller, die die sichtbaren und unsichtbaren Reiche bewohnen. Solch ein König ist das wahre Auge der Menschheit, der leuchtende Schmuck auf der Stirne der Schöpfung, der Urquell von Segnungen für die ganze Welt. O Volk von Bahá, opfere deinen Besitz, ja selbst dein Leben, um ihm beizustehen.“
8:4 Und weiterhin die offensichtliche Anklage in jenem selben Buch: „Wir haben nichts von euch erbeten. Wahrlich, um der Sache Gottes willen ermahnen Wir euch und werden Wir Uns gedulden, wie Wir es in dem taten, was Uns in euren Händen, o Schar der Könige, befallen hat!“
8:5 In seinem Tablet an Königin Viktoria redet Bahá’u’lláh darüber hinaus alle Könige der Erde an und fordert sie auf, sich an den Geringeren Frieden zu halten; dieser ist vom Größten Frieden zu unterscheiden, der nur von allen jenen, die sich der Macht seiner Offenbarung voll bewußt sind und die sich offen zu den Grundsätzen seines Glaubens bekennen, verkündet werden kann und schließlich errichtet werden muß:
8:6 [53] „O Könige der Erde! Wir sehen euch jedes Jahr eure Ausgaben wermehren und deren Lasten euren Untertanen aufbürden. Das ist, wahrlich, ungerecht. Fürchtet die Seufzer und Tränen dieses Unterdrückten und ladet nicht übermäßige Lasten auf eure Völker. Beraubt sie nicht, um für euch selbst Paläste zu errichten. Nein, wählt vielmehr für sie das, was ihr für euch selbst wählt. So entrollen Wir vor euren Augen das, was euch nützt – würdet ihr es doch erkennen! Eure Völker sind eure Schätze. Hütet euch, durch eure Herrschaft die Gebote Gottes zu verletzen und eure Mündel den Händen der Räuber auszuliefern! Durch sie herrscht ihr, durch sie besteht ihr, mit ihrer Hilfe siegt ihr. Und doch, wie verächtlich schaut ihr auf sie herab! Wie seltsam, wie höchst seltsam!“
8:7 „Nun, da ihr den Größten Frieden zurückgewiesen habt, haltet euch an den Geringeren Frieden, auf daß ihr wenigstens einigermaßen eure eigene Lage und die der von euch Abhängigen bessern möget.“
8:8 „O Herrscher der Erde! Versöhnt euch miteinander, so daß ihr nicht mehr Kriegsrüstungen benötigt, als dem Schutze eurer Gebiete und Länder angemessen ist. Hütet euch, den Rat des Allwissenden, des Glaubwürdigen zu mißachten.“
8:9 „Seid einig, o Könige der Erde, denn dadurch wird der Sturm des Haders gestillt und eure Völker finden Ruhe – wenn ihr doch unter denen wäret, die das verstehen! Sollte einer unter euch gegen einen anderen die Waffen ergreifen, so erhebt euch alle gegen ihn, denn dies ist nichts als offenbare Gerechtigkeit.“
8:10 An die christlichen Könige richtet Bahá’u’lláh des weiteren besondere Worte des Tadels und erschließt in unmißverständlicher Sprache die wahre Wesensart seiner Offenbarung:
8:11 „O Könige der Christenheit! Hörtet ihr nicht die Worte Jesu, des Geistes Gottes: ‚Ich gehe von hinnen und komme wieder zu euch?‘ Warum also versäumtet ihr, Ihm zu nahen, als Er in den Wolken des Himmels zu euch wiederkam, auf daß ihr Sein Antlitz schautet und zu denen gehörtet, die in Seine Gegenwart gelangen? An einer anderen stelle sagt Er: ‚Wenn Er, der Geist der Wahrheit, kommt, wird Er euch in alle Wahrheit leiten.‘ Und doch – seht, was geschah: Als Er die Wahrheit brachte, weigertet ihr euch, das Angesicht Ihm zuzuwenden, und verharrtet dabei, euch mit euren Zerstreuungen und Phantastereien zu vergnügen. Ihr botet Ihm kein Willkommen noch suchtet ihr Seine Gegenwart, um die Verse Gottes aus Seinem eigenen Munde zu hören und teilzuhaben an der vielfältigen Weisheit des Allmächtigen, des Allherrlichen, des Allweisen. Ihr habt durch euer Versäumnis den Atem Gottes nicht über euch wehen lassen und habt eure Seelen der Süße Seiner Düfte beraubt. Ihr streift weiterhin mit Ergötzen im Tale eurer lasterhaften Wünsche umher. Ihr selbst und alles, was ihr besitzt, wird vergehen. Wahrlich, ihr werdet zu Gott zurückkehren und zur Rechenschaft gerufen werden für eure Taten in der Gegenwart Dessen, der die ganze Schöpfung versammeln wird …“
8:12 [54] Der Báb hat des weiteren im Qayyúmu’l-Asmá‘, seinem berühmten Kommentar der Súrih Joseph, offenbart im ersten Jahr seiner Sendung und von Bahá’u’lláh als „das erste, das größte und mächtigste aller Bücher“ der Bábí-Sendung bezeichnet, den aufrüttelnden Ruf an die Könige und Fürsten der Erde ergehen lassen:
8:13 „O ihr Könige und Königssöhne! Legt allesamt eure Herrschaft, die Gott gehört, beiseite … Eitel fürwahr ist eure Herrschaft, denn Gott hat den irdischen Besitz derer, die Ihn verleugnet haben, verworfen … O ihr Könige! Übergebt in Treue und in aller Eile die von Uns herabgesandten Verse den Völkern der Türkei und Indiens, und darüber hinaus, mit Macht und in Treue, den Ländern des Ostens und des Westens … Bei Gott! Wenn ihr recht handelt, so handelt ihr recht zu eurem eigenen Nutzen, und wenn ihr Gott und Seine Zeichen leugnet, so können Wir, die Wir Gott haben, wahrlich alle Geschöpfe und jegliche irdische Herrschaft wohl entbehren.“
8:14 [55] Und wiederum: „Fürchtet Gott, o ihr Könige, auf daß ihr nicht Ihm fern bleibt, der Seine Erwähnung ist (der Báb), nachdem nun die Wahrheit unter euch gekommen ist mit einem Buch und mit Zeilen von Gott, wie es durch die wunderbare Zunge dessen, der Seine Erwähnung ist, ausgesprochen wurde. Sucht Gnade bei Gott; denn Gott hat euch, wenn ihr an Ihn glaubt, einen Garten bestimmt, dessen Weite wie die Weite des ganzen Paradieses ist.“
8:15 So viel von den epochemachenden Ratschlägen und Warnungen, die der Báb und Bahá’u’lláh an die Herrscher der Erde insgesamt und an die Könige der Christenheit im besonderen gerichtet haben. Ich würde meinem Thema nicht gerecht werden, wollte ich die kühnen, schicksalschweren Botschaften an die einzelnen Monarchen, die, als Könige oder Kaiser, die Trübsale der beiden Begründer unseres Glaubens mit kalter Gleichgültigkeit betrachtet oder Ihre Warnungen mit Verachtung verworfen haben, übergehen oder nur kurz behandeln. Ich kann weder so vollständig, wie ich sollte, aus den zweitausend und mehr Versen zitieren, die aus der Feder von Bahá’u’lláh und, in geringerem Maße, aus der des Báb geströmt sind und an die einzelnen Monarchen in Europa und Asien gerichtet waren, noch ist es mein Plan, mich weitläufig über die Umstände auszulassen, welche jene erstaunlichen Aussprüche hervorgerufen haben, oder über die Folgen, die daraus entstanden. Der Geschichtsschreiber der Zukunft, der in weiterem Abstand und mit besserem Überblick die schicksalschweren Ereignisse des Heroischen und des Gestaltgebenden Zeitalters des Glaubens von Bahá’u’lláh betrachten kann, wird zweifellos imstande sein, die Ursachen, Verwicklungen und Auswirkungen dieser göttlichen Botschaften genau einzuschätzen und eingehend zu beschreiben, sie haben in ihrer Reichweite und ihrer Wirkungskraft sicherlich nicht ihresgleichen in den religiösen Annalen des Menschengeschlechtes.
8:16 [56] An Kaiser Napoleon III. richtete Bahá’u’lláh folgende Worte: „O König von Paris! Sage den Priestern, sie sollen die Glocken nicht länger läuten. Bei Gott, dem Wahren! Die Mächtigste Glocke ist in der Gestalt des Größten Namens erschienen, und die Finger des Willens deines Herrn, des Hocherhabenen, des Höchsten, schwingen sie weit im Himmel der Unsterblichkeit in Seinem Namen, dem Allherrlichen. So sind die mächtigen Verse deines Herrn aufs neue zu dir herabgesandt worden, auf daß du dich erheben mögest, Gottes zu gedenken, des Schöpfers von Himmel und Erde, in diesen Tagen, da alle Geschlechter der Erde trauern, die Grundmauern der Städte erzittern und der Staub des Unglaubens alle Menschen einhüllt, ausgenommen solche, die dein Herr, der Allwissende, der Allweise, zu verschonen gewillt war … Lausche, o König, der Stimme, die aus dem Feuer ruft, das in diesem frisch grünenden Baume brennt, auf diesem Sinai, der über dem geheiligten, schneeweißen Orte, jenseits der ewigen Stadt, erhoben wurde: `Wahrlich, es gibt keinen anderen Gott außer Mir, dem EwigGergebenden, dem Barmherzigsten!` Wahrlich, Wir haben Ihn gesandt, dem Wir beistanden mit dem Heiligen Geiste (Jesus), daß Er euch dieses Licht ankünde, das am Horizonte des Willens eures Herrn, des Erhabensten, des Allherrlichen, erschien, dessen Zeichen im Westen geoffenbart wurden, auf daß ihr euer Angesicht Ihm (Bahá’u’lláh) zuwenden möget an diesem Tage, den Gott erhöht hat über alle anderen Tage und an welchem der Allbarmherzige Seinen strahlenden Glorienglanz auf alle ergoß, die im Himmel und auf Erden sind. Erhebe dich, um Gott zu dienen und Seiner Sache beizustehen. Er wird dir wahrlich beistehen mit den Heerscharen des Sichtbaren und des Unsichtbaren und dich zum König über alles, was die Sonne bescheint, einsetzen. Dein Herr ist der Allgewaltige, der Allmächtige .., Schmücke deinen Tempel mit der Zier Meines Namens, deine Zunge mit Meiner Erwähnung und dein Herz mit der Liebe zu Mir, dem Allmächtigen, dem Höchsten. Wir haben nichts für dich gewünscht als das, was besser für dich ist als dein Besitz und alle Schätze der Erde. Dein Herr, wahrlich, weiß darum, und Er kennt alles …“
8:17 [57] „O König! Wir hörten die Worte, die du dem Zaren von Rußland als Antwort gabst, deinen Entschuß zum Krieg (Krimkrieg) betre ffend. Dein Herr, wahrlich, wei ß dies, und Er kennt alles. Du sagtest: `Ich lag schlafend auf meinem Bette, als der Schrei der Unterdrückten, die im Schwarzen Meer ertranken, mich weckte.` Dies hörten Wir dich sagen, und wahrlich, dein Herr ist Zeuge dessen, was Ich sage. Wir bezeugen, daß das, was dich weckte, nicht ihr Schrei war, sondern die Einflüsterungen deiner eigenen Leidenschaften. Denn Wir prüften dich und fanden dich mangelhaft. Erfasse die Bedeutung Meiner MWorte und sei einer der Einsichtsvollen … Wärest du aufrichtig gewesen in deinen Worten, so hättest du das Buch Gottes nicht beiseite geworfen, als es dir zugesandt wurde von Ihm, dem Allmächtigen, dem Allweisen. Wir haben dich damit geprüft und fanden dich anders, als du vorgibst. Erhebe dich und suche nachzuholen, was du versäumt hast. Binnen kurzem werden die Welt und all dein Besitz untergehen, und das Reich wird Gottes bleiben, deines Herrn und des Herrn deiner Väter. Es geziemt dir nicht, deine Angelegenheiten nach den Befehlen deiner Wünsche zu führen. Fürchte die Seufzer dieses Unterdrückten und schirme Ihn vor den Speeren der Ungerechten. Für das, was du getan hast, wird dein Reich in Verwirrung gestürzt werden, und dein Kaiserreich wird deinen Händen entgleiten zur Strafe für das, was du begonnen hast. Dann wirst du erkennen, wie sehr du dich geirrt hast. Aufruhr wird das ganze Volk jenes Landes ergreifen, es sei denn, du hilfst dieser Sache und folgst Ihm, dem Geist Gottes (Jesus), auf diesem, dem geraden Pfade. Hat dein Pomp dich stolz gemacht? Bei Meinem Leben! Er wird nicht on Dauer sein, nein, er wird bald dahinschwinden, es sei denn, du hältst dir standhaft an dieses feste Seil, wir sehen Erniedrigung dich verfolgen, während du einer der Achtlosen bist … überlasse deine Paläste den Leuten der Gräber und dein Kaiserreich jedem, der es begehrt, und tuende dich dann dem Reiche Gottes zu. Dies, wahrlich, ist es, was Gott für dich erwählt hat – wärest du doch einer von denen, die sich Ihm zuwenden … Solltest du wünschen, die Last deiner Herrschaft zu tragen, so trage sie denn, um der Sache deines Herrn beizustehen. Gepriesen sei diese Stufe, auf der jeder, der sie erreicht, zu allem Heil gelangt ist, das von Ihm, dem Allwissenden, dem Allweisen, ausgeht … Frohlockst du über die Schätze, die du besitzest, wo du doch weißt, daß sie vergehen werden? Freust du dich darüber, daß du eine Spanne Erde beherrschst, während die ganze Welt nach Ansicht des Volkes von Bahá so viel wert ist, wie das Schwarze im Auge einer toten Ameise? Überlasse sie denen, die ihr Herz an sie gehängt haben, und wende dich Ihm zu, der die Sehnsucht der Welt ist. Wohin sind die Stolzen und ihre Paläste gekommen? Blicke in ihre Gräber, damit du aus diesem Beispiel lernst, denn Wir haben es als Lehre für jeden Betrachter angeführt. Würde der Odem der Offenbarung dich berühren, so würdest du die Welt fliehen und dich dem Reiche Gottes zuwenden und alles hergeben, was du besitzest, um dieser erhabenen Schau nahe zu kommen.“
9 [58] Dem Papste geoffenbart
9:1 Papst Pius IX, offenbarte Bahá’u’lláh das Folgende: „O Papst! Zerreiße die Schleier! Er, der Herr der Herren, ist gekommen, von Wolken überschattet, und der Ratschluß ist erfüllt worden durch Gott, den Allmächtigen, den Unendlichen … Wahrlich, Er ist wieder vom Himmel herniedergekommen, wie Er von dort zum ersten Male herniedergekommen war. Hüte dich, mit Ihm zu streiten, wie es die Pharisäer mit Ihm (Jesus) taten ohne ein klares Zeichen oder einen Beweis. Zu Seiner Rechten strömen die lebendigen Wasser der Gnade und zu Seiner Linken der auserlesene Wein der Gerechtigkeit, während vor Ihm die Engel des Paradieses einhergehen und das Banner seiner Zeichen tragen. Hüte dich, daß dich nicht irgendein Name von Gott ausschließe, dem Schöpfer von Himmel und Erde. Lasse die Vielt hinter dir und wende dich deinem Herrn zu, durch welchen die ganze Erde erleuchtet worden ist … Wohnst du in Palästen, während Er, der König der Offenbarung, in der trostlosesten Behausung lebt? Überlasse sie denen, die sie begehren, und wende dein Antlitz mit Freude und Wonne dem Reiche Gottes zu … Erhebe dich im Namen deines Herrn, des Gottes der Barmherzigkeit, inmitten der Völker der Erde und ergreife den Kelch des Lebens mit den Händen des Vertrauens; trinke du zuerst davon und biete ihn sodann solchen an, die sich Ihm inmitten der Völker allen Glaubens zuwenden …“
9:2 [59] „Rufe dir Ihn, den Geist (Jesus), ins Gedächtnis zurück, wie bei Seinem Kommen die Gelehrtesten Seiner Zeit in Seinem eigenen Lande das Urteil gegen Ihn fällten, während einer, der nur ein Fischer war, an Ihn glaubte. Gebt darum acht, ihr Menschen mit einsichtswollen Herzen! Du bist in Wahrheit eine der Sonnen am Himmel Seiner Namen. Hüte dich, daß die Finsternis nicht ihre Schleier über dich breite und dich fernab von Seinem Lichte verhülle … Betrachte jene, die sich dem Sohne (Jesus) widersetzten, als Er zu ihnen mit Macht und Herrschaft kam. Wie viele von den Pharisäern warteten darauf, Ihn zu schauen, und wehklagten, weil sie von Ihm getrennt waren! Und doch, als der Duft Seines Kommens über sie wehte und Seine Schönheit sich enthüllte, da wandten sie sich von Ihm ab und stritten mit Ihm … Keiner, außer ganz wenigen, die jeglicher Macht bei den Menschen ermangelten, wandte sich Seinem Antlitz zu. Heute aber ist jeder mit Macht ausgestattete und mit Herrschaft bekleidete Mensch stolz auf Seinen Namen.‘ Ebenso beachte, wie zahlreich heutzutage die Mönche sind, die sich in Meinem Namen in ihren Kirchen abgeschlossen haben und die, als die festgesetzte Zeit erfüllt war und Wir Unsere Schönheit enthüllten, Uns nicht erkannten, obwohl sie zur Abendzeit und zur Morgendämmerung nach Mir rufen …“
9:3 [60] „Das Wort, das der Sohn werbarg, ist offenbar geworden. Es wurde in Gestalt des Menschentempels am heutigen Tage herabgesandt. Gesegnet sei der Herr, welcher der Vater ist! Wahrlich, Er ist zu den Völkern in Seiner größten Majestät gekommen. Wende dein Angesicht Ihm zu, o Schar der Rechtschaffenen! … Dies ist der Tag, da der Fels (Petrus) ausruft und jauchzt und den Lobpreis seines Herrn, des Allbesitzenden, des Höchsten, verherrlicht mit den Worten: `Seht, der Vater ist gekommen, und was euch werheißen ward in Seinem Reich ist erfüllt! …` Mein Leib sehnt sich nach dem Kreuze, und Mein Haupt erwartet den Wurf des Speeres auf dem Pfade des Allbarmherzigen, auf daß die Welt von ihren Übertretungen geläutert werde …“
9:4 „O höchster Priester! Neige dein Ohr dem zu, was der Gestalter modernden Gebeins dir rät, wie es von Ihm, der Sein Größter Name ist, verkündet wird. Verkaufe den reich werzierten Kirchenschmuck, den du besitzest, und opfere ihn auf dem Pfade Gottes, der die Nacht auf den Tag und den Tag auf die Nacht folgen läßt. Übergib dein Königreich den Königen und tritt hervor aus deiner Wohnung, dein Angesicht zum Reich Gottes erhoben, dann verkünde, losgelöst von der Welt, das Lob deines Herrn zwischen Erde und Himmel. Dies gebot dir Er, der Besitzer aller Namen, von seiten deines Herrn, des Allmächtigen, des Allwissenden. Ermahne die Könige und sprich: `Verfahrt gerecht mit den Menschen. Hütet euch, die im Buche festgesetzten Grenzen zu überschreiten.` Dies, wahrlich, geziemt dir. Hüte dich, dir die Dinge der Welt und ihre Reichtümer anzueignen. Überlasse sie denen, die sie begehren, und habe fest an dem, was dir von Ihm, dem Herrn der Schöpfung, befohlen ist. Sollte irgend jemand dir alle Schätze der Erde anbieten, so gönne ihnen nicht einmal einen Blick. Sei so, wie dein Herr gewesen ist. Also hat die Zunge der Offenbarung ausgesprochen, was Gott zum Schmucke des Buches der Schöpfung gemacht hat … Sollte die Trunkenheit des Weines Meiner Verse dich überkommen, und solltest du dich entschließen, vor dem Throne deines Herrn, des Schöpfers von Himmel und Erde zu erscheinen, so mache Meine Liebe zu deinem Gewande, Meine Erwähnung zu deinem Schilde und dein Vertrauen auf Gott, den Offenbarer aller Macht, zu deiner Wegzehrung. Wahrlich, der Tag der Ernte ist gekommen, und alle Dinge sind voneinander geschieden worden. Er hat das, was Er wollte, in den Gefäßen der Gerechtigkeit werwahrt und hat ins Feuer geworfen, was diesem verfallen ist. So ist es von deinem Herrn, dem Mächtigen, dem Liebevollen, an diesem verheißenen Tage beschlossen worden. Wahrlich, Er verordnet, was Ihm gefällt. Es gibt keinen anderen Gott außer Ihm, dem Allmächtigen, dem Allbezwingenden.“
9:5 [61] In dem an den Zaren von Rußland, Alexander II., gerichteten Tablet lesen wir: „O Zar von Rußland! Neige dein Ohr der Stimme Gottes, des Königs, des Heiligen, und wende dich dem Paradiese zu, der Stätte, wo Er wohnt, der unter den himmlischen Scharen die erhabensten Titel trägt und dem im Reiche der Schöpfung der Name Gott, der Strahlende, der Glorreiche, beigelegt wird. Hüte dich, daß dich deine Begierde nicht hindere, dich dem Angesichte deines Herrn, des Mitleidigen, des Barmherzigsten, zuzuwenden. Wir haben wahrlich die Sache vernommen, um die du deinen Herrn in heimlicher Zwiesprache angefleht hast. Darum wehten die Winde Meiner liebewollen Güte und wogte das Meer Meiner Barmherzigkeit, und Wir antworteten dir in Wahrheit. Dein Herr ist der Allwissende, der Allweise. Als Ich gefesselt und angekettet im Kerker lag, bot Mir einer deiner Gesandten seine Hilfe an. Deshalb hat Gott einen Rang für dich werordnet, welchen keine Erkenntnis begreifen kann, ausgenommen Seine Erkenntnis. Hüte dich, daß du diesen erhabenen Rang nicht verscherzest … Hüte dich, daß dich deine Herrschaft nicht von Ihm, dem höchsten Herrscher, fernhält. Wahrlich, Er ist mit Seinem Reiche gekommen, und alle Atome rufen laut: `Seht, der Herr ist in Seiner erhabenen Majestät gekommen!` Er, der Vater, ist gekommen, und der Sohn (Jesus) im heiligen Tale ruft aus: `Hier bin Ich, hier bin Ich, o Herr, Mein Gott!`, während der Sinai das Haus umkreist und der brennende Busch laut ausruft: `Der Freigebigste ist gekommen auf den Wolken thronend! Gesegnet ist, wer sich Ihm nähert, und wehe denen, die weit entfernt sind!`“
9:6 [62] „Erhebe dich inmitten der Menschen im Namen dieser allbezwingenden Sache und rufe sodann die Nationen zu Gott, dem Erhabenen, dem Großen. Gehöre nicht zu denen, die Gott bei einem Seiner Namen angerufen haben, die aber, als Er, der Gegenstand aller Namen, erschien, Ihn verleugneten, sich von Ihm abwandten und schließlich mit offenbarer Ungerechtigkeit das Urteil über Ihn fällten. Bedenke und rufe dir die Tage ins Gedächtnis zurück, da der Geist Gottes (Jesus) erschien und Herodes das Urteil über Ihn sprach. Gott aber half Ihm mit den unsichtbaren Heerscharen, beschützte Ihn in Wahrheit und sandte Ihn nach Seiner Verheißung in ein anderes Land. Wahrlich, Er werordnet, was Ihm gefällt. Dein Herr behütet sicher, wen Er will, sei er auch in der Mitte der Meere oder im Bauch der Schlange oder unter dem Schwerte des Tyrannen …“
9:7 „Wiederum sage Ich: Höre auf Meine Stimme, die aus Meinem Gefängnis ruft, daß sie dir künde, was Meiner Schönheit widerfahren ist von der Hand derer, die dadurch Meine Herrlichkeit offenbaren, und damit du verstehen mögest, wie groß Meine Geduld gewesen ist, ungeachtet Meiner Macht, und wie unermeßlich Meine Nachsicht, ungeachtet Meiner Stärke. Bei Meinem Leben! Könntest du nur die Dinge erkennen, die durch Meine Feder herabgesandt wurden, und die Reichtümer Meiner Sache entdecken und die Perlen Meiner Geheimnisse, welche in den Meeren Meiner Namen und in den Bechern Meiner Worte verborgen liegen – du würdest in deiner Liebe zu Meinem Namen und in deiner Sehnsucht nach Meinem herrlichen und erhabenen Reich dein Leben auf Meinem Pfade hingeben. Wisse, daß, wenn auch das Schwert Meiner Feinde über Mir hängt und Meine Glieder von unermeßlichen Leiden befallen sind, Mein Geist doch von einer Freude erfüllt ist, womit alle Freuden der Erde nimmermehr verglichen werden können.“
9:8 [63] „Wende dein Herz Ihm, dem Ziel der Anbetung der Welt, zu und sprich: O Völker der Erde! Habt ihr Den verleugnet, auf dessen Pfad Er den Märtyrertod erlitt, der mit der Wahrheit kam und die Ankündigung eures Herrn, des Erhabenen, des Großen, überbrachte? Sprich: Dies ist eine Verkündigung, über die die Herzen der Propheten und Boten frohlockten. Dies ist der Eine, dessen das Herz der Welt gedenkt und der in den Büchern Gottes, des Mächtigen, des Allweisen, verheißen ist. Die Hände der Boten waren im Verlangen, Mir zu begegnen, zu Gott erhoben, dem Mächtigen, dem Verherrlichten . .. Einige wehklagten über ihre Trennung von Mir, andere erduldeten Ungemach auf Meinem Pfade und wieder andere gaben ihr Leben hin um Meiner Schönheit willen – o könntet ihr das doch erkennen! Sprich: Ich habe wahrlich nicht danach getrachtet, Mich selbst zu rühmen, vielmehr Gott selbst tat es – würdet ihr doch gerecht urteilen! Nichts kann in Mir gesehen werden außer Gott und Seiner Sache – könntet ihr es doch gewahr werden! Ich bin Der, den die Zunge Jesajas pries, Der, mit dessen Namen sowohl die Thora wie das Evangelium geschmückt wurden … Gesegnet sei der König, dessen Herrschaft ihn nicht von seinem Herrscher fernhielt und der sich mit seinem Herzen Gott zuwandte. Er, wahrlich, wird zu jenen gezählt, die das erreichten, was Gott, der Mächtige, der Allweise, wünschte. Binnen kurzem wird sich ein solcher unter die Monarchen der Reiche des Königreiches eingereiht finden. Dein Herr ist mächtig über alle Dinge. Er gibt, was Er will, wem immer Er will, und versagt, was Ihm beliebt, wem immer Er will. Er, wahrlich, ist der Allgewaltige, der Allmächtige!“
9:9 [64] An Königin Viktoria schrieb Bahá’u’lláh: „O Königin in London! Neige dein Ohr der Stimme deines Herrn, des Herrn des ganzen Menschengeschlechts, die vom göttlichen Lotosbaum ruft: Wahrlich, es gibt keinen Gott außer Mir, dem Allmächtigen, dem Allweisen! Wirf alles hinweg, was auf Erden ist, und schmücke das Haupt deines Königreichs mit der Krone des Gedenkens deines Herrn, des Glorreichsten. Er, wahrlich, ist in die Welt in Seiner größten Herrlichkeit gekommen, und alles, was im EGangelium verkündet ist, hat sich erfüllt. Das Land Syrien ist geehrt worden durch die Fußspuren seines Herrn, des Herrn aller Menschen, und Nord und Süd sind beide trunken vom Wein Seiner Gegenwart. Gesegnet ist der Mensch, der den Duff des Barmherzigsten einatmete und sich dem Aufgangsort Seiner Schönheit in dieser strahlenden Morgendämmerung zuwandte. Die Moschee von Aqsá bebt im Windhauch ihres Herrn, des Allherrlichen, während Bathá (Mekka) vor der Stimme Gottes, des Erhabenen, des Höchsten, erzittert. Und so feiert jeder Stein von ihnen den Lobpreis des Herrn durch diesen großen Namen.“
9:10 „Gib dein Begehren auf und wende sodann dein Herz deinem Herrn, dem Altehrwürdigen der Tage, zu. Wir erwähnen dich um der Sache Gottes willen und wünschen, daß dein Name erhöht werde durch dein Gedenken an Gott, den Schöpfer Von Erde und Himmel. Er, wahrlich, ist Zeuge dessen, was Ich sage. Wir haben erfahren, daß du den Handel mit Sklaven, Männern sowohl wie Frauen, verboten hast. Wahrlich, dies ist, was Gott in Seiner wunderwollen Offenbarung zur Pflicht gemacht hat. Gott hat dir dafür eine Belohnung bestimmt. Er wird dem, der Gutes tut, seinen gerechten Lohn geben – möchtest du doch dem folgen, was dir zugesandt ward durch Ihn, den Allwissenden, den alles Durchschauenden. Was aber den betritt, der sich abwendet und sich vor Stolz bläht, nachdem klare Zeichen zu ihm gekommen sind von dem Offenbarer der Zeichen, dessen Werk wird Gott zunichte machen. Er, wahrlich, hat Gewalt über alle Dinge. Des Menschen Taten sind annehmbar, nachdem er (die Manifestation) anerkannt hat. Wer sich von dem Wahren abwendet, ist in der Tat am tiefsten unter Seinen Geschöpfen verschleiert. So ist es durch Ihn, den Allmächtigen, den Gewaltigsten, bestimmt worden.“
9:11 [65] „Wir haben auch gehört, daß du die Zügel der Beratung den Händen der Volksvertreter anwertraut hast. Du hast fürwahr gut daran getan, denn dadurch wird der Grund des Gebäudes deiner Angelegenheiten gestärkt und die Herzen aller, die unter deinem Schutze stehen, ob hoch oder niedrig, beruhigt werden. Es geziemt diesen jedoch, wertrauenswürdig zu sein unter Seinen Dienern und sich als die Vertreter aller zu betrachten, die auf Erden wohnen. Dies ist es, was Er ihnen in diesem Tablet rät, Er, der Herrscher, der Allweise … Gesegnet ist, wer die Versammlung besucht um Gottes willen und aus reiner Gerechtigkeit zwischen den Menschen entscheidet. Er gehört fürwahr zu den Glückseligen …“
9:12 „Wende dich Gott zu und sprich: O mein höchster Herr! Ich bin nur Dein Vasall, und Du bist in Wahrheit der König der Könige. Ich habe meine flehenden Hände zum Himmel Deiner Gnade und Deiner Gaben erhoben. So sende denn herab auf mich aus den Wiolken Deiner Großmut, was mich von allem außer Dir befreien wird, und ziehe mich näher zu Dir hin. Ich bitte Dich, o mein Herr, bei Deinem Namen, den Du zum König der Namen gemacht hast und zu Deiner Offenbarung für alle, die im Himmel und auf Erden sind, zerreiße die Schleier, die zwischen mich und meine Erkenntnis des Aufgangsortes Deiner Zeichen und des Tagesanbruchs Deiner Offenbarung getreten sind. Du bist, wahrlich, der Mächtigste, der Gewaltigste, der Gütigste. O Herr, beraube mich nicht der Düfte des Gewandes Deiner Barmherzigkeit in Deinen Tagen und schreibe nieder für mich, was du für deine Dienerinnen niedergeschrieben hast, die an Dich und Deine Zeichen geglaubt und Dich erkannt und ihre Herzen dem Horizonte Deiner Sache zugewandt traben. Du bist wahrlich der Herr der Welten und der Barmherzigste derer, die Barmherzigkeit erzeigen. So stehe mir bei, o mein Gott, Deiner inmitten Deiner Dienerinnen zu gedenken und Deiner Sache in Deinen Ländern zu helfen. So nimm an, was mir entgangen ist, als das Licht Deines Antlitzes aufstrahlte. Du hast fürwahr die Macht über alle Dinge. Ruhm sei Dir, o Du, in dessen Hand das Reich der Himmel und der Erde ruht.“
9:13 [66] Im Kitáb-i-Aqdas, seinem heiligsten Buche, wendet sich Bahá’u’lláh an den deutschen Kaiser Wilhelm I.: „Sprich: O König von Berlin! Höre auf die Stimme, die aus diesem offenbaren Tempel ruft: Wahrlich, es gibt keinen Gott außer Mir, dem Immerwährenden, dem Unvergleichlichen, dem Altehrwürdigen der Tage. Hüte dich, daß dich nicht Stolz hindere, den Tagesanbruch göttlicher Offenbarung zu erkennen, daß irdische Wünsche dich nicht wie durch einen Schleier abschließen von dem Herrn des Thrones im Himmel und auf Erden hienieden. Dies rät dir die Feder des Höchsten. Er, wahrlich, ist der Gnadenvollste, der Gütigste. Denke an den (Napoleon III.), dessen Macht deine Macht überragte und dessen Rang deinen Rang übertraf. Wo ist er? Wohin ist entschwunden, was er besaß? Sei gewarnt und sei nicht einer der tief Schlafenden. Er warf das Tablet Gottes beiseite, als Wir ihm kundtaten, was die Scharen der Tyrannen Uns erdulden ließen. Darum überfiel ihn Unglück von allen Seiten, und er starb in großem Verlust. Denke gut über ihn nach, o König, und über solche, die gleich dir Städte erobert und über Menschen geherrscht haben. Der Barmherzigste brachte sie herab von ihren Palästen in das Grab. Sei gewarnt! Sei einer von denen, die überlegen!“
9:14 Und weiterhin in diescm gleichen Buch diese auffallende Weissagung: „O Ufer des Rheins! Wir haben euch mit Blut bedeckt gesehen; denn die Schwerter der Vergeltung wurden gegen euch gezückt; und es soll noch einmal geschehen. Und Wir hören das Wehklagen Berlins, obgleich es heute in sichtbarem Ruhme strahlt.“
9:15 [67] Ebenfalls im Kitáb-i-Aqdas sind folgende an Kaiser Franz Joseph gerichtete Worte verzeichnet: „O Kaiser von Österreich! Er, der Tagesanbruch des göttlichen Lichtes, weilte im Gefängnis Von ‚Akká zu der Zeit, da du dich aufmachtest, die AqsáMoschee (in Jerusalem) zu besuchen. Du zogst an Ihm worüber und forschtest nicht nach Ihm, durch den jedes Haus erhöht und jede erhabene Pforte geöffnet wurde. Wir, wahrlich, machten es (Jerusalem) zu einem Platz, wohin die Welt sich wenden soll, um Meiner zu gedenken. Doch du hast Ihn, das Ziel dieses Gedenkens, verschmäht, als Er erschien mit dem Reiche Gottes, deines Herrn und des Herrn der Welten. Wir sind allezeit mit dir gewesen und fanden dich an einen Zweig geklammert, der Wurzel nicht achtend. Wahrlich, dein Herr ist Zeuge dessen, was Ich sage. Wir waren bekümmert, dich um Unseren Namen kreisen zu sehen, ohne Unser gewahr zu werden, obgleich Wir vor deinem Angesicht waren. Öffne deine Augen, diese herrliche Erscheinung zu betrachten und Ihn, den du des Tages und zur Nachtzeit anrufst, zu erkennen und das Licht zu erschauen, das von diesem Horizont ausstrahlt.“
9:16 In der Súriy-i-Mulúk wird Sultán ‚Abdu’l-‚Azíz mit folgenden Worten angeredet: „Lausche, o König, den Wiorten Dessen, der die Wahrheit spricht, Ihm, der von dir keine Belohnung fordert für Dinge, die Gott dir zu gewähren beliebt hat, Ihm, der unbeirrt den geraden Pfad wandelt. Er entbietet dich vor Gott, deinen Herrn, der dir die rechte Bahn zeigt, den Weg, der zu wahrem Glück führt, auf daß du vielleicht zu jenen gehörst, denen es wohl ergehen wird . . . Mit dem, der sich Gott ganz hingibt, wird Gott sicherlich sein; und den, der sein ganzes Vertrauen auf Gott setzt, wird Gott wahrlich vor allem beschützen, was ihm schaden könnte, und ihn vor der Bosheit aller Unheilstifter beschirmen.“
9:17 „Würdest du dein Ohr Meiner Rede zuneigen und Meinen Rat beachten, so würde Gott dich zu einer so hervorragenden Stellung erheben, daß die Pläne keines Menschen auf der ganzen Erde dich je berühren oder verletzen könnten. O König, befolge aus innerstem Herzen und mit deinem ganzen Sein die Gebote Gottes und wandle nicht auf dem Pfad des Tyrannen. Ergreife die Zügel der Angelegenheiten deines Volkes, halte sie fest im Griffe deiner Gewalt und prüfe persönlich alles, was sie betritt. Lasse dir nichts entgehen, denn darin liegt das höchste Gut.“
9:18 [68] „Danke Gott dafür, daß Er dich aus der ganzen Welt erwählte und dich zum König gemacht hat über die, welche deinen Glauben bekennen. Es geziemt dir wohl, die wunderwollen Gunstbezeigungen hochzuschätzen, womit Gott dir gewogen war, und immerfort Seinen Namen zu verherrlichen. Du kannst Ihn am besten damit preisen, daß du Seine Geliebten liebst und Seine Diener beschützt und vor den Anschlägen der Verräter behütest, so daß niemand sie fürderhin unterdrücken kann. Noch mehr, du solltest dich dazu aufraffen, das Gesetz Gottes bei ihnen zur Geltung zu bringen, so daß du zu denen gehörst, die in Seinem Gesetze fest gegründet dastehen.“
9:19 „Würdest du bewirken, daß Ströme der Gerechtigkeit ihre Wasser auf deine Untertanen ergießen, so würde Gott dir sicherlich mit den Heerscharen des Unsichtbaren und des Sichtbaren beistehen und dich in deinem Tun stärken. Keinen Gott gibt es außer Ihm. Die ganze Schöpfung und ihr Reich sind Sein. Zu Ihm kehren die Werke der Gläubigen zurück.“
9:20 „Setze dein Vertrauen nicht auf deine Schätze, lege deine ganze Zuversicht in die Gnade Gottes, deines Herrn. Lasse Ihn deine Hoffnung sein in allezn, was du tust, und gehöre zu denen, die sich Seinem Willen unterworfen haben. Lasse Ihn deinen Helfer sein und mache dich reich durch Seine Schätze, denn Sein sind die Schatzkammern der Himmel und der Erde. Er spendet sie, wem Er will, und versagt sie, wem Er will. Es gibt keinen anderen Gott außer Ihm, dem Allbesitzenden, dem Allgepriesenen. Alle sind nur Arme an der Türe Seiner Barmherzigkeit. Alle sind hilflos vor der Offenbarung Seiner höchsten Herrschaft und flehen um Seine Gunst.“
9:21 [69] „Überschreite nicht die Grenzen der Mäßigung und verfahre gerecht mit denen, die dir dienen. Gib ihnen entsprechend ihren Bedürfnissen, aber nicht in solchem Übermaß, daß es ihnen möglich ist, für sich Reichtümer aufzuhäufen, ihre Person herauszuputzen, ihr Heim zu verzieren, Dinge anzuschaffen, die ihnen nicht zum Wohle gereichen, und unter die Verschwender zu geraten. Behandle sie mit unwandelbarer Gerechtigkeit, so daß keiner von ihnen Mangel leide noch durch Luxus verweichlicht werde. Dies ist nur offenbare Gerechtigkeit. Lasse nicht zu, daß Verworfene über Edle und Ehrenwerte regieren und herrschen, und dulde nicht, daß die Hochgesinnten in der Gewalt der Verächtlichen und Wertlosen seien, denn dies ist es, was Wir bei Unserer Ankunft in der Stadt (Konstantinopel) bemerkten. Dessen sind Wir Zeuge …“
9:22 „Halte dir Gottes unbeirrbare Waage vor Augen und wäge wie einer, der in Seiner Gegenwart steht, auf dieser Waage deine Taten jeden Tag, jeden Augenblick deines Lebens. Ziehe dich zur Rechenschaft, ehe du zur Rechenschaft gerufen wirst an dem Tage, da kein Mensch aus Furcht vor Gott die Kraft haben wird, aufrecht zu stehen, an dem Tage, da die Herzen der Achtlosen erzittern werden …“
9:23 „Du bist Gottes Schatten auf Erden. So strebe danach, in solcher Art zu handeln, wie es einer so herGorragenden und erhabenen Stufe zukommt. Wenn du dich dem entziehst, die Dinge zu befolgen, die Wir auf dich herabkommen ließen und dich lehrten, so wirst du sicherlich dieser großen und unschätzbaren Ehre verlustig gehen. So kehre denn um, halte dir allein an Gott und reinige dein Herz von der Welt und all ihrem Tand und dulde nicht, daß die Liebe irgendeines Fremdlings sich dort einniste und darin wohne. Bevor du nicht dein Herz von jeder Spur solcher Liebe lauterst, kann der Glanz des Lichtes Gottes Seine Strahlen nicht darauf ergießen, denn niemandem hat Gott mehr gegeben als ein Herz. Wahrlich, dies wurde verordnet und steht in Seinem altehrwürdigen Buche verzeichnet. Und da das Menschenherz, wie es von Gott geschaffen, eines und ungeteilt ist, so geziemt es dir, darauf zu achten, daß seine Neigungen auch eins und ungeteilt seien. Klammere dich daher mit der ganzen Zuneigung deines Herzens an Seine Liebe und halte es fern von der Liebe zu irgend jemandem außer Ihm, auf daß Er dir beistehe, dich in den Ozean Seiner Einheit zu versenken, und dich befähige, eine getreue Stütze Seiner Einigkeit zu werden …“
10 [70] Halte den Unterdrücker ab
10:1 „O König, höre aufmerksam auf die Worte, die Wir an dich richteten. Halte den Unterdrücker ab von seiner Tyrannei und schließe die Ungerechten aus dem Kreise derer aus, die deinen Glauben bekennen. Bei der Gerechtigkeit Gottes! Die Trübsale, die Wir aushielten, sind derart, daß eine Feder, die sie schildert, vom Seelenschmerz überwältigt wird. Keiner, der aufrichtig glaubt und die Einheit Gottes hochhält, kann die Bürde ihrer Schilderung tragen. So groß sind Unsere Leiden gewesen, daß selbst die Augen Unserer Feinde, ja die Augen eines jeden einsichtswollen Menschen über Uns geweint haben. Und allen diesen Prüfungen sind Wir unterworfen worden, obwohl Wir Uns dir näherten und den Menschen befahlen, unter deinen Schatten zu treten, auf daß du ein Bollwerk seiest für alle, die an die Einheit Gottes glauben und sie hochhalten.“
10:2 „O König, habe Ich dir jemals den Gehorsam werweigert? Habe Ich irgendwann eines deiner Gesetze mißachtet? Kann einer deiner Minister, die dich im ‚Iráq vertreten, irgendeinen Beweis erbringen, der Meine Unredlichkeit gegen dich begründen könnte? Nein, bei Ihm, dem Herrn aller Welten! Nicht einen kleinen Augenblick lang haben Wir Uns gegen dich oder gegen einen deiner Minister aufgelehnt. Niemals, so Gott will, werden Wir Uns gegen dich empören, selbst wenn Wir strengeren Prüfungen ausgesetzt wären als je zuvor. Am Tage und zur Nachtzeit, am Abend und am Morgen beten Wir für dich zu Gott, daß Er dir gnädig beistehe, Ihm zu gehorchen und Seine Gebote zu achten, und Er dich vor den Scharen der Bösen beschirme. So tue denn wie dir beliebt und behandle Uns wie es deiner Stufe zukommt und deiner Herrschaft geziemt. Vergiß nicht das Gesetz Gottes in allem, was du zu tun wünschest, jetzt oder in künftigen Tagen. Sprich.- Preis sei Gott, dem Herrn der Welten!“
10:3 [71] Des weiteren steht im Kitáb-i-Aqdas folgender gewaltiger Anruf Konstantinopels: „O Ort, gelegen an den Küsten zweier Meere! Wahrlich, der Thron der Tyrannei wurde auf dir errichtet und die Flamme des Hasses in deinem Inneren entzündet, so sehr, daß die Versammlung in der Höhe und jene, die den erhabenen Thron umkreisen, klagten und jammerten. Wir sehen in dir den Narren über den Weisen herrschen und Finsternis vor dem Lichte sich brüsten. Wahrlich, du bist mit offensichtlichem Stolz erfüllt. Hat dich dein äußerer Glanz hochmütig gemacht? Bei Ihm, dem Herrn des Menschengeschlechts! Er wird rasch vergehen, und deine Töchter und deine Witwen und alle deines Stammes, die in dir wohnen, werden wehklagen. Dies verkündet dir der Allwissende, der Allweise.“
10:4 Was Násiri’d-Dín Sháh betrifft, so verkündet das Lawh-iSultán, welches von ‚Akká aus an ihn gesandt wurde und welches das längste Tablet Bahá’u’lláhs an einen einzelnen Herrscher darstellt, folgendes: „O König! Ich war nur ein Mensch wie andere und schlief auf Meinem Lager – siehe, da wehten die Winde des Herrlichsten über Mich und gaben Mir Kenntnis von allem, was war. Diese Sache ist nicht von Mir, sondern von Dem, welcher allmächtig und allwissend ist. Und Er gebot Mir, Meine Stimme zu erheben zwischen Erde und Himmel, und um dessentwillen befiel Mich, worüber ein jeder Mensch mit Einsicht weinte. Die allgemein übliche Gelehrsamkeit der Menschen studierte Ich nicht; ihre Schulen betrat Ich nicht. Frage nach in der Stadt, wo Ich wohnte, auf daß du wohl versichert seiest, daß Ich nicht zu denen gehöre, die falsch reden. Das ist nur ein Blatt, das die Winde des Willens deines Herrn, des Allmächtigen, des Allgepriesenen, bewegt haben. Kann es ruhig bleiben, wenn der Sturmwind weht? Nein, bei Ihm, dem Herrn aller Namen und Eigenschaften! Er bewegt es, wie Er will. Das Vorübergehende ist wie ein Nichts vor Ihm, dem Ewigen. Sein allbezwingender Ruf hat Mich erreicht und ließ Mich Seinen Lobpreis unter allem Volke anstimmen. Fürwahr, Ich war wie ein Toter, als Sein Befehl erscholl. Die Hand des Willens deines Herrn, des Mitleidigen, des Barmherzigen, verwandelte Mich. Kann irgend jemand aus eigenem Willen das aussprechen, weswegen alle Menschen, hoch und niedrig, sich gegen ihn erheben werden? Nein, bei Ihm, der die Feder die ewigen Geheimnisse lehrte: das kann nur, wem die Gnade des Allmächtigen, des Allgewaltigen Kraft gab. Die Feder des Höchsten wandte sich Mir zu und sprach: Fürchte dich nicht! Berichte Seiner Majestät, dem Sháh, was über dich gekommen ist. Wahrlich, sein Herz ist in der Hand deines Herrn, des Gottes der Barmherzigkeit, damit vielleicht die Sonne der Gerechtigkeit und Freigebigkeit über dem Horizonte seines Herzens aufstrahlt. So wurde die Verordnung unwiderruflich festgesetzt durch Ihn, den Allweisen.“
10:5 [72] „O König, blicke auf diesen jungen Mann mit den Augen der Gerechtigkeit. Urteile sodann aufrichtig über das, was Ihn befallen hat. Wahrhaftig, Gott hat dich zu Seinem Schatten gemacht unter den Menschen und zum Zeichen Seiner Macht für alle, die auf Erden wohnen. Urteile zwischen Uns und denen, die Uns Unrecht taten ohne Beweis und ohne ein erleuchtendes Buch. Sie, die um dich sind, lieben dich um ihres eigenen Vorteils willen, wogegen dieser junge Mann dich um deines Vorteils willen liebt und keinen Wunsch hat, als dich dem Sitze der Gnade näher zu bringen und dich der rechten Hand der Gerechtigkeit zuzuführen. Dein Herr ist Zeuge dessen, was Ich erkläre.“
10:6 „O König! Wenn du dein Ohr dem Laut der Feder der Herrlichkeit und dem Gurren der Taube der Ewigkeit zuneigtest, die auf den Zweigen des Lotosbaumes, über den es kein Hinausgehen gibt, den Lobpreis Gottes, des Schöpfers aller Namen, der Erde und des Himmels, singt, so würdest du auf eine solche Stufe gelangen, von welcher aus du in der Welt des Daseins nichts als den Glanz des Angebeteten schauen und deine Herrschaft als das Unwürdigste deines Besitzes ansehen würdest; du würdest sie jedem überlassen, der sie gerade begehrt, und dein Angesicht dem Horizont zuwenden, der im Lichte Seines Antlitzes erglüht. Auch würdest du die Bürde der Herrschaft nur noch tragen wollen, um damit deinem Herrn, dem Erhabenen, dem Höchsten, zu helfen. Dann würden dich die Himmelsbewohner segnen. Ach, wie herrlich ist diese erhabenste Stufe – könntest du doch zu ihr gelangen durch die Macht deiner Herrschaft, die erkannt wird als vom Namen Gottes hergeleitet …“
10:7 [73] „O König des Zeitalters! Die Augen dieser Flüchtlinge sind der Barmherzigkeit des Barmherzigsten zugewandt und auf sie geheftet. Es besteht kein Zweifel, daß diesen Trübsalen die Ausgießungen höchster Barmherzigkeit folgen werden und daß nach diesen schrecklichen Anfeindungen ein überströmendes Glück kommen wird. Wir hoffen sehr, daß Seine Majestät der Sháh diese Dinge selbst untersuchen und den Herzen Hoffnung brngen werde. Was Wir deiner Majestät unterbreiteten, ist fürwahr zu deinem höchsten Nutzen. Und Gott, wahrlich, ist für Mich hinreichend Zeuge …“
10:8 „O Sháh, geschähe es doch, daß du Mir gestattetest, dir das zu senden, was die Augen ergötzt, die Seelen beruhigt und jeden ehrlich gesinnten Menschen überzeugt, daß bei Ihm die Erkenntnis des Buches ist … Wäre die Zurückweisung durch die Narren und die falsche Nachsicht der Geistlichen nicht gewesen, so hätte Ich eine Rede gehalten, welche die Herzen durchschauert und in ein Reich entführt hätte, wo das Rauschen der Winde zu hören wäre: `Keinen Gott gibt es außer Ihm! …`“
10:9 „O Sháh, Ich habe auf dem Pfade Gottes geschaut, was noch kein Auge schaute und kein Ohr hörte … Wie zahlreich sind die Trübsale, welche auf Mich herabströmten und bald noch herabströmen werden! Ich schreite woran, den Blick auf Ihn gerichtet, den Allmächtigen, den Allgütigen, während hinter Mir die Schlange gleitet. Meine Augen haben Tränen vergossen, bis Mein Bett von ihnen getränkt war. Aber Ich gräme Mich nicht um Mich. Bei Gott! Mein Haupt sehnt sich nach dem Speer aus Liebe zu seinem Herrn. Ich ging nie an einem Baum vorbei, ohne daß Mein Herz ihn anredete und sprach: `O würdest du doch in Meinem Namen abgehauen und Mein Leib an dir auf dem Pfade Meines Herrn gekreuzigt!` … Bei Gott! Obgleich Müdigkeit Mich niederdrückt, Hunger Mich verzehrt, der nackte Fels Mein Bett ist und die Tiere des Feldes Meine Gefährten sind, will Ich nicht klagen, sondern geduldig ausharren, wie jene mit Standhaftigkeit und Festigkeit Begabten durch die Kraft Gottes, des ewigen Königs und Schöpfers der Nationen, ausgeharrt haben. Gott will Ich Dank in allen Lebenslagen darbringen. Wir bitten, Er möge in Seiner Güte – gepriesen sei Er! – durch diese Kerkerhaft die Nacken der Menschen Von Ketten und Fesseln befreien und mit aufrichtigem Angesicht sich Seinem Antlitz zuwenden lassen, Ihm, dem Mächtigen, dem Freigebigen. Er ist bereit, jedem zu antworten, der Ihn anruft, und Er ist denen nahe, die mit Ihm Umgang pflegen.“
10:10 [74] Im Qayyúmu’l-Asmá‘ wandte sich der Báb an MuhammadSháh: „O König des Islám! Nachdem du dem Buche geholfen hast, hilf du mit der Wsahrheit auch Ihm, welcher Unsere Größte Erwähnung ist, denn Gott hat, wahrlich, für dich und deine Umgebung am Tage des Gerichtes eine besondere Stellung auf Seinem Pfade bestimmt. O Sháh, Ich schwöre bei Gott! Wenn du Ihm, der Seine Erwähnung ist, Feindschaft erweist, so wird dich Gott am Tage der Auferstehung vor den Königen zu höllischem Feuer verdammen, und du wirst gewißlich an jenem Tage keinen Helfer finden außer Gott, dem Erhabenen. O Sháh, reinige das Heilige Land (Tihrán) von solchen, die das Buch zurückwiesen, ehe der Tag der Erwähnung Gottes kommt, schrecklich und plötzlich, mit Seiner mächtigen Sache durch den Willen Gottes, des Höchsten. Wahrlich, Gott hat dir vorgeschrieben, dich Dein, der Seine Erwähnung ist, und Seiner Sache zu unterwerfen, und mit der Wahrheit und mit Seiner Erlaubnis die Länder zu bezwingen; denn in dieser Welt bist du gnadenreich mit Herrschaft bekleidet worden und wirst in der nächsten dicht bei dem Sitze der Heiligkeit mit den Bewohnern des Paradieses Seines Wohlgefallens ruhen. O Sháh, lasse dich nicht durch deine Herrschaft täuschen, denn `jede Seele wird den Tod schmecken`, und wahrlich, dies ist als Gottes Ratschluß niedergeschrieben worden.“
10:11 [75] In seinem Tablet an Muhammad-Sháh hat der Báb des weiteren geoffenbart: „Ich bin der erste Punkt, aus welchem alle erschaffenen Dinge erzeugt wurden. Ich bin das Antlitz Gottes, dessen Glanz niemals verdunkelt werden kann, das Licht Gottes, dessen Glanz niemals verblassen kann … Alle Schlüssel des Himmels hat Gott in Meine Rechte zu legen beliebt und alle Schlüssel der Hölle in Meine Linke … Ich bin eine der tragenden Säulen des Urwortes Gottes. Wer immer Mich erkannt hat, hat alles erkannt, was wahr und recht ist, und alles erreicht, was gut und geziemend ist … Der Stoff, aus dem Gott Mich erschaffen hat, ist nicht der Lehm, aus dem andere geformt wurden. Er hat Mir verliehen, was weder die Weisen der Welt je erfassen noch die Gläubigen je entdecken können…“
10:12 „Bei Meinem Leben! Märe es nicht um der Verpflichtung willen, die Sache Dessen, der das Zeugnis Gottes ist, zu bekennen, … würde Ich dir dies nicht verkündet haben … In diesem gleichen Jahre (Jahr 60) sandte Ich dir einen Boten und ein Buch, daß du für die Sache Dessen, der das Zeugnis Gottes ist, handelst, wie es der Stufe deiner Herrschaft geziemt …“
10:13 „Ich schwöre bei der Wahrheit Gottes! Würde der, welcher Mich in solcher Weise zu behandeln gewillt war, erkennen, wer der ist, den er so behandelt hat, so würde er wahrlich nie mehr in seinem Leben glücklich werden. Es ist vielmehr – Ich tue dir gewißlich die Wahrheit in dieser Angelegenheit kund -, wie wenn er alle Propheten eingekerkert hätte und alle Männer der Wahrheit und alle Auserwählten … Wehe dem, von dessen Händen Böses kommt, und gesegnet sei der Mensch, von dessen Händen Gutes kommt …“
10:14 „Ich schwöre bei Gott! Ich suche kein irdisches Gut bei dir, und sei es auch nur sowiel wie ein Senfkorn … Ich schwöre bei der Wahrheit Gottes! Wüßtest du, was Ich weiß, du würdest die Herrschaft über diese und die nächste Welt aufgeben, um Mein Wohlgefallen durch deinen Gehorsam dem Wahren gegenüber zu erlangen … Würdest du es ablehnen, so würde der Herr der Welt einen erwecken, der Seine Sache erhöhen wird, und wahrlich, der Befehl Gottes wird zur Tat werden.“
10:15 Liebe Freunde! Wie weit ist doch der Rundblick, den diese kostbaren, diese erschütternden, göttlich verkündeten Aussprüche vor unseren Augen ausbreiten !
11 [76] Gottes Stellvertreter auf Erden
11:1 Welche Erinnerung rufen sie wach! Wie erhaben sind die Grundsätze, die sie einprägen! Welche Hoffnungen erzeugen sie! Welche Vorstellungen erwecken sie! Und doch, wie bruchstückhaft müssen die eben erwähnten Worte erscheinen, seien sie auch dem eigendlichen Plan meines Stoffes angepaßt, wenn sie mit der hinreißenden Majestät verglichen werden, die nur das Lesen des vollen Textes erschließen kann! Er, der Gottes Stellvertreter auf Erden war, hat in dem entsdieidendsten Augenblick, als seine Offenbarung ihren Höhepunkt erreichte, jene angesprochen, die in ihrer Person den Glanz, die oberste Gewalt und die Macht irdischer Herrschaft vereinigten; sicherlich konnte Er kein Jota oder Tupfelchen von dem Gewicht und der Kraft abziehen, welche die Überreichung einer so geschichtlichen Botschaft erforderte. Weder die Gefahren, die so schnell über Ihn hereinbrachen, noch die furchtbare Gewalt, mit der die Herrscher des Westens und die Machthaber des Ostens zu jener Zeit – nach der Lehre von dcr absoluten Herrschaft – ausgestattet waren, konnten den Verbannten und Gefangenen von Adrianopel davon abhalten, den lauten Schall seiner Botschaft seinen beiden kaiserlichen Verfolgern und auch den übrigen zeitgenössischen Herrschern auf schrifllichem Wege mitzuteilen.
11:2 [77] Die Größe und Verschiedenartigkeit des Stoffes, die zwingende Kraft der Beweisführung, die Erhabenheit und Kühnheit der Sprache bannen unsere Aufmerksamkeit und erstaunen unseren Geist. Kaiser, Könige und Fürsten, Kanzler und Minister, der Papst, Priester, Mönche und Philosophen, die Vertreter der Wissenschaft, Parlamentarier und Abgeordnete, die Reichen auf Erden, die Anhänger aller Religionen und das Volk von Bahá – sie alle sind in den Wirkungsbereich des Urhebers dieser Botschaften einbezogen und erhalten, nach ihrem Verdienst und Wert, die Ratschläge und Ermahnungen, die sie verdienen. Nicht minder erstaunlich ist die Mannigfaltigkeit dcr Themen, die in diesen Tablets berührt werden. Die alles überragende Majestät und Einheit eines nicht erkennbaren, unnahbaren Gottes wird hervorgehoben und die Einheit seiner Gesandten verkündet und mit Nachdruck erklärt. Die Einzigkeit, die Universalität und die Wirkkräfte des Bahá’í-Glaubens werden betont und Zweck und Wesensart der Bahá’í-Offenbarung dargelegt. Die Bedeutung von Bahá’u’lláhs Leiden und Verbannungen wird enthüllt, und die auf seinen Herold und auf seinen Namensbruder herabgeströmten Trübsale werden erkannt und beklagt. Sein eigenes Sehnen nach der Krone des Märtyrertums, die sie beide in so geheimnisvoller Weise gewannen, wird erwähnt, die unaussprechlichen Herrlichkeiten und Wunder, die seiner eigenen Sendung vorbehalten sind, werden angedeutet. Begebenheiten, erregend und wunderbar zugleich, aus den verschiedenen Zeiten seines Wirkens werden geschildert, und die Vergänglichkeit von weltlichem Pomp, Ruhm, Reichtum und Herrschertum wiederholt und klar vor Augen geführt. Kraftvoll und eindringlich wird zur Anwendung der erhabensten Grundsätze in persönlichen und internationalen Beziehungen aufgerufen und befohlen, entehrende, dem Glück und Wachsrum, der Wohlfahrt und Einheit der Menschenrasse schädliche Gewohnheiten und Gebräuche aufzugeben, Könige werden getadelt, kirchliche Würdenträger angeklagt, Minister und Gesandte verdammt und die Gleichsetzung seines Kommens mit dem Kommen des Vaters selbst unzweideutig erklärt und wiederholt verkündet. Der gewaltsame Sturz von einigen dieser Könige und Kaiser wird geweissagt, und zwei von ihnen werden eindeutig herausgefordert, die meisten gewarnt, alle angerufen und ermahnt.
11:3 [78] Im Lawh-i-Sultán (Tablet an den Sháh von Persien) erklärt Bahá’u’lláh: „Möge doch der weltverschönernde Wunsch Seiner Majestät verfügen, daß dieser Diener den Geistlichen der Zeit gegenübergestellt werde und Beweise und Zeugnisse in der Gegenwart Seiner Majestät des Sháh vorbringe! Dieser Diener ist bereit und setzt Seine Hoffnung auf Gott, daß eine solche Versammlung einberufen werde, damit die Wahrheit der Sache von Seiner Majestät dem Sháh klar und offenbar gemacht werde. Es ist nunmehr an dir, zu befehlen, und Ich stehe bereit vor dem Throne deiner Herrschaft. So entscheide denn für Mich oder gegen Mich.“
11:4 Und fernerhin hat Bahá’u’lláh im Lawh-i-Ra’ís, in Erinnerung an sein Gespräch mit dem türkischen Offizier, der mit der Durchführung seiner Verbannung in die feste Stadt ‚Akká beauftragt war, geschrieben: „Es geht darum, daß Ich dich bitte, wenn es dir möglich ist, Seiner Majestät dem Sultán zu unterbreiten, daß es diesem jungen Mann ermöglicht werde, zehn Minuten mit ihm zusammenzutreffen, auf daß er nach allem fragen möge, was er als genügendes Zeugnis erachtet und als Beweis für die Wahrhaftigkeit Dessen betrachtet, der die Wahrheit ist. Sollte Gott ihn befähigen, diese zu erbringen, so möge jener diese Mißhandelten frei und in Ruhe lassen.“ „Er versprach“, fügte Bahá’u’lláh in jenem Tablet hinzu, „diese Botschaft zu übermitteln und Uns Antwort zu geben. Wir erhielten jedoch keine Nachricht von ihm. Wenngleich es Ihm, der die Wahrheit ist, nicht ansteht, sich an irgendeinen Menschen zu wenden, da ja alle erschaffen sind, Ihm zu gehorchen, so haben Wir doch im Hinblick auf die Lage dieser kleinen Kinder und die große Zahl so weit von ihren Freunden und ihrer Heimat verbannter Frauen in diese Sache eingewilligt. Trotzdem ist nichts erfolgt. ‚Umar selbst ist am Leben und erreichbar. Erkundige dich bei ihm, damit dir die Wahrheit bekannt werde.“
11:5 [79] Über diese an die Herrscher gerichteten Tablets, die ‚Abdu’l-Bahá als „Wunder“ gepriesen hat, schrieb Bahá’u’lláh: „Ein jedes von ihnen ist mit einem besonderen Namen bezeichnet worden. Das erste wurde `Das Dröhnen` genannt, das zweite `Der Stoß`, das dritte `Das Unvermeidliche`, das vierte `Das Einfache`, das fünfte `Der Zusammenbruch` und die anderen `Der betäubende Trompetenstoß`, `Das nahende Ereignis`, `Der große Schrecken`, `Die Trompete`, `Das Signalhorn` und dergleichen, so daß alle Völker der Erde mit Gewißheit erkennen und mit äußeren und inneren Augen bezeugen mögen, daß Er, welcher der Herr der Namen ist, geherrscht hat und immer herrschen wird, unter allen Umständen, über alle Menschen … Nie seit Beginn der Welt ist eine Botschaft so öffentlich verkündet worden … Verherrlicht sei diese Macht, die aufleuchtete und die Welt umfaßte. Diese Tat des Verursachers aller Ursachen hat, als sie geoffenbart wurde, zwei Ergebnisse gezeitigt. Sie hat zugleich die Schwerter der Ungläubigen geschärft und die Zungen derer gelöst, die sich Ihm zu Seinem Gedenken und Lobpreis zugewandt haben. Dies ist die Wirkung der befruchtenden Winde, die früher schon im Lawh-i-Haykal erwähnt wurden. Die ganze Erde befindet sich jetzt im Zustand der Trächtigkeit. Der Tag naht heran, da sie ihre edelsten Fruchte hervorgebracht haben wird, da ihr die höchsten Bäume und die hezaubemdsten Blüten und himmlischsten Segnungen entsprossen sein werden. Unermeßlich erhaben ist der Dufthauch, der vom Gewande deines Herrn, des Verklärten, weht. Denn siehe, Er hat Seinen Duft ausgehaucht und alle Dinge neu gestaltet! Wohl denen, die dies erfassen! Es ist ohne Zweifel klar und offensichtlich, daß dabei Er, der Herr der Offenbarung, in diesen Dingen nichts für sich selbst gesucht hat. Obgleich dessen gewahr, daß sie zu Trübsalen führen und Kummer und schmerzliche Prüfungen verursachen würden, hat Er doch einzig und allein als ein Zeichen Seiner liebewollen Gnade und Gunst, und in der Absicht, die Toten zu beleben und alle auf Erden zu erlösen, Sein eigenes Wohlergehen außer acht gelassen und das ertragen, was kein anderer Mensch ertragen hat noch tragen wird.“
11:6 [80] Die wichtigsten seiner an die einzelnen Herrscher gerichteten Tablets befahl Bahá’u’lláh, in der Form eines Pentagramms zu schreiben, das den Tempel des Menschen versinnbildlicht. Er fügte darin als Abschluß die folgenden Worte ein, welche die Wichtigkeit enthüllen, die Er diesen Botschaften beimaß und die ihre direkte Verbindung mit der Prophezeiung des Alten Testaments anzeigen:1 1 Schluß von der Surih-i-Haykl
„Also haben Wir den Tempel erbaut mit den Händen der Kraft und Macht – könntet ihr das doch erkennen! Dies ist der euch im Buche verheißene Tempel. Nähert euch ihm! Dies ist, was euch frommt – könntet ihr das doch verstehen! Seid ehrlich, o Völker der Welt! Welcher ist vorzuziehen, dieser oder ein aus Lehm gebauter Tempel? Wendet euer Angesicht ihm zu! Also wurde es euch von Gott befohlen, dem Helfer in der Gefahr, dem Selbstbestehenden. Folgt Seinem Gebot und preist Gott, euren Herrn, für das, was Er euch verliehen hat. Wahrlich, Er ist die Wahrheit, keinen Gott gibt es außer Ihm. Er offenbart, was Ihm gefällt, durch Seine Worte: `Sei! – und es ist`.“
11:7 [81] Auf diesen gleichen Gegenstand sich beziehend, redet Er die Anhänger Jesu Christi in einem seiner Tablets an:
„O Scharen der Anhänger des Sohnes! Wahrlich, der Tempel ist mit den Händen des Willens eures Herrn, des Allmächtigen, des Allgütigen, erbaut worden. O Volk, so sei denn Zeuge dessen, was Ich sage: Was ist vorzuziehen – was aus Lehm erbaut ist oder was durch die Hand eures Herrn, des Offenbarers von Versen, errichtet wurde? Dies ist der euch in den Schriften verheißene Tempel, Er ruft laut: `O Anhänger der Religionen! Eilt, zu Ihm, dem Quell aller Ursachen, zu gelangen, und folgt nicht jedem Ungläubigen und Zweifler`.“
11:8 Es sollte nicht vergessen werden, daß, abgesehen von diesen besonderen Tablets, worin die Könige der Welt einzeln und insgesamt angeredet werden, Bahá’u’lláh noch andere Tablets geoffenbart hat – das Lawh-i-Ra’ís ist ein hervorragendes Beispiel dafür – und in die Masse seiner umfangreichen Schriften unzählige stellen eingestreut hat, in denen Minister, Regierungen und deren beglaubigte Vertreter angesprochen worden sind oder auf sie hingewiesen wird. Doch gehe ich nicht näher auf solche Anrcden und Hinweise ein, welche, so wesentlich sie sind, dennoch nicht als mit dieser besonderen Bedeutung ausgestattet betrachtet werden können, welche direkte und bestimmte Botschaften, vom Offenbarer Gottes geäußert und an die höchsten Stellen der Welt seines Tages gerichtet, besitzen müssen.
11:9 Liebe Freunde! Genug ist nun gesagt worden, um die Trübsale zu schildern, die so lange Zeit die Begründer einer so überragenden Offenbarung überhäuft haben und welche die Welt in so unheilvoller Weise unbeachtet gelassen hat. Genügend Aufmerksamkeit ist auch den Botschaften an jene selbständigen Herrscher geschenkt worden, welche in Ausübung ihrer absoluten Gewalt diese Leiden absichtlich hervorgerufen haben oder die in der Fülle ihrer Macht sich hätten erheben können, deren Auswirkungcn zu mildern oder ihren tragischen Verlauf abzuwenden. Laßt uns nun die Folgen, die sich ergeben haben, betrachten. Die Reaktion der Monarchen war, wie schon erwähnt, verschieden und unverkennbar und, wie der Gang der Dinge schrittweise enthüllte, unheilvoll in ihren Folgen. Einer der hervorragendsten dieser Herrscher behandelte die göttliche Mahnung mit plumper Mißachtung und wies sie mit einer kurzen, unverschämten, von einem seiner Minister geschriebenen Antwort zurück. Ein anderer ließ den Überbringer der Botschaft gewaltsam ergreifen, foltern, brandmarken und brutal erschlagen. Andere zogen es vor, ein geringsdiätziges schweigen zu wahren. Alle versäumten gänzlich ihre Pflicht, sich aufzumachen und Unterstützung zu gewähren. Besonders aber zwei von ihnen, von Furcht und Zorn zugleich getrieben, faßten die Sache, die sie gemeinsam zu vertilgen entschlossen waren, noch härter an. Der eine verdammte seinen göttlichen Gefangenen zu einer weiteren Verbannung, in „die Stadt von ärmlichstem Aussehen, mit dem abscheulichsten Klima und mit dem fauligsten Wasser“, während der andere, ohnmächtig, an den Urheber eines ihm verhaßten Glaubens Hand anzulegen, dessen Anhänger abscheulichen und wilden Grausamkeiten unterwarf. Die Kunde von Bahá’u’lláhs Leiden, in jene Botschaften eingekleidet, konnte kein Mitgefühl in ihren Herzen erwecken, seine Appelle, dergleichen weder in den Annalen des Christentums noch selbst in denen des Islám verzeichnet sind, wurden mit Geringschätzung zurückgewiesen. Die düsteren Warnungen, die Er verkündete, wurden hochmütig verhöhnt. Die kühnen Herausforderungen, die Er aussprach, wurden übersehen, die Züchtigungen, die Er vorhersagte, spöttisch abgetan.
11:10 [82] Was – so könnten wir uns fragen – ist nun angesichts einer so völligen und schändlichen Ablehnung geschehen und was geschieht noch im weiteren Verlauf und besonders in den abschließenden Jahren dieses ersten Bahá’í-Jahrhunderts, eines Jahrhunderts, das angefüllt ist mit solch ungestümen Leiden und heftigen Gewalttätigkeiten gegen den verfolgten Glauben Bahá’u’lláhs? – In Staub zerfallene Kaiserreiche, gestürzte Königreiche, ausgelöschte Herrscherhäuser, verdunkelte Königswürde, ermordete, vergiftete, in die Verbannung getriebene, in ihren eigenen Reichen unterjochte Könige, während die wenigen übriggebliebenen Throne durch die Erschütterungen des Falles ihrer Gefährten erzittern.
11:11 [83] Dieser so gigantische und verhängnisvolle Ablauf der Geschehnisse hatte, so darf man wohl sagen, in jener denkwürdigen Nacht seinen Anfang genommen, da in einem dunklen Winkel von Shiráz der Báb in Gegenwart des ersten „Buchstabens“, der an ihn glaubte, das Anfangskapitel seiner berühmten Auslegung der Súrih von Joseph (Qayyúmu’l-Asmá‘) offenbarte, aus der sein Ruf wie ein Trompetenstoß an die Herrscher und Fürsten der Welt erscholl. Dieser Vorgang ging aus dem Keimzustand in die sichtbare Offenbarung über, als sich die Weissagungen von Bahá’u’lláh erfüllten, die für alle Zeit in der Súriy-i-Haykal verwahrt und vor dem dramatischen Sturz Napoleons III. und der selbstauferlegten Gefangenschaft von Papst Pius IX. ausgesprochen wurden. Er gewann an Bedeutung, als zu ‚Abdu’l-Bahás Lebzeiten der große Krieg die Herrscherhäuser der Romanow, der Hohenzollern und der Habsburger vernichtete und mächtige, altehrwürdige Monarchien in Republiken verwandelte. Er beschleunigte sich weiterhin bald nadi ‚Abdu’l-Bahás Hinscheiden durch das Erlöschen des Herrscherhauses der Kadscharen in Persien und durch den erstaunlichen Zusammenbruch des Sultanats und des Kalifats zugleich. Er wirkt noch weiter unter unseren eigenen Augen, wenn wir das Schicksal betrachten, das im Verlauf des riesigen, verheerenden Ringens die gekrönten Häupter des europäischen Kontinents nacheinander überfallen hat. Sicherlich kann sich niemand bei leidenschaftsloser Betrachtung der Erscheinungen dieses unbarmherzigen, in so verhältnismäßig kurzer Zeit umwälzenden Geschehens der Schlußfolgerung entziehen, daß die letzten hundert Jahre, soweit sie das Los des Königtums betreffen, sehr wohl als einer der umwälzendsten Zeitabschnitte in den Annalen der Menschheit betrachtet werden können.
12 [84] Rasche und vollständige Demütigung
12:1 Zu der Zeit, als Bahá’u’lláh seine Botschaften an die Könige in der Súriy-i-Mulúk in Adrianopel offenbarte, waren die erhabensten und einflußreichsten Herrscher der französische Kaiser und der Papst. Im politischen und religiösen Bereich hatten sie den höchsten Rang inne, und die Demütigung, die beide erlitten, war gleichermaßen rasch und vollständig.
12:2 Napoleon III., der Sohn von Louis Bonaparte (dem Bruder Napoleons I.) war, wie wohl wenige Historiker bestreiten werden, der überragende Monarch seiner Zeit im Westen. „Der Kaiser ist der Staat“, so sagte man von ihm. Die französische Hauptstadt war die reizvollste in Europa, der französische Hof „der glänzendste und üppigste des neunzehnten Jahrhunderts“. Besessen von einem starren, unzerstörbaren Ehrgeiz, trachtete er danach, dem Vorbild seines kaiserlichen Oheims nachzueifern und dessen unterbrochenes Werk zu vollenden. Ein Träumer und Verschwörer verschlagener Natur, heuchlerisch und rücksichtslos, hatte er, der Erbe des napoleonischen Thrones, seinen Vorteil aus der Politik gezogen, die das wiederauflebende Interesse für die Laufbahn seines großen Vorbildes nährte, und hatte darum versucht, die Monarchie zu stürzen. Aber sein Bemühen scheiterte, und er wurde nach Amerika verbannt. Später beim Versuch einer gewaltsamen Rückkehr nach Frankreich wieder gefangen und zu lebenslänglicher Haft verurteilt, entkam er nach London, bis 1848 die Revolution seine Rückkehr ermöglichte und ihn in den Stand setzte, die Verfassung umzustürzen. Daraufhin wurde er zum Kaiser ausgerufen. wenngleich fähig, weitreichende Bewegungcn einzuleiten, besaß er weder den Scharfsinn noch den Mut, sie zu heherrschen.
12:3 Diesem Manne, dem letzten Kaiser Frankreichs, welcher durch auswärtige Eroberungen dem Volke seine Dynastie wert zu machen strebte, welcher sogar den Traum hegte, Frankreich zum Mittelpunkt eines neuerweckten Römischen Reiches zu machen – einem solchen Manne hatte der verbannte von ‚Akká – schon dreimal durch Sultán ‚Abdu’l-‚Azíz verbannt, aus der Kaserne, hinter deren Mauern Er eingekerkert lag – ein Tablet übermittelt, welches diese zweifellos klare Beschuldigung und unheilvolle Weissagung enthielt: „Wir bezeugen, daß das, was dich weckte, nicht ihr (der im schwarzen Meer ertränkten Türken) Schrei war, sondern die Einflüsterungen deiner eigenen Leidenschaften; denn wir prüften dich und fanden dich fehlerhaft … Wärest du aufrichtig gewesen in deinen Worten, so hättest du nicht das Buch Gottes (das erste Tablet) beiseite geworfen, als es dir von Ihm, dem Allmächtigen, dem Allweisen, gesandt wurde … Für das, was du getan hast, wird dein Reich in Verwirrung gestürzt werden, und das Kaisertum wird deinen Händen entgleiten als Strafe für dein Tun.“
12:4 [85] Bahá’u’lláhs erste Botschaft war, durch einen der französischen Gesandten dcs Kaisers weitergeleitet, in einer Art und Weise aufgenommen worden, wie sie aus den im „Brief an den Sohn des Wolfes“ verzeichneten Worten vermutet werden kann: „Auf dieses (das erste Tablet) antwortete er jedoch nicht. Nach Unserer Ankunft im Größten Gefängnis erreichte Uns ein Brief seines Gesandten, dessen erster Teil in persisch, der zweite in seiner eigenen Handschrift geschrieben war. Darin war er herzlich und schrieb: `Ich habe, wie sie mich baten, Ihren Brief übergeben, bis heute aber noch keine Antwort erhalten. Wir haben jedoch die nötigen Empfehlungen an unseren Botschafter in Konstantinopel und an unsere Konsuln in jenen Gegenden gesandt. Wenn Sie noch irgendwelche Wünsche haben, teilen sie sie uns mit, und wir wollen sie ausführen.` Aus diesen Worten geht klar hervor, daß er die Absicht dieses Dieners so verstand, als ob sie eine Bitte um mateiiellen Beistand gewesen sei.“
12:5 In seinem ersten Tablet hatte Bahá’u’lláh in dem Wunsche, die Aufrichtigkeit der Beweggründe des Kaisers zu prüfen, mit Vorbedacht einen freundlichen, nicht herausfordernden Ton angenommen. Er hatte die Leiden, die Er zu erdulden hatte, ausführlich geschildert und dann die folgenden Worte an ihn gerichtet: „Zwei durch den König dieser Zeit gnädig ausgesprochene Bemerkungen haben die Ohren dieser Mißhandelten erreicht. Diese Erklärungen sind wahrlich der König aller Erklärungen, dergleichen noch niemals von einem Herrscher gehört worden sind. Die erste war die Antwort an die russische Regierung, auf deren Frage, warum der (Krim-)Krieg gegen sie geführt werde. Du antwortetest: `Der Schrei der Unterdrückten, die ohne Schuld und Tadel im Schwarzen Meer ertränkt wurden, weckte mich zur Zeit der Morgendämmerung. Daher ergriff ich die Waffen gegen dich.` Diese Unterdrückten jedoch haben noch größeres Unrecht erlitten und sind in noch größerer Not. Während die jenen Menschen angetane Trübsal nur einen Tag dauerte, haben sich die von diesen Dienern ertragenen Leiden fünfundzwanzig Jahre lang hingezogen, in denen uns jeder Augenblick qualvolle Pein brachte. Die zweite gewichtige Äußerung – wahrlich eine erstaunliche Äußerung, die du der Welt verkündetest – war diese: `Uns obliegt es, die Unterdrückten zu rächen und den Hilflosen beizustehen.` Der Ruhm der Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit des Kaisers hat sehr vielen Seelen Hoffnung gebracht. Es geziemt dem König dieses Zeitalters, nach der Lage derer zu forschen, denen Unrecht getan wurde, und es obliegt ihm, den Schwachen seine Sorge angedeihen zu lassen. Wahrlich, es gab nicht, noch gibt es heute auf Erden irgend jemanden, der so unterdrückt ist, wie wir es sind, oder so hilflos, wie diese Wanderer.“
12:6 [86] Es wird berichtet, daß nach Erhalt dieser ersten Botschaft jener oberflächliche, verschlagene und hochmutstrunkene Monarch das Tablet zu Boden geschleudert habe mit den Worten: „Wenn dieser Mann Gott ist, dann bin ich zwei Götter!“ Der Überbringer des zweiten Tablets, so ist zuverlässig berichtet, hatte, um der strengen Aufsicht der wachen zu entgehen, dieses in seinem Hut verborgen, so war er imstande, es dem französischeii Gesclräflsträger in ‚Akká zu übergeben, der, wie Nabíl in seinem Buch bezeugte, es ins Französische übersetzte und dem Kaiser sandte. Er selbst wurde ein Gläubiger, als er später die Erfüllung einer so bemerkenswerten Voraussage erlebte.
12:7 [87] Die Bedeutung der düsteren und schicksalsschwangeren Worte Bahá’u’lláhs in seinem zweiten Tablet enthüllte sich bald. Er, der zur Herausforderung des Krimkrieges durch selbstische Wünsche getrieben und durch persönlichen Groll gegen den russisclren Kaiser gereizt war, der voll Ungeduld war, den Vertrag von 1815 zu zerreißen, um das Mißgeschick von Moskau zu rächen, und der mit kriegerischem Ruhm seinen Thron zu schmücken suchte, wurde bald selbst von einer Katastrophe verschlungen, die ihn in den Staub warf und Frankreich von seiner überragenden Stellung unter den Nationen zur viertrangigen Macht in Europa herabsinken ließ.
12:8 Die Schlacht bei Sedan 1870 besiegelte das Schicksal des französischen Kaisers. Die Masse seines Heeres löste sich auf und ergab sich, wobei dies die größte Kapitulation darstellte, die bis dahin in der modernen Geschichte verzeichnet wurde. Eine erdrückende Kriegsentschädigung wurde eingetrieben. Er selbst wurde gefangengenommen. Sein einziger Sohn, der Kronprinz, fiel einige Jahre später im Kriege gegen die Zulukaffern. Das Kaiserreich brach zusammen, sein Programm blieb unverwirklicht. Die Republik wurde ausgerufen. Paris wurde daraufhin belagert und kapitulierte. „Das Schreckensjahr“ folgte, durch einen Bürgerkrieg gekennzeichnet, der in seiner Wildheit noch den deutsch-französischen Krieg übertraf. Wilhelm I., der preußische König, wurde zum Deutschen Kaiser gerade in jenem schlosse gekrönt, das errichtet war als „mächtiges Denkmal und Sinnbild der Macht Ludwigs XIV., einer Macht, welche bis zu einem gewissen Grade durch die Demütigung Deutschlands gesichert worden war“. Entthront durch ein Unheil, „so schauderhaft, daß es in der ganzen Welt widerhallte“, verfiel dieser falsche und prahlerische Monarch schließlich, und bis zu seinem Tode, der gleichen Verbannung wie jene, die er im Falle von Bahá’u’lláh so herzlos übersehen hatte.
12:9 [88] Eine weniger dramatische, aber geschichtlich noch bedeutsamere Demütigung erwartete Papst Pius IX. An ihn, der sich als den Vertreter Christi ansah, schrieb Bahá’u’lláh, daß „das Wort, welches der Sohn (Jesus) verbarg, geoffenbart wurde“, daß „es in Gestalt des menschlichen Tempels herabgesandt wurde“, daß Er selbst das Wort und der Vater sei. Ihm, der sich als „Diener der Diener Gottes“ betitelte, verkündete der verheißene aller Zeitalter, seine Stufe in ihrer ganzen Fülle entschleiernd, daß „Er, der Herr der Herrn, gekommen ist, überschattet von Wolken“. Der Papst war es, der bei seinem Anspruch, der Nachfolger Petri zu sein, von Bahá’u’lláh gemahnt wurde: „Dies ist der Tag, da der Fels (Petrus) ausruft und jauchzt .., mit den Worten: Sehet, der Vater ist gekommen, und was euch im Königreiche verheißen wurde ist erfüllt.“ Er, der Träger der dreifachen Krone, war es, der später zum ersten Gefangenen des Vatikans wurde und dem der göttliche Gefangene von ‚Akká befahl, „seine Paläste denen zu überlassen, die sie begehren“, „allen verzierten Kirchenschmuck zu verkaufen“, den er besaß, und „den Erlös auf dem Pfade Gottes dahinzugeben“, „sein Königreich den Königen zu überlassen“ und aus seiner Behausung herauszutreten, sein Angesicht „dem Königreiche zugewandt“.
12:10 Graf Mastai-Ferretti, Bischof von Imola – der 254. Papst seit dem Beginn des Primats des Apostel Petrus – der zwei Jahre nach der Erklärung des Báb auf den apostolischen Thron erhoben wurde und dessen Pontifikat an Dauer das jedes seiner Vorgänger übertraf, wird für immer in der Erinnerung bleiben als Verfasser der Bulle, welche die unbefleckte Empfängnis der gebenedeiten Jungfrau erklärte (1854), was im Kitáb-i-Íqán als Kirchenlehrsatz erwähnt wird, und als Verkünder des neuen Dogmas von der Unfehlbarkeit des Papstes (1870). Eine herrschsüchtige Natur, ein schlechter Staatsmann, unversöhnlich, entschlossen, alle seine Machtbefugnisse zu wahren, konnte er, obgleich er durch Annahme einer ultramontanen Haltung seine Stellung fortwährend abgrenzte und seine geistige Amtsgewalt stärkte, schließlich jene weltliche Herrschaft doch nicht behaupten, die so viele Jahrhunderte lang von den Häuptern der katholischen Kirche ausgeübt worden war.
12:11 [89] Diese weltliche Macht war im Laufe der Zeiten auf einen unbedeutenden Bruchteil zusammengeschrumpft. Die Jahrzehnte, die ihrem Erlöschen vorangingen, waren voll der schwersten Wechselfälle. Als die Sonne der Offenbarung Bahá’u’lláhs zum vollen Mittagsglanze aufstieg, wurden die Schatten, welche das dahinschwindende Patrimonium Petri befielen, entsprechend tiefer. Das Tablet Bahá’u’lláhs an Pius IX. beschleunigte den Untergang. Ein flüchtiger Blick auf die Bahn seines sinkenden Glückes während jener Jahrzehnte wird genügen: Napoleon I. hatte den Papst aus seinem Besitz vertrieben. Der Wiener Kongreß hatte ihn als dessen Oberhaupt und die Priester in dessen Verwaltung wieder eingesetzt. Korruption, Zerrüttung und die Unfähigkeit, die innere Sicherheit zu verbürgen, sowie die Wiederherstellung der Inquisition hatten einen Geschichtsschreiber zu der Behauptung veranlaßt, daß „kein Land in Italien, ja in Europa, mit Ausnahme der Türkei, so regiert werde wie dieser Kirchenstaat“. „Rom war eine Ruinenstadt, materiell wie moralisch.“ Aufstände führten zum Eingreifen Österreichs. Fünf Großmächte verlangten die Einführung weitreichender Reformen, welche der Papst versprach, aber nicht durchführen konnte. Österreich griff wiederum ein, erfuhr aber den Widerstand Frankreichs. Beide belauerten sich wegen der päpstlichen Besitzungen bis 1838, als mit ihrem Rückzug der Absolutismus aufs neue eingeführt wurde. Die weltliche Macht des Papstes wurde nunmehr von einigen seiner eigenen Untertanen öffentlich angeprangert und damit ihr Untergang im Jahre 1870 angekündigt. Innere Verwicklungen zwangen ihn, in stockfinsterer Nacht und als einfacher Priester verkleidet, zur Flucht aus Rom, das zur Republik erklärt wurde. Später wurde durch die Franzosen sein früherer Status wiederhergestellt. Die schaffung eines Königreiches Italien, die unzuverlässige Politik Napoleons III., das Unheil von Sedan und die von Clarendon auf dem den Krimkrieg abschließenden Pariser Kongreß öffentlich als ein „schandfleck Europas“ bezeichneten Untaten der päpstlichen Regierung besiegelten das Schicksal dieser wankenden Herrschaft.
12:12 [90] 1870, nachdem Bahá’u’lláh seinen Brief an Pius IX. geoffenbart hatte, trat Viktor Emanuel I. in den Krieg mit den päpstlichen Staaten, und seine Truppen zogen in Rom ein und besetzten es. Am Vorabend dieser Besetzung begab sich der Papst in den Lateran und stieg, das Gesicht in Tränen gebadet, trotz seines Alters mit gebeugten Knien die Scala Santa hinan. Am nächsten Morgen, als die Beschießung begann, befahl er, die weiße Flagge über dem Petersdom zu hissen. Seines Besitzes beraubt, weigerte er sich, diese „Schöpfung der Revolution“ anzuerkennen, exkommunizierte die Eindringlinge in seine Staaten und klagte Viktor Emanuel öffentlich an als „Räuberkönig“ und als „jeden religiösen Grundsatzes bar, als Verächter des Rechts und Vergewaltiger jeden Gesetzes“. Rom, „die ewige Stadt, auf welcher fünfundzwanzig Jahrhunderte des Ruhmes ruhen“ und über welcher die Päpste mit nie bestrittenem Rechte zehn Jahrhunderte lang geherrscht hatten, wurde schließlich zum Sitze eines neuen Königreiches und zum Schauplatz der Demütigung, die Bahá’u’lláh vorausgeschaut und die der Gefangene des Vatikans sich selbst aufgebürdet hatte.
12:13 „Die letzten Jahre des alten Papstes“, schreibt ein Biograph, „waren mit Qualen erfüllt. Zu seinen körperlichen Gebrechen trat noch der Gram, allzuoft sogar im Herzen Roms den Glauben gröblich beleidigt, die religiösen Orden beraubt und verfolgt, die Bischöfe und Priester an der Ausübung ihrer Amtshandlungen verhindert zu sehen.“
12:14 Jede Anstrengung, die 1870 geschaffene Lage wieder rückgängig zu machen, erwies sich als vergeblich. Der Erzbischof von Posen ging nach Versailles, um Bismarcks Einschreiten zugunsten des Papsttums zu erbitten, wurde aber kühl empfangen. später wurde eine katholische Partei in Deutschland gebildet, um einen politischen Druck auf den deutschen Reichskanzler auszuüben. Aber alles war vergebens. Das mächtige, schon erwähnte Geschehen mußte unerbittlich seinen Lauf nehmen. Noch jetzt, nachdem über ein halbes Jahrhundert vergangen ist, hat die sogenannte Restauration der weltlichen Herrschaft nur dazu gedient, die Hilflosigkeit dieses ehemals mächtigen Herrschers noch stärker hervortreten zu lassen, bei dessen Namen Könige zitterten und dessen Doppelherrschaft sie sich völlig unterwarfen. Diese weltliche Herrschaft des Papstes, die tatsächlich auf die Zwergstadt des Vatikans begrenzt war und Rom als unbestrittenen Besitz einer anderen weltlichen Monarchie überließ, wurde erlangt für den Preis einer rückhaltlosen, so lange verweigenen Anerkennung des Königreiches Italien. Der Lateranvertrag, der ein für alle Mal die römische Frage gelöst haben will, hat tatsächlich einer weltlichen Macht hinsichtlich der eingeschlossenen Stadt eine Handlungsfreiheit gesichert, die voll Ungewißheit und Gefahr ist. „Die beiden Seelen der ewigen Stadt“, hat ein katholischer Schrillsteller bemerkt, „sind voneinander getrennt worden, nur um noch härter als je zuvor zusammenzustoßen“.
12:15 [91] Der höchste Priester mag sich wohl die Regierung des mächtigsten seiner Vorgänger, Innozenz III., ins Gedächtnis rufen, de in den achtzehn Jahren seines Pontifikates Könige und Kaiser einsetzte und absetzte, dessen Interdikte Völker vom christlichen Gottesdienst ausschlossen, dessen Gesandtem der König von England seine Krone zu Füßen legte, und auf dessen Ruf der vierte und der fünfte Kreuzzug unternommen wurden.
12:16 Könnte nicht das schon geschilderte Geschehen, im Laufe seines Wirkens während der wildbewegten Jahre, die der Menschheit noch bevorstehen, auf diesem selben Gebiet eine noch verheerendere Erschütterung zutage treten lassen, als sie bereits von ihm verursacht wurde?
12:17 Der dramatische Zusammenbruch des dritten Kaiserreiches und des napoleonisdien Herrscherhauses und der eigentliche Untergang der weltlichen Herrschaft des Papstes zu Lebzeiten von Bahá’u’lláh waren nur die Vorläufer noch größerer Katastrophen, von denen gesagt werden kann, daß sie die WirkungsZeit ‚Abdu’l-Bahás gekennzeichnet haben. Die Kräfte, entfesselt durch einen Konflikt, dessen volle Bedeutung noch unergründet ist und der als Vorspiel zu diesem verheerendsten aller Kriege betrachtet werden kann, können wohl als Anlaß zu diesen schrecklichen Umwälzungen (des 2. Weltkrieges – Anm, d. Herausg.) angesehen werden. Der Verlauf des Krieges von1914-1918 entthronte das Haus Romanow, während sein Abschluß den Sturz der Herrscherhäuser Habsburg und Hohenzollern beschleunigte.
13 [92] Der Aufstieg des Bolschewismus
13:1 Der Aufstieg des in den Feuern jenes erfolglosen Ringens geborenen Bolschewismus erschütterte und stürzte den Thron des Zaren. Alexander II. Nikolajewitsch, welchem Bahá’u’lláh in seinem Tablet befohlen hatte, „sich zu erheben und die Völker vor Gott zu laden“, welcher dreimal gewarnt worden war: „Hüte dich, daß dich deine Begierde nicht davon abhalte, dich dem Antlitz deines Herrn zuzuwenden“, „hüte dich, daß du diesen erhabenen Rang nicht verscherzest“, „hüte dich, daß dich deine Herrschaft nicht von Ihm fernhalte, welcher der oberste Herrscher ist“ – war wohl nicht der letzte der Zaren, die im Lande herrschten, aber doch der Urheber einer rückschrittlichen Politik, welche sich am Ende für ihn selbst wie auch für seine Dynastie als verhängnisvoll erwies.
13:2 In der letzten Zeit seiner Regierung führte er eine reaktionäre Politik ein, die weithin Enttäuschung hervorrief und den Nihilismus aufkommen ließ, der bei seinem Ausbreiten eine Periode des Terrorismus mit beispiellosen Gewaltakten einleitete, schließlich zu verschiedenen Anschlägen auf das Leben des Zaren führte und in seiner Ermordung gipfelte, strenge Unterdrückung kennzeichnete auch die Politik seines Nachfolgers, Alexanders III., der „eine Haltung herausfordernder Feindseligkeit den Neuerem und Liberalen gegenüber einnahm“. Die überlieferten Grundsätze eines unberechtigten Absolutismus und einer extremen, streng kirchlichen Richtung wurden durch den noch strengeren Nikolaus II. aufrechterhalten, den letzten der Zaren. Er wurde von den Ratschlägen eines Mannes geleitet, der „die Verkörperung eines beschränkten, unbeugsamen Despotismus“ war; durch eine verdorbene Bürokratie unterstützt und durch die unheilvolle Auswirkung eines fremden Krieges gedemütigt, vermehrte er die allgemeine Unzufriedenheit sowohl der Intelligenz wie der Bauern. Für eine Zeitlang in unterirdische Kanäle getrieben und durch militärische Rückschläge entfacht, äußerte sie sich schließlich explosionsartig mitten im großen Krieg in Form einer Revolution, die in der Schaffung einer Ideologie, im Umsturz von Einrichtungen und in dem Gemetzel, das sie beging, kaum ihresgleichen in der modernen Geschichte hat.
13:3 [93] Ein großes Beben ergriff und erschütterte die Grundlagen jenes Landes. Das Licht der Religion wurde verdüstert. Kirchliche Institutionen jedweden Namens wurden hinweggefegt. Der Staatsreligion wurde die Unterstützung entzogen, sie wurde verfolgt und abgeschafft. Ein ungeheures Weltreich wurde zerstückelt. Ein kämpferisches, triumphierendes Proletariat vertrieb die Geistesarbeiter und plünderte und ermordete den Adel. Bürgerkrieg und Krankheit verminderten eine Bevölkerung, die sich ohnehin in den Qualen der Todesangst und Verzweiflung wand. Und schließlich wurde das Haupt des mächtigen Reiches zusammen mit seinen Gefährten, seiner Familie und seiner Dynastie in den Wirbel dieser großen Erschütterung gerissen und ging darin unter.
13:4 Dasselbe Gottesgericht, das so gräßliches Unglück auf das Reich des Zaren häufte, brachte in seiner Abschlußphase den Fall des allmächtigen Deutschen Kaisers und des Erben des einst berühmten Heiligen Römischen Reiches. Es zerschmetterte das ganze Gefüge des kaiserlichen Deutschland, das sich aus dem Unheil, welches das napoleonische Herrscherhaus verschlang, erhoben hatte, und gab auch der Doppelmonarchie den Todesstoß.
13:5 [94] Fast ein halbes Jahrhundert vorher harte Bahá’u’lláh, der in klaren, weithin hallenden Worten den schmählichen Fall des Nachfahren des großen Napoleon vorausgesagt hatte, im Kitáb-i-Aqdas an Kaiser Wilhelm I., den gerade bejubelten Sieger, eine nicht weniger bedeutungsvolle Warnung gerichtet. In Seiner Anrede der Ufer des Rheins hatte Er in ebenso unmißverständlichen Worten das Wehklagen vorausgesagt, welches die Hauptstadt des neu vereinigten Reiches befallen würde.
13:6 „Denke an den“ (Napoleon III.), so redete ihn Bahá’u’lláh an, „dessen Macht deine Macht überragte und dessen Rang deinen Rang übertraf … O König, denke genau über ihn nach, über ihn und über jene, die gleich dir Städte erobert und Menschen beherrscht haben.“ Und ferner: „O Ufer des Rheins! Wir traben euch mit Blut bedeckt gesehen, denn die Schwerter der Vergeltung waren gegen euch gezückt, und ihr werdet es ein zweites Mal erleiden. Und Wir hören das Wehklagen Berlins, obgleich es heute in sichtbarem Ruhm erstrahlt.“
13:7 Auf ihn, der in seinem hohen Alter noch zwei von Verfechtern des heranflutenden Sozialismus verübte Anschläge auf sein Leben überstand, auf seinen Sohn Friedrich III., dessen drei Monate währende Regierung von einer tödlichen Krankheit überschattet war, und schließlich auf seinen Enkel Wilhelm II., den eigenwilligen und anmaßenden Monarchen und Zerstörer seines eigenen Kaiserreiches – auf sie alle fiel in verschiedenem Maße das volle Gewicht der Verantwortung, welche die Folge dieser schrecklichen Verkündigungen war.
13:8 Wilhelm I., der erste Deutsche Kaiser und siebte König von Preußen, der sein ganzes Leben bis zu seiner Thronbesteigung im Heere zugebracht hatte, war ein kriegerischer, selbstherrlicher, mit veralteten Ideen erfüllter Herrscher. Mit Hilfe eines Staatsmannes, der zu Recht als „eines der Genies seines Jahrhunderts“ betrachtet wurde, rief er eine Politik ins Leben, die sozusagen ein neues Zeitalter nicht nur für Preußen, sondern für die ganze Welt eingeleitet hat. Diese Politik wurde mit charakteristischer Gründlichkeit verfolgt und vervollkommnet durch Unterdrückungsmaßnahmen, die sie sichern und stützen sollten, durch Kriege, die zu ihrer Verwirklichung geführt wurden, und durch politische Bündnisse, die dann zu ihrer Erhöhung und Festigung geschlossen wurden, Bündnisse, die voll schrecklicher Konsequenzen für den europäischen Erdteil waren.
13:9 [95] Wilhelm II., vom Temperament her ein Diktator, politisch unerfahren, militärisch aggressiv und religiös unaufrichtig, gab sich als Apostel des europäischen Friedens aus, bestand jedoch in Wirklichkeit auf „der gepanzerten Faust“ und „der glänzenden Rüstung“. Verantwortungslos, taktlos und übermäßig ehrgeizig, war seine erste Tat, jenen klugen Staatsmann, den wahren Begründer seines Kaiserreiches, zu entlassen, dessen Weisheit Bahá’u’lláh anerkannt hatte, während die Unklugheit seines kaiserlichen, undankbaren Herrn von ‚Abdu’l-Bahá bezeugt worden war. Der Krieg wurde im Lande des Kaisers zur Religion, und durch Erweiterung der Ziele seiner mannigfaltigen Tätigkeiten fuhr er fort, den weg zu jenem schließlichen Zusammenbruch zu bereiten, der ihn und sein Haus entthronen sollte. Als der Krieg ausbrach, die Macht seiner Heere seine Gegner scheinbar überwältigt hatte und die Nachrichten seiner Triumphe ins Ausland drangen und auch im fernen Persien widerhallten, da erhoben sich Stimmen, die jene stellen des Kitáb-i-Aqdas bespöttelten, welche so klar das Unglück, das seine Haupstadt befallen sollte, voraussagten, jedoch plötzlich überraschten ihn verhängnisvoll schnelle, unvorhergesehene Rückschläge. Die Revolution brach aus, Wilhelm II. verließ sein Heer und floh schmachvoll nach Holland, gefolgt vom Kronprinzen. Die Fürsten der deutschen Staaten dankten ab. Eine Zeit des Chaos folgte. Die kommunistische Fahne wurde in der Hauptstadt gehißt, die zu einem Hexenkessel der vorwirrung und des Bürgerkrieges wurde. Der Kaiser unterzeichnete seine Abdankung. Die Verfassung von Weimar errichtete die Republik und ließ auf diese weise den ungeheuren, durch die Politik von Blut und Eisen so mühsam aufgeführten Bau vollends krachend zusammenstürzen. Alle die einstigen Anstrengungen nach jenem Ziel, das seit der Besteigung des preußischen Thrones durch Wilhelm I, mit inneren Gesetzen und äußeren Kriegen stets so emsig erstrebt worden war, wurden zunichte. „Das Wehklagen Berlins“, das durch die Bedingungen eines ungeheuerlich strengen Vertrages gequält wurde, erscholl im Gegensatz zu den freudigen Siegesrufen, die ein halbes Jahrhundert vorher im Spiegelsaal des Schloßes von Versailles laut geworden waren.
13:10 [96] Der Habsburger Monarch, der Erbe einer jahrhundertealten ruhmvollen Geschichte, stürzte zu gleicher Zeit vom Throne. Es war Franz Joseph, den Bahá’u’lláh im Kitáb-i-Aqdas tadelte, nicht seine Sache erforscht und seine Gegenwart aufgesucht zu haben, als er dies so leicht hätte tun können, während er das Heilige Land besuchte. „Du zogst an Ihm vorbei“, so wirft Er dem Pilgerkaiser vor, „und forschtest nicht nach Ihm … wir sind allezeit mit dir gewesen und fanden dich den Zweig festhaltend und der Wurzel nicht achtend … Öffne deine Augen, auf daß du diese herrliche Erscheinung schauen und Ihn, den du des Tages und zur Nachtzeit anrufst, erkennen und das Licht, das über diesem leuchtenden Horizont strahlt, erblicken mögest.“
13:11 Das Haus Habsburg, in welchem der Kaisertitel fast fünf Jahrhunderte lang erblich geblieben war, wurde, seit jene Worte ausgesprochen waren, in zunehmendem Maße durch die Kräfte innerer Zersetzung bedroht und säte die Saaten äußeren Konflikts. Beiden mußte es schließlich erliegen. Franz Joseph, Kaiser von Österreich und König von Ungarn, ein reaktionärer Herrscher, führte alte Mißstände wieder ein, übersah die Rechte der Nationalitäten und stellte jene Zentralisierung der Ämter wieder her, die sich schließlich seinem Reiche so nachteilig erwies. Wiederholte Tragödien verdüsterten seine Regierungszeit. Sein Bruder Maximilian wurde in Mexiko erschossen. Kronprinz Rudolf ging in einer unehrenhaften Affäre unter. Die Kaiserin wurde in Genf ermordet. Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin wurden in Serajewo ermordet. Dies löste einen Krieg aus, in dessen Verlauf der Kaiser selbst starb und damit eine Regierungszeit abschloß, die an Unheil, das sie dem Volk brachte, von keiner anderen übertroffen wurde.
14 [97] Das Ende des Heiligen Römischen Reiches
14:1 Verspätete Anstrengungen waren noch gemacht worden, seinen wankenden Thron zu festigen. Das „morsche Kaiserreich“, ein Gemisch von Staaten, Rassen und Sprachen, ging jedoch unaufhaltsam und schnell seiner Auflösung entgegen. Die politische und wirtschaflliche Situation war verzweifelt. Die Niederlage Österreich-Ungarns in eben diesem Kriege läutete seine Totenglocken und brachte seine Zerstückelung. Ungarn löste seine Verbindung. Das zusammengewürfelte Reich wurde zerrissen und alles, was von dem einst gefürchteten Heiligen Römischen Reich übrigblieb, war eine zusammengeschrumpfte Republik, die ein elendes Dasein führte, bis sie in neuerer Zeit (1941 – Anm. d. Herausg.), anders als ihr Schwestervolk, von der politischen Karte Europas völlig ausgelöscht und weggestrichen wurde.
14:2 Das war das Schicksal der Reiche der Napoleoniden, der Romanow, der Hohenzollern und der Habsburger, deren Herrscher einschließlich des souveränen Inhabers des päpstlichen Thrones von der Feder des Höchsten einzeln angeredet und dann, je nachdem, vermahnt, vorher gewarnt, verurteilt, zurechtgewiesen und belehrt wurden.
14:3 Welches Schicksal erfuhren nun jene Herrscher, die eine direkte staatliche Rechtsgewalt über den Glauben, seine Begründer und Anhänger ausübten und in deren Herrschaftsbereichen dieser Glaube geboren und zuerst verbreitet wurde, denen es also freistand, seinen Verkünder zu kreuzigen, seinen Begründer zu verbannen und seine Anhänger niederzumetzeln?
15 [98] Was geschah mit der Türkei und Persien?
15:1 Schon zu Lebzeiten Bahá’u’lláhs und später während des Wirkens von ‚Abdu’l-Bahá fielen die ersten Schläge einer langsamen, doch andauernden und unbarmherzigen Vergeltung gleicherweise auf die Herrscher des türkischen Hauses der Osmanen wie auf das Geschlecht der Kadscharen in Persien, die Erzfeinde des jungen Gottesglaubens, Sultán ‚Abdu’l-‚Azíz verlor seine Macht und wurde bald nach Bahá’u’lláhs Verbannung aus Adrianopel ermordet, während Násiri’d-Dín Sháh zur Zeit der Einkerkerung ‚Abdu’l-Bahás in der Festungsstadt ‚Akká einem Mordanschlag erlag. Es war jedoch der formbildenden Periode des Gottesglaubens vorbehalten, dem Zeitalter der Geburt und des Aufstiegs der Verwaltungsordnung – die, wie bereits dargelegt, mit ihrer Entfaltung solchen Aufruhr in die Welt bringt -, Zeuge zu sein nicht nur des Untergangs der beiden Herrschergeschlechter, sondern auch der Zwillingseinrichtung des Sultanats und des Kalifats.
15:2 Von den beiden Gewaltherrschern war ‚Abdu’l-‚Azíz der mächtigere, ranghöhere, an Schuld beladenere, und er war mehr an der Trübsal und dem Geschick des Gründers unseres Glaubens beteiligt. Er hatte durch seine Erlasse Bahá’u’lláh dreimal verbannt, und in seinem Herrschaftsgebiet verbrachte der Offenbarer fast die ganze Zeit seiner vierzigjährigen Gefangenschaft während seiner Regierung und der seines Neffen und Nachfolgers ‚Abdu’l-Hamid II. hatte der Mittelpunkt des Bündnisses (‚Abdu’l-Bahá) nicht weniger als vierzig Jahre lang in der Gefängnisstadt ‚Akká eine von vielen Gefahren, Beleidigungen und Entbehrungen erfüllte Kerkerhaft auszuhalten.
15:3 „Lausche, o König“, so lautet die von Bahá’u’lláh an Sultán ‚Abdu’l-‚Azíz gerichtete Mahnung, „den Worten Dessen, der die Wahrheit spricht, Ihm, der von dir keine Belohnung für sich fordert durch Dinge, die Gott dir zu gewähren beliebt hat, Ihm, der unbeirrt den Geraden Pfad wandelt … Befolge, o König, aus innerstem Herzen und mit deinem ganzen Sein die Gebote Gottes und wandle nicht auf dem Pfade des Tyrannen … Setze dein Vertrauen nicht auf deine Schätze. Lege deine ganze Zuversicht in die Gnade Gottes, deines Herrn … überschreite nicht die Grenzen der Mäßigung und verfahre gerecht mit denen, die dir dienen … Halte dir Gottes unbeirrbare Waage vor Augen und wäge wie einer, der in Seiner Gegenwart steht, auf dieser Waage deine Taten jeden Tag, jeden Augenblick deines Lebens. Ziehe dich zur Rechenschaft, ehe du zur Abrechnung gerufen wirst an dem Tage, da kein Mensch aus Furcht vor Gott die Kraft haben wird, aufrecht zu stehen, an dem Tage, da die Herzen der Achtlosen erzittern werden.“
15:4 [99] „Der Tag naht heran“, so weissagt Bahá’u’lláh im Lawh-i-Ra’ís, „da das Land der Geheimnisse (Adrianopel) und seine Umgebung verwandelt und den Händen des Königs entgleiten werden, Aufruhr wird entstehen, die Stimme des Wehklagens erschallen und die Zeilen des Unheils werden überall offenbar werden, und Verwirrung wird sich ausbreiten um dessentwillen, was diesen Gefangenen zugestoßen ist von den Scharen der Unterdrücker. Der Lauf der Dinge wird sich ändern, und die Zustände werden so drückend werden, daß sogar die Sandkörner auf den öden Hügeln stöhnen und die Bäume auf den Bergen weinen werden, und Blut wird überall fließen. Dann wirst du das Volk in schmerzlichem Elend schauen.“
15:5 „Bald“, hat Er weiter geschrieben, „wird Er euch in Seinem grimmen Zorn ergreifen, Aufruhr wird sich in eurer Mitte erheben und eure Herrschaftsgebiete werden auseinandergerissen werden. Dann werdet ihr heulen und wehklagen und werdet niemanden finden, der euch helfen und beistehen könnte … Manches Mal hat Unglück euch befallen, und doch habt ihr völlig versäumt, dessen zu achten. Eines davon war die Feldersbrunst, die den größten Teil der Stadt (Konstantinopel) mit den Flammen der Gerechtigkeit verzehrte und worüber viele Gedichte geschrieben wurden, die besagten, daß ein solches Feuer noch nie gesehen wurde. Und doch wurdet ihr noch achtloser … Desgleichen brach eine Seuche aus, und ihr beachtetet dies immer noch nicht. Doch seid auf eurer Hut, denn Gottes Zorn wird euch befallen. Binnen kurzem werdet ihr schauen, was aus der Feder Meines Befehls herabgesandt wurde.“
15:6 [100] In einem anderen Tablet, in dem Er den Fall des Sultanats und des Kalifats vorausschaut, tadelt Er die vereinten Mächte des sunnitischen und des schiitischen Islám: „Durch eure Taten ist die erhabene Stufe des Volkes erniedrigt, die Standarte des Islám umgestoßen und sein mächtiger Thron gestürzt worden.“
15:7 Und schließlich im Kitáb-i-Aqdas, das bald nach Bahá’u’lláhs Verbannung nadi ‚Akká geoffenbart wurde, redet Er den Sitz der türkischen kaiserlichen Macht also an: „O Ort, der du an den Küsten zweier Meere gelegen bist! Wahrlich, der Thron der Tyrannei ist auf dir errichtet und die Flamme des Hasses ist in deinem Busen entzündet worden … In der Tat, du bist von offenbarem Stolz erfüllt. Hat deine äußere Pracht dich hochmütig gemacht? Bei Ihm, dem Herrn des Menschengeschlechtes! Sie wird rasch vergehen, und deine Töchter und deine Witwen und alle deines Stammes, die in dir wohnen, werden wehklagen. Dies verkündet dir der Allwissende, der Allweise.“
15:8 Tatsächlich wird an einer höchst bemerkenswerten Stelle im Lawh-i-Fu’ád, worin der Tod des türkischen Außenministers Fu’ád Páshá erwähnt ist, der Sturz des Sultáns selbst unmißverständlich vorausgesagt: „Bald werden Wir den einen (‚Alí Páshá), der ihm glich, hinwegnehmen und werden an ihr Oberhaupt (Sultán ‚Abdu’l-‚Azíz), welches das Land regiert, Hand legen, denn Ich bin wahrlich der Allmächtige, der Allbezwinger.“
15:9 Des Sultáns Reaktion auf diese, auf seine Person, sein Reich, seinen Thron, seine Hauptstadt und seine Minister bezüglichen Worte kann aus der Schilderung der Leiden, die er Bahá’u’lláh zufügte und die schon am Anfang dieses Buches berichtet sind, entnommen werden. Das Erlöschen der „äußeren Pracht“, die diesen Sitz kaiserlicher Macht umgab, ist der Gegenstand, den ich nun des weiteren erklären werde.
16 [101] Der Untergang des türkischen Reiches
16:1 Ein umwälzendes Geschehen, eines der bemerkenswertesten der neuesten Geschichte, geriet von der Zeit an in Bewegung, da Bahá’u’lláh als Gefangener in Konstantinopel einem türkischen Beamten seine an Sultán ‚Abdu’l-‚Azíz und dessen Minister gerichtete Schrift übergab, die an ‚Alí Páshá, den Großwesir, weitergeleitet werden sollte. Es war dieses Tablet, das, wie durch diesen Beamten bezeugt und durch Nabíl in seiner Chronik bestätigt wird, den Großwesir beim Lesen so tief ergriff, daß er erbleichte. Dieses Geschehen erhielt neuen Antrieb, als das Lawh-i-Ra’ís zu Beginn der letzten der Verbannungen seines Verfassers von Adrianopel nach ‚Akká geoffenbart wurde. Unbarmherzig, verheerend, mit immer gesteigerter Wucht wuchs es sich zum Verhängnis aus, schädigte das Ansehen des Reiches, zerstückelte sein Gebiet, entthronte seine Sultáne, fegte deren Dynastie hinweg, nahm seinen Kalifen Amt und Würden, löste seine Religion vom Staat und löschte seinen Ruhm aus. Der „kranke Mann“ Europas, dessen Zustand von dem göttlichen Arzt unfehlbar diagnostiziert und dessen Untergang als unvermeidlich verkündet worden war, brach während der Regierung von fünf Sultánen – alle entartet, alle entthront – als Raub einer Reihe von Erschütterungen zusammen, die sich auf die Dauer als verhängnisvoll für sein Leben erwiesen. Das türkische Sultanat, das unter ‚Abdu’l-Majíd in das europäische Konzert aufgenommen und siegreich aus dem Krimkrieg hervorgegangen war, geriet unter dessen Nachfolger ‚Abdu’l-‚Azíz in eine Zeit raschen Niedergangs, die bald nach ‚Abdu’l-Bahás Hinscheiden in dem Untergang endete, den Gottes Gericht über dieses Reich ausgesprochen hatte.
16:2 [102] Aufstände in Kreta und auf dem Balkan kennzeichneten die Regierung dieses 32. Sultáns seines Geschlechtes, eines Despoten, dessen Gemüt leer und dessen Leichtsinn ungeheuer waren und dessen Ausschweifungen keine Grenzen kannten. Die östliche Frage trat in ein akutes Stadium. Seine grobe Mißregierung ließ Bewegungen aufkommen, die weitreichende Wirkungen auf sein Reich ausüben sollten, während seine fortwährenden, übermäßigen Anleihen ihn an den Rand des Bankrottes brachten und das System ausländisdier Kontrolle über die Finanzen seines Reiches einleiteten. Eine Verschwörung, die zu einer Palastrevolution führte, setzte ihn schließlich ab. Eine Fatvá (Urteil, Rechtsgutachten) des Muftí bezichtigte ihn der Unfähigkeit und der Verschwendung. Vier Tage später wurde er ermordet, sein Nachfolger war sein Neffe, Murád V., dessen Geist durch Ausschweifung und durch eine lange Abgeschlossenheit im Gefängnis zu einem Nichts geworden war. Für schwachsinnig erklärt, wurde er nach einer Regierung von drei Monaten abgesetzt. sein Nachfolger war der heimtückische, wendige, argwöhnische, tyrannische ‚Abdu’l-Hamid II., der „sich als der gemeinste, listigste, unzuverlässigste und grausamste Ränkeschmied des alten Herrschergeschlechtes der Osmanen erwies“. „Niemand“, so wurde über ihn geschrieben, „wußte, wer gerade an diesem Tag die Person war, auf deren Rat hin der Sultán über seine Ministerpuppen schaltete, ob eine Lieblingsfrau seines Harems oder ein Eunuch oder irgendein fanatischer Derwisch oder ein Astrologe oder ein Spion“. Die Unmenschlichkeiten in Bulgarien eröffneten die finstere Regierung dieses „großen Meuchelmörders“, die Europa vor Schaudern erzittern ließen und von Gladstone als „der gemeinste und schwärzeste Schandfleck in der Chronik jenes (19.) Jahrhunderts“ gekennzeichnet wurden. Der Krieg von 1877-78 beschleunigte den Prozeß der Zerstückelung des Reiches. Nicht weniger als elf Millionen Menschen wurden vom türkischen Joche befreit. Russische Truppen besetzten Adrianopel. serbien, Montenegro und Rumänien erklärten ihre Unabhängigkeit. Bulgarien wurde ein dem Sultán tributpflichtiger Staat mit eigener Regierung. Zypern und Ägypten wurden besetzt. Die Franzosen übernahmen das Protektorat über Tunis. Ostrumelien wurde an Bulgarien abgetreten. Die Massenabschlachtungen der Armenier, die unmittelbar und mittelbar hunderttausend Menschen erfaßten, waren nur ein Vorgeschmack der noch ausgedehnteren Gemetzel, die unter einer späteren Regierung folgten. Bosnien und die Herzegowina gingen an Österreich verloren. Bulgarien erreichte seine Unabhängigkeit. Allgemeine Verachtung und Haß gegen einen schändlichen Herrscher, gleicherweise von seinen christlichen wie von seinem muhammadanischen Untertanen gehegt, gipfelten schließlich in einer raschen und alles hinwegfegenden Revolution. Der Ausschuß der Jungtürken sicherte sich vom Shaykhu’lIslám die Verurteilung des Sultáns. Verlassen und ohne Freunde, verabscheut von seinen Untertanen und verachtet von den anderen Herrschern, wurde er zur Abdankung gezwungen und zum staatsgefangenen gemacht. So endete seine Regierung, die „unheilvoller war durch ihre unmittelbaren Gebietsverluste und durch die Gewißheit, daß noch andere folgen würden, und auffallender durch die Verschlechterung der Lebensbedingungen der Untertanen, als die irgendeiner anderen seiner dreiundzwanzig entarteten Vorgänger seit dem Tode Solimans des Prächtigen“.
16:3 [103] Das Ende einer so schändlichen Regierung war aber der Beginn einer neuen Zeit, die, wie freudig sie auch zuerst begrüßt wurde, doch dazu bestimmt war, Zeuge des Zusammenbruchs des wackeligen und wurmstichigen osmanisdien Staates zu sein. Muhammad V., ein Bruder ‚Abdu’l-Hamíds II., eine reine Null, erwies sich unfähig, den Zustand seiner Untertanen zu verbessern. Die Torheiten seiner Regierung besiegelten schließlich den Untergang des Reiches. Der Krieg von 1914-18 brachte die Gelegenheit. Militärische Ruckschläge ließen die Kräfte hochkommen, die seine Grundlagen untergruben. während der Krieg noch ausgefochten wurde, deuteten der Abfall des Emirs von Mekka und der Aufstand der arabischen Provinzen schon auf die Erschütterungen hin, welche den türkischen Thron bedrohten. Die überstürzte Flucht und völlige Auflösung des Heeres Jamál Päshäs, des Oberbefehlshabers in syrien – der nach seiner siegreichen Rückkehr aus Ägypten geschworen hatte, das Grab Bahá’u’lláhs dem Erdboden gleichzumachen und den Mittelpunkt des Bündnisses auf einem Marktplatz in Konstantinopel vor aller Augen zu kreuzigen – war das Signal für die Rachegöttin, die ein Reich in Not stürzen sollte. Neun Zehntel der großen türkischen Armee war dahingeschmolzen. Ein Viertel der ganzen Bevölkerung war durch Krieg, Seuchen, Hunger und Gemetzel umgekommen.
16:4 [104] Ein neuer Herrscher, Muhammad VI., der letzte in der Reihe der fünfundzwanzig entarteten Sultáne, war nun seinem jämmerlichen Bruder nachgefolgt. Der Bau seines Reiches zitterte und wankte jetzt seinem Sturz entgegen. Mustafá Kamál gab ihm den Gnadenstoß: Die Türkei, nunmehr zu einem kleinen asiatischen Staat zusammengeschrumpft, wurde eine Republik. Der Sultán wurde abgesetzt, das osmanische Sultanat war zu Ende, ein Herrschertum, das sechseinhalb Jahrhunderte ununterbrochen gedauert hatte, war erloschen. Ein Reich, das sich von der Mitte Ungarns bis zum Persischen Golf und zum Sudan und vom Kaspischen Meer bis oran in Afrika erstreckt hatte, war nun zu einer kleinen asiatischen Republik herabgesunken. Konstantinopel selbst, das nach dem Fall von Byzanz als die glänzende Metropole des Römischen Reiches geehrt und zur Hauptstadt des osmanischen Reiches gemacht worden war, wurde von seinen einstigen Eroberern aufgegeben und seines Pompes und Ruhmes entkleidet – ein stummer Zeuge der gemeinen Tyrannei, die so lange seinen Thron befleckt hatte.
16:5 Das waren in knappen Umrissen die schrecklichen Beweise jener vergeltenden Gerechtigkeit, die so tragisch ‚Abdu’l-‚Azíz, seine Nachfolger, seinen Thron und seine Dynastie befiel. Was geschah nun mit Násiri’d-Dín Sháh, dem anderen Teilnehmer an jener kaiserlichen Verschwörung, die den keimenden Gottesglauben mit Wurzeln und Zweigen auszurotten suchte? seine Reaktion auf die göttliche Botschaft, die ihm von dem furchtlosen Badí, dem „Stolz der Märtyrer“, gebracht wurde, der sich aus freiem Entschluß dazu erboten hatte, war kennzeichnend für jenen unversöhnlichen Haß, der seine ganze Regierungszeit hindurch so heftig in seiner Brust glühte.
17 [105] Göttliche Vergeltung am Hause der Kadscharen
17:1 Der französische Kaiser hatte, wie berichtet, Bahá’u’lláhs Tablet fortgeschleudert und, wie Bahá’u’lláh selbst bestätigt, seinen Minister angewiesen, dem Verfasser eine unehrerbietige Antwort zu senden. Der Großwesir von ‚Abdu’l-‚Azíz – das ist zuverlässig festgestellt – erbleichte, als er die Mitteilung an seinen kaiserlichen Herrn und dessen Minister las, und tat folgende Äußerung: „Es ist, als gäbe der König der Könige seinen Befehl an seinen untersten Vasallenkönig und rüge dessen Verhalten.“ Königin Viktoria soll beim Lesen des für sie geoffenbarten Tablets bemerkt haben: „Wenn dies von Gott ist, wird es fortdauern; wenn nicht, kann es keinen Schaden anrichten.“ Es war jedoch Násiri’d-Dín Sháh vorbehalten, auf Anstiften der Geistlichen hin seine Rache an ihm, den er nicht länger persönlich strafen konnte, dadurch auszuüben, daß er diesen Boten, einen Jüngling von etwa 17 Jahren, gefangennahm, mit Ketten belud, auf der Folter quälte und schließlich tötete.
17:2 Diesem despotischen Herrscher hatte Bahá’u’lláh, dcr ihn als den „Fürsten der Unterdrücker“ bezeichnete und als einen, der bald zu einem „Schulbeispiel für die Welt“ werden würde, geschrieben: „O König, blicke auf diesen jungen Mann mit den Augen der Gerechtigkeit. Beurteile sodann aufrichtig, was Ihn (d.i. Bahá’u’lláh) befallen hat. Wahrlich, Gott hat dich unter den Menschen zu Seinem Schatten gemacht und zum Zeichen Seiner Macht für alle, die auf Erden wohnen.“ Und ferner: „O König! Würdest du dein Ohr dem Zirpen der Feder der Herrlichkeit und dem Gurren der Taube der Ewigkeit zuneigen …, so würdest du zu einer Stufe gelangen, von der aus du in der Welt des Daseins nichts als den Glanz des Angebeteten schauen und deine Herrschaft als das Verachtungswürdigste deiner Besitztümer ansehen würdest und sie jedem überließest, der sie gerade begehrt, und du würdest dein Angesicht dem Horizonte zuwenden, der im Lichte Seines Antlitzes erglüht.“ Und wiederum: „Wir sind jedoch geneigt zu hoffen, daß Seine Majestät der Sháh diese Dinge selbst erforschen und den Herzen Hoffnung bringen werde. Was Wir dir unterbreitet haben, dient fürwahr deinem höchsten Glück.“
17:3 [106] Diese Hoffnung sollte jedoch unerfüllt bleiben. sie wurde in der Tat vernichtet durch eine Regierung, die mit der Hinrichtung des Báb und der Einkerkerung Bahá’u’lláhs im Siyáh-Chál von Tihrán begonnen hatte, durch einen Herrscher, der wiederholt Bahá’u’lláhs aufeinanderfolgende Verbannungen veranlaßt hatte, und durch ein Herrscherhaus, das sich durch die Hinmetzelung von nicht weniger als zwanzigtausend seiner Anhänger befleckt hatte. Die dramatische Ermordung des Sháh, die schimpfliche Regierung der letzten Herrscher aus dem Hause der Kadscharen und das Verlöschen dieses Geschlechtes waren die Kennzeichen der göttlichen Vergeltung, die von diesen Abscheulichkeiten herausgefordert worden war.
17:4 Die Kadscharen aus dem fremden Turkmenenstamme hatten den persischen Thron tatsächlich zu Unrecht an sich gerissen. Áqá Muhammad Khán, der Eunuchenschah und Begründer des Herrscherhauses, war ein so abscheulicher, gieriger, blutdürstiger Tyrann, daß das Andenken keines Persers so verabscheut und allgemein verflucht ist wie das seine. Die Chronik seiner Regierung und der seiner unmittelbaren Nachfolger zeugt von Wandalismus, inneren Kriegen, widerspenstigen und aufrührerischen Häuptlingen, von Räubereien und mittelalterlicher Unterdrückung, während die Annalen späterer Kadscharen durch den Stillstand der Nation, die Unwissenheit des Volkes, die Verdorbenheit und Unfähigkeit der Regierung, die schändlichen Ränke des Hofes, die Entartung der Prinzen, die Verantwortungslosigkeit und die Ausschweifungen des Herrschers und seine elende Unterwürfigkeit unter eine offenkundig heruntergekommene Priesterkaste gekennzeichnet sind.
17:5 [107] Der Nachfolger Áqá Muhammad Khans, der den Frauen verfallene, nachkommenreiche Fath-‚Alí-Sháh, der sogenannte „Darius des Zeitalters“, war ein eitler, anmaßender, gewissenloser Geizhals, berüchtigt wegen der Unzahl seiner Frauen und Kebsweiber, die sich auf über tausend belief, wegen seiner zahllosen Nachkommenschaft und wegen des Unheils, das seine Regierung über das Land brachte. Er war es, der befahl, seinen Wesir, dem er den Thron verdankte, in einen Kessel mit siedendem Öl zu werfen. Was seinen Nachfolger, den frömmelnden Muhammad-Sháh betrifft, so war eine seiner ersten, durch Bahá’u’lláhs Feder klar verdammten Taten der Befehl, seinen obersten Minister, den erlauchten Qá’ím-Maqám, der von derselben Feder als der „Fürst in der Stadt der Staatskunst und der literarischen Bildung“ unsterblich gemacht wurde, zu erdrosseln und ihn durch den gemeinen, abgefeimten Schurken Hájí Mírzá Áqásí, der das Land an den Rand des Bankrotts und der Revolution brachte, zu ersetzen. Es war eben dieser Sháh, der dem Báb eine Unterredung verweigerte und ihn in Ádhirbáyján gefangensetzte und der im Alter von vierzig Jahren von einer Reihe von Krankheiten befallen wurde, denen er erlag, somit das Schicksal beschleunigend, das durch die folgenden Worte im „Qayyúmu’l-Asmá'“ vorausgesagt war: „O Sháh! Ich schwöre bei Gott! Wenn du Ihm, welcher Sein Gedenken ist, Feindschaft erweist, wird dich Gott am Tage der Auferstehung vor den Königen zu höllischem Feuer verdammen, und du wirst, das ist gewißlich wahr, an jenem Tage keinen Helfer finden außer Gott, dem Erhabenen.“
17:6 [108] Násiri’d-Dín Sháh, ein selbstsüchtiger, launischer, anmaßender Monarch, folgte auf den Thron und war dazu bestimmt, ein halbes Jahrhundert lang der einzige Gebieter über die Geschicke dieses unglücklichen Landes zu bleiben. Unheilvolle Geheimnistuerei, chaotische Verwaltung der Provinzen, die Zerrüttung der Finanzen des Reiches, die Ränke, Rachsucht und Verruchtheit der verzärtelten und gierigen Höflinge, die seinen Thron umschwirrten und umschwärmten, und seine eigene Gewaltherrschaft, die nur durch die sein Tun in Schranken haltende Furcht vor der öffentlichen Meinung Europas und dem wunsche, daß man in den Hauptstädten des Westens gut über ihn denke, nicht noch grausamer und wilder gewesen war – das waren die Charakterziige der blutigen Regierung eines Menschen, der sich selbst als „Fußpfad des Himmels“ und „Asyl des Weltalls“ bezeichnete. Eine dreifache Finsternis von Chaos, Bankrott und Unterdrückung hüllte das Land ein. Seine Ermordung war das erste Vorzeichen der Revolution, welche die Vorrechte seines Sohnes und Nachfolgers beschränken, die beiden letzten Herrscher aus dem Hause der Kadscharen absetzen und ihre Dynastie austilgen sollte. Am Vorabend seines Jubiläums, das ein neues Zeitalter eröffnen sollte und dessen Fest bis ins einzelne vorbereitet war, fiel er am Grabmal von Sháh ‚Abdu’l-‚Azím einem Mordanschlag zum Opfer; sein Leichnam wurde in seinen Palast zurückgefahren, in der Königskutsche dem Großwesir gegenüber aufgestützt, um so die Nachricht seiner Ermordung hinauszuschieben.
17:7 „Es wurde geflüstert“, schreibt ein Augenzeuge sowohl der Zeremonie wie auch der Ermordung, „daß der Festtag des Sháh der größte in der Geschichte Persiens werden sollte … Gefangene sollren bedingungslos freigelassen und eine allgemeine Amnestie sollte verkündet werden; den Bauern wurde Steuerbefreiung für mindestens zwei Jahre versprochen … Die Armen sollten auf Monate hinaus ernährt werden. Minister und Beamte spannen schon ihre Ränke wegen Ehrungen und Pensionen von seiten des Sháh. Grabstätten und heilige Plätze sollten ihre Pforten allen Reisenden und Pilgern öffnen, und die Siyyids und Mullas nahmen eine Medizin ein, um ihre Stimmen für den Preisgesang auf den Sháh auf allen Kanzeln bereitzumachen. Die Moscheen wurden ausgekehrt und für Massenversammlungen und öffentliche Gebete für das Staatsoberhaupt vorbereitet … Geweihte Quellen wurden erweitert, um mehr heiliges Wasser fassen zu können, denn die Behörden hatten vorausgesehen, daß mit Hilfe dieser Brunnen viele Wunder am Jubiläumstag geschehen könnten … Der Sháh hatte erklärt …, daß er auf seine Vorrechte als Alleinherrscher verzichten und sich zum `erhabenen Vater aller Perser` erklären würde. Die Stadtbehörde sollte ihre strenge Wachsamkeit mildern. Kein Verzeichnis sollte über die Fremden geführt werden, die in den Karawansereien zusammenströmten, und der Bevölkerung sollte es freistehen, die ganze Nacht durch die Straßen zu wandern.“ Sogar die großen Mujtahids hatten, soweit durch denselben Augenzeugen berichtet worden ist, „beschlossen, für den Augenblick die Verfolgung der Bábí und anderer Ungläubigen zu unterbrechen“.
17:8 [109] So fiel der, dessen Regierung für immer mit dem verruchtesten Verbrechen der Geschichte verbunden sein wird – dem Märtyrertod Dessen, den die höchste Manifestation Gottes als „Punkt, um den die Wirklichkeiten der Propheten und Gottgesandten kreisen“, verkündigt hat. In einem Tablet, worin die Feder Bahá’u’lláhs den Sháh verdammt, lesen wir: „Unter ihnen (den Königen der Erde) ist der König von Persien, der Ihn, den Tempel der Sache (den Báb), im Freien aufhängen und hinrichten ließ mit einer solchen Grausamkeit, daß alle erschaffenen Dinge, die Bewohner des Paradieses und die Heerscharen der Höhe um Ihn weinten. Darüber hinaus erschlug er etliche aus Unserer Verwandtschaft, plünderte Unseren Besitz und machte Unsere Familien zu Gefangenen in den Händen der Unterdrücker. Immer wieder kerkerte er auch Mich ein. Bei Gott, dem Wahren! Keiner kann ermessen, was Mich im Kerker befiel, außer Gott, der die Abrechnung hält, dem Allwissenden, dem Allmächtigen. Später verbannte er Mich und Meine Familie aus Meinem Vaterlande, worauf wir im ‚Iráq in offensichtlicher Trübsal anlangten. Wir weilten dort bis zu der Zeit, da der König von Rúm (der Sultán der Türkei) sich gegen Uns wandte und Uns vor den Thron seiner Herrschaft entbot. Als Wir ihn erreichten, befiel Uns, was den König von Persien erfreute. Später kamen Wir in dieses Gefängnis, in dem Unsere geliebten Gefährten von Uns weggerissen wurden. In solcher Weise hat er an Uns gehandelt.“
17:9 [110] Die Tage des Kadscharenhauses waren nun gezählt. Die Erstarrung des Nationalbewußtseins war verschwunden. Die Regierung des Muzaffari’d-Dín Sháh, des Nachfolgers von Násiri’d-Dín Sháh, ein schwaches und ängstliches Geschöpf, verschwenderisch und nachgiebig seinen Höflingen gegenüber, führte das Land die breite Straße hinab ins Verderben. Die Bewegung für eine Verfassung, die die Vorrechte des Oberhauptes beschränkte, gewann an Macht und gipfelte in der Unterzeichnung der Verfassung durch den sterbenden Sháh, der wenige Tage später den Geist aufgab. Muhammad-‚Alí Sháh, ein Despot schlimmster Sorte, ohne feste Grundsätze und geizig, folgte ihm auf den Thron. Verfassungsfeindlich eingestellt, beschleunigte er durch sein rasches Vorgehen mit der Beschießung des Baháristán, wo die Versammlung tagte, eine Revolution, die zu seiner Absetzung durch die Nationalisten führte. Nachdem er nach langem Herumfeilschen eine große Pension angenommen harte, zog er sich schmählich nach Rußland zurück. Der knabenhafte König Ahmad-Sháh, der auf ihn folgte, war eine reine Null und kümmerte sich nicht um seine Pflichten. Die schreiende Not seines Landes blieb weiterhin unbeachtet. Wachsende Gesetzlosigkeit, die Ohnmacht der Zentralregierung, der Zustand der nationalen Finanzen, die fortschreitende Verschlechterung der allgemeinen Lage des Landes, das tatsächlich im Stich gelassen war von einem Staatsoberhaupt, das die fröhliche Leichtfertigkeit des gesellschafllichen Lebens in den europäischen Hauptstädten der Erfüllung der ernsten, dringenden, vom Zustand seines Volkes erheischten Verantwortung vorzog, dies alles läutete das Grabgeläute für ein Herrscherhaus, das, wie jeder fühlte, die Krone verwirkt hatte.
17:10 [111] Während der Sháh auf einem seiner regelmäßigen Besuche im Ausland weilte, setzte ihn das Parlament ab und erklärte das Ende seiner Dynastie, die den Thron Persiens einhundertdreißig Jahre eingenommen hatte, deren Herrscher stolz beanspruchten, von keinem Geringeren als von Japhet, dem Sohne Noahs, abzustammen, und deren aufeinanderfolgende Monarchen mit nur einer Ausnahme entweder ermordet, abgesetzt oder von tödlicher Krankheit dahingerafft worden waren.
17:11 Ihre zahllose Nachkommenschaft, ein wahrer „Bienenstock von Prinzchen“, eine „Brut königlicher Drohnen“, war eine Schande und eine Bedrohung für ihre Landsleute. Nun machen auch noch diese unglücklichen Nachkömmlinge eines gestürzten Hauses – aller Macht beraubt und teilweise gar bis zur Bettelei herabgesunken – in ihrem Unglück die Folgen der scheußlichkeiten, die ihre Vorfahren verübt haben, öffentlich bekannt. Die Reihen der unseligen Sprößlinge des Hauses der Osmanen, der Romanow, der Hohenzollern, der Habsburger und der napoleonischen Dynastie vermehrend, irren sie in der Welt umher, des Wesens jener Kräfte kaum bewußt, die so tragische Umwälzungen in ihrem Leben bewirkt und so stark zu ihrer jetzigen mißlichen Lage beigetragen haben.
17:12 Schon haben Enkel sowohl von Násiri’d-Dín Sháh wie auch von Sultán ‚Abdu’l-‚Azíz sich in ihrer Hilflosigkeit und Not an das Weltzentrum des Glaubens Bahá’u’lláhs gewandt und um politischen Beistand und finanzielle Unterstützung nachgesucht. Im Falle des ersteren wurde die Bitte sofort und entschieden abgelehnt, während sie im Falle des letzteren unverzüglich gewährt wurde.
18 [112] Der Niedergang im Geschick des Königtums
18:1 Wenn wir den Niedergang im Geschick des Königtums in anderen Bereichen betrachten, sei es in den dem großen Kriege unmittelbar vorausgehenden Jahren, sei es später, und über das Schicksal nachdenken, welches das chinesische Reich, die portugiesische und die spanische Monarchie und etwas später die Herrscher von Norwegen, Dänemark und Holland in den Wechselfällen der Vergangenheit und Gegenwart befallen hat, wenn wir die Ohnmacht der übrigen Herrscher sehen und die Furcht und das Zittern bemerken, die ihre Throne ergriffen haben, können wir da nicht ihre Lage mit den Anfangsstellen der Súriy-i-Mulúk in Zusammenhang bringen, die angesichts ihrer folgenschweren Bedeutung ein zweitesmal auszuführen ich mich bewogen fühle: „O Schar der Könige, fürchtet Gott und laßt euch diese höchsterhabene Gnade nicht entgehen … Wendet eure Herzen dem Antlitz Gottes zu und gebt auf, wonach euch eure Wünsche trachten ließen, und gehört nicht zu denen, die zugrunde gehen … Ihr erforschtet nicht Seine (des Báb) Sache, wo dies zu tun doch besser für euch gewesen wäre als alles, was die Sonne bescheint – o könntet ihr es doch werstehen! … Hütet euch, weiterhin so nachlässig zu sein, wie ihr es ehedem gewesen seid … Mein Antlitz kam hinter den Schleiern hervor und goß seine Strahlen auf alles, was im Himmel und auf Erden ist. Und doch habt ihr euch Ihm nicht zugewandt … So erhebt euch denn .., und macht wieder gut, was euch entgangen ist … Wenn ihr den Ratschlägen, die wir in unvergleichlicher und unzweideutiger Sprache in diesem Tablet geoffenbart haben, keine Beachtung schenkt, dann wird von allen Seiten göttliche Züchtigung über euch kommen, und der Urteilsspruch Seiner Gerechtigkeit wird gegen euch werkündet werden … Zwanzig Jahre sind verronnen, o Könige, während derer Wir jeden Tag die herben Qualen einer neuen Trübsal empfunden haben … Obwohl der meisten Unserer Leiden gewahr, habt ihr es dennoch unterlassen, dem Angreifer in den Arm zu fallen. Ist es denn nicht eure klare Pflicht, der Tyrannei des Unterdrückers Einhalt zu gebieten und eure Untertanen unparteiisch zu behandeln, auf daß euer hoher Gerechtigkeitssinn der ganzen Menschheit voll bewiesen werde?“
18:2 Kein Wunder, daß Bahá’u’lláh angesichts der Ihm von den Herrschern der Erde zugemessenen Behandlung, wie schon angeführt, diese Worte schreiben mußte: „Zwei Gruppen von Menschen wurde die Macht entzogen: Königen und Geistlichen.“ Er geht sogar noch weiter und stellt in seinem Tablet an Shaykh Salmán fest: „Eines der Reifezeichen der Welt ist, daß es niemand auf sich nehmen wird, die Last der Königswürde zu tragen. Das Königtum wird niemanden finden, der seine Last allein zu tragen gewillt wäre. Jener Tag wird der Tag sein, an dem die Weisheit unter der Menschheit offenbar gemacht werden wird. Nur um die Sache Gottes zu verkünden und Seinen Namen weithin zu verbreiten, wird sich jemand finden, der gewillt ist, diese drückende Bürde zu tragen. Wohl dem, der aus Liebe zu Gott und zu Seiner Sache und um Gottes willen und in der Absicht, Seinen Glauben zu werkünden, sich dieser großen Gefahr aussetzen und diese Mühen und Beschwerden auf sich nehmen will.“
19 [113] Anerkennung des Königtums
19:1 Gleichwohl soll niemand, aus Irrtum oder Unwissen, die Absicht Bahá’u’lláhs falsch darstellen, so streng Er auch jene ihn verfolgenden Herrscher verurteilte, und so scharf Er auch jene tadelte, die offenkundig ihre klare Pflicht versäumten, die Wahrheit seines Glaubens zu erforschen und dem Übeltäter Einhalt zu gebieten, so enthalten doch seine Lehren keinen Grundsatz, der irgendwie als eine Nichtanerkennung oder gar als eine, wenn auch noch so verschleierte, Verächtlichmachung der Einrichtung des Königtums ausgelegt werden dürfte. Der verhängnisvolle Sturz und der Untergang der Herrscherhäuser und Reiche jener Monarchen, deren unheilvolles Ende Er im besonderen geweissagt hatte, und das sinkende Glück der Staatsoberhäupter seiner eigenen Generation, die Er allgemein tadelte – beides bildete einen vorübergehenden Entwicklungsabschnitt des Glaubens – sollten in keiner Weise mit der zukünftigen Stellung dieser Einrichtung verwechselt werden. In der Tat, wenn wir in den Schriften des Begründers des Bahá’íGlaubens forschen, werden wir unzweifelhaft zahllose stellen finden, in denen mit Ausdrücken, die niemand falsch darstellen kann, das Prinzip des Königtums gelobt und der Rang und das Verhalten von gerechten und edelgesinnten Königen gerühmt werden. Das Kommen von Herrschern, die mit Gerechtigkeit regieren und sich sogar zu seinem Glauben bekennen, wird vorausgeschaut, und die feierliche Pflicht, sich zu erheben und den Sieg der Bahá’í-Herrscher zu verbürgen, wird allen nahegelegt. Aus den oben angeführten, von Bahá’u’lláh an die Monarchen der Erde gerichteten Worte zu schließen, und aus der Schilderung der beklagenswerten Verhängnisse, die so viele von ihnen befallen haben, zu folgern, daß seine Anhänger die völlige Aufhebung des Königtums entweder vertreten oder erwarten, wäre in der Tat gleichbedeutend mit einer Verzerrung seiner Lehre.
19:2 [114] Ich kann nichts Besseres tun, als einige der eigenen Zeugnisse von Bahá’u’lláh anzuführen und es dem Leser zu überlassen, sich sein eigenes Urteil über die Unrichtigkeit solcher Schlußfolgerung zu bilden, in seinem „Brief an den Sohn des Wolfes“ zeigt Er die wahre Quelle des Königtums auf: „Achtung vor dem Rang der Staatsoberhäupter ist von Gott verordnet, wie es klar durch die Worte der Offenbarer Gottes und Seiner Erwählten bezeugt ist. Er, welcher der Geist ist (Jesus) – Friede ruhe auf Ihm – wurde gefragt: `O Geist Gottes! Ist es rechtens, dem Kaiser Tribut zu zahlen, oder nicht?` Und Er gab zur Antwort: `Ja, gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.` Er verbot es nicht. Diese beiden Sätze sind in den Augen einsichtsvoller Menschen ein und dasselbe, denn wenn, was des Kaisers ist, nicht von Gott gekommen wäre, so hätte Er es verboten. Und ebenso in dem geheiligten Verse: `Gehorchet Gott und gehorchet dem Glaubensboten und denen unter euch, die mit Autorität bekleidet sind.` Unter den mit `Autorität Bekleideten` sind vor allem und im besonderen die Imáme gemeint – Gottes Segen ruhe auf ihnen. Wahrlich, sie sind die Offenbarung der Macht Gottes, die Quellen Seiner Autorität, die Verwahrungsorte Seiner Erkenntnis und die Tagesanbrüche Seiner Gebote. In zweiter Linie beziehen sich diese Worte auf die Könige und Herrscher, auf jene, durch deren Glanz der Gerechtigkeit die Horizonte der Welt strahlend und hell werden.“
19:3 [115] Und ferner: „Im Römerbrief hat Paulus geschrieben: `Laßt jedermann untertan sein den Obrigkeiten, denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Darum, wer immer der Gewalt sich widersetzt, widersetzt sich Gottes Verordnung.` Und weiterhin: `Denn er ist ein Gehilfe Gottes und ein Rächer des Zornes über den, der übles tut.` Er sagt, daß das Auftreten der Könige und ihre Majestät und Macht von Gott sind.“
19:4 Und wiederum: „Ein gerechter König erfreut sich näheren Zugangs zu Gott als sonst jemand. Dies bezeugt Er, welcher in Seinem Größten Gefängnis spricht.“
19:5 Ebenso erklärt Bahá’u’lláh in den Bishárát (Frohe Botschaften), daß „die Majestät des Königtums eines der Zeichen Gottes“ ist. „Wir wünschen nicht“, fügt Er hinzu, „daß die Länder der Welt dessen beraubt würden.“
19:6 Im Kitáb-i-Aqdas tut Er seinen Plan kund und lobt den König, der sich zu seinem Glauben bekennen wird: „Bei der Gerechtigkeit Gottes! Es ist nicht Unser Wunsch, Hand an eure Königreiche zu legen. Unsere Sendung ist, die Menschenherzen zu erfassen und zu besitzen. Auf sie sind die Augen Bahás gerichtet. Dies bezeugt das Reich der Namen – könntet ihr es doch begreifen. Wer seinem Herrn folgt, wird auf die Welt verzichten und auf alles, was darinnen ist. Wieviel größer muß dann die Loslösung Dessen sein, der eine so erhabene Stufe innehat.!“ „Wie groß ist der Segen, der des Königs wartet, der sich erheben wird, Meine Sache in Meinem Reiche zu unterstützen, der sich von allem loslösen wird außer von Mir! Solch ein König wird unter die Gefährten der Hochroten Arche gezählt werden, der Arche, die Gott dem Volke Bahás bereitet hat. Alle müssen seinen Namen verherrlichen, seiner Stufe huldigen und ihm helfen, die Städte mit den Schlüsseln Meines Namens zu erschließen, des allmächtigen Beschützers aller, welche die sichtbaren und die unsichtbaren Reiche bewohnen. Solch ein König ist das wirkliche Auge der Menschheit, der leuchtende Schmuck auf der Stirn der Schöpfung, der Segensquell für die ganze Welt. O Volk von Bahá, opfere dein Vermögen, ja sogar dein Leben, zu seinem Beistand.“
19:7 [116] In dem Lawh-i-Sultán enthüllt Bahá’u’lláh des weiteren die Bedeutung des Königtums: „Ein gerechter König ist der Schatten Gottes auf Erden. Alle sollten unter dem Schatten seiner Gerechtigkeit Zuflucht suchen und im Schutz seiner Gunst ruhen. Dies ist keine Sache, die abgesondert oder in ihrer Reichweite begrenzt ist, so daß sie auf die eine oder andere Person beschränkt wäre, da der Schatten ja von dem Einen kündet, der ihn wirft. Gott – verherrlicht sei Sein Gedenken – hat sich selbst Herr der Welten genannt, denn Er hat einen jeden erzogen und erzieht ihn noch. Verherrlicht sei darum Seine Gnade, die allen erschaffenen Dingen voranging, und Seine Barmherzigkeit, die alle Welten übertroffen hat.“
19:8 In einem seiner Tablets hat Bahá’u’lláh zudem geschrieben: „Der eine wahre Gott – erhaben sei Sein Ruhm – hat die Regierung der Erde den Königen anvertraut. Keiner hat das Recht, in irgendeiner Weise zu handeln, die den wohlüberlegten Ansichten derer zuwiderläuft, die die Autorität besitzen. Wäs Er für sich selbst vorbehalten hat, sind die Städte der Menschenherzen, und an diesem Tage sind die Geliebten von Ihm, der die höchste Wahrheit ist, wie deren Schlüssel.“
19:9 [117] In der folgenden Stelle drückt Er diesen Wunsch aus: „Wir hegen die Hoffnung, daß sich einer der Könige der Erde um der Sache Gottes willen für den Triumph dieser mißhandelten, unterdrückten Menschen erheben werde. Ein solcher König wird ewig gerühmt und verherrlicht werden. Gott hat es diesen Menschen zur Pflicht gemacht, jedem zu helfen, der ihnen helfen wird, seinem höchsten Wohle zu dienen und ihm ihre dauernde Treue zu beweisen.“
19:10 Im Lawh-i-Ra’ís weissagt Er bestimmt und eindeutig das Erscheinen eines solchen Königs: „Binnen kurzem wird Gott unter den Königen einen erheben, der Seinen Geliebten helfen wird. Wahrlich, Er umfaßt alle Dinge. Er wird den Herzen die Liebe zu Seinen Geliebten einflößen. Wahrlich, dies ist unwiderruflich beschlossen durch den Einen, den Allmächtigen, den Wohltätigen.“ Im Ridvánu’l-‚Adl, in dem die Tugend der Gerechtigkeit gepriesen wird, gibt Er eine gleichgerichtete Weissagung: „Binnen kurzem wird Gott Könige auf Erden erscheinen lassen, welche sich auf das Lager der Gerechtigkeit stützen und unter den Menschen herrschen werden, ebenso wie sie sich selbst beherrschen. Wahrlich, in der gesamten Schöpfung gehören sie zu den Auserwähltesten Meiner Geschöpfe.“
19:11 Im Kitáb-i-Aqdas schaut Er in den folgenden Worten voraus, wie in seiner Geburtsstadt, „der Mutter der Welt“ und „dem Tagesanbruch des Lichtes“, ein König auf den Thron erhoben wird, der mit dem doppelten Schmuck der Gerechtigkeit und der Ergebenheit in seinen Glauben geziert sein wird. „O Land von Tá, lasse dich durch nichts betrüben, denn Gott hat dich dazu erwählt, der Freudenquell der ganzen Menschheit zu sein. Er wird, wenn es Sein Wille ist, deinen Thron mit einem segnen, der in Gerechtigkeit herrscht und die Herde Gottes, welche die Wölfe zerstreut haben, sammelt. Ein solcher Herrscher wird in Freude und Frohsinn sein Antlitz dem Volke Bahás zuwenden und ihm seine Gunst erweisen. Wahrlich, er wird in den Augen Gottes wie ein Kleinod unter den Menschen betrachtet. Auf ihm ruhe für immer die Herrlichkeit Gottes und die Herrlichkeit aller, die im Reiche Seiner Offenbarung wohnen.“
20 [118] Der Zerfall religiöser Orthodoxie
20:1 Liebe Freunde! Der Niedergang in den Schicksalen der Inhaber weltlicher Macht spielte sich zur selben Zeit ab wie die nicht minder erschiitternde Abnahme des Einflusses der geistigen Führer der Welt. Die gewaltigen Ereignisse, die der Auflösung so vieler König- und Kaiserreiche vorausgingen, sind zeitlich nahezu zusammengefallen mit der Zerstörung der scheinbar unverletzlichen Bollwerke religiöser Orthodoxie. Dieses gleiche Geschehen, das in tragischer Schnelle den Urteilsspruch über Könige und Kaiser besiegelte und ihre Herrscherhäuser auslöschte, hat auch das Ansehen der kirchlichen Führer des Christentums und des Islám geschädigt und in einigen Fällen den Sturz ihrer höchsten Einrichtungen bewirkt. Wahrhaftig, „die Macht ist entrissen“ beiden, „Königen und Geistlichen“. Die Glorie dieser ist verdunkelt, die Macht jener ist unwiderruflich dahin.
20:2 Jene Führer, die Leitung und Aufsicht über die geistlichen Hierarchien ihrer betreffenden Religionen ausübten, sind von Bahá’u’lláh ebenfalls angerufen, gewarnt und getadelt worden, und dies in nicht weniger deutlichen Ausdrücken als die Herrscher, die das Schicksal ihrer Untertanen bestimmten. Auch sie, und ganz besonders die Häupter der muslimischen Orden, haben zusammen mit Despoten und Machthabern ihre Angriffe gegen die Begründer des Gottesglaubens, dessen Anhänger, Grundsätze und Einrichtungen geführt und ihre Bannflüche gegen sie geschleudert. Waren nicht die Geistlichen Persiens die ersten, welche die Fahne der Empörung hißten, die unwissenden und unterwürfigen Massen gegen diesen Glauben aufwiegelten und die Behörden durch ihr Geschrei, ihre Drohungen, Lügen, Verleumdungen und Beschuldigungen dazu anstifteten, Verbannungen zu verordnen, Gesetze zu erlassen, Strafexpeditionen auszuschicken und die Hinrichtungen und Metzeleien auszuführen, welche die Blätter seiner Geschichte füllen? So abscheulich und wild waren die an einem einzigen Tag auf Antreiben dieser Geistlichen begangenen Schlächtereien und so kennzeichnend für die „Gefühllosigkeit des Rohlings und die List des bösen Feindes“, daß Renan in seinem Werk „Les Apotres“ diesen Tag als „vielleicht beispiellos in der Weltgeschichte“ darstellte.
20:3 [119] Diese Geistlichen waren es, die gerade durch solche Taten die Saaten der Zersetzung ihrer eigenen Einrichtungen säten, die einst so mächtig und berühmt waren und so unverwundbar erschienen zu der Zeit, als der Glaube geboren wurde, sie waren es, die so leichtfertig und töricht schreckliche Verantwortung auf sich nahmen und damit in erster Linie für die Auslösung so gewaltsamer und zersetzender Einflüsse verantwortlich waren, die nun solch verhängnisvolles Unheil entfesselten, daß es Könige, Herrscherhäuser und Kaiserreiche überwältigte und die denkwürdigsten Daten in der Geschichte des ersten Jahrhunderts des Bahá’í-Zeitalters bildet.
20:4 Dieser Zersetzungsprozeß, wie bestürzend er auch gerade in seinen Anfangserscheinungen gewesen war, geht noch weiterhin mit unveränderter Kraft vor sich und wird, da die Gegnerschaft des Gottesglaubens von verschiedenen Seiten und auf weiten Gebieten zunehmen wird, sich fernerhin beschleunigen und noch bedeutendere Beweise seiner zerstörenden Macht offenbaren.
Angesichts des Ausmaßes, welches diese Schilderung schon angenommen hat, kann ich mich nicht so ausführlich, wie ich es wünschte, über die Gesichtspunkte dieses wichtigen Stoffes auslassen, der, zusammen mit der Haltung der Herrscher der Erde gegen die Botschaft Bahá’u’lláhs, eine der fesselndsten und lehrreichsten Begebnisse in der dramatischen Geschichte seines Glaubens ist. Ich will hier nur die heftigen Angriffe der Kirchenführer des Islám und, in geringerem Maße, gewisser Häupter der christlichen Orthodoxie und die daraus entstandenen Rückschläge auf ihre entsprechenden eigenen Einrichtungen betrachten. Diesen Bemerkungen möchte ich einige Stellen aus der großen Anzahl der Tablets Bahá’u’lláhs vorausschicken, die sowohl unmittelbar als auch mittelbar muslimische und christliche Geistliche betreffen und die ein kraftvolles Licht auf das düstere Unheil werfen, das die geistlichen Hierarchien der beiden Religionen, mit denen der Glaube unmittelbar in Berührung kam, ergriffen hat und noch ergreift.
20:5 [120] Jedoch darf nicht daraus gefolgert werden, daß Bahá’u’lláh seine historischen Schreiben ausschließlich an die Führer des Islám und der Christenheit richtete oder daß sich der Ansturm eines alles durchdringenden Glaubens gegen die Bollwerke religiöser Strenggläubigkeit auf die Einrichtungen dieser beiden Religionssysteme beschränken sollte. „Die den Völkern und Geschlechtern der Erde vorbestimmte Zeit ist jetzt gekommen“, versichert Bahá’u’lláh. „Gottes Verheißungen, wie sie in den Heiligen Schriften verzeichnet stehen, sind alle erfüllt worden … Dies ist der Tag, den die Feder des Höchsten in allen Heiligen Schriften verherrlicht hat. Es gibt keinen Vers in ihnen, der nicht den Ruhm Seines heiligen Namens werkündet, und kein Buch, das nicht die Höhe dieses erhabensten Gegenstandes bezeugt.“ „Würden Wir“, so fügt Er hinzu, „all dessen, was in diesen himmlischen Büchern und Heiligen Schriften über diese Offenbarung enthüllt ist, Erwähnung tun, so würde dieses Tablet unmögliche Ausmaße annehmen.“
20:6 [121] Da die Verheißung des Glaubens Bahá’u’lláhs in allen schriften vergangener Religionen eingeschlossen ist, wendet sich sein Begründer selbst an ihre Anhänger und besonders an ihre verantwortlichen Führer, die zwischen ihn und ihre betreffenden Gemeinden traten. „Einmal“, schreibt Bahá’u’lláh, „wenden wir Uns an das Volk der Thora und laden es vor Ihn, den offenbarer von Versen, der gekommen ist von Dem, der die Nacken der Menschen beugt … Ein anderes Mal wenden wir Uns an das Volk des Evangeliums und sprechen: `Der Allherrliche ist gekommen in diesem Namen, durch den der Odem Gottes über alle Bereiche wehte` … Und wieder ein anderes Mal wenden wir Uns an das Volk des Qur’án und sagen: `Fürchtet den Allbarmherzigen und verspottet nicht Ihn, durch den alle Religionen begründet wurden.` … Wisse des weiteren, daß wir an die Magier (Zoroastrier) Tablets gerichtet und sie mit Unserem Gesetze geschmückt haben … Wir haben darin das Wesen aller in ihren Büchern enthaltenen Hinweise und Gleichnisse geoffenbart. Wahrlich, der Herr ist der Allmächtige, der Allwissende.“
20:7 Dem jüdischen Volk hat Bahá’u’lláh geschrieben: „Das Größte Gesetz ist gekommen und die Urewige Schönheit herrscht auf dem Throne Davids. So hat Meine Feder gesprochen, was die Chroniken vergangener Zeitalter berichtet haben. Heute aber ruft David laut und spricht.- `O mein liebreicher Herr! Zähle Du mich zu denen, die standhaft geblieben sind in Deiner Sache, o Du, durch den die Angesichter erleuchtet wurden und die Schritte gestrauchelt sind!`“ Und wiederum: „Der Odem wurde ausgesandt, und der Windhauch hat geweht, und von Zion ist erschienen, was verborgen war, und von Jerusalem ist die Stimme Gottes, des Einen, des Unvergleichlichen, des Allwissenden, gehört worden.“ Und weiter hat Bahá’u’lláh in seinem „Brief an den Sohn des Wolfes“ geoffenbart: „Lausche dem Gesang Davids. Er sagt `Wer wird mich in die feste Stadt bringen?` Die feste Stadt ist ‚Akká, welches das Größte Gefängnis genannt wurde und welches eine Festung und mächtige Wälle besitzt. O Shaykh! Lies genau, was Jesaja in seinem Buche gesprochen hat. Er sagt: `Steige auf den hohen Berg, o Zion, die du frohe Botschaften bringest; erhebe deine Stimme mit Macht, o Jerusalem, die du frohe Botschaften bringest. Erhebe sie und fürchte dich nicht. Sprich unter den Städten Judas: Schauet auf euren Gott! Sehet, der Herr Gott wird kommen mit starker Hand und Sein Arm soll für Ihn herrschen.` Heute sind alle Zeichen erschienen. Eine große Stadt ist vom Himmel herabgestiegen und Zion bebt und jubelt vor Freude über die Offenbarung Gottes, denn sie hat die Stimme Gottes auf allen Seiten vernommen.“
20:8 [122] Der Priesterkaste, welche die geistliche Macht über die Anhänger des Glaubens Zoroasters besitzt, hat dieselbe Stimme, die mit der stimme des verheißenen Sháh-Bahrám gleichgesetzt ist, erklärt: „O Hohepriester! Ohren sind euch gegeben worden, damit sie dem Geheimnis Dessen, welcher der Selbstbestehende ist, lauschen, und Augen, damit sie Ihn erschauen. Wovor flieht ihr? Der unvergleichliche Freund ist offenbar. Er spricht Worte, in denen Erlösung ruht. O Hohepriester! Würdet ihr den Duft vom Rosengarten des Verstehens wahrnehmen, so würdet ihr keinen anderen außer Ihm suchen, und ihr würdet den Allweisen und Unvergleichlichen in Seinem neuen Gewande entdecken und eure Augen von der Welt und von allen, die sie suchen, abwenden, und euch erheben, Ihm zu helfen.“ Bahá’u’lláh hat einem Zoroastrier, der ihn über den verheißenen SháhBahrám befragt hatte, geantwortet: „Was immer in den Büchern verkündet wurde, ist enthüllt und erklärt worden. Überall wurden die Zeichen geoffenbart. Der Allmächtige ruft an diesem Tage und kündet das Erscheinen des Erhabensten Himmels an.“ „Dies ist nicht der Tag“, erklärt Er in einem anderen Tablet, „an dem die Hohepriester noch befehlen und ihre Amtsgewalt ausüben können. In eurem Buche ist dargelegt, daß die Hohepriester an jenem Tage die Menschen irreführen und daran hindern werden, Ihm zu nahen. Wahrlich, nur der ist ein Hoherpriester, der das Licht geschaut hat und auf dem Wege worangeeilt ist, der zu dem Geliebten führt.“ „Sprecht, o Hohepriester.!“ redet Er sie wiederum an: „Die Hand der Allmacht ist aus den Wolken hervor ausgestreckt. Betrachtet sie mit neuen Augen. Die Zeichen Seiner Erhabenheit und Größe sind enthüllt. Blickt auf sie mit reinen Augen … Sprecht, o Hohepriester! Ihr genießt Verehrung um Meines Namens willen und doch flieht ihr Mich. Ihr seid die Hohepriester des Tempels. Wäret ihr die Hohepriester des Allmächtigen gewesen, so wäret ihr mit Ihm vereint worden und ihr hättet Ihn erkannt … Sprecht, o Hohepriester! Keines Menschen Taten werden angenommen werden an diesem Tage, es sei denn, er entsage der Menschheit und allem, was Menschen besitzen, und wende sein Antlitz dem Allmächtigen zu.“
20:9 [123] Es ist jedoch keine dieser beiden Religionen, mit der wir uns in erster Linie beschäftigen wollen. Es ist der Islám und in geringerem Maße das Christentum, auf die sich mein Thema geradewegs bezieht. Der Islám, aus dem der Glaube Bahá’u’lláhs so entstanden ist, wie das Christentum aus dem Judentum entsprang, ist die Religion, in deren Bereich sich dieser Glaube zuerst erhob und entwickelte, aus deren Reihen die große Masse der Bahá’í-Anhänger hervorging, von deren Führern sie verfolgt wurden und auch jetzt noch verfolgt werden. Das Christentum andererseits ist die Religion, der die große Mehrheit der Bahá’í nichtmuhammadanischer Herkunft angehört, in deren geistigem Bereich die Verwaltungsordnung des Gottesglaubens schnell voranschreitet und durch dessen geistliche Vertreter diese Ordnung in wachsendem Maße angegriffen wird. Anders als der Hinduismus, der Buddhismus, das Judentum und sogar die zoroastrische Religion, die im wesentlichen die verborgenen Kräfte der Gottessache noch nicht erkannt haben und deren Antwort auf ihre Botschaft noch nicht beachtet zu werden braucht, können der muhammadanische und der christliche Glaube als die beiden religiösen Systeme angesehen werden, die in diesem formbildenden Entwicklungszustand des Bahá’í-Glaubens die volle Wucht einer so gewaltigen Offenbarung auszuhalten haben.
20:10 [124] So wollen wir denn betrachten, womit sich die Begründer des Bahá’í-Glaubens an die anerkannten Führer des Islám und des Christentums gewendet oder was sie über sie geschrieben haben. Wir haben schon die Stellen bezüglich der Könige des Islám betrachtet, seien es die in Konstantinopel regierenden Kalifen oder die Herrscher Persiens, die ihr Reich als weltliche Bevollmächtigte des erwarteten Imáms regierten. Wir haben auch das Tablet erwähnt, das Bahá’u’lláh im besonderen für den römischen Papst offenbarte, und die allgemeinere Botschaft in der Súriy-i-Mulúk, die an die Könige des Christentums gerichtet ist. Nicht weniger herausfordernd und drohend ist die Stimme, welche die muhammadanischen Geistlichen und den christlichen Klerus gewarnt und zur Verantwortung gerufen hat.
20:11 [125] „Religiöse Führer“, so lautet Bahá’u’lláhs klarer und allgemeiner, im Kitáb-i-Íqán ausgesprochener Tadel, „haben in jedem Zeitalter ihr Volk daran gehindert, die Ufer des ewigen Heils zu erreichen, da sie die Zügel der Autorität in ihrem mächtigen Griff hielten. Einige sind aus Lust am Führertum, andere aus Mangel an Erkenntnis und Einsicht die Ursache dieses schweren Verlustes fiir die Menschen gewesen. Mit ihrer Billigung und durch ihre Autorität hat jeder Offenbarer Gottes den Opferkelch getrunken und Seinen Flug in die Höhe der Herrlichkeit genommen. Welche unaussprechlichen Grausamkeiten haben sie, die Orte der Autorität und Gelehrsamkeit, den wahren Königen der Welt, den Edelsteinen göttlicher Tugend, zugefügt! Zufrieden mit einer vergänglichen Gewalt, haben sie sich einer ewigen Herrschaft beraubt.“ Und wiederum im gleichen Buche: „Unter diesen `Schleiern der Herrlichkeit` befinden sich die in den Tagen der Manifestation Gottes lebenden Geistlichen und Gelehrten, welche aus Mangel an Einsicht und aus Liebe und Gier nach Führerschaft versäumt haben, sich der Sache Gottes zu unterwerfen, ja, sich sogar geweigert haben, ihr Ohr der göttlichen Melodie zuzuneigen. `Sie haben die Finger in die Ohren gesteckt.` Und auch das Volk, das Gott völlig unbeachtet ließ und sie zu ihren Meistern nahm, hat sich rückhaltlos unter den Einfluß dieser hochtrabenden, heuchlerischen Führer gestellt, denn es hat kein eigenes Gesicht, kein Gehör, kein Herz, um Wahrheit von Falschheit zu unterscheiden. Ungeachtet der von Gott eingegebenen Ermahnungen aller Propheten, Heiligen und Auserwählten Gottes, die dem Volke einschärften, mit eigenen Augen zu sehen und mit eigenen Ohren zu hören, hat es ihren Rat geringschätzig verworfen und ist den Führern seines Glaubens blind gefolgt und wird dies weiterhin tun. Sollte ein armer, unbekannter Mensch, bar des Glanzes der Gelehrsamkeit, sie anreden und sagen: `O Menschen, folgt den Gottgesandten`, dann würden sie, höchlich erstaunt über solchen Spruch, erwidern: `Was? Meinst du, alle diese Geistlichen, alle diese Vertreter der Gelehrsamkeit mit ihrer Autorität, ihrem Pomp und Prunk hätten sich geirrt und Wahrheit von Falschheit nicht unterscheiden können? Behauptest du und deinesgleichen, das erfaßt zu haben, was sie nicht verstanden haben?` Wenn Anzahl und vorzügliche Leistung als Maßstab für Wissen und Wahrheit angesehen werden, dann müßten die Völker vergangener Zeiten, die an Zahl, Pracht und Macht bis heute nie übertroffen worden sind, wahrlich als höhere und wertvollere Völker angesehen werden.“ Des weiteren: „Nicht ein Offenbarer Gottes ist herabgesandt worden, der nicht diesem unbarmherzigen Haß zum Opfer gefallen wäre, diesen Anklagen, dieser Verleugnung und Verfluchung durch die Geistlichen Seines Tages! Wehe ihnen ob der Missetaten, die ihre Hände einst verübt haben! Wehe ihnen ob dessen, was sie jetzt tun! Welche Schleier der Herrlichkeit sind schlimmer als diese Verkörperungen des Irrtums! Bei der Gerechtigkeit Gottes! Diese Schleier durchzureißen ist die größte aller Taten und sie zu zerstören das verdienstvollste aller Werke!“ „Auf ihrer Zunge“, hat Er des weiteren geschrieben,“ist dieErwähnung Gottes ein leerer Name geworden und in ihrer Schar Sein heiliges Wort ein toter Buchstabe. So stark ist der Sturm ihrer Begierden, daß die Leuchte des Gewissens und der Vernunft in ihren Herzen verlöscht ist . . . Nicht zwei von ihnen sind bereit, ein und dasselbe Gesetz anzunehmen, denn sie suchen keinen Gott außer ihrem eigenen Begehren und wandeln auf keinem anderen Pfad als auf dem Pfade des Irrtums. Führer zu sein, das ist das letzte Ziel ihres Strebens, und in Stolz und Dunkel sehen sie die höchste Erfüllung ihres Herzenswunsches. Sie haben ihre schmutzigen Ränke über den göttlichen Ratschluß gestellt, haben die Ergebung in Gottes Willen hochmütig abgetan, haben sich selbstsüchtigen Berechnungen hingegeben und sind den Weg des Heuchlers gegangen. Mit aller Macht und Kraft trachten sie danach, sich hinter ihren kleinlichen Schlichen sicher zu fühlen, ängstlich darauf bedacht, daß nicht das geringste Mißtrauen ihre Würde untergrabe oder das Gepränge ihrer Herrlichkeit trübe.“
20:12 [126] „Quelle und Ursprung der Tyrannei“, hat Bahá’u’lláh in einem anderen Tablet versichert, „sind die Geistlichen gewesen. Durch das von diesen hochmütigen und eigensinnigen Seelen ausgesprochene Urteil haben die Herrscher der Erde getan, was ihr gehört habt … Die Leitung der achtlosen Massen lag und liegt immer noch in den Händen der Verkörperungen eitler Hirngespinste und hohler Einbildungen. Sie schreiben vor, was ihnen gefällt. Wahrlich, Gott hat wie Wir nichts mit ihnen zu tun, und so auch jene, die bezeugten, was die Feder des Höchsten auf dieser herrlichen Stufe gesprochen hat.“
20:13 „Die Führer der Menschen“, hat Er gleicherweise bekundet, „haben seit undenklicher Zeit das Volk daran gehindert, sich dem Größten Ozean zuzuwenden. Der Freund Gottes (Abraham) wurde durch den Urteilsspruch der Geistlichen Seiner Zeit ins Feuer geworfen, und Lügen und Verleumdungen wurden auf Ihn, der mit Gott redete (Moses), gehäuft. Denke über den Einen nach, welcher der Geist Gottes war ( Jesus). Obwohl Er nur Mitleid und Nachsicht zeigte, erhoben sie sich doch gegen dieses innerste Wesen des Seins und gegen diesen Herrn des Sichtbaren und des Unsichtbaren in solcher Art, daß Er weder Zuflucht noch Ruhe finden konnte. Jeden Tag wanderte Er an einen anderen Platz und suchte einen anderen Schutz, Betrachte das Siegel der Propheten (Muhammad) – mögen die Seelen aller außer Ihm ein Opfer für Ihn sein! Wie schmerzlich waren die Dinge, die diesen Herrn des ganzen Daseins aus den Händen der Priester des Götzendienstes und der jüdischen Gelehrten befielen, nachdem Er die gesegneten Worte geäußert hatte, die die Einheit Gottes erkünden! Bei Meinem Leben! Meine Feder stöhnt und alles Erschaffene schreit auf wegen der Dinge, die Ihn von den Händen derer betroffen haben, die das Bündnis Gottes und Sein Testament brachen, Sein Zeugnis verleugneten und Seinen Zeichen widersprachen.“
20:14 [127] „Die törichten Geistlichen“, so heißt es in einem anderen Tablet, „haben das Buch Gottes weggelegt und sich mit dem befaßt, was sie sich selbst geschaffen haben. Der Ozean der Erkenntnis ist geoffenbart, und der Klang der Feder des Höchsten wurde deutlich, und doch sind sie wie Regenwürmer mit dem Lehm ihrer Vorstellungen und Einbildungen behaftet. Sie sind durch ihre Beziehung zu dem einen wahren Gott erhöht, und doch haben sie sich von Ihm abgewandt. Durch Ihn sind sie berühmt geworden, und doch sind sie wie durch einen Schleier Von Ihm getrennt.“
20:15 „Die heidnischen Priester“, steht ferner in einem anderen Tablet geschrieben, „und die jüdischen und die christlichen Geistlichen haben genau die Dinge begangen, welche die Geistlichen im Zeitalter dieser Sendung begangen haben und noch begehen. Nein, sie haben sogar schlimmere Grausamkeit und wildere Bosheit gezeigt. Jedes Atom ist Zeuge dessen, was Ich sage.“
20:16 Diese Führer, die „sich selbst für die besten aller Geschöpfe halten und von Ihm, der Wahrheit, als die schlechtesten betrachtet worden sind“, welche „die Sitze der Erkenntnis und Gelehrsamkeit besetzen und Unwissen Erkenntnis und Unterdrückung Gerechtigkeit genannt haben“, die „keinen Gott, sondern ihr eigenes Begehren anbeten, die nichts huldigen als dem Gold, in die dichtesten Schleier der Gelehrsamkeit verwickelt sind und, in seiner Finsternis verfangen, in der Wildnis des Irrtums verloren sind“ – diese hat Bahá’u’lláh mit folgenden Worten anzureden beliebt: „O Schar der Geistlichen! Ihr werdet euch künftighin nicht mehr im Besitze irgendeiner Macht sehen, denn wir haben sie von euch genommen und für solche bestimmt, die an Gott geglaubt haben, den Einen, den Allgewaltigen, den Allmächtigen, den Unbeschränkten.“
20:17 [128] Im Kitáb-i-Aqdas lesen wir folgendes: „Sprich: O Führer der Reiligion! Wägt nicht das Buch Gottes mit solchen Maßen und Kenntnissen, wie sie unter euch allgemein gültig sind, denn das Buch selbst ist die untrügliche, inmitten der Menschen aufgestellte Waage. Auf dieser vollkommensten Waage muß alles gewogen werden, was die Völker und Geschlechter der Erde besitzen, während das Maß des Gewichtes dieser Waage nach ihrer eigenen Norm geprüft werden muß – würdet ihr das doch erkennen! Das Auge Meiner liebevollen Gnade weint schmerzlich über euch, da ihr versäumt habt, den Einen zu erkennen, nach welchem ihr gerufen habt am Tage und zur Nachtzeit, am Morgen und am Abend … O ihr Führer der Religion! Wo ist der Mensch unter euch, der es Mir in der Schau oder Einsicht gleichtun kann? Wo ist der zu finden, der zu dem Anspruch sich erkühnt, Mir gleich zu sein in der Verkündung oder in der Weisheit? Nein, bei Meinem Herrn, dem Allbarmherzigen! Alles auf Erden wird dahinschwinden,- doch dies ist das Antlitz eures Herrn, des Allmächtigen, des Vielgeliebten … Sprich: Wahrlich, das ist der Himmel, in welchem das Mutterbuch werwahrt ist – könntet ihr es doch begreifen! Er ließ den Felsen aufjauchzen und den Brennenden Busch seine Stimme erheben auf dem Berg, der über dem Heiligen Lande aufsteigt, und verkünden: `Das Reich ist Gottes, des obersten Herrn über alles, des Allgewaltigen, des Liebenden!` Wir sind in keine Säule gegangen und haben keine eurer Abhandlungen gelesen. Neigt euer Ohr den Worten dieses Ungelehrten, mit denen Er euch vor Gott lädt, den Ewigwährenden. Dies ist besser für euch als alle Schätze der Erde – könntet ihr es doch begreifen!“
20:18 [129] „O Scharen der Geistlichen“, hat Er noch weiter geschrieben, „als Meine Verse herabgesandt und Meine klaren Zeichen enthüllt wurden, fanden Wir euch hinter Schleiern. Dies, wahrlich, ist etwas Seltsames … Wir haben die Schleier zerrissen. Hütet euch, daß ihr das Volk nicht durch noch einen anderen Schleier ausschließt. Zerbrecht die Ketten eitler Einbildungen im Namen des Herrn aller Menschen und gehört nicht zu den Betrügern. Solltet ihr euch Gott zuwenden und Seine Sache annehmen, so sät keine Unordnung in sie und meßt nicht das Buch Gottes mit euren selbstsüchtigen Wünschen. Wahrlich, dies ist Gottes Rat ehedem und immerdar … Hättet ihr an Gott geglaubt, als Er sich offenbarte, so hätte sich das Volk nicht von Ihm abgewandt, noch hätte Uns das befallen, dessen ihr heute Zeuge seid. Fürchtet Gott und gesellt euch nicht zu den Achtlosen!… Dies ist die Sache, die alle eure abergläubischen Meinungen und eure Götzenbilder ins Wanken brachte … O Schar der Geistlichen! Hütet euch, zur Ursache des Streites im Lande zu werden, so wie ihr in seinen früheren Tagen zur Ursache der Zurückweisung des Glaubens wurdet. Sammelt das Volk um dieses Wort, das die Steine ausrufen ließ: `Das Reich ist Gottes, des Aufgangsortes aller Zeichen!` … Zerreißt die Schleier in einer solchen Weise, daß es die Bewohner des Königreiches hören. Dies ist der Befehl Gottes in den vergangenen Tagen und für die kommenden. Gesegnet der Mensch, der befolgt, was ihm befohlen wurde, und wehe den Nachlässigen.“
20:19 Und wiederum: „O Schar der Geistlichen! Wie lange wollt ihr die Speere des Hasses auf das Antlitz Bahás richten? Zügelt eure Feder! Seht, die Erhabenste Feder spricht zwischen Erde und Himmel. Fürchtet Gott und folgt nicht euren Wünschen, die das Antlitz der Schöpfung entstellt haben! Reinigt eure Ohren, auf daß sie der Stimme Gottes lauschen. Bei Gott! Sie ist wie ein Feuer, das die Schleier verzehrt, und wie Wasser, das die Seelen all derer reinigt, die im Weltall sind.“
20:20 [130] „Sprich: O Schar der Geistlichen!“, so redet Er sie weiter an, „kann sich einer von euch mit dem göttlichen Jüngling in der Arena der Weisheit und der Verkündung messen oder sich mit Ihm in den Himmel der inneren Bedeutung und der Auslegung erheben? Nein, bei Meinem Herrn, dem Gott der Barmherzigkeit! Alle wurden am heutigen Tage durch das Wort deines Herrn ohnmächtig. Sie sind sogar wie tot und leblos außer dem, den dein Herr, der Allmächtige, der Unbeschränkte, zu verschonen gewillt ist. Ein solcher Mensch gehört wahrlich zu den mit Erkenntnis Begabten in den Augen Dessen, der der Allwissende ist. Die Insassen des Paradieses und die Bewohner der geheiligten Stätten segnen ihn zur Abendzeit und zur Morgendämmerung. Kann einer mit Holzbeinen einem Widerstand leisten, dessen Füße Gott aus Stahl gemacht hat? Nein, bei Ihm, der das All der Schöpfung erleuchtet!“
20:21 „Als Wir genau darauf achteten“, äußert Er bedeutungsvoll, „entdeckten Wir, daß Unsere Feinde zum größten Teil Geistliche sind“. „Unter dem Volke sind welche, die sagten: `Er hat die Geistlichen verworfen.` Sprich: `Ja, bei Meinem Herrn! Ich war gewißlich Der, welcher die Götzenbilder zerschlug.`“ „Wahrlich, Wir haben die Trompete, die Unsere Erhabenste Feder ist, erschallen lassen, und siehe, die Geistlichen und die Gelehrten, die Doktoren und die Herrscher fielen betäubt nieder, ausgenommen solche, die Gott als Zeichen Seiner Gnade bewahrte, und Er, wahrlich, ist der Allgütige, der Urewige aller Tage.“
20:22 „O Schar der Geistlichen! Werft eitle Phantasiegebilde und Einbildungen beiseite und wendet euch dann dem Horizonte der Gewißheit zu. Ich schwöre bei Gott: Alles, was ihr besitzt, wird euch nichts nützen, weder alle Schätze der Erde noch die Führerschaft, die ihr euch angeeignet habt. Fürchtet Gott und gehört nicht zu den Ver!orenen!“ „Sprich: O Schar der Geistlichen! Legt alle eure Schleier und Hüllen beiseite. Schenkt euer Ohr dem, wozu euch die Erhabenste Feder an diesem wunderbaren Tage ruft … Die Welt ist durch eure eitlen Einbildungen mit Staub beladen, und die Herzen der Gott Nahen werden von eurer Grausamkeit gequält. Fürchtet Gott und gesellt euch zu denen, die gerecht urteilen.“
20:23 [131] „O ihr Dämmerungsorte der Erkenntnis“, so ermahnt Er sie, „hütet euch davor, daß man euch ändere. Denn wenn ihr euch ändert, werden sich die meisten Menschen desgleichen ändern. Wahrlich, dies ist ein Unrecht an euch und an anderen … Ihr gleicht einer Quelle. Wenn sie sich verändert, werden die Ströme, die ihr entstammen, sich verändern. Fürchtet Gott und gesellt euch zu den Gottesfürchtigen! Wenn das Herz des Menschen verdorben wird, werden seine Glieder gleicherweise verdorben werden. Und ähnlich, wenn die Wurzel eines Baumes verdorben wird, so werden seine Äste, seine Triebe, seine Blätter und seine Früchte verdorben werden.“
20:24 „Sprich: O Schar der Geistlichen“, so ruft Er sie an, „seid und wird euch Gott, dem Mächtigen, dem Großen, nahe bringen. Bedenkt und ruft euch ins Gedächtnis, wie das Volk Muhammad, den Apostel Gottes, verleugnete, als Er erschien. Sie beschuldigten Ihn derart, daß der Geist (Jesus) auf Seiner Erhabensten Stufe wehklagte und der Geist der Treue aufschrie. Bedenkt weiter, was vor Ihm die Apostel und Gottgesandten durch die Hände der Ungerechten befallen hat. Wir erwähnen euch um Gottes willen, erinnern euch an Seine Zeichen und verkünden euch die Dinge, die denen verordnet sind, die Ihm im erhabensten Paradiese und im allerhöchsten Himmel nahe sind. Wahrlich, Ich bin der Verkünder, der Allwissende. Er ist um eurer Erlösung willen gekommen und hat die Leiden ertragen, damit ihr auf der Leiter der Äußerungen zum Gipfel des Verstehens emporsteigen mögt … Bedenkt mit Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit das, was herabgesandt wurde. Wahrlich, dies wird euch durch die Wahrheit erhöhen und Dinge schauen lassen, die euch verschlossen waren, und es wird euch befähigen, Seinen perlenden Wein zu trinken.“
21 [132] Worte an die muhammadanischen Geistlichen
21:1 Laßt uns jetzt die besonderen Hinweise und die vom Báb und von Bahá’u’lláh unmittelbar an die muhammadanischen Geistlichen gerichteten Worte noch genauer betrachten. Der Báb hat, wie im Kitáb-i-Íqán bezeugt wurde, „ein besonderes Tablet an die Geistlichen einer jeden Stadt geoffenbart, worin Er die Wesensart der Verleugnung und Zurückweisung durch einen jeden von ihnen ausführlich darlegte“. Während Er in Isfáhán weilte, jenem altehrwürdigen Bollwerk muhammadanischer Geistlichkeit, lud Er durch Vermittlung des Gouverneurs Manúchihr Khán die Geistlichen jener Stadt schriftlich ein, eine Aussprache mit ihm zu vereinbaren, um, wie Er es ausdrückte, „die Wahrheit festzustellen und die Falschfreit zu zerstreuen“. Nicht einer aus der Menge der Geistlichen, die sich um diesen großen sitz der Gelehrsamkeit drängten, hatte den Mut, die Herausforderung anzunehmen. Bahá’u’lláh seinerseits gab, während Er in Adrianopel weilte, wie es in seinem Tablet an den Sháh von Persien bezeugt ist, seinem Wunsch Ausdruck, „Auge in Auge den Geistlichen Seiner Zeit gegenübergestellt zu werden und Beweise und Zeugnisse in der Gegenwart Seiner Majestät des Sháh geben zu können“. Dieses Anerbieten wurde als „eine große Anmaßung und erstaunliche Kühnheit“ von den Geistlichen in Tihrán gerügt, und sie rieten in ihrer Furcht ihrem Staatsoberhaupt, augenblicklich den Überbringer jenes Tablets zu bestrafen. Früher schon hatte Bahá’u’lláh, während Er in Baghdád weilte, seine Bereitwilligkeit ausgesprochen, unverzüglich ein Wunder zu vollbringen, unter der Voraussetzung, daß sich die Geistlichen von Najaf und Karbilá – in den Augen der Schiiten die beiden heiligsten Städte nächst Mekka und Medina – versammelten und über irgendein Wunder, das sie wünschten, übereinkämen und eine Erklärung unterzeichneten und siegelten, die versicherte, daß sie bei Vollbringung dieses Wunders die Wahrheit seiner Sendung anerkennen würden. Auf diese Herausforderung konnten sie, wie durch’Abdu’l-Bahá in seinen „Beantworteten Fragen“ bezeugt ist, keine bessere Antwort finden als diese: „Dieser Mann ist ein Zauberer. Vielleicht will er ein Zauberkunststück vorführen, und dann würden wir nichts mehr zu sagen haben.“ „Zwölf Jahre lang“, hat Bahá’u’lláh selbst bezeugt, „haben Wir in Bahgdád geweilt. So sehr Wir auch wünschten, eine große Versammlung Geistlicher und ehrlich gesinnter Männer käme zusammen, so daß Wahrheit von Falschheit unterschieden und völlig bewiesen werde, so ist doch nichts dazu geschehen.“ Und wiederum: “ Und ebenso, während Wir im ‚Iráq waren, wünschten wir, mit den Geistlichen Persiens zusammenzukommen. Kaum hörten sie davon, so flohen sie und sprachen: `Er ist tatsächlich ein offenkundiger Zauberer!` Dieses Wort kam schon früher von den Lippen von ihresgleichen. Diese (Geistlichen) tadelten, was jene gesagt hatten, und wiederholen heutzutage doch selbst, was vor ihnen gesprochen wurde, und sie begreifen es nicht. Bei Meinem Leben! Sie sind wie Asche in den Augen deines Herrn. Wenn Er will, werden gewaltige Stürme über sie brausen und sie zu Staub machen. Wahrlich, dein Herr tut, was Ihm beliebt.“
21:2 [133] Diese falschen, grausamen und feigen schiitischen Geistlichen, ohne deren Einmischung, wie Bahá’u’lláh erklärte, Persien in kaum mehr als zwei Jahren von der Kraft Gottes ergriffen worden wäre, sind im Qayyúmu’l-Asmá‘ folgendermaßen angeredet worden: „O Schar der Geistlichen! Fürchtet Gott von diesem Tage an in den Ansichten, die ihr äußert, denn Er, welcher Unser Erwähner in eurer Mitte ist und welcher von Uns kommt, ist in Wahrheit der Richter und der Zeuge. Wendet euch ab von dem, was ihr festhaltet und was das Buch Gottes, des Wahren, nicht bestätigt hat, denn am Tage der Auferstehung werdet ihr auf der Brücke für die Haltung, die ihr einnahmt, wahrlich verantwortlich gemacht werden.“
21:3 [134] Im gleichen Buche redet der Báb sowohl die Schiiten als auch die ganze Anhängerschaft des Propheten folgendermaßen an: „O Schar der Schiiten! Fürchtet Gott und Unsere Sache, die Ihn, den Größten Erwähner Gottes, betritt. Denn groß ist sein Feuer, wie im Mutterbuch verordnet ist.“ „O Volk des Qur’án! Ihr seid wie nichts, es sei denn, ihr unterwerft euch dem Erwähner Gottes und diesem Buch. Wenn ihr der Sache Gottes folgt, werden Wir euch eure Sünden vergeben, und wenn ihr euch von Unserem Befehl abwendet, werden Wir wahrlich eure Seelen in Unserem Buche zum Größten Feuer verdammen. Wahrlich, Wir verfahren nicht ungerecht mit den Menschen, auch nicht so viel wie ein Fleckchen auf einem Dattelkern.“
21:4 Und schließlich ist in dem gleichen Kommentar diese erschreckende Weissagung verzeichnet: „Binnen kurzem werden Wir wahrlich jene, die gegen Husayn (Imám Husayn) im Lande des Euphrat Krieg führten, mit der schmerzlichsten Qual und mit der schrecklichsten und abschreckendsten Strafe heimsuchen.“ „Binnen kurzem“, hat Er in dem nämlichen Buch in bezug auf dieses gleiche Volk geschrieben, „wird Gott an ihnen zur Zeit Unserer Wiederkehr Seine Vergeltung üben, und wahrlich, Er hat für sie in der künftigen Welt eine schwere Pein vorbereitet.“
21:5 Was Bahá’u’lláh betrifft, so bilden die stellen, die ich auf diesen Seiten anführe nur einen Bruchteil der in seinen schriften häufigen Hinweise auf muhammadanische Geistliche. so ruft Er aus: „Der Lotoshaum, über den hinaus keiner gehen kann, weint auf ob der Grausamkeit der Geistlichen. Er schreit laut und wehklagt über sich selbst.“ In seinem „Brief an den Sohn des Wolles“ hat Er geschrieben: „Wie groß auch seit Beginn dieser Sekte (der Schiiten) bis auf den heutigen Tag die Zahl der Geistlichen gewesen ist, die gelebt haben, so hat doch keiner von ihnen die Natur dieser Offenbarung erkannt. Was mag die Ursache dieser Verirrung gewesen sein? Wollten Wir sie erwähnen, so würden ihre Glieder zerreißen. Es tut ihnen not, nachzusinnen, ja, tausendmal tausend Jahre lang nachzusinnen, damit sie vielleicht ein paar Tropfen aus dem Ozean der Erkenntnis erlangen und entdecken mögen, was sie an diesem Tage nicht beachten. Ich wandelte im Lande Tá (Tihrán), dem Tagesanbruch der Zeichen deines Herrn – siehe, da hörte Ich das Wehklagen der Kanzeln und die Stimme ihres Flehens zu Gott – gesegnet und verherrlicht sei Er, Sie riefen aus und sagten: `O Gott der Welt und Herr der Völker! Du siehst unseren Zustand und was über uns gekommen ist durch die Grausamkeit Deiner Diener. Du hast uns erschaffen und geoffenbart zu Deiner Verherrlichung und zu Deinem Preis. Du hörst nun, was die widerspenstigen über uns in Deinen Tagen verkünden. Bei Deiner Macht! Unsere Seelen zerfließen und unsere Glieder erzittern. Wehe! Wehe! Wären wir doch nie von Dir erscha ffen und geoffenbart worden!` Die Herzen jener, die Gott nahe sind, werden von diesen Worten verzehrt und lassen die Wehrufe derer ertönen, die Ihm ergeben sind.“
21:6 [135] „Diese dicken Wolken“, hat Er in demselben Tablet dargelegt, „sind Auswüchse nutzloser Phantasie und eitler Einbildungen, die von keinen anderen stammen, als von den Geistlichen Persiens“. Und Er erklärt im gleichen Zusammenhang: „Unter `Geistlichen` werden an der oben erwähnten Stelle jene Menschen verstanden, die sich äußerlich mit dem Kleide der Erkenntnis schmücken, aber innerlich ihrer beraubt sind. In diesem Zusammenhang führen Wir aus dem Tablet an Seine Majestät den Sháh einige Stellen aus den `Verborgenen Worten` an, die durch die Feder Abhás unter dem Namen `Buch der Fátimih`- möge Gottes Segen auf ihr ruhen – geoffenbart wurden. `O ihr Toren, die ihr als weise geltet! Warum verkleidet ihr euch als Hirten, da ihr doch innerlich zu Wölfen wurdet, die nach Meiner Herde trachten? Ihr gleicht dem Morgenstern, der vor der Dämmerung strahlend und hell scheint und der doch die Wanderer zu Meiner Stadt in die Irre und auf den Pfad des Verderbens leitet.` Und ebenso spricht Er: `O ihr scheinbar Vollkommenen, doch innerlich Unvollkommenen! Ihr seid wie reines, doch bitteres Wasser, das äußerlich kristallklar scheint, von dem aber bei der Probe durch den göttlichen Prüfer nicht ein Tropfen angenommen wird. Ja, der Sonnenstrahl fällt gleicherweise auf den Staub wie den Spiegel, doch in ihrem Widerschein unterscheiden sie sich wie der Stern von der Erde – ja mehr noch, der Unterschied ist unermeßlich!`“
21:7 [136] „Wir haben alle Menschen eingeladen“, hat Bahá’u’lláh in einem anderen Tablet klargelegt, „sich Gott zuzuwenden, und traben sie mit dem Geraden Pfad bekannt gemacht. Sie (die Geistlichen) erhoben sich gegen Uns mit solcher Grausamkeit, daß dies die Kraft des Islám untergraben hat, und doch sind die meisten Leute achtlos!“ „Die Kinder Dessen, welcher der Freund Gottes ist (Abraham)“, so hat Er des weiteren geschrieben, „und die Erben Dessen, der mit Gott verkehrte (Moses), die zu den Verworfensten unter den Menschen gezählt wurden, haben die Schleier zerrissen und die Hüllen abgeworfen und den versiegelten Wein aus den gütigen Händen des Selbstbestehenden ergriffen und sich satt getrunken, während die verabscheuungswürdigen schiitischen Geistlichen bis heute zaudernd und werstockt geblieben sind.“ Und weiter: „Die Geistlichen Persiens begingen, was kein Volk unter den Völkern der Welt begangen hat.“
21:8 [137] „Wenn diese Sache von Gott ist“, so redete Er den Gesandten des Sháh in Konstantinopel an, „so kann kein Mensch gegen sie aufkommen, und wenn sie nicht won Gott ist, so werden die Geistlichen unter euch und die, welche ihren verdorbenen Wünschen folgen, und jene, die sich wider Ihn aufgelehnt haben, sicherlich genügen, sie zu überwältigen.“
21:9 „Von allen Völkern der Welt“, so bemerkt Er in einem anderen Tablet, „ist dasjenige, das den größten Verlust erlitten hat, das Volk Persiens gewesen und ist es noch. Ich schwöre bei der Sonne der Äußerungen, die in ihrem Mittagsglanze auf die Welt scheint! Das Wehklagen der Kanzeln in diesem Lande ertönt immerfort. Schon in den ersten Tagen wurden solche Wehklagen im Lande Tá (Tihrán) gehört, denn Kanzeln, die zur Erwähnung des Einen Wahren errichtet wurden – erhaben sei seine Herrlichkeit – sind jetzt in Persien zu Orten geworden, von denen aus Lästerungen gegen Ihn, die Sehnsucht der Welt, ausgesprochen werden.“
21:10 „An diesem Tage“, so lautet seine scharfe Rüge, „ist die Welt mit den Wohlgerüchen vom Gewande der Offenbarung des altehrwürdigen Königs erfüllt …, und doch haben sie (die Geistlichen) sich versammelt und sich auf ihren Sitzen breitgemacht und gesprochen, was ein Tier Scham empfinden lassen würde, wieviel mehr den Menschen selbst. Würden sie sich einer ihrer Taten bewußt werden und das Unheil erkennen, das sie angerichtet haben, so würden sie sich mit eigener Hand zu ihrem endgültigen Wohnort befördern.“
21:11 „O Schar der Geistlichen!“, so befiehlt ihnen Bahá’u’lláh, „… Legt beiseite, was ihr besitzt, haltet Frieden und hört sodann auf das, was die Zunge der Größe und Erhabenheit spricht. Wie viele verschleierte Dienerinnen wandten sich Mir zu und glaubten, und wie viele Turbanträger waren von Mir ausgeschlossen und folgten den Fußstapfen vergangener Geschlechter!“
21:12 [138] „Ich schwöre bei der Sonne, die über dem Horizont der Äußerung scheint“, so sagt Er aus, „ein Spänchen vom Fingernagel einer der gläubigen Dienerinnen wird am heutigen Tage vor den Augen Gottes mehr geachtet als die Geistlichen Persiens, die nach dreizehnhundert Jahren Wartezeit das verübten, was die Juden nicht taten während der Offenbarung Dessen, welcher der Geist ist (Jesus).“ „Obwohl sie sich über die Trübsale, die Uns getroffen haben, freuen“, lautet Seine Warnung, „so wird doch der Tag kommen, da sie wehklagen und weinen werden“.
21:13 „O Achtloser“, so redet Er im Lawh-i-Burhán einen berüchtigten persischen Mujtahiden an, dessen Hände mit dem Blut von Bahá’í-Märtyrern befleckt waren, „verlasse dich nicht auf deinen Ruhm und deine Macht. Du gleichst der letzten Spur des Sonnenlichtes auf dem Bergesgipfel. Bald wird es dahinschwinden, wie es beschlossen ist von Gott, dem Allbesitzenden, dem Höchsten. Dein Ruhm und der Ruhm von deinesgleichen sind von euch genommen, und dies ist wahrlich von dem Einen, bei dem das Mutterbuch ist, verordnet worden… Um euretwillen klagte der Apostel (Muhammad), und die Reine (Fátimih) schrie auf, und die Länder wurden verwüstet, und Finsternis fiel auf alle Regionen. O Schar der Geistlichen! Um euretwillen wurde das Volk erniedrigt, das Banner des Islám niedergeholt und sein mächtiger Thron umgestürzt. Jedesmal, wenn ein Mensch mit Verstand an dem festzuhalten suchte, was den Islám erhöhen würde, habt ihr ein Geschrei erhoben, und dadurch wurde er verhindert, seinen Plan auszuführen, während das Land offensichtlich dem Verderben preisgegeben war.“
21:14 „Sprich: O Schar persischer Geistlicher“, so weissagt Bahá’u’lláh wiederum, „in Meinem Namen habt ihr die Zügel der Macht über die Menschen ergriffen, und durch eure Beziehung zu Mir nehmt ihr die Ehrensitze ein. Als Ich Mich aber offenbarte, wandtet ihr euch ab und begingt, was die Tränen derer, die Mich erkannten, fließen ließ. Binnen kurzem wird alles, was ihr besitzt, zugrunde gehen, und euer Ruhm wird sich in jämmerlichste Erniedrigung verwandeIn, und ihr werdet die Strafe sehen für das, was ihr getan habt, wie es von Gott, dem VerOrdner, dem Allweisen, beschlossen wurde.“
21:15 [139] In der Súriy-i-Mulúk hat Er sich an sämtliche kirchlichen Führer des sunnitischen Islám in Konstantinopel, der Hauptstadt des Reiches und dem Sitz des Kalifates, gewandt und geschrieben: „O ihr Geistlichen der Stadt! Wir kamen zu euch mit der Wahrheit, ihr aber achtetet ihrer nicht. Mir dünkt, ihr gleicht Toten, eingewickelt in die Hüllen eures eigenen Selbstes. Ihr suchtet nicht Unsere Gegenwart, als dies zu tun besser für euch gewesen wäre als alle eure Taten … Wißt, daß, ‚ wenn eure Führer, denen ihr Treue schuldet, auf die ihr stolz seid, die ihr bei Tag und Nacht erwähnt und in deren Fußspuren ihr Führung sucht -, wenn sie in diesen Tagen gelebt hätten, so wären sie um Mich gewesen und hätten sich nimmer von Mir getrennt, weder am Abend noch am Morgen. Ihr jedoch wandtet euer Antlitz, auJ nicht für einen einzigen Augenblick, Meinem Antlitz zu, und ihr wurdet hochmütig und achtetet nicht auf diesen Mißhandelten, der von den Menschen so gequält wurde, da sie mit Ihm verfuhren, wie es ihnen beliebte. Ihr habt es unterlassen, über Meine Lage nachzuforschen, auch unterrichtetet ihr euch nicht über das, was Mir zustieß. Dadurch habt ihr das Wehen der Heiligkeit und die Lüfte der Güte, die von diesem leuchtenden und sichtbaren Orte ausgehen, von euch abgehalten. Mich dünkt, ihr habt euch an äußerlichkeiten gehängt und das Innere vergessen, und ihr sagt, was ihr nicht tut. Ihr liebt Namen lind scheint euch ihnen ganz hingegeben zu haben. Aus diesem Grunde erwähnt ihr die Namen eurer Führer. Und würde irgendeiner wie sie, oder ein Besserer als sie, zu euch kommen, so würdet ihr ihn fliehen. Durch jene Namen habt ihr euch erhöht und euch eure Stellung gesichert, und ihr lebt und gedeiht durch sie. Und würden eure Führer wieder erscheinen, so würdet ihr weder auf eure Führerschaft verzichten, noch würdet ihr euch ihnen zuzuenden oder euer Antlitz auf sie richten. Wir fanden, daß ihr, wie die meisten Menschen, Namen anbetet, die sie alle Tage ihres Lebens erwähnen und mit denen sie sich befassen. Kaum jedoch erscheinen die Träger dieser Namen, da werwerfen sie sie und kehren ihnen den Rücken … Wißt, daß Gott an diesem Tage weder eure Gedanken annehmen wird noch euer Gedenken an Ihn, auch nicht eure Haltung Ihm gegenüber, eure Andachtsübungen und eure Wachsamkeit, es sei denn, ihr werdet neuerschaffen in der hohen Achtung diesem Diener gegenüber – könntet ihr es doch begreifen.“
21:16 [140] Die Stimme ‚Abdu’l-Bahás, des Mittelpunktes des Gottesbündnisses, hat sich gleicherweise erhoben und das gräßliche Unheil angekündigt, das bald nach Seinem Hinscheiden die geistliche Herrschaft des sunnitischen und schiitischen Islám befallen sollte. „Diese Herrlichkeit“, hat Er geschrieben, „wird sich in die elendeste Erniedrigung verwandeIn, und dieser Pomp und diese Macht zuerden sich in völlige Unterwerfung verkehren. Ihre Paläste werden in Gefängnisse umgewandelt zuerden, und die Bahn ihres hochstrahlenden Gestirns wird in den Tiefen des Abgrundes enden. Lachen und Fröhlichkeit werden dahinschwinden, nein noch mehr, ihre Klagestimme wird sich erheben.“ „Wie der Schnee in der Julisonne“, so hat Er des weiteren geschrieben, „werden sie dahinschwinden“.
21:17 Die Auflösung des Kalifats, die vollständige Verweltlichung des Staates, der die erhabenste Einrichtung des Islám beherbergt hatte, und der tatsächliche Zusammenbruch der schiitischen Priesterherrschaft in Persien – das waren die sichtbaren und unmittelbaren Folgen der Behandlung, die der Gottessache durch die Geistlichkeit der beiden größten Gemeinschaften der muhammadanischen Welt zuteil geworden war.
22 [141] Das sinkende Glück des schiitischen Islám
22:1 Laßt uns zuerst die Heimsuchungen betrachten, welche das sinkende Glück des schiitischen Islám gekennzeichnet haben. Die zu Beginn dieser Zeilen aufgezählten Schändlichkeiten, für die die schiitische Geistlichkeit Persiens in erster Linie verantwortlich zu machen ist, Schändlichkeiten, die nach den Worten Bahá’u’lláhs „den Apostel (Muhammad) wehklagen und die Reine (Fátimih) aufschreien“ und „alle erschaffenen Dinge stöhnen und die Glieder der Heiligen zittern ließen“, Schändlichkeiten, welche die Brust des Báb mit Kugeln durchlöcherten, Bahá’u’lláh niederbeugten, Sein Haar bleichten und Ihn vor Qual aufseufzen, Muhammad über Ihn weinen, Jesus sich aufs Haupt schlagen und den Báb Seinen Zustand beklagen ließen – solche Schändlichkeiten konnten und durften wahrlich nicht ungestraft bleiben. Gott, der grimmigste Rächer, wachte und gelobte, „keines Menschen Ungerechtigkeit zu vergeben“. Die Geißel Seiner Züchtigung traf endlich, rasch, plötzlich und schrecklich, die Verüber dieser Schändlichkeiten.
22:2 Eine Umwälzung, die in ihrem Verlauf furchtbar in ihren Ausmaßen, weitreichend in ihrer Rückwirkung, aber erstaunlich durch das Fehlen von Blutvergießen oder gar Gewalttätigkeiten war, forderte die Vorrangstellung der Geistlichkeit heraus, die seit Jahrhunderten das Kennzeichen des Islám in diesem Lande gewesen war, und stürzte eine Herrschaft der Geistlichen, mit der das Räderwerk des Staates und das Leben des Volkes unauflöslich verwoben waren. Eine solche Umwälzung ließ nicht die Aufhebung der staatlichen geistlichen Herrschaft erkennen; sie bedeutete vielmehr das Zerbrechen dessen, was ein Kirchenstaat genannt werden konnte – eines Staates, der sogar bis zum Augenblick seines Verlöschens hoffnungsvoll die erfreuliche Ankunft des verborgenen Imám erwartet hatte, eines Imámes, der dann nicht nur die Zügel der Amtsgewalt des Sháh, der obersten Behörde, die ihn nur vertrat, ergreifen, sondern sogar die Herrschaft über die ganze Erde übernehmen würde.
22:3 [142] Der Geist, den diese Priesterkaste ein ganzes Jahrhundert lang so hartnäckig zu zermalmen bestrebt war, der Glaube, den sie mit wilder Roheit auszurotten versucht hatte, waren jetzt ihrerseits dabei, durch die Kräfte, die sie in der Welt erzeugt hatten, das Gleichgewicht eben dieser Ordnung – deren Verzweigungen sich in jede Sphäre, Pflicht und lebenswichtige Handlung in jenem Lande ausgedehnt hatten – zu stören und ihre Stärke zu untergraben. Der Felswall des Islám, scheinbar unüberwindlich, war nun in seinen Grundlagen erschüttert worden und brach jetzt vor den Augen der verfolgten Anhänger des Glaubens Bahá’u’lláhs zusammen. Eine Priesterherrschaft, die den Glauben Gottes so lange geknechtet hatte und ihn einmal sogar tödlich niedergestreckt zu haben schien, wurde jetzt selbst zur Beute einer überlegenen weltlichen Macht, deren entschlossene Politik es war, stetig und erbarmungslos ihre Schlingen um jene Herrschaft zu legen.
22:4 Das weite System jener Priesterherrschaft, mit allen seinen Bestandteilen und Organen – seinen Shaykhu’l-Islám (Hohenpriestem), seinen Mujtahids (Doktoren der Gesetze), seinen Mullás (Priestern), Fuqahás (Juristen), Imámen (Vorbetern), Mu’adhdhins (Gebetsrufern), Vu’ázz (Predigern), Qádís (Richtern), Mutavallís (Hütern), Madrisihs (Seminaren), Mudarrisíns (Lehrern), Tullábs (Schülern), Qurrás (Vorsängern), Mu’abbiríns (Wahrsagern), Muhaddithíns (Erzählern), Musakhkhiríns (Geisterbeschwörern), Dhákirins (Erinnerern), ‚Ummál-i-dhakáts (Almosengebern), Muqaddasíns (Heiligen), Munzavís (Einsiedlern), seinen Súfís, seinen Derwischen und was sonst noch alles – war gelähmt und gänzlich in Mißkredit geraten. seine Mujtahids, jene Aufwiegler, die Macht über Leben und Tod hatten und denen durch lange Generationen hindurch Ehren fast königlicher Art gewährt worden waren, wurden auf eine kläglich unbedeutende Zahl vermindert. Die turbantragenden Prälaten der islámischen Kirche, die nach den Worten Bahá’u’lláhs „ihre Häupter mit Grün und Weiß bedeckten und verübten, was den Geist der Religion seufzen ließ“, wurden unbarmherzig hinweggefegt. Nur eine Handvoll machte eine Ausnahme, und sie ist jetzt gezwungen, um sich gegen das Wüten eines glaubenslosen Volkes zu schützen, sich der Demütigung zu unterziehen, immer, wenn die Gelegenheit es fordert, die ihnen von den weltlichen Behörden gewährte Erlaubnis einzuholen, dieses dahinschwindende Sinnbild einer verschwundenen Würde zu tragen. Der Rest dieser turbantragenden Klasse, ob Siyyids, Mullás oder Hájís, wurde gezwungen, nicht nur seine ehrwürdige Kopfbedeckung mit dem Kuláh-i-farangí (europäischen Hut) zu vertauschen, den sie selbst nicht viel früher verflucht hatten, sondern sogar ihre fließenden Gewänder abzulegen und die engsitzenden Anzüge europäischen Schnittes anzuziehen, deren Einführung in ihrem Lande sie vor einem Menschenalter so heftig verworfen hatten.
22:5 [143] „Die dunkelblauen und weißen Dome“ – eine Anspielung ‚Abdu’l-Bahás auf den rundlichen, massigen Kopfschmuck der Priester Persiens – sind wahrlich „umgestülpt“ worden. Jene, deren Häupter sie getragen hatten, die anmaßenden, fanatischen, treulosen und rückschrittlichen Geistlichen, “ in deren autoritärem Griff“, wie Bahá’u’lláh bezeugt, „die Zügel der Herrschaft über das Volk lagen“, deren „Worte der Stolz der Welt sind“ und deren „Taten die Schmach der Völker sind“, erkannten die Erbärmlichkeit ihrer Lage und zogen sich niedergeschlagen und aller Hoffnungen bar in ihre Häuser zurück, um dort ein jämmerliches Dasein zu verbringen. Machtlos und mürrisch beobachten sie den Ablauf eines Geschehens, das ihre Politik umgestürzt und ihre Schöpfung zerstört hat und nun unwiderstehlich seinem Höhepunkt zustrebt.
22:6 [144] Der Pomp und Prunk dieser geistlichen Fürsten des Islám sind bereits vergangen. Ihr fanatisches Geschrei, ihre lärmenden Gebetsrufe und ihre geräuschvollen Kundgebungen sind verstummt. Ihre Fatvás (Rechtssprüche oder Rechtsgutachten), einst mit solcher Scharmlosigkeit verkündet und zeitweise Anklagen gegen Könige enthaltend, sind tote Buchstaben. Das Schauspiel von Versammlungsgebeten, an denen Tausende Andächtiger in Reihen aufgestellt teilnahmen, ist verschwunden. Die Kanzeln, von denen aus sie den Donner ihrer Verfludiungen in gleicher Weise gegen Mächtige und Unschuldige entluden, sind verlassen und still. Ihre Waqfs, diese unschätzbaren und weithin verbreiteten Stiftungen, der Landbesitz des erwarteten Imám – die einstmals allein in Isfáhán die ganze Stadt umfaßten -, sind ihren Händen entwunden und unter die Aufsicht einer weltlichen Verwaltung gestellt worden. Ihre Madrisihs (Seminare) mit ihrem mittelalterlichen Schulwissen sind verlassen und verfallen. Die unzähligen Bände theologischer Auslegungen, Nebenkommentare, Randbemerlcungen und Anmerkungcn, unleserlich, unnütz, Erzeugnisse irregeleiteter Begabung und Mühe, von einem der erleuchtetsten Denker des Islám in neuerer Zeit alsWerke bezeichnet, die das gesunde Erkennen verdunkeln, Würmer hervorbringen und nur noch des Feuers wert sind, wurden nun weggepackt, mit Spinngewebe überzogen und vergessen. lhre abstrusen Abhandlungen, ihre heftigen Wortgefechte und endlosen Auseinandersetzungen sind außer Mode und aufgegeben. Ihre Masjids (Moscheen) und Imám-Zádihs (Heiligengräber), welche das Vorrecht hatten, das Bast (Asylrecht) auf mancherlei Verbrecher auszudehnen, und die zu einem allgemeinen Ärgernis geworden waren, deren Wände von den Gesängen einer heuchlerischen und ruchlosen Geistlichkeit widerhallten und deren Ornamente mit den Schätzen der Königspaläste wetteiferten, sind verlassen oder verfallen. Ihre Takyihs, die Schlupfwinkel der faulen, untätigen und beschaulichen Pietisten, sind verkauft oder geschlosscn worden. Ihre mit barbarischem Eifer gespielten und durch plötzliches Aufzucken ungezügelter religiöser Erregung gesteigerten Ta’zíyihs (Spiele) sind verboten. Sogar ihre Rawdih-Khánís (Klagegesänge) mit ihren langgezogenen klagenden Schreien, die aus so vielen Häusern aufstiegen, sind beschränkt und verhindert worden. Die heiligen Pilgerfahrten nach Najaf und Karbilá, den heiligsten Grabstätten der schiitischen Welt, sind an Zahl zurückgegangen und immer mehr erschwert worden, wodurch mancher habgierige Mullá verhindert wird, in seinem altehrwürdigen Gewande doppelte Forderungen dafür zu erheben, daß er solche Pilgerfahrten in Vertretung religiös gesinnter Menschen unternimmt. Die Abschaffung des Schleiers, die zu verhindern die Mullás mit Zähnen und Nägeln fochten, die Gleichberechtigung der Geschlechter, die ihr Gesetz verbot, die Errichtung weltlicher Gerichte, die ihe geistlichen Gerichte ersetzten, die Abschaffung des Síghih (Konkubinat), das, wenn für kurze Zeit eingegangen, kaum von einer Art Prostitution zu unterscheiden ist, und das aus dein wilden und fanatischen Mashad, dem nationalen Mittelpunkt der Wallfahrten, eine der sittenlosesten Städte Asiens machte, und endlich die Anstrengungen, die gemacht werden, um das Arabische, die heilige Sprache des Islám und des Qur’án, herabzusetzen und es vom Persischen zu trennen – all dies hat der Reihe nach seinen Teil zu der Beschleunigung dieses unaufhaltsamen Geschehens beigetragen, das den Rang und die Vorteile der muhammadanischen Geistlichen den weltlichcn Bchörden in einem Grade untergeordnet hat, den kein Mullá erträumt hatte.
22:7 [145] Nun mag der einst hochbeturbante, langbärtige, strengblickende Áqá (Mulla), der sich so unverschämt auf jedem Gebiet menschlicher Tätigkeit eingemischt hatte, wenn er jetzt hutlos und glattrasiert in der Abgeschlossenheit Seines Hauses dasitzt und vielleicht den Tönen westlicher Musik lauscht, die über die Ätherwellen seines Heimatlandes schmettern, innehalten, um eine Weile an den verblaßten Glanz seines dahingegangenen Reiches zu denken. Nun mag er über die Verheerung nachsinnen, welche die aufsteigende Flut des Nationalismus und Skeptizismus unter den scheinbar unzerstörbaren Trachtionen seines LIandes geschaffen hat. Nun mag er sich die schönen Tage zurückrufen, da er auf einem Esel sitzend durch die Bazare und Maydáne (Plätze) seiner Heimatstadt paradierte und eine eifrige, aber betrogene Menge herbeistürzte, um nicht nur seine Hände mit Inbrunst zu küssen, sondern sogar den Schwanz des Tieres, das er ritt. Nun mag er des blinden Eifers gedenken, womit sie seinen Weihehandlungen Beifall spendeten, und der Zeichen und Wunder, die sie deren Verrichtung beilegten.
22:8 [146] Er mag sogar noch weiter zurückschauen und sich die Regierung jener frommen safawitischen Monarchen ins Gedächtnis rufen, die sich gerne „Hunde an der Schwelle der makellosen Imáme“ nannten. Er mag bei dem Bilde verweilen, wie einer jener Könige sich bewogen fühlte, vor dem Mujtahid, der über den Maydán-i-Sháh, den Hauptplatz Isfáháns, ritt, zu Fuß einherzugehen als Zeichen königlicher Unterwürfigkeit vor dem höchsten Priester des verborgenen Imám, einem Priester, der sich zum Unterschied von dem Titel des Sháh als „Diener des Herrn der Heiligkeit“ (Imam ‚Alí) bezeichnete.
22:9 War es nicht, so mag er wohl erwägen, eben dieser Sháh ‚Abbás der Große, der von einem anderen Mujtahid anmaßend als „Begründer eines entliehenen Reiches“ angeredet wurde, womit ausgedrückt sein sollte, daß das Reich des „Königs der Könige“ in Wirklichkeit dem erwarteten Imám gehörte und vom Sháh lediglich in der Eigenschaft eines zeitweiligen Treuhänders verwaltet wurde? War es nicht derselbe Sháh, der die ganze Strecke von achthundert Meilen von Isfáhán bis Mashhad, dem „besonderen Ruhme der schiitischen Welt“, zu Fuß wanderte, um seine Gebete in der einzigen Weise, die einem Sháh-inSháh geziemt, am Grabe des Imám Ridá darzubringen, und der die tausend Kerzen, die dessen Höfe schmückten, beschnitt? War nicht Sháh Tahmasp (I.) beim Empfang einer von einem anderen Mujtahid geschriebenen Epistel aufgesprungen, hatte er sie nicht an die Augen gedrückt, voll Entzücken geküßt und, weil er mit „Bruder“ angeredet worden war, befohlen, sie in sein Leichentuch zu legen und mit ihm zu begraben?
22:10 Mag nicht derselbe Mullá auch an die Ströme von Blut denken, welche in all den langen Jahren, da er sich einer straflosen Lebensführung erfreute, auf sein Geheiß flossen, an die glühenden Verfluchungen, die er ausgestoßen, an das große Heer von Waisen und Witwen, an die Enterbten, Entehrten, Verlassenen und Heimatlosen, die am Tage der Vergeltung einstimmig nach Rache schreien und Gottes Fluch auf ihn herabrufen werden?
22:11 Jene verruchte Schar hatte sehr wohl die Erniedrigung verdient, in die sie hinabgesunken ist. Sie übersah hartnäckig den Schicksalsspruch, den der Finger Bahá’u’lláhs an die Wand geschrieben hatte; sie folgte fast hundert Jahre lang ihrem verhängnisvollen Lauf, bis ihr zur festgesetzten Stunde die Totenglocke geläutet wurde von jenen umwälzenden Geisteskräften, die, gleichzeitig mit dem ersten Dämmern der Weltordnung Seines Glaubens, das Gleichgewicht ins Wanken bringen und die althergebrachten Einrichtungen der Menschheit in solche Verwirrung stürzen.
23 [147] Der Zusammenbruch des Kalifates
24:1 Diese selben Kräfte haben, in einer gleichlaufenden Richtung wirkend, eine noch bemerkenswertere und gründlichere Umwälzung zustande gebracht, die im Zusammenbruch und Sturz des muhammadanischen Kalifates gipfelte, der mächtigsten Einrichtung der ganzen Islámischen Welt. Diesem Ereignis von verhängnisvoller Bedeutung folgte noch dazu eine förmliche und endgültige Trennung dessen vom Staate, was in der Türkei vom sunnitischen Glauben übriggeblieben war, und darüber hinaus die völlige Verweltlichung der Republik, die sich auf den Ruinen des theokratischen ottomanischen Reiches erhoben hat. Diesen katastrophalen Fall, der die Welt des Islám betäubte, und die offen erklärte, bedingungslose und förmliche Trennung der geistlichen von der weltlichen Macht, welche die Revolution in der Türkei von der in Persien eingetretenen unterschied, will ich nunmehr betrachten.
23:2 Der sunnitische Islám hat, nicht durch das Eingreifen einer ausländischen Macht, die in das Land einfiel, sondern durch einen den Glauben Muhammads ausdrücklich bekennenden Diktator, einen schmerzlicheren Schlag erlitten als jenen, der fast gleichzeitig auf sein Schwesterbekenntnis in Persien fiel. Dieser Vergeltungsakt gegen den Erzfeind des Glaubens Bahá’u’lláhs ruft ein ähnliches, durch das Vergehen eines römischen Kaisers gegen Ende des ersten Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung beschleunigtes Unheil in Erinnerung – ein Unheil, das den Tempel Salomos von Grund auf zerstörte, das Allerheiligste vernichtete, die Stadt Davids verwüstete, die jüdische Priesterherrschaft in Jerusalem entwurzelte, Tausende des jüdischen Volkes – des Verfolgers der Religion Jesu Christi – ermordete, den Rest über die Erde zerstreute und eine heidnische Kolonie auf Zion errichtete.
23:3 [148] Der Kalif, der sich selbst zum Stellvertreter des Propheten des Islám ernannt hatte, übte eine geistige Oberherrschaft aus und war mit einer geheiligten Würde bekleidet, wie sie der Sháh von Persien weder beanspruchte noch besaß. Es sollte auch nicht vergessen werden, daß sich der Bereich seiner geistlichen Rechtsprechung auf Länder weit jenseits der Grenzen seines eigenen Reiches erstreckte und die überwältigende Mehrheit der Muhammadaner in der ganzen Welt umfaßte. Er wurde außerdem in seiner Eigenschaft als der Vertreter des Propheten auf Erden, als Beschützer der heiligen Städte Mekka und Medina angesehen, als Verteidiger und Verbreiter des Islám und als Befehlshaber seiner Anhänger in jedem heiligen Krieg, der ausgerufen werden mochte.
23:4 Eine so mächtige, erhabene und geheiligte Persönlichkeit wurde, zugleich mit der Abschaffung des Sultanats in der Türkei, jener weltlichen Amtsgewalt entkleidet, welche die Vertreter der sunnitischen Schule als notwendigerweise mit diesem hohen Amte verbunden betrachtet haben. Das Schwert, das Sinnbild weltlicher Oberherrschaft, wurde den Händen des Befehlshabers entwunden, dem gestattet war, für eine kurze Zeit eine so ungewöhnliche und gefährliche Stellung zu bekleiden. Bald wurde jedoch in der sunnitischen Welt, die vorher nicht im geringsten um Rat gefragt worden war, ausposaunt, daß das Kalifat selbst nun ausgelöscht worden sei und daß das Land, welches es als Zubehör zu seinem Sultanat mehr als vierhundert Jahre lang angenommen hatte, es nunmehr für immer verleugnet habe. Die Türken, die seit dem arabischen Niedergang die kriegerischen Führer der muhammadanischen Welt gewesen waren und das Banner des Islám bis vor die Tore Wiens, des Herrschersitzes von Europas erster Macht, getragen hatten, waren nun von ihrer Führerschaft zurückgetreten. Der Exkalif, seines königlichen Pomps entkleidet, der Sinnbilder seiner Stellvertreterschaft entblößt und von Freund und Feind gleicherweise verlassen, war gezwungen, aus Konstintinopel, dem stolzen Sitz einer Doppelherrschaft, in das Land der Ungläubigen zu fliehen und sich dem gleichen Leben in der Verbannung zu ergeben, zu dem eine Anzahl anderer Herrscher verdammt worden war und noch wird.
23:5 [149] Auch ist es der sunnitischen Welt trotz entschiedener Anstrengungen nicht gelungen, jemanden an seiner Statt zu bestimmen, der, wenn auch des Schwertes des Befehlshabers beraubt, dennoch als Wächter von Mantel und Banner des Gottgesandten, der beiden heiligen Sinnbilder des Kalifates, auftreten würde. Konferenzen wurden abgehalten, Besprechungen geführt, ein Kalifatskongreß wurde in der ägyptischen Hauptstadt, der Stadt der Fátimiden, einberufen, der doch mit dem weithin bekannten und öffentlichen Bekenntnis seines Scheiterns endete: „Man hat sich dahingehend geeinigt, sich nicht zu einigen!“
23:6 Seltsam, unsagbar seltsam muß die Stellung dieses mächtigsten Zweiges des Islámischen Glaubens erscheinen: Ohne ein äußerlich sichtbares Haupt, um seinen Gefühlen und Überzeugungen Ausdruck zu verleihen, seine Einheit unwiederbringlich erschüttert, sein Glanz verdüstert, sein Gesetz untergraben und seine Einrichtungen in hoffnungslose Verwirrung gestürzt. Diese Institution, welche die unveräußerlichen, von Gott verordneten Rechte der Imáme des Glaubens Muhammads herausgefordert hatte, war nun nach Verlauf von dreizehn Jahrhunderten wie Rauch dahingeschwunden, eine Institution, die einem Glauben, dessen Herold selbst ein Nachkomme der Imáme, der gesetzmäßigen Nachfolger des Apostels Gottes, war, so unbarmherzige Schläge erteilt hatte.
23:7 [150] Worauf sonst könnte diese bemerkenswerte, im Lawb-i-Burhán enthaltene Weissagung anspielen als auf den Sturz des gekrönten Oberherrn der sunnitischen Muhammadaner? „O Schar der muhammadanischen Geistlichen! Um euretwillen wurde das Volk erniedrigt, das Banner des Islám niedergeholt und sein mächtiger Thron gestürzt.“ Was ist mit der unzweifelhaft klaren und bestürzenden, im Qayyúmu’l-Asmá‘ aufgezeichneten Weissagung: „Wahrlich, binnen kurzem werden Wir jene mit der schmerzlichsten Qual und der schrecklichsten und exemplarischsten Strafe peinigen, die gegen Husayn (Imám Husayn) im Lande des Euphrat Krieg führten“? Welche andere Auslegung kann dieser muhammadanischen Überlieferung gegeben werden : „In den späteren Tagen wird schmerzliches Unglück Mein Volk von seiten seines Herrschers befallen, ein Unglück, desgleichen kein Mensch je erlebt hat“?
23:8 Dies war jedoch nicht alles. Das Verschwinden des Kalifen, des geistigen Hauptes von über zweihundert Millionen Muhammadanern, brachte anschließend dem Lande, das dem Islám einen so schweren Schlag versetzt hatte, die Ungültigkeit des kanonischen Gesetzes der Sharí’ah, die Aufhebung sunnitischer Einrichtungen, die Verbreitung eines weltlichen Gesetzbuches, die Unterdrückung religiöser Orden und die Abschaffung der durch die Religion Muhammads vorgeschriebenen Zeremonien und Überlieferungen. Der Shaykhu’l-Islám und seine Anhänger, einschließlich der Muftís, Qádís, Hujahs, Shaykhs, Súfís, Hájís, Mawlavís, Derwische und anderer, verschwanden durch einen entschiedeneren, offeneren und kräftigeren Schlag als jener war, der den Schiiten durch den Sháh und seine Regierung erteilt worden war. Die Moscheen der Hauptstadt, der Stolz und Ruhm der islámischen Welt, wurden verlassen, und die schönste und berühmteste unter ihnen, die unvergleichliche Hagia Sophia, „das zweite Himmelszelt“, „der Wagen der Cherubim“, wurde durch die dreisten Schöpfer eines weltlichen Regimes in ein Museum verwandelt. Die arabische Sprache, die Sprache des Propheten Gottes, wurde aus dem Lande verbannt, ihr Alphabet durch lateinische Buchstaben ersetzt und der Qur’án selbst ins Türkische übersetzt für die wenigen, die ihn noch lesen wollten. Die Verfassung der neuen Türkei mit allen sie begleitenden und manchen atheistisch erscheinenden Verordnungen proklamierte nicht nur förmlich die Entstaatlichung und Enteignung des Islám, sondern kündigte sogar verschiedene Maßnahmen an, die auf dessen weitere Demütigung und Schwächung hinzielten. Sogar die Stadt Konstantinopel, „der Dom des Islám“, von Bahá’u’lláh mit verdammenden Worten angeredet, einst nach dem Fall von Byzanz durch den großen Konstantin als „das neue Rom“ ausgerufen, zum Range einer Metropole sowohl des römischen Reiches als auch des Christentums erhoben und späterhin als Sitz der Kalifen verehrt, wurde zum Range einer Provinzstadt erniedrigt und all ihres Pomps und Ruhmes entblößt, so daß ihre erhabenen, schlanken Minarette nun Wache stehen am Grabe von so viel entschwundener Pracht und Macht.
23:9 [151] „O Ort, der du an den Küsten zweier Meere liegst!“ so hat Bahá’u’lláh die Kaiserstadt mit Worten angeredet, welche uns die prophetischen Worte Jesu Christi über Jerusalem ins Gedächtnis rufen. „Wahrlich, der Thron der Tyrannei ist auf dir errichtet und die Flamme des Hasses in deinem Busen entzündet worden, so sehr, daß die Heerscharen in der Höhe und jene, die den erhabenen Thron umkreisen, klagten und jammerten. Wir sehen in dir den Narren über den Weisen herrschen und Finsternis sich vor dem Lichte rühmen. In der Tat, du bist von offenbarem Hochmut erfüllt. Hat dir dein äußerer Glanz prahlerisch gemacht? Bei Ihm, dem Herrn des Menschengeschlechtes! Er wird rasch vergehen und deine Töchter, deine Witwen und alle deines Stammes, die in dir wohnen, werden wehklagen. Das verkündet dir der Allwissende, der Allweise.“
23:10 [152] Dies war das Geschick, das über beide, den schiitischen und den sunnitischen Islám, in den zwei Ländern kam, wo sie ihre Banner aufgepflanzt und ihre mächtigsten und weltberühmten Einrichtungen aufgebaut hatten. Dies war ihr Geschick in den zwei Ländern, in deren einem Bahá’u’lláh als Verbannter starb und in deren anderem der Báb den Märtyrertod erlitt. Dies war das Geschick des selbsternannten Stellvertreters des Propheten Gottes und der begünstigten Geistlichen des immer noch erwarteten Imám. „Das Volk des Qur’án“, so bezeugt Bahá’u’lláh, „hat sich gegen Uns erhoben und quälte Uns mit solcher Pein, daß der Heilige Geist wehklagte, der Donner grollte und die Wolken über Uns weinten … Muhammad, der Apostel Gottes, beklagt ihre Taten im allerhöchsten Paradiese.“ „Mein Volk wird einen Tag erleben“, so verdammen sie ihre eigenen Überlieferungen, „an dem wom Islám nichts übriggeblieben sein wird als der Name und wom Qur’án nichts als die äußere Erscheinung. Die Gelehrten jener Zeit werden das größte Übel sein, das die Welt je gesehen hat. Unheil ist von ihnen ausgegangen und wird auf sie zurückfallen.“ Und wiederum: „Die meisten Seiner Feinde werden unter den Geistlichen sein. Seinem Befehl werden sie nicht gehorchen, sondern sie werden widersprechen und sagen: `Dies ist das Gegenteil dessen, was uns durch die Imame des Glaubens überliefert worden ist.`“ Und nochmals: „Zu jener Stunde wird Sein Fluch über euch kommen, eure Verwünschung wird euch treffen und eure Religion wird ein leeres Wort auf euren Zungen bleiben. Und wenn diese Zeichen unter euch erscheinen, so seid des Tages gewärtig, du der rotglühende Wind über euch hinfegen wird, oder des Tages, da ihr verunstaltet werdet oder da Steine auf euch regnen werden.“
24 [153] Eine Warnung an alle Völker
Diese Horde abgesetzter Priester, von Bahá’u’lláh als „Doktoren des Zweifels“, „verworfene Offenbarungen des Fürsten der Finsternis“, „Wölfe“ und „Pharaonen“, als „Brennpunkte des Höllenfeuers“ und als „gefräßige Tiere, die um Aase der Menschenseelen nagen“ gebrandmarkt und, wie auch durch ihre eigenen Überlieferungen bezeugt, sowohl Quelle als auch Opfer des Unheils, hat sich mit den verschiedensten Schwärmen der Sháh-Zádihs, Emire und Fürstensprößlinge gefallener Herrscherhäuser vereinigt – für alle Völker Zeugnis und Warnung dessen, was früher oder später über solche königlichen oder kirchlichen Herrscher über irdischen Besitz kommen muß, die sich erdreisten, die berufenen Kanäle und Verkörperungen göttlicher Vollmacht und Gewalt herauszufordern oder zu verfolgen.
24:2 Der Islám, Ahnherr und Verfolger des Glaubens Bahá’u’lláhs zugleich, hat, wenn wir die Zeichen der Zeiten richtig lesen, erst begonnen, den Ansturm dieses unbesieglichen und triumphierenden Glaubens auszuhalten. Wir brauchen uns nur die neunzehnhundert Jahre erniedrigenden Elends und Zerstreutseins in Erinnerung zu rufen, die jene, die während des kurzen Zeitraums von drei Jahren den Sohn Gottes verfolgten, auszuhalten hatten und noch aushalten. Wir mögen uns wohl mit gemischten Gefühlen von Furcht und heiliger Scheu fragen, wie schwer die Leiden derer sein müssen, die nicht weniger als fünfzig Jahre lang Ihn, welcher der Vater ist, „jeden Augenblick mit neuen Qualen gepeinigt“ haben und die dazu Seinen Herold, selbst eine Manifestation Gottes, unter solch tragischen Umständen den Kelch des Märtyrertums trinken ließen.
24:3 Ich habe auf den unmittelbar vorhergehenden Seiten einige Stellen angeführt, die an die islámische wie christliche Geistlichkeit insgesamt gerichtet sind. Dann habe ich eine Anzahl von Botschaften und Bezugnahmen auf schiitische und sunnitische Geistliche aufgezählt und schließlich das Unglück beschrieben, das diese muhammadanischen Priesterherrschaften, ihre Häupter, Glieder, Besitztümer, Zeremonien und Einrichtungen traf. Laßt uns nun die Botschaften betrachten, die im besonderen an die Glieder der christlichen Geistlichkeit gerichtet wurden, die größtenteils den Glauben Bahá’u’lláhs nicht beachtete, während einige wenige unter ihnen, als Seine Verwaltungsordnung Gestalt gewann und ihre Verzweigungen über die christlichen Länder ausdehnte, sich daran machten, seinen Fortschritt zu hemmen, seinen Einfluß zu verringern und seine Absicht zu verdunkeln.
25 [154] Seine Botschaften an christliche Führer
25:1 Ein Blick auf die Schriften des Begründers der Bahá’í-Offenbarung wird die wichtige und bedeutungsvolle Tatsache enthüllen, daß Er, der eine unvergängliche Botschaft an alle Könige der Erde insgesamt sandte, der für jedes der hervorragenden Häupter Europas und Asiens ein Tablet offenbarte, der Seinen Ruf an die geistlichen Führer des sunnitischen und schiitischen Islám ergehen ließ und der auch die Juden und Zoroastrier aus Seinem Wirkungskreis nicht ausschloß – daß Er außer Seinen zahlreichen, wiederholten Ermahnungen und Warnungen besondere Botschaften an die ganze Christenwelt gerichtet hat. Einige sind allgemein gehalten, andere bestimmt und sowohl die hohe wie die niedrige Geistlichkeit des Christentums herausfordernd – so den Papst, die Könige, Patriarchen, Erzbischöfe, Bischöfe, Priester und Mönche. In Verbindung mit den Botschaften Bahá’u’lláhs an die gekrönten Oberhäupter der Welt haben wir bereits einige Grundzüge aus dem Tablet an den römischen Hohenpriester und von den an die Könige der Christenheit gerichteten Worten erörtert. Wir wollen nun unsere Aufmerksamkeit jenen Stellen zuwenden, wo die Kirchenaristokratie und ihre geweihten Diener von der Feder Bahá’u’lláhs zur Ermahnung und Warnung herausgegriffen werden.
25:2 [155] „Sprich: O Schar der Patriarchen! Er, der euch in den Schriften verheißen wurde, ist gekommen. Fürchtet Gott und folgt nicht den eitlen Einbildungen der Abergläubischen. Legt die Dinge, die ihr besitzt, beiseite und haltet euch am Tablet Gottes durch Seine höchste Macht fest. Dies ist besser für euch als alle eure Besitztümer. Dies bezeugt jedes verständige Herz und jeder einsichtsvolle Mensch. Seid ihr stolz auf Meinen Namen und schließt euch doch von Mir ab wie mit einem Schleier? Wahrlich, das ist seltsam!“
25:3 „Sprich: O Schar der Erzbischöfe! Er, der Herr aller Menschen, ist erschienen. Auf dem Felde der Führung ruft Er die Menschheit, während ihr zu den Toten gezählt werdet! Groß ist die Glückseligkeit dessen, der durch Gottes Hauch erweckt wird und in diesem klaren Namen von den Toten aufersteht.“
25:4 „Sprich: O Schrar der Bischöfe! Zittern hat alle Geschlechter der Erde ergriffen, und Er, der ewige Vater, ruft laut zwischen Erde und Himmel. Gesegnet das Ohr, das gehört hat, und das Auge, das gesehen hat, und das Herz, das sich Ihm zugewandt hat, dem Punkte der Anbetung aller, die in den Himmeln und auf Erden sind.“ „O Schar der Bischöfe! Ihr seid die Sterne des Himmels Meiner Erkenntnis. Meine Barmherzigkeit wünscht nicht, daß ihr auf die Erde fallt. Meine Gerechtigkeit aber erklärt: `Dies ist, was der Sohn (Jesus) bestimmt hat.` Und was immer aus Seinem untadeligen, die Wahrheit sprechenden, glaubwürdigen Munde kam, kann niemals geändert werden. Wahrlich, die Glocken verkünden Meinen Namen und wehklagen über Mir, aber Mein Geist jubelt in offenkundiger Freude. Der Körper des Geliebten sehnt sich nach dem Kreuz, und Sein Haupt begehrt den Speer auf dem Pfade des Allbarmherzigen. Die Gewalt des Unterdrückers kann Ihn in keiner Weise von Seinem Ziel abhalten.“ Und wiederum: „Die Sterne am Himmel der Erkenntnis sind gefallen, sie, die ihre Beweise anführen, um die Wahrheit Meiner Sache zu beweisen, und die von Gott in Meinem Namen reden. Als Ich zu ihnen in Meiner Majestät kam, wandten sie sich dennoch von Mir ab, Wahrlich, sie gehören zu den Gefallenen. Das ist es, was der Geist (Jesus) weissagte, als Er in der Wahtheit kam und Ihn die jüdischen Gelehrten schmähten, bis sie begingen, was den Heiligen Geist wehklagen und die Augen derer, die Gott nahe sind, weinen ließ.“
25:5 [156] „Sprich: O Schar der Priester! Laßt die Glocken und kommt dann aus euren Kirchen. Es geziemt euch, an diesem Tage den Größten Namen laut unter den Völkern zu verkünden. Zieht ihr vor, stille zu sein, während jeder Stein und jeder Baum laut aufjauchzt: `Der Herr ist in Seiner größten Herrlichkeit gekommen!`… Er, der die Menschen in Meinem Namen versammelt, ist wahrlich von Mir und wird verkünden, was die Macht aller übersteigt, die auf Erden sind … Laßt den Odem Gottes euch erwecken. Wahrlich, er hat über die Welt geweht. Wohl dem, der seinen Duft empfunden hat und unter die ganz Sicheren gezählt worden ist!“ Und wiederum: „O Schar der Priester! Der Tag der Abrechnung ist gekommen, der Tag, da Er, der im Himmel war, erschienen ist. Wahrlich, Er ist der Eine, der euch verheißen wurde in den Büchern Gottes, des Heiligen, des Allmächtigen, des Allgepriesenen. Wie lange werdet ihr in der Wildnis der Achtlosigkeit und des Aberglaubens wandern? Wendet euch mit euren Herzen eurem Herrn zu, dem Vergebenden, dem Großmütigen.“
25:6 [157] „Sprich: O Schar der Mönche! Schließt euch nicht ab in Kirchen und Klöstern. Kommt mit Meiner Erlaubnis hervor und befaßt euch mit dem, was euren Seelen und den Seelen der Menschen nützen wird. Dies befiehlt euch der König des Tages der Abrechnung. Schließt euch in die Feste Meiner Liebe ein. Wahrlich, dies ist eine angemessene Abgeschlossenheit – wäret ihr doch unter denen, die dies wahrnehmen. Wer sich in einem Haus abschließt, ist fürwahr wie ein Toter. Es geziemt dem Menschen, das aufzuzueisen, was allem Erschaffenen Nutzen bringt: und wer keine Frucht hervorbringt, der taugt für das Feuer. Solches rät euch euer Herr, und Er, wahrlich, ist der Allmächtige, der Allgütige. Schließt die Ehe, damit nach euch ein anderer euren Platz ausfüllen möge. Wir haben euch treulose Taten verboten, nicht aber das, was Treue beweisen wird. Habt ihr euch an die Normen geklammert, die euer eigenes Selbst aufgestellt hat, und das Richtmaß Gottes von euch geworfen? Fürchtet Gott und gesellt euch nicht zu den Narren. Wenn nicht der Mensch, wer könnte Mich auf Meiner Erde erwähnen, und wie könnten Meine Merkmale und Mein Name geoffenbart worden sein? Denkt darüber nach und gehört nicht zu denen, die verhüllt sind und fest schlafen. Er, der nicht heiratete (Jesus), fand keinen Platz, wo Er wohnen oder Sein Haupt niederlegen konnte um dessentwillen, was die Hände der Verräter Ihm angetan haben. Seine Heiligkeit besteht nicht in dem, was ihr glaubt oder euch einbildet, sondern vielmehr in dem, was Wir besitzen. Bittet, auf daß ihr Seine Stufe begreifen möget, die erhöht wurde über die Vorstellung aller, die auf Erden wohnen. Gesegnet sind, die dies verstehen.“ Und wiederum: „O Schar der Mönche! Wenn ihr Mir folgen werdet, dann werde Ich euch zu Erben Meines Königreiches machen. Und wenn ihr gegen Mich fehlt, so werde Ich es in Meiner Langmut geduldig ertragen, denn Ich bin wahrlich der Ewigvergebende, der Allbarmherzige … Bethlehem ist in Bewegung durch den Odem Gottes. Wir hören seine Stimme sprechen: `O großmütigster Herr! Wo ist Deine große Herrlichkeit aufgerichtet? Die süßen Düfte Deiner Gegenwart haben mir erquickt, nachdem ich durch meine Trennung von Dir verzagt war. Gepriesen seist Du, daß Du die Schleier gehoben hast und mit Macht in offenbarer Herrlichkeit gekommen bist.` Wir riefen ihm zu aus dem Heiligtum der Hoheit und Größe: `O Bethlehem! Dieses Licht ist im Osten aufgegangen und nach dem Westen gezogen, bis es dich um Abend seines Lebens erreicht hat. So sage Mir: Erkennen die Söhne den Vater und anerkennen sie Ihn, oder verleugnen sie Ihn, wie Ihn (Jesus) ehemals das Volk verleugnete?` Darauf schrie es auf und sprach: `Du bist in Wahrheit der Allwissende, der Bestunterrichtete.`“
25:7 [158] Und wiederum: „Bedenkt gleicherweise, wie zahlreich heutzutage die Mönche sind, die sich in den Kirchen in Meinem Namen abgeschlossen haben und die, als die festgesetzte Zeit gekommen war und Wir ihnen Unsere Schönheit enthüllten, verfehlten, Mich zu erkennen, obwohl sie nach Mir in der Morgendämmerung und zur Abendzeit rufen.“ „Lest ihr das Evangelium“, so redet Er sie wiederum an, „und weigert euch dennoch, den allherrlichen Herrn anzuerkennen? Wahrlich, dies geziemt dir nicht, o Schar gelehrter Männer! … Die Düfte des Allbarmherzigen haben über alle Schöpfung geweht. Glücklich der Mensch, der seinen Wünschen entsagt und an der Führung festgehalten hat.“
25:8 Diese „gefallenen Sterne“ am Himmelsgewölbe des Christentums, diese „dicken Wolken“, die den Glanz des echten Gottesglaubens verdunkelten, diese Kirchenfürsten, die verfehlten, die höchste Herrschaft des „Königs der Könige“ anzuerkennen, diese betrogenen Diener des Sohnes, die das verheißene Königreich, das der „Ewige Vater“ vom Himmel heniederbrachte und jetzt auf Erden errichtet, mieden und übersahen -, sie erleben nun, an diesem „Tag der Abrechnung“, eine Krise, zwar nicht so entscheidend wie jene, welcher die Priesterschaft des Islám, der eingefleischte Feind des Glaubens, sich gegenübersah, aber eine nicht weniger weitgreifende und bedeutsame. „Die Macht ist weggenommen worden“ in der Tat, und sie wird noch weiter weggenommen von diesen Geistlichen, die im Namen des Glaubens reden, den sie bekennen und von dessen Geist sie doch so weit entfernt sind.
25:9 [159] Wir brauchen, wenn wir die Schicksale der christlichen Geistlichkeit überblicken, uns nur umzusehen, um die ständige Abnahme ihres Einflusses, das Sinken ihrer Macht, die Schädigung ihres Ansehens, die Verspottung ihrer Autorität, das zahlenmäßige Abnehmen ihrer Gemeinden, das Erschlaffen ihrer Disziplin, die Beschränkung ihrer Presse, die Mutlosigkeit ihrer Führer, die Verwirrung in ihren Reihen, die fortschreitende Beschlagnahme ihrer Besitztümer, die Übergabe einiger ihrer mächtigsten Bollwerke und das Verlöschen anderer alter und besonders geliebter Einrichtungen richtig abzuschätzen. Von der Zeit an, da der göttliche Ruf erhoben und die Aufforderung erfolgt war, die Warnung laut geworden und die Verdammung ausgesprochen wurde, hat tatsächlich dieses Geschehen – das, wie man wohl sagen darf, mit dem Zusammenbruch der weltlichen Herrschaft des römischen Hohenpriesters nach der Offenbarung des Tablets an den Papst eingeleitet worden war – bald mit wachsender Wucht eingesetzt, und es hat sogar die Grundlage selbst bedroht, auf der die ganze Ordnung ruht. Unterstützt von den Kräften, welche die kommunistische Bewegung entfesselt hat, verstärkt durch die politischen Nachwirkungen des letzten Krieges (1914-1918), beschleunigt durch den übermäßigen, blinden, unduldsamen und kriegerischen Nationalismus, der jetzt die Völker erschüttert, und angetrieben durch die hochgehende Flut von Materialismus, Religionslosigkeit und Heidentum, zielt dieses Geschehen nicht nur dahin, kirchliche Einrichtungen umzustürzen, sondern scheint sogar zur raschen Entchristlichung der Massen in vielen christlichen Ländern zu führen.
25:10 [160] Ich werde mich mit der Aufzählung gewisser hervorstechender Auswirkungen dieser Kräfte begnügen, die in wachsendem Maße in den Bereich eines der führenden religiösen Systeme der Menschheit eindringen und gegen seine festen Wälle anstürmen. Die tatsächliche Vernichtung der weltlichen Macht des höchsten Herrschers in der Christenheit, unmittelbar nach der Schaffung des Königreiches Italien; die Woge der Kirchenfeindlichkeit, die nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Kaiserreiches über Frankreich hinrollte und in der völligen Trennung der katholischen Kirche vom Staat, in der Verweltlichung der Dritten Republik, in der Überrahme der Erziehung durch staatliche Einrichtungen und in der Unterdrückung und Zerstreuung religiöser Orden gipfelte; der rasche und plötzliche Aufstieg jenes „religiösen Unglaubens“, jenes kühnen, bewußten und organisierten Angriffes, der in Sowjetrußland gegen die griechisch-orthodoxe Kirche begonnen wurde, der die Aufhebung der Staatsreligion beschleunigte, der eine große Zahl ihrer Mitglieder, die ursprünglich über einhundert Millionen Seelen zählten, niedermetzelte, der Tausende und aber Tausende von Kirchen, Klöstern, Synagogen und Moscheen niederriß, schloß oder in Museen, Theater und Warenhäuser verwandelte, der der Kirche rund 26 000 qkm Landbesitz wegnahm und durch die Liga der kämpfenden Atheisten und die Durchführung eines „Fünfjahresplanes der Gottlosigkeit“ das religiöse Leben der Massen von seinen Grundlagen zu lösen suchte; die Zerstückelung der österreichisch-ungarischen Monarchie, die mit einem Schlag die mächtigste Einheit auflöste, die der Kirche Roms Treue schuldete und durch ihre Hilfskräfte deren Verwaltung stützte; die Trennung des spanischen Staates von dieser gleichen Kirche und der Sturz der Monarchie, der Vorkämpferin der katholischen Christenheit; die nationalistische Philosophie, die Mutter eines ungezügelten, veralteten Nationalismus, der, nachdem er den Islám entthront, indirekt die Frontlinie der christlichen Kirche in nichtchristlichen Ländern angegriffen hat und den katholischen, anglikanischen und presbyterianischen Missionen in Persien, der Türkei und dem Fernen Osten so schwere Schläge austeilt; die Umsturzbewegung, die in ihrem Gefolge die Verfolgung der katholischen Kirche in Mexiko nach sich zog; und endlich das Evangelium eines modernen Heidentums, unverhohlen, angreiferisch und unerbittlich, das in den Jahren, die dem gegenwärtigen Aufruhr vorangingen, und in wachsendem Maße seit dessen Ausbruch, über den Erdteil Europa gebraust und in seine Festen eingedrungen ist und das Verwirrung gesät hat in die Herzen der Verfechter der katholischen, griechisch-orthodoxen und lutherischen Kirche in Österreich, Polen, den baltischen und skandinavischen Staaten und neuerdings auch in Westeuropa, der Heimat und dem Mittelpunkt der mächtigsten Kirchenherrschaft des Christentums.
26 [161] Christliche Nationen gegen christliche Nationen
26:1 Dieser brudermörderische Krieg (1939-1945), den christliche Nationen gegen christliche Nationen führen, in dem Anglikaner gegen Lutheraner, Katholiken gegen Griechisch-Orthodoxe, Katholiken gegen Katholiken, Protestanten gegen Protestanten kämpfen, um eine sogenannte christliche Zivilisation zu unterstützen, bietet wahrhaftig einen traurigen Anblick der Ohnmacht und Zerrissenheit den Augen derjenigen, die bereits den Ruin der Einrichtungen bemerken, die vorgeben, im Namen der Religion von Jesus Christus zu sprechen und Seine Treuhänder zu sein! Die Machtlosigkeit und Verzweiflung des Heiligen Stuhles, diesem mörderischen Kampf Einhalt zu gebieten, in den die Kinder des Friedefürsten verwickelt sind – geweiht und unterstützt von den Segnungen und feierlichen Ansprachen der hohen Geistlichen einer hoffnungslos zerspaltenen Kirche -, zeigen den Grad von Unterwürfigkeit, zu dem die einst allmächtigen Einrichtungen des christlichen Glaubens abgesunken sind, und erinnern deutlich an den gleichen Verfall, dem die Priesterherrschaften ihrer Schwesterreligion unterlegen sind.
26:2 [162] Auf welch tragische Weise hat die Christenheit die hohe Mission übersehen und wie weit ist sie von ihr abgewichen, zu deren Erfüllung Er, der wahre Friedefürst, sie in den letzten Abschnitten Scines Tablets an Papst Pius IX. gerufen hat, in der Er die Gesamtheit der Christenheit ansprach – Abschnitte, die für alle Zeit den Unterschied zwischen der Mission von Bahá’u’lláh in unserem Zeitalter und der von Jesus Christus feststellen: „Sprich: O Schar der Christen! Wir haben Uns euch schon zu einem früheren Zeitpunkt offenbart, und ihr habt Mich nicht erkannt. Dies ist noch einmal eine günstige Gelegenheit, die euch gewährt wird. Dies ist der Tag Gottes, wendet euch Ihm zu … Der Geliebte wünscht nicht, daß ihr vom Feuer eurer Leidenschaften verzehrt werdet. Wäret ihr von Ihm wie durch einen Schleier abgeschlossen, so wäre dies aus keinem anderen Grunde als eurer eigenen Widerspenstigkeit und Unwissenheit. Ihr erwähnt Mich und kennt Mich doch nicht. Ihr ruft Mich an, aber ihr achtet nicht auf Meine Offenbarung … O Völker des Evangeliums! Sie, die nicht im Königreich waren, sind jetzt eingetreten, während Wir euch an diesem Tage zögernd am Tore stehen sehen. Zerreißt die Schleier durch die Kraft eures Herrn, des Allmächtigen, des Allgütigen, und tretet dann in Meinem Numen ein in Mein Königreich. So befiehlt euch Er, der euch ewiges Leben wünscht … O Kinder des Königreiches! Wir sehen euch in Finsternis. Wahrlich, dies geziemt euch nicht. Habt ihr angesichts des Lichtes Furcht wegen eurer Taten? Wendet euch Ihm zu … Wahrlich, Er (Jesus) sagte: `Folget Mir nach, und Ich will euch zu Menschenfischern machen.` Am heutigen Tage jedoch sagen Wir: `Folget Mir nach, auf daß Wir euch zu Lebensspendern der Menschheit machen`“ Weiter hat Er geschrieben: „Sprich: Wahrlich, Wir sind um euretwillen gekommen und haben die Trübsal der Welt um eurer Rettung willen getragen. Flieht ihr Den, der Sein Leben aufopferte, damit ihr belebt werdet? Fürchtet Gott, o ihr Anhänger des Geistes (Jesus), und wandelt nicht in den Fußstapfen eines jeden Geistlichen, der weit in die Irre gegangen ist … Öffnet die Türen eurer Herzen. Wahrlich, Er, der Geist (Jesus), steht davor. Warum haltet ihr euch fern von Ihm, der euch zu einer strahlenden Höhe bringen will? Sprich: Wahrlich, Wir haben euch die Pforten des Königreiches geöffnet. Wollt ihr vor Meinem Antlitz die Türen eurer Häuser verriegeln? Wahrlich, dies ist nichts als ein schmerzlicher Irrtum.“
26:3 [163] Das ist nun der Engpaß, in den die christliche Geistlichkeit geraten ist – eine Geistlichkeit die sich zwischen ihre Herde und den in der Glorie des Vaters wiedergekommenen Christus gestellt hat. Da der Glaube dieses Verheißenen mehr und mehr in das Herz der Christenheit eindringt, da sich seine Kämpfer aus den Besatzungen, gegen die Sein Geist anstürmt, vervielfachen und die Bollwerke christlicher Rechtgläubigkeit zu gemeinsamen, entschlossenen Verteidigungsmaßnahmen herausfordern, da die Kräfte des Nationalismus, der Gottlosigkeit, des Säkularismus und der Rassenlehre allesamt einem Höhepunkt zustreben – dürfen wir da nicht erwarten, daß der Niedergang der Macht, der Autorität und des Ansehens dieser Geistlichen noch mehr hervortreten und die Wahrheit und den tieferen Sinn von Bahá’u’lláhs Verkündung noch deutlicher beweisen werden, welche die Verfinsterung der Leuchten der Kirche Jesu Christi voraussagt.
26:4 Wahrhaft verheerend war die Zerstörung im Schicksal der schiitischen Priesterschaft in Persien und erbärmlich das Los, das ihren Resten beschieden ist, die jetzt unter dem Joche einer jahrhundertelang verachteten und beherrschten weltlichen Macht stöhnen. Sintflutartig war in der Tat der Zusammenbruch der höchsten Einrichtung des sunnitischen Islám und unheilbar der Sturz seiner Priesterschaft in einem Lande, das die Sache des selbsternannten Stellvertreters des Propheten Gottes verfochten hat. Stetig und erbarmungslos ist das Geschehen, das den Verteidigern der Bollwerke christlicher Kirchenherrschaft so viel Zerstörung, Schande, Spaltung und Schwäche gebracht hat, und wahrhaft schwarz sind die Wolken, die den Horizont dieser Herrschaft verfinstern. Durch die muhammadanischen und christlichen Geistlichen – „Götzen“, wie Bahá’u’lláh jene brandmarkte, die die Mehrheit Seiner Feinde bildeten -, die nicht, wie von Ihm befohlen, ihre Federn beiseite gelegt und ihre Einbildungen aufgegeben haben, und die, wie Er selbst bezeugte, wenn sie an Ihn geglaubt hätten, die Umwandlung der Massen zustande gebracht haben würden, (durch sie und ihre Taten) sind der Islám und das Christentum, und dies zu sagen ist keine Übertreibung, in den kritischsten Abschnitt ihrer Geschichte eingetreten.
26:5 [164] Niemand soll jedoch meine Absicht mißverstehen oder diese Grundwahrheit falsch auslegen, die zum Wesen des Glaubens von Bahá’u’lláh gehört. Der göttliche Ursprung aller Offenbarer Gottes – einschließlich Jesu Christi und des Boten Gottes, Muhammad, den beiden größten Manifestationen, die der Offenbarung des Báb vorangingen – wird vorbehaltlos und unerschütterlich von einem jeden Anhänger der Bahá’í-Religion bejaht. Die grundsätzliche Einheit dieser Gottgesandten wird klar erkannt, der Zusammenhang Ihrer Offenbarungen wird bestätigt, die gottgegebene Autorität und die Wechselbeziehungen Ihrer Bücher werden zugegeben, die Einzigkeit Ihrer Ziele und Zwecke wird verkündet, die Einzigartigkeit Ihres Einflusses nachdrücklich betont und die endliche Aussöhnung Ihrer Lehrer und Anhänger gelehrt und vorausgesehen. „Sie alle wohnen“, nach Bahá’u’lláhs Zeugnis, „in dem gleichen Heiligtum, erheben sich in den gleichen Himmel, sitzen auf dem gleichen Throne, reden die gleiche Sprache und verkünden die gleiche Religion.“
27 [165] Die Fortdauer der Offenbarung
27:1 Der Glaube, der mit dem Namen Bahá’u’lláhs identisch ist, verwirft jede Absicht, irgendeinen der ihm vorangegangenen Offenbarer zu verkleinern, irgendeine Ihrer Lehren zu heschneiden, den Glanz Ihrer Offenbarungen, und sei es noch so wenig, zu verdunkeln, sie aus den Herzen Ihrer Anhänger zu verdrängen, die Grundlagen Ihrer Lehrsätze ahzuschaffen, irgendeines Ihrer geoffenbarten Bücher aufzugehen oder die berechtigten Bestrebungen Ihrer Anhänger zu unterdrücken. Indem Bahá’u’lláh den Anspruch jeder Religion, die endgültige Offenbarung Gottes für den Menschen zu sein, verwirft und Endgültigkeit auch für Seine eigene Offenbarung ablehnt, betont Er nachdrücklich den Grundsatz der Relativität religiöser Wahrheit, die Fortdauer göttlicher Offenbarung und das Fortschreiten religiöser Erfahrung. Sein Ziel ist, die Grundlage aller geoffenharten Religionen zu erweitern und die Geheimnisse ihrer Schriften zu enträtseln. Er besteht auf der vorhehaltlosen Anerkennung der Einheit ihrer Ziele, bestätigt die ewigen Wahrheiten, die sie enthalten, stimmt ihr Wirken aufeinander ab, scheidet das Wesentliche und Verbürgte vom Unwesentlichen und Unechten in ihren Lehren, trennt die von Gott gegebenen Wahrheiten von dem von Geistlichen aufgebrachten Aberglauben und verkündet auf dieser Grundlage die Möglichkeit, ja sogar die Unvermeidlichkeit ihrer Vereinigung und die Erfüllung ihrer höchsten Hoffnungen.
27:2 Was Muhammad, den Apostel Gottes, betrifft, so möge keiner Seiner Anhänger, der diese Zeilen liest, auch nur einen Augenblick denken, daß der Islám, sein Prophet, dessen Buch, seine ernannten Nachfolger oder irgendeine seiner verbürgten Lehren herabgesetzt worden seien oder auf irgendeine Weise, und sei es auch noch so unbedeutend, herabgesetzt werden. Die Familie des Báb, des Nachkommen von Imám Husayn, die verschiedenen eindrucksvollen Beweise in Nabíls Bericht über die Haltung des Heroldes unseres Glaubens gegenüber dem Begründer, den Imámen und dem Buche des Islám, die glühenden Tribute, die Bahá’u’lláh in Seinem Kitáb-i-Íqán Muhammad und Seinen rechtmäßigen Nachfolgern und besonders dem „einzigartigen und unvergleichlichen“ Imám Husayn zollte, die von ‚Abdu’l-Bahá eindringlich, furchtlos und öffentlich in Kirchen und Synagogen dargelegten Beweise, um die Gültigkeit der Botschaft des arabischen Propheten zu verdeutlichen, und nicht zuletzt das schriffliche Zeugnis der Königin von Rumänien, die sich, hauptsächlich durch ihr Studium dieser öffentlichen Reden ‚Abdu’l-Bahás, veranlaßt fühlte, ihre Erkenntnis des prophetischen Wirkens von Muhammad zu verkünden – und dies, obwohl sie im anglikanischen Glauben geboren war und ihre Regierung mit der griechisch-orthodoxen Kirche, der Staatsreligion ihres neuen Vaterlandes, ein enges Bündnis eingegangen war – sie alle erklären in unzweideutigen Worten die wahre Haltung des Bahá’í-Glaubens gegenüber seiner Mutterreligion.
27:3 [166] „Gott“, so lautet ihr königlicher Tribut, „ist Alles, Jegliches. Er ist die Macht hinter allem Handeln … Sein ist die Stimme in uns, die uns Gut und Böse zeigt. Aber meistens überhören oder mißverstehen wir diese Stimme. Daher gefiel es Ihm, Seine Auserwählten zu uns auf Erden herabkommen zu lassen, um Sein Wort und Seine Absicht zu verkünden. Darum die Propheten, darum Christus, Muhammad, Bahá’u’lláh; denn der Mensch braucht von Zeit zu Zeit eine Stimme auf Erden, die ihm Gott nahebringt und das Bewußtsein vom Dasein des wahren Gottes schärft. Diese uns gesandten Stimmen mußten Fleisch werden, so daß wir fähig wurden, mit unseren irdischen Ohren zu hören und zu verstehen.“
27:4 Welch größeren Beweis, so darf man schließlich fragen, können die Geistlichen von Persien oder der Türkei noch fordern, um durch ihn von den Anhängern Bahá’u’lláhs die Anerkennung der erhabenen Stellung, die der Offenbarer Muhammad in der Gesamtheit der Gottgesandten innehatte, darzulegen? Welchen größeren Dienst erwarten diese Geistlichen, den wir der Sache des Islám noch erweisen könnten? Welchen größeren Beweis unserer Zuständigkeit können sie verlangen, als daß wir, in Gegenden weit jenseits ihres Bereiches, den Funken einer glühenden und aufrichtigen Bekehrung zu der Wahrheit entfachen, die vom Apostel Gottes ausgesprochen wurde, und daß wir von der Feder einer königlichen Persönlichkeit dieses öffentliche und wahrlich historische Bekenntnis Seiner gottgeschenkten Sendung erlangten?
27:5 [167] Was die Stellung des Christentums betrifft, so sei ohne Zögern und unzweideutig festgestellt, daß sein göttlicher Ursprung bedingungslos bejaht, die Sohnschaft und Göttlichkeit von Jesus Christus furchtlos behauptet, die göttliche Eingebung des Evangeliums voll anerkannt, die Wirklichkeit des Mysteriums der Unbeflecktheit der Jungfrau Maria angenommen und der Vorrang Petri, des Fürsten der Apostel, hochgehalten und verteidigt werden. Der Begründer des christlichen Glaubens wird von Bahá’u’lláh als der „Geist Gottes“ bezeichnet, als Derjenige, welcher „aus dem Odem des Heiligen Geistes“ erschien, und Er wird sogar als „das Wesen des Geistes“ gepriesen. Seine Mutter wird als „das verhüllte und unsterbliche, das schönste Antlitz“ beschrieben und die Stufe ihres Sohnes verherrlicht als eine „Stufe, die erhöht wurde über die Vorstellungen aller, die auf Erden wohnen“, während Petrus als einer anerkannt wird, dem Gott „die Geheimnisse der Weisheit und der Verkündung aus dem Munde strömen“ ließ. „Wisse“, hat Bahá’u’lláh überdies bezeugt, „daß die ganze Schöpfung in großer Traur weinte, als der Menschensohn Seinen Geist zu Gott aufgab. Durch Seine Selbstaufopferung wurde jedoch allen erschaffenen Dingen eine neue Fähigkeit eingeflößt. Ihre Beweise, wie sie bei allen Völkern der Erde wahrgenommen werden, liegen jetzt offen vor dir. Die tiefste Weisheit, welche die Weisen ausgesprochen haben, das tiefgründigste Wissen, das irgendein Geist entfaltet hat, die Künste, welche die fähigsten Hände hervorgebracht haben, der Einfluß, der von den mächtigsten der Herrscher ausgeübt wurde, sie alle sind nur Offenbarungen der belebenden Kraft, die durch Seinen überragenden, Seinen alles durchdringenden und strahlenden Geist ausgelöst wurden. Wir bezeugen, daß Er, als Er in die Welt kam, den Glanz Seiner Herrlichkeit auf alle erschaffenen Dinge ergoß. Durch Ihn genas der Aussätzige vom Aussatz der Verdorbenheit und des Unwissens. Durch Ihn wurden der Unreine und der Eigensinnige geheilt. Durch Seine Macht, aus dem allmächtigen Gott geboren, wurden die Augen des Blinden geöffnet und die Seele des Sünders geheiligt … Er machte die Welt rein. Gesegnet der Mensch, der sich Ihm mit hellstrahlendem Antlitz zugewandt hat.“
27:6 [168] In der Tat ist die wesentliche Vorbedingung der Aufnahme von Juden, Zoroastriern, Hindus, Buddhisten und Anhängern anderer alter Glaubensbekenntnisse, von Agnostikern und sogar Atheisten in die Bahá’í-Gemeinschaft die ehrliche und unbedingte Anerkennung des göttlichen Ursprungs sowohl des Islám als auch des Christentums, des prophetischen Wirkens sowohl von Muhammad als auch von Jesus Christus, der Rechtlichkeit der Einsetzung des Imamats und des Vorrangs von Petrus, dem Fürsten der Apostel. Dies sind die zentralen, festen, unbestreitbaren Grundsätze, welche den Grundstock des Bahá’í-Glaubens bilden, welche die Religion Bahá’u’lláhs anzuerkennen stolz ist, welche seine Lehrer verkünden, seine Verteidiger bewahren, sein Schrifttum verbreitet, seine Sommerschulen erklären und das Heer seiner Anhänger durch Wort und Tat bezeugt.
27:7 Auch sollte man keinen Augenblick denken, daß die Anhänger Bahá’u’lláhs den Rang der religiösen Führer der Welt, ob christlich, muhammadanisch oder irgendeines anderen Namens, jemals herabzusetzen oder zu verkleinern suchen, sofern ihr Betragen mit ihren Bekenntnissen übereinstimmt und sie der Stellung wert sind, die sie einnehmen. „Jene Geistlichen“, hat Bahá’u’lláh bestätigt, „die wahrhaft mit dem Schmuck der Erkenntnis geziert sind und einen rechtschaffenen Chrarakter besitzen, sind wahrlich wie ein Haupt für den Körper der Welt und wie Augen für die Völker. Die Führung der Menschheit ist allezeit von diesen gesegneten Seelen abhängig gewesen und ist es noch.“ Und wiederum: „Der Geistliche, dessen Betragen rechtschaffen ist, und der Weise, der gerecht ist, sind wie der Geist für den Körper der Welt. Wohl dem Geistlichen, dessen Haupt mit der Krone der Gerechtigkeit geschmückt und dessen Tempel (Körper) mit dem Schmucke der Rechtschaffenheit geziert ist.“ Und noch einmal: „Der Geistliche, der den heiligsten Wein im Namen des höchsten Verordners ergriffen und getrunken hat, ist wie ein Auge für die Welt. Wohl denen, die ihm gehorchen und seiner gedenken.“ „Groß ist die Glückseligkeit jenes Geistlichen“, hat Er in anderem Zusammenhang geschrieben, „der die Erkenntnis nicht zum Schleier werden ließ zwischen sich und dem Einen, der das Ziel aller Erkenntnis ist, und der, als der Selbstbestehende erschien, sich Ihm mit strahlendem Antlitz zugewandt hat. Er wird in Wahrheit zu den Gelehrten gezählt. Die Bewohner des Paradieses suchen die Segnung seines Odems, und seine Leuchte ergießt ihren Glanz über alle, die im Himmel und auf Erden sind. Wahrlich, er wird unter die Erben der Offenbarer gezählt. Wer ihn erschaut, hat fürwahr den Einen Wahren erschaut, und wer sich ihm zuzuendet, hat sich fürwahr Gott zugewandt, dem Allmächtigen, dem Allzueisen.“ „Achtet die Geistlichen unter euch“, so lautet Seine Ermahnung, „sie, deren Taten mit der Erkenntnis, die sie besitzen, übereinstimmen, welche die Gesetze Gottes beachten und die Dinge verordnen, die Gott im Buche verordnet hat. Wisse, daß sie die Lampen der Führung zwischen Erde und Himmel sind. Jene, die keine Rücksicht auf Stellung und Verdienste der Geistlichen unter sich nehmen, haben, wahrlich, die ihnen zugedachte Güte Gottes verändert.“
27:8 [169] Liebe Freunde! Ich habe auf den vorangehenden Seiten diese welterschütternde Heimsuchung, deren Gewalt die ganze Menschheit ergriffen hat, in erster Linie als ein von Gott ausgesprochenes Gericht über die Völker der Erde darzustellen versucht, die schon ein Jahrhundert lang sich geweigert haben, den Einen anzuerkennen, dessen Kommen allen Religionen verheißen wurde und in dessen Glauben allein alle Völker ihre wahre Rettung suchen können und schließlich suchen müssen. Ich habe bestimmte Stellen aus den Schriften von Bahá’u’lláh und dem Báb angeführt, welche die Wesensart dieser von Gott verhängten Heimsuchung enthüllen und ihr Kommen andeuten. Ich habe die leidvollen Prüfungen aufgezählt, die dem Glauben, seinem Herold, seinem Begründer und seinem Vorbild auferlegt worden sind, und das tragische Versagen der Menschheit im allgemeinen und ihrer Führer dargelegt, gegen diese Trübsale einzuschreiten und die Ansprüche Derer, die sie ertragen mußten, anzuerkennen. Ich habe weiter gezeigt, daß eine unmittelbare, furchtbare, unentrinnbare Verantwortung auf den Staatsoberhäuptern der Erde und auf den religiösen Führern der Welt ruht, die in den Tagen des Báb und Bahá’u’lláhs die Zügel unumschränkter politischer und religiöser Gewalt in ihren Händen hielten. Ich habe mich auch zu beweisen bemüht, daß als Ergebnis der unmittelbaren und tätlichen Feindschaft einiger von ihnen gegen den Glauben, und bei anderen die Vernachlässigung ihrer unbestreitbaren Pflicht, seine Wahrheit und seine Ansprüche zu erforschen, seine Unschuld zu verteidigen und das ihm angetane Unrecht zu ahnden, sowohl Könige wie Geistliche den furchtbaren Strafen unterworfen worden sind und noch werden, die ihre Taten und Unterlassungssünden herausgefordert haben. Ich habe, angesichts der Hauptverantwortung, die sie als Ergebnis des unbestrittenen Einflusses auf sich nahmen, den sie auf ihre Untertanen und Anhänger ausübten, ausführlich aus den Botschaften, Ermahnungen und Warnungen zitiert, die durch die Begründer unseres Glaubens an sie gerichtet wurden, und mich über die Folgen verbreitet, die von diesen bedeutsamen, epochemachenden Aussprüchen ausgegangen sind.
27:9 [170] Dieses große Unheil der Vergeltung, für das, wie Bahá’u’lláh bezeugt, die höchsten weltlichen und geistlichen Führer der Erde in erster Linie verantwortlich sind, sollte jedoch nicht, wenn wir es richtig einschätzen wollen, einzig als eine Strafe angesehen werden, die Gott einer Welt zuteilt, die hundert Jahre lang auf ihrer Weigerung beharrt hat, die Wahrheit der Erlösungsbotschaft anzunehmen, die ihr durch den höchsten Gottgesandten an diesem Tage gebracht wurde. Es sollte vielmehr, wenn auch nur in zweiter Linie, im Lichte einer Vergeltung für die Verdorbenheit des Menschengeschlechtes im allgemeinen angesehen werden, dafür, daß es sich abwandte von jenen Grundsätzen, die allezeit allein Leben und Fortschritt der Menschheit beherrschen müssen und schützen können. Die Menschheit hat es leider mit wachsendem Starrsinn vorgezogen, anstatt den Geist Gottes, wie Er in Seiner Religion an diesem Tage verkörpert ist, zu erkennen und anzubeten, jene erdichteten Götzenbilder, Unwahrheiten und Halbwahrheiten zu verehren, die ihre Religionen verdunkeln, ihr geistiges Lehen verderben, ihre politischen Einrichtungen erschüttern, ihr soziales Gefüge zerfressen und ihre wirtschaftliche Struktur zerbrechen.
27:10 [171] Die Völker der Erde haben nicht nur einen Glauben, der zugleich das Wesen, die Verheißung, der Versöhner und der Vereiniger aller Religionen ist, übersehen und – einige von ihnen – sogar angegriffen, sondern sie sind von ihren eigenen Religionen ahgewichen und haben andere Götter auf ihre umgestürzten Altäre gesetzt, die nicht nur dem Geiste, sondern auch den überlieferten Formen ihrer alten Glaubensbekenntnisse völlig fremd sind.
27:11 „Das Antlitz der Welt“, so klagt Bahá’u’lláh, „hat sich verändert. Der Weg Gottes und die Religion Gottes haben aufgehört, in den Augen der Menschen noch irgendeinen Wert zu besitzen.“ „Die Lebenskraft des Glaubens der Menschen an Gott“, so hat Er ebenfalls geschrieben, „liegt in jedem Lande im Sterben … Die zersetzende Gottlosigkeit frißt sich in die Lebenskraft der menschlichen Gesellschaft ein.“ „Religion“, so bekräftigt Er, „ist wahrlich das wichtigste Mittel zur Errichtung der Ordnung in der Welt und der Ruhe unter den Völkern … Je größer der Niedergang der Religion, um so schlimmer ist der Starrsinn der Gottlosen. Dies kann am Ende nur zu Chaos und Verwirrung führen.“ Und wiederum: „Religion ist ein strahlendes Licht und eine uneinnehmbare Festung zum Schutz und zur Wohlfahrt der Völker der Welt.“ In einem anderen Zusammenhang hat Er geschrieben: „Wie der Körper des Menschen ein Gewand braucht, sich zu bekleiden, so muß der Körper der Menschheit notwendigerweise mit dem Mantel der Gerechtigkeit und Weisheit geschmückt werden. Sein Gewand ist die ihm von Gott gewährte Offenbarung.“
28 [172] Die drei falschen Götter
28:1 Diese lebendige Kraft ist im Aussterben, diese mächtige Wirksamkeit wurde verachtet, dieses strahlende Licht verdunkelt, diese unüberwindliche Festung verlassen und dieses herrliche Gewand abgelegt. Gott selbst ist in der Tat in den Herzen der Menschen entthront worden, und eine götzendienerische Welt grüßt und verehrt leidenschafllich und lärmend diese von ihren eigenen unnützen Phantasien erschaffenen falschen Götter, die ihre mißleiteten Hände so gotteslästerlich erhöht haben.
28:2 Die größten Götzenbilder in diesem entweihten Tempel der Menschheit sind keine anderen als die drei Götter des Nationalismus, des Rassismus und des Kommunismus, an deren Altären Regierungen und Völker, demokratische wie totalitäre, im Krieg oder im Frieden, im Osten oder im Westen, christliche oder islámische, jetzt in verschiedenartigen Formen und in verschiedenen Graden Gottesdienst halten. Ihre Hohepriester sind die Politiker und die Weltklugen, die sogenannten Weisen dieses Zeitalters, ihre Opfer sind das Fleisch und das Blut der niedergemetzelten Massen, ihre Zaubermittel sind abgegriffene Schibboleths (d. h. Losungsworte) und trügerische und belanglose Bekenntnisformeln, ihr Weihrauch ist der Rauch der Seelenangst, der aus den zerrissenen Herzen der Verwaisten, der Verstümmelten und Heimatlosen aufsteigt.
28:3 Diese ungesunden, verderblichen Theorien und Methoden, die den Staat vergöttern und die Nation über die Menschheit erheben, die die Schwesterrassen auf der Welt einer einzigen Rasse unterzuordnen suchen, die zwischen Schwarz und Weiß unterscheiden und die das Übergewicht einer bevorzugten Klasse über alle anderen zulassen – das sind die finsteren, falschen und verschrobenen Lehrsätze, für die jeder Mensch oder jedes Volk, das an sie glaubt oder nach ihnen handelt, sich früher oder später den Zorn und die Züchtigung Gottes zuziehen muß. Die von ‚Abdu’l-Bahá ausgesprochene Warnung lautet: „Neugeschaffene und weltweite Bewegungen werden die größten Anstrengungen machen, um ihre Pläne zu fördern. Die Bewegung der Linken wird große Bedeutung erlangen. Ihr Einfluß wird sich ausbreiten.“
28:4 [173] Im Gegensatz zu diesen kriegerzeugenden, welterschütternden Lehrsätzen, und ihnen unversöhnlich entgegengesetzt, stehen die heilenden, rettenden, inhaltsschweren, von Bahá’u’lláh, dem göttlichen Organisator und Erlöser des ganzen Menschengeschlechtes, verkündeten Wahrheiten – Wahrheiten, die als die beseelende Kraft und als Kennzeichen Seiner Offenbarung betrachtet werden sollten: „Die Welt ist nur ein Land und die Menschheit ihre Bürger.“ „Laßt keinen Menschen sich rühmen, daß er sein Land liebt, sondern laßt ihn sich dessen rühmen, daß er die ganze Menschheit liebt.“ Und wiederum: „Ihr seid die Früchte eines Baumes und die Blätter eines Zweiges.“ „Richtet Verstand und Willen auf die Erziehung der Völker und Geschlechter der Erde, damit vielleicht … alle Menschen zu Stützen einer Ordnung und zu Bewohnem einer Stadt werden mögen … Ihr wohnt in einer Welt und seid erschaffen worden durch das Walten eines Willens.“ „Hütet euch, daß nicht die Begierden des Fleisches und einer verdorbenen Neigung Zwiespalt unter euch hervorrufen. Seid wie die Finger einer Hand, wie die Glieder eines Körpers.“ Und noch einmal: „Alle jungen Bäume der Welt sind einem Baum entsprossen, und alle Tropfen kamen aus einem Ozean, und alle Wesen verdanken ihr Dasein einem Wesen.“ Und weiterhin: „Wahrlich, der ist ein Mensch, der sich heute dem Dienst am ganzen Menschengeschlecht widmet.“
29 [174] Die geschwächten Pfeiler der Religion
29:1 Der Unglaube und seine gräßliche Brut, der dreifache Fluch, der die Seele der Menschheit an diesem Tage bedrückt, dürfen nicht allein für die Krankheiten, die sie auf so tragische Weise bedrängen, verantwortlich gemacht werden, sondern auch andere Übel und Laster, die zum größten Teil eine direkte Folge der „Schwächung der Pfeiler der Religion“ sind, müssen ebenfalls als mitwirkende Faktoren zu der mannigfachen Schuld angesehen werden, die Einzelmenschen und Völker auf sich geladen haben. Die Zeichen moralischen Verfalls als Folge der Entthronung der Religion und der Thronbesteigung dieser unrechtmäßigen Götzen sind zu zahlreich und zu offenbar, um nicht selbst von einem nur oberflächlichen Beobachter des Zustandes der heutigen Gesellschafl bemerkt zu werden. Die Verbreitung von Gesetzlosigkeit, Trunksucht, Glücksspiel und Verbrechen, die zügellose Sucht nach Vergnügen, Reichtum und anderen irdischen Nichtigkeiten, die Laxheit der Moral, die sich äußert in einer verantwortungslosen Haltung gegenüber der Ehe, in einer Schwächung der elterlichen Aufsicht, in einer Hochflut von Ehescheidungen, im Sinken des Durchschnittsniveaus von Literatur und Presse und in einer Befürwortung von Theorien, welche eine glatte Verleugnung von Reinheit, Moral und Keuschheit darstellen – alle diese Beweise moralischen Verfalls, die in den Osten wie in den Westen eindringen, jede Gesellschaffsschicht durchsetzen und ihr Gift in deren Glieder beiderlei Geschlechts, jung wie alt, einträufeln – schwärzen noch weiter die Rolle, auf der die mannigfachen Übertretungen einer Menschheit aufgeschrieben sind, die nichts bereut.
29:2 Was Wunder, daß Bahá’u’lláh, der göttliche Arzt, erklärt hat: „An diesem Tage haben sich die Neigungen der Menschen gewandelt, und ihre Fassungskraft hat sich geändert. Die widrigen Winde der Welt und deren Art haben eine Erkältung verursacht und das Geruchsvermögen des Menschen der süßen Düfte der Offenbarung beraubt.“
29:3 Randvoll und bitter fürwahr ist der Kelch für die Menschheit, die versäumte, den Aufforderungen Gottes zu entsprechen, welche ihr durch Seinen höchsten Gesandten verkündet wurden, der Menschheit, die die Lampe ihres Glaubens an ihren Schöpfer verdunkelte, die in so hohem Maße die Ihm gebührende Ergebenheit auf die Götter ihrer eigenen Erfindung übertrug und die sich mit den ÜbeIn und Lastern befleckte, welche eine solche Übertragung notwendigerweise nach sich ziehen muß.
29:4 [175] Liebe Freunde! In diesem Lichte sollten wir, die Anhänger Bahá’u’lláhs, diese Heimsucllung Gottes betrachten, die in den abschließenden Jahren des ersten Jahrhunderts des Bahá’í-Zeitalters die Allgemeinheit des Menschengeschlechtes betroffen und ihre Angelegenheit in so bestürzende Verwirrung gebracht hat. Wegen dieser doppelten Schuld, wegen der Dinge, die die Menschen getan, und derer, die sie unterlassen haben, wegen ihrer Missetaten und ihres verhängnisvollen, deutlichen Versagens in Erfüllung ihrer klaren und unmißverständlichen Pflicht gegenüber Gott, Seinen Gesandten und Seinem Glauben, hält dieses schmerzliche Gottesgericht – was immer seine unmittelbaren politischen und wirtschafllichen Ursachen sein mögen – sie mit diamanthartem Griff umspannt.
29:5 Gott jedoch – wie es schon zu Beginn dieses Buches dargetan wurde – straft nicht nur die Übeltaten Seiner Kinder. Er züchtigt, weil Er gerecht ist, und Er läutert, weil Er liebt. Nachdem Er sie gezüchtigt hat, überläßt Er sie in Seiner großen Barmherzigkeit nicht ihrem Schicksal. Gerade durch den Akt der Züchtigung bereitet Er sie vor für die Lebensaufgabe, für die Er sie erschaffen hat. „Deine Prüfung ist Meine Vorsehung“, so hat Er ihnen durch den Mund Bahá’u’lláhs versichert. „Äußerlich scheint sie Feuer und Züchtigung, in Wirklichkeit ist sie lauter Licht und Gnade.“
29:6 Die Flammen, die von Seiner göttlichen Gerechtigkeit entfacht wurden, läutern eine noch nicht wiedergeborene Menschheit und verschmelzen ihre uneinigen und widerstreitenden Elemente wie kein anderes Walten und Wirken sie läutern und verschmelzen könnte. Es ist nicht nur ein vergeltendes und zerstörendes Feuer, sondern auch ein erzieherisches und schöpferisches Geschehen, dessen Ziel die Rettung des ganzen Planeten durch Einigung ist. Geheimnisvoll, langsam und unwiderstehlich erfüllt Gott Seinen Plan, wenngleich der Anblick, dem unsere Augen an diesem Tage begegnen, das Schauspiel einer Welt sein mag, die, hoffnungslos in ihre eigenen Netze verwickelt, der Stimme, welche sie ein Jahrhundert lang zu Gott rief, nicht achtet, den Sirenenstimmen aber, die sie in den unermeßlichen Abgrund locken wollen, erbärmlich hörig ist.
30 [176] Gottes Plan
30:1 Gottes Plan ist kein anderer, als auf Wegen, die Er allein bereiten und deren volle Bedeutung Er allein ergründen kann, das Große, das Goldene Zeitalter für eine lange zerspaltene und gequälte Menschheit einzuleiten. Ihr gegenwärtiger Zustand, ja auch ihre unmittelbare Zukunfl, ist finster, schmerzlich finster. Die fernere Zukunfl aber ist strahlend, herrlich strahlend – so strahlend, daß sie sich kein Auge vorstellen kann.
30:2 „Die Stürme der Verzweiflung“, schreibt Bahá’u’lláh, während Er das unmittelbare Schicksal der Menschheit überblickt, „blasen, ach, von allen Seiten, und der Hader, der das Menschengeschlecht spaltet und quält, wächst täglich. Die Zeichen drohender Erschütterungen und des Chaos sind jetzt erkennbar, denn die herrschende Ordnung erscheint beklagenswert mangelhaft.“ „Ihr Zustand wird so sein“, hat Er in anderem Zusammenhang erklärt, „daß, ihn jetzt zu enthüllen, nicht passend und ziemlich wäre“. „Diese fruchtlosen Streitigkeiten“, hat Er andererseits bei Betrachtung der Zukunft der Menschheit im Verlaufe seiner denkwürdigen Unterredung mit dem englischen Orientalisten Edward G. Browne mit Nachdruck geweissagt, „diese verderblichen Kriege werden vergehen, und der `Größte Friede` wird kommen … Diese Streitigkeiten, dieses Blutwergießen und diese Zwietracht müssen aufhören und alle Menschen wie ein Volk und eine Familie sein.“ „Bald“, weissagt Er, „wird die Ordnung des heutigen Tages aufgerollt und eine neue an ihrer Statt ausgebreitet werden“. „Nach einiger Zeit“, hat Er ebenfalls geschrieben, „werden sich alle Regierungen der Erde ändern. Unterdrückung wird die Welt umhüllen. Und im Anschluß an eine weltumfassende Erschütterung wird die Sonne der Gerechtigkeit am Horizonte des unsichtbaren Reiches aufgehen.“ „Die ganze Erde“, so hat Er weiter dargelegt, „ist jetzt in einem Zustand der Trächtigkeit. Der Tag naht heran, da sie die edelsten Früchte hervorbringen wird, da ihr die höchsten Bäume, die entzückendsten Blüten, die himmlischsten Segnungen entsprossen sein werden.“ „Alle Nationen und Stämme“, hat ‚Abdu’l-Bahá gleicherweise geschrieben, „… werden eine einzige Nation werden. Der Widerstreit zwischen den Religionen und Sekten, die Feindseligkeit zwischen den Rassen und Völkern und die Zwistigkeiten unter den Nationen werden ausgemerzt werden. Alle Menschen werden einer Religion angehören, einen gemeinsamen Glauben haben, sich zu einer Rasse vermischen und ein einziges Volk werden. Alle werden in einem gemeinsamen Vaterland wohnen, welches der Planet selbst ist.“
30:3 [177] Wessen wir gegenwärtig Zeuge sind, während „dieser schwersten Krise in der Geschichte der Zivilisation“, die uns an Zeiten mahnt, da „Religionen untergehen und geboren werden“, das ist das Jünglingsalter in der langsamen und schmerzensreichen Entwicklung der Menschheit, die Vorbereitung zur Erreichung des Zustandes des Mannesalters und der Reife, dessen Verheißung in den Lehren Bahá’u’lláhs enthalten und in Seinen Weissagungen eingeschlossen ist. Der Aufruhr dieses Übergangszeitalters ist charakteristisch für das Ungestüm und die unvernünftigen Naturtriebe der Jugend, für ihre Tollheiten, ihre Verschwendung, ihren Stolz, ihre Selbstsicherheit, ihr aufrührerisches Wesen und ihre Mißachtung von Disziplin.
31 [178] Das künftige Große Zeitalter
31:1 Die Zeitalter der Unmündigkeit und Kindheit der Menschheit sind vorbei und kehren nie mehr wieder, während das Große Zeitalter, die Vollendung aller Zeitalter, welches das Kommen des Zeitalters des ganzen Menschengeschlechtes bedeutet, erst noch kommen muß. Die Erschütterungen dieses stürmischen Übergangsabschnittes in der Geschichte der Menschheit sind die wesentlichen Vorbedingungen des Zeitalters der Zeitalter und kündigen sein unvermeidliches Nahen an, „die Zeit des Endes“, in welcher die Torheit und die Wirrnis des Streites, die seit dem Dämmern der Geschichte die Annalen der Menschheit schwärzte, endlich in die Wahrheit und Ruhe eines ungestörten, allumfassenden und dauerhaften Friedens umgewandelt sein wird, und in welchem die Zwietracht und Trennung der Menschenkinder einer weltumschließenden Aussöhnung und einer völligen Vereinigung der verschiedenen Elemente der menschlichen Gesellschafl gewichen sein werden.
31:2 Dies wird fürwahr die würdige Krönung jenes Prozesses der Vereinigung sein, der, ausgehend von der Familie, der kleinsten Einheit auf der Stufenleiter menschlicher Organisation, nacheinander den Stamm, den Stadtstaat und die Nation ins Leben gerufen hat und fortwährend weiterwirken muß, bis er in der Vereinigung der ganzen Welt gipfelt, dem Endziel und dem krönenden Ruhm der menschlichen Entwicklung auf diesem Planeten. Dieser Stufe nähert sich die Menschheit unwiderstehlich, freiwillig oder gezwungen. Für diese Stufe ebnet das ungeheure, flammende Gottesgericht, welches die Menschheit über sich ergehen lassen muß, auf geheimnisvolle Weise den Weg. Mit dieser Stufe sind die Geschicke und der Plan des Glaubens Bahá’u’lláhs unlöslich verkettet. Diese schöpferischen Kräfte, die Seine Offenbarung im „Jahre sechzig“ frei gemacht hat und die später verstärkt wurden durch die aufeinanderfolgenden Ausgießungen himmlischer Macht, welche im „Jahre neun“ und im „Jahre achtzig“ dem ganzen Menschengeschlecht gewährt wurden, haben der Menschheit die Fähigkeit eingeflößt, dieses Endstadium ihrer organischen und gemeinsamen Entwicklung zu erreichen. Mit dem Goldenen Zeitalter Seiner Sendung wird die Vollendung dieses Geschehens für immer verbunden sein. Das Gefüge Seiner neuen Weltordnung, die sich jetzt im Schoße der Verwaltungseinrichtungen, die Er selbst geschaffen hat, regt, wird als Muster und als Kern jenes Weltstaatenbundes dienen, der das sichere, unumgängliche Geschick der Völker und Nationen der Erde ist.
31:3 [179] So, wie die organische Entwicklung der Menschheit langsam und stufenweise vor sich gegangen ist und nacheinander die Einigung der Familie, des Stammes, des Stadtstaates und der Nation in sich schloß, so ist das durch die Gottesoffenbarung gewährte Licht auf den verschiedenen Entwicklungsstufen der Religion, das sich in den aufeinanderfolgenden Sendungen der Vergangenheit widerspiegelt, langsam und fortschreitend gewesen. Tatsächlich ist das Maß göttlicher Offenbarung in jedem Zeitalter dem Grade sozialen Fortschrittes angepaßt und entsprechend gewesen, der in jenem Zeitalter von einer stetig sich entwickelnden Menschheit erreicht worden war.
31:4 „Es wurde von Uns beschlossen“, erklärt Bahá’u’lláh, „daß das Wort Gottes und alle Möglichkeiten daraus den Menschen geoffenbart werden, genau entsprechend den Verhältnissen, wie sie von Ihm, dem Allwissenden, dem Allweisen, vorherbestimmt wurden … Würde dem Wort erlaubt sein, plötzlich alle in ihm verborgenen Kräfte zu entfesseln, so könnte kein Mensch die Last einer so mächtigen Offenbarung ertragen.“ „Alle erschaffenen Dinge“, hat ‚Abdu’l-Bahá, diese Wahrheit erläuternd, be-. stätigt, „haben ihren Grad oder ihre Stufe der Reife. Die Zeit der Reife im Leben eines Baumes ist die Zeit, da er Fruchte trägt … Das Tier erreicht eine Stufe vollen Wachstums und der Vollkommenheit, und im Menschenreich gelangt der Mensch zur Reife, wenn das Licht seines Verstandes seine größte Macht und Entwicklung erreicht .., ähnlich gibt es Zeiten und Stufen im gemeinsamen Leben der Menschheit. Einmal durchwanderte sie ihre Kindheitsstufe, späterhin ihre Jugendzeit, aber jetzt ist sie in ihre lange vorhergesagte Reifezeit eingetreten, deren Beweise überall in Erscheinung treten … Was den Bedürfnissen des Menschen in seiner früheren Geschichte angemessen war, ist weder passend noch genügend für die Erfordernisse des heutigen Tages, dieser Zeit des Neuen, der Vollendung. Die Menschheit hat sich aus der einstigen Stufe der Beschränkung und der Vorerziehung erhoben. Der Mensch muß mit neuen Tugenden und Kräften, neuen sittlichen Mußstäben und Fähigkeiten erfüllt werden. Neue Wohltaten und vollkommene Gaben warten auf ihn und senken sich schon auf ihn herab. Die Gaben und Segnungen der Jugendzeit, wenngleich passend und genügend während des Heranwachsens der Menschheit, sind jetzt nicht imstande, den Erfordernissen ihrer Reifezeit zu entsprechen.“ „In jeder Sendung“, hat Er weiter geschrieben, „wurde das Licht göttlicher Führung im Brennpunkt einer Hauptaufgabe gesammelt … In dieser wunderbaren Offenbarung, diesem glorreichen Jahrhundert, ist die Grundluge der Religion Gottes und das untersleidende Merkmal Seines Gesetzes das Bewußtsein der Einheit der Menschheit.“
32 [180] Religion und soziale Entwicklung
32:1 Die mit dem Glauben Jesu Christi verbundene Offenbarung richtete ihr Augenmerk in erster Linie auf die Erlösung des einzelnen Menschen und auf die Formung seines Betragens und betonte als ihre Hauptaufgabe die Notwendigkeit, dem Menschen, als der Grundeinheit der menschlichen Gesellschaft, ein hohes Maß von Sittlichkeit und Disziplin einzuprägen. Nirgends in den Evangelien finden wir einen Hinweis auf die Einheit der Nationen oder die Vereinigung der Menschheit insgesamt. Als Jesus zu denen sprach, die um Ihn waren, redete Er sie in erster Hinsicht als Einzelmenschen an, weniger als Bestandteil einer umfassenden, unteilbaren Einheit. Fast die ganze Erdoberfläche war noch unerforscht, und die Organisation aller ihrer Völker und Nationen zu einer Einheit konnte darum noch nicht ins Auge gefaßt, geschweige denn verkündet oder errichtet werden. Welche andere Auslegung kann jenen Worten gegeben werden, mit denen Bahá’u’lláh im besonderen die Anhänger des Evangeliums anredete, worin die grundsätzliche Unterscheidung zwischen der in erster Linie den Einzelmenschen betreffenden Sendung Jesu Christi und Seiner eigenen, mehr und vor allem an die gesamte Menschheit gerichteten Botschaft genau festgestellt wird: “ Wahrlich, Er (Jesus) sagte: `Folget Mir nach, und Ich will euch zu Menschenfischern machen.` Am heutigen Tage jedoch sagen Wir: `Folget Mir nach, auf daß Wir euch zu Lebensspendern der Menschheit machen.`“
32:2 [181] Der Glaube des Islám, das nächste Glied in der Kette göttlicher Offenbarung, führte, wie Bahá’u’lláh selbst bezeugt, den Begriff der Nation als eine Einheit und wesentliche Stufe in der Organisation der menschlichen Gesellschaft ein und machte ihn zu einem Bestandteil seiner Lehre. Dies ist in der Tat mit dem kurzen, doch höchst bedeutsamen und erleuchtenden Ausspruch Bahá’u’lláhs gemeint: „Ehedem (in der Sendung des Islám) ist geoffenbart worden: `Liebe zum Vaterland ist ein Element der Religion Gottes.`“ Dieser Grundsatz wurde durch den Gesandten Gottes aufgestellt und betont, da dies die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft zu jener Zeit erforderte. Auch konnte keine Stufe über und jenseits von ihm ins Auge gefaßt werden, da Weltverhältnisse, welche die Errichtung einer noch höheren Organisationsform einleiten konnten, noch nicht erreichbar waren. Der Begriff der Nationalität und das Erreichen der Stufe der Vereinigung zur Nation mögen daher als die kennzeichnenden Merkmale der muhammadanischen Sendung gelten, in deren Verlauf die Nationen und Rassen der Welt, besonders in Europa und Amerika, geeint wurden und politische Unabhängigkeit erlangten.
32:3 [182] ‚Abdu’l-Bahá erläutert diese Wahrheit in einem Seiner Tablets: „In vergangenen Zyklen konnte, wann auch immer ein Zusammenklang herrschte, doch aus Mangel an Möglichkeiten die Einheit der ganzen Menschheit nicht zustande kommen. Die Erdteile blieben weit voneinander getrennt, ja selbst unter den Völkern eines und desselben Erdteiles waren Verbindungen und Gedankenaustausch nahezu unmöglich. Darum waren Verkehr, Verständnis und Einheit unter allen Völkern und Stämmen der Erde noch unerreichbar. Heute aber haben sich die Verkehrsmittel vervielfacht, und die fünf Kontinente sind tatsächlich zu einem verschmolzen … In gleicher Weise sind alle Glieder der menschlichen Familie, ob Völker oder Regierungen, Städte oder Dörfer, in wachsendem Maße voneinander abhängig geworden. Für keines ist Selbstgenügsamkeit noch länger möglich, da ja politische Verbindungen alle Völker und Nationen vereinigten und die Bande des Handels und der Industrie, der Landwirtschaff und der Erziehung jeden Tag fester werden. Daher besteht nun die Möglichkeit, die Einheit der ganzen Menschheit zu schaffen. Wahrlich, dies ist nichts anderes als eines der Wunder dieses herrlichen Zeitalters, dieses glorreichen Jahrhunderts. Vergangene Zeiten waren dessen beraubt, denn dieses Jahrhundert, das Jahrhundert des Lichtes, ist mit einzigartiger und nie dagewesener Herrlichkeit, Macht und Erleuchtung begabt worden. Daher die erstaunliche Entfaltung eines neuen Wunders an jedem Tage. Bald wird man sehen, wie hell seine Lichter in der Vereinigung der Menschen brennen.“
32:4 „Seht“, so erklärt Er weiterhin, „wie sein Licht jetzt am verdunkelten Welthorizont dämmert. Das erste Licht ist Einheit im politischen Bereich, dessen beginnender Schimmer jetzt beobachtet werden kann. Das zweite Licht ist Einheit des Denkens in Weltunternehmungen, deren Vollendung binnen kurzem wahrgenommen werden kann. Das dritte Licht ist Einheit in Freiheit, die sicher eintreffen wird. Das vierte Licht ist Einheit in der Religion, die der Eckstein des Fundamentes selbst ist und durch Gottes Macht in all ihrem Glanz geoffenbart werden wird. Das fünfte Licht ist die Einheit der Nationen, eine Einheit, die in diesem Jahrhundert sicher errichtet werden wird, so daß alle Völker der Welt sich als Bürger eines gemeinsamen Vaterlandes betrachten. Das sechste Licht ist Einheit der Rassen, die aus allen Menschen, welche die Erde bewohnen, Völker und Stämme einer Rasse macht. Das siebte Licht ist Einheit der Sprache, das heißt die Wahl einer Weltsprache, in der alle Völker unterrichtet werden und miteinander sprechen. Eine jede von diesen Einheiten wird unvermeidlich zustande kommen, da die Macht des Reiches Gottes helfen und ihre Verwirklichung unterstützen wird.“
32:5 [183] „Eines der großen Ereignisse“, so versichert ‚Abdu’l-Bahá in Seinem Buch „Beantwortete Fragen“, „das am Tage des Erscheinens dieses unvergleichlichen Sprosses eintreten soll, ist das Hissen des Banners des Herrn unter allen Völkern. Das heißt, daß alle Völker und Stämme unter den Schutz dieses göttlichen Banners, das kein anderes als der Glanzwolle Sproß selbst ist, kommen und zu einem einzigen Volke werden. Die Gegensätze der Glaubensbekenntnisse und Religionen, die Feindschaft zwischen Rassen und Völkern und die Verschiedenheiten vaterländischer Interessen werden verschwinden. Alle werden einer Religion, einem Bekenntnis, einer Rasse und einem Volk angehören und in einem Vaterland wohnen, das die ganze Erde ist.“
32:6 Dies ist die Stufe, der sich die Welt jetzt nähert, die Stufe der Welteinheit, die, wie ‚Abdu’l-Bahá uns versichert, in diesem Jahrhundert bestimmt errichtet wird. „Die Zunge der Größe“, so bestätigt Bahá’u’lláh, „hat … am Tage Seiner Offenbarung verkündet: `Nicht der soll sich rühmen, der sein Land liebt, sondern der, welcher die Welt liebt.`“ „Durch die Macht“, fügt Er hinzu, „die durch diese erhabenen Worte ausgelöst wird, hat Er den Vögeln der Menschenherzen einen frischen Impuls verliehen und eine neue Richtung gewiesen und jede Spur Von Beschränkung und Begrenzung aus Gottes Heiligem Buche gestrichen.“
33 [184] Die weitere umfassende Treue
33:1 Ein Wort der Warnung sollte jedoch in diesem Zusammenhang ausgesprochen werden. Die Liebe zum eigenen Land, wie sie durch die Lehre des Islám als „ein Element der Religion Gottes“ eingeprägt und betont wird, ist durch diese Erklärung, diesen Posaunenruf Bahá’u’lláhs weder verdammt noch herabgesetzt worden. Er sollte und kann in der Tat nicht als Ablehnung einer gesunden und verständigen Vaterlandsliebe ausgelegt oder im Lichte eines Tadels, der gegen sie ausgesprochen wird, betrachtet werden, noch versucht er, die Ergebenheit und Treue irgendeines einzelnen zu seinem Lande zu untergraben oder den rechtmäßigen Bestrebungen, Rechten und Pflichten eines einzelnen Staates oder Volkes zu widersprechen. Alles, was er besagt und verkündet, ist die Unzulänglichkeit des Patriotismus im Hinblick auf den grundlegenden Wandel, der im wirtschafllichen Leben der Gesellschafl und in der gegenseitigen Abhängigkeit der Nationen und infolge des Zusammenschrumpfens der Welt durch die Revolution auf dem Gebiet der Verkehrs- und Nachrichtenmittel eingetreten ist. Dies sind Zustände, die in den Tagen Jesu Christi oder Muhammads nicht bestanden noch bestehen konnten. Er ruft nach einer umfassenderen Treue, die den kleineren Formen der Treue nicht widerstreiten sollte und es tatsächlich auch nicht tut. Er gibt eine Liebe ein, die, im Hinblick auf ihre Weite, die Liebe zum eigenen Lande ein- und nicht ausschließen muß. Er legt durch die Treue, die er eingibt, und die Liebe, zu der er anregt, den einzigen Grund, auf dem der Entwurf des Weltbürgertums gedeihen und der Bau einer Welteinheit ruhen kann. Er besteht jedoch auf der Unterordnung nationaler Gesichtspunkte und sonderstaatlicher Belange unter die gebieterischen und höheren Ansprüche der gesamten Menschheit, zumal in einer Welt voneinander abhängiger Nationen und Völker der Nutzen des Teiles am besten durch den Nutzen des Ganzen erreicht wird.
33:2 [185] Die Welt bewegt sich wahrlich ihrem vorherbestimmten Geschick entgegen. Die gegenseitige Abhängigkeit der Völker und Nationen der Erde ist, was immer die Führer der spaltenden Kräfte in der Welt sagen oder tun mögen, bereits eine vollendete Tatsache. Ihre Einheit im wirtschafllichen Bereich wird jetzt verstanden und anerkannt. Die Wohlfahrt des Teiles bedeutet Wohlfahrt des Ganzen, und die Not des Teiles bringt Not dem Ganzen. Die Offenbarung Bahá’u’lláhs hat, nach Seinen eigenen Worten, diesem gewaltigen, jetzt in der Welt waltenden Geschehen „einen neuen Impuls verliehen und eine neue Richtung gewiesen“. Die durch das große Gottesgericht entzündeten Feuer sind Folgen des Versagens der Menschen, dieses Geschehen zu erkennen. Sie beschleunigen zudem seine Vollendung. Fortgesetzte, weltumfassende, schmerzliche, dem Chaos und der allgemeinen Zerstörung verbündete Trübsal muß notwendigerweise die Nationen erschüttern, das Gewissen der Welt aufrütteln, die Massen ernüchtern, im Gesellschaflsbegriff selbst den völligen Wandel beschleunigen und schließlich die ausgerenkten, blutenden Glieder der Menschheit zu einem einzigen, organisch vereinten und unteilbaren Körper verbinden.
34 [186] Ein Weltstaatenbund
35:1 Auf die allgemeine Wesensart, die Folgerungen und Merkmale dieses Weltstaatenbundes, der früher oder später aus dem Blutbad, dem Todeskampf und der Verwüstung dieser großen Welterschütterung aufzusteigen bestimmt ist, habe ich schon in den vorhergehenden Ausführungen hingewiesen. Es genügt zu sagen, daß diese Vollendung, entsprechend ihrer Wesensart, einen schrittweisen Verlauf nehmen wird, und, wie Bahá’u’lláh selbst vorausgesehen hat, zuerst zur Gründung jenes „Kleineren Friedens“ führen muß, den die Nationen der Erde von sich aus errichten werden, noch ohne Seiner Offenbarung- bewußt zu sein und noch ohne Wisscn darüber, daß sie die allgemeinen Grundsätze durchsetzen, die Er verkündet hat. Dieser bedeutungsvolle und historische Schritt, der die Wiederherstellung der Menschheit als Ergebnis allgemeiner Erkenntnis ihrer Einheit und Ganzheit enthält, wird die Vergeistigung der Massen unmittelbar mit sich bringen, die auf die Erkenntnis der Wesensart und die Anerkennung der Ansprüche des Glaubens Bahá’u’lláhs folgt. Sie sind die wesentlichen Vorbedingungen zu jener endlichen Verschmelzung aller Rassen, Glaubensbekenntnisse, Klassen und Nationen, welche das Aufsteigen Seiner Neuen Weltordnung kennzeichnen wird.
34:2 Dann wird die Zeit der Reife des ganzen Menschengeschlechtes von allen Völkern und Nationen der Erde verkündet und gefeiert werden. Dann wird das Banner des „Größten Friedens“ gehißt werden. Dann wird die weltweite Herrschaft Bahá’u’lláhs, des Begründers des Reiches vom Vater, wie sie vom Sohne geweissagt und von den offenbarem Gottes vor und nach Ihm vorausgeschaut ist, anerkannt, mit Freude begrüßt und fest errichtet werden. Dann wird eine Weltzivilisation geboren werden, blühen und für immer fortdauern, eine Zivilisation mit einer Lebensfülle, wie sie die Welt weder gesehen hat noch bis jetzt begreifen kann. Dann wird der Ewige Bund voll erfüllt werden. Dann wird die in allen Büchern Gottes eingeschlossene Verheißung eingelöst werden, alle durch die Propheten alter Zeiten ausgesprochene Weissagungen werden eintreffen, und die Gesichte der Seher und Dichter werden sich verwirklichen. Dann wird der Planet, vergoldet durch den allumfassenden Glauben seiner Bewohner an einen Gott und ihre Ergebenheit in eine allgemeine Offenbarung, in den ihm gesetzten Grenzen den strahlenden Ruhm der Herrschaft Bahá’u’lláhs widerspiegeln, der in der Fülle seines Glanzes im Abhá-Paradiese leuchtet. Er wird zum Schemel Seines Thrones in der Höhe gemacht und als der Himmel auf Erden bejubelt werden, der fähig ist, das unaussprechliche Schicksal zu erfüllen, das ihm seit undenklichen Zeiten durch die Liebe und Weisheit seines Schöpfers bestimmt war.
34:3 [187] Es ist nicht an uns, die wir winzige Sterbliche sind, in einem so kritischen Ahschnitt der langen, buntbewegten Atenschheitsgeschichte zu versuchen, zu einem genauen und befriedigenden Verständnis der Schritte zu gelangen, welche eine blutende Menschheit, die ihren Gott erbärmlich vergessen und Bahá’u’lláh nicht beachtet hat, nach und nach von ihrem Golgatha zu ihrer endlichen Auferstehung führen müssen. Es ist nicht an uns, den lebenden Zeugen der allbezwingenden Macht Seines Glaubens, auch nur für einen Augenblick, wie finster das Elend, das die Welt umhüllt, sein mag, die Fähigkeit Bahá’u’lláhs in Frage zu stellen, diese zerstreuten und einander zerstöreiiden Bruchstücke, in die eine verderbte Welt zerfallen ist, mit dem Hammer Seines Willens und durch das Feuer der Trübsal auf dem Amboß dieses in Wehen kreißenden Zeitalters in die besondere Form zu schmieden, die Sein Geist erschaut hat – zu einer einzigen, festen und unteilbaren Einheit, die fähig ist, Seinen Plan für die Menschenkinder auszuführen.
34:4 Wie verwirrt der Schauplatz, wie trübe der gegenwärtige Ausblick, wie engbegrenzt die uns verfügbaren Hilfsmittel auch seien, unser ist die Pflicht, heiter, vertrauensvoll und unaufhörlich zu arbeiten und, auf welche Weise auch immer die Umstände uns dazu befähigen mögen, unseren Anteil zu gehen für das Wirken der Kräfte, die, von Bahá’u’lláh geleitet und gelenkt, die Menschheit aus dem Tal des Elends und der Schmach auf die erhabensten Höhen der Macht und der Herrlichkeit führen.
Shoghi Effendi
Haifa, Palästina, 28. März 1941
[188]
[189] ERLÄUTERUNGEN
‚Abdu’l-‚Azíz: Sultán des Türk. Reiches; regierte von 1861-1876 ‚Abdu’l-Bahá: Sohn Bahá’u’lláhs, Mittelpunkt des Bündnisses, autorisierter Ausleger Seiner Schriften und vollkommenes Beispiel Seines Glaubens; lebte von 1844-1921 ‚Abdu’l-Hamíd II.: Sultán des Türk. Reiches, Neffe und Nachfolger von ‚Abdu’l-‚Azíz, 1909 abgesetzt.
‚Abdu’l-Majíd: Sultán des Türk. Reiches von 1839-1861 Abhá: herrlicher, ruhmvoller, glorreicher (Steigerungsform des Wortes „Bahá“ – herrlich, ruhmvoll, glorreich).
Adhirbáyján: Provinz in Nordwestpersien
Adrianopel: arab. Adirnih; türk. Edirne. Stadt in der europ. Türkei
‚Akká: alte Gefängnisstadt nördlich des Berges Karmel im heutigen Israel, in welche Bahá’u’lláh zuletzt verbannt wurde; Er traf dort im Jahre 1868 ein.
‚Alí: ‚Alí-ibn-i-Abí-Tálib, Heiliger, der Schwiegersohn und rechtmäßige Nachfolger Muhammads; er war der erste Imám und der vierte Kalif und fand im Jahre 40 d. H. (661 n.Chr.) den Märtyrertod.
Ámul: persische Stadt in der Nähe des Kaspischen Meeres, in der Bahá’u’lláh im Jahre 1848 in Gegenwart der versammelten Geistlichen die Bastonade erhielt.
Apostel Gottes: Beiname Muhammads
Aqdas: vgl. Kitáb-i-Aqdas
Aqsá-Moschee: unter diesem Namen wird im Qur’án auf den Tempel Salomos in Jerusalem hingewiesen (vgl. Qur’án 17 :1); nach der Kaaba in Mekka der heiligste Ort des Islám
Arche: vgl. Rote Arche
Báb: wörtlich das „Tor“, der Vorläufer Bahá’u’lláhs, der eine eigene Sendung als selbständiger Offenbarer Gottes begründete; Er wurde 1819 geboren und fand 1850 den Märtyrertod.
Bábí-Religion: Religion, die 1844 vom Báb begründet wurde und in der Bahá’í-Religion aufging.
Badí‘: (`wunderbar`) Áqá Buzurg aus Khurásán, der Übermittler eines Tablets von Bahá’u’lláh aven Sháh; ausgezeichnet mit dem Titel „Stolz der Märtyrer“.
Bahá: „Herrlichkeit“, „Ruhm“, „Glanz“, „Licht“, Titel Bahá’u’lláhs.
Bahá’í-Zeitalter: religiöses Zeitalter, das mit der Erklärung des Báb am 22. Mai 1844 begann und mindestens 1000 Jahre währt.
Baháristán: ehemaliges Palais in Tihrán, in dem das Parlament seine Sitzungen abhält.
Bahá’u’lláh: wörtlich „Herrlichkeit Gottes“, der Begründer der Bahá’í-Religion und Verheißene aller Zeiten; geboren Tihrán 12. November 1817, gestorben Bahjí bei ‚Akká in Israel 29. Mai 1892.
Bathá: zentraler und niedrigstgelegener Teil der Stadt Mekka
Bayán: das wichtigste Buch des Báb über die Glaubenslehren Seiner Offenbarung, enthält neben Gesetzen zahllose Hinweise auf das Kommen des Verheißenen. Das Wort wurde vom Báb auch als Bezeichnung für Seine Sendung, vor allem Seine Bücher, benutzt.
Bishárát: „Frohe Botschaften“, ein Tablet Bahá’u’lláhs aus dem Heiligen Land
Brief an den Sohn des Wolfes: Tablet Bahá’u’lláhs an Shaykh Muhammad-Taqíy-i-Najafí, den Sohn eines erbitterten Gegners des jungen Glaubens gehört mit zu den letzten Schriften des Offenbarers.
Buchstaben des Lebendigen: die ersten 18 Anhänger des Báb; der Báb selbst war der 19. Buchstabe des Lebendigen.
Cherub: Engel und himmlischer Wächter
Clarendon: George William Frederick Villiers, Earl of Clarendon, englischer Staatsmann und Diplomat; lebte von 1800 bis 1870.
Curzon of Kedleston: George Nathaniel, Marquis Curzon of Kedleston, englischer Staatsmann; lebte von 1859-1925.
Dalá’íl-i-Sah’ih: „sieben Beweise“, die wichtigste aller polemischen Schriften des Báb.
David: König von Juda und Israel, Nachfolger Sauls, lebte in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts v. Chr.
Derwisch: islámischer Bettelmönch und Mystiker
Emir von Mekka: arab. Fürst von Mekka
Erster Punkt: Beiname des Báb
Esslemont, Dr. John E.: Dr. John E. Esslemont, der Verfasser des weitverbreiteten Buches „Bahá’u’lláh und das Neue Zeitalter“
Europäisches Konzert: Bezeichnung für den Zusammenschluß der Großmächte Europas nach 1815 zur Sicherung der Beschlüsse des Wiener Kongresses.
Fátimide: Angehöriger einer islámischen Dynastie schiitischer Richtung, die von 909-1169 herrschte.
Frieden: vgl. Geringerer Frieden und Größter Frieden
Geist Gottes: Beiname von Jesus Christus im Qur’án
Geringerer Frieden: politische Einigung zwischen den Nationen, die einer Verwirklichung der allgemeinen Grundsätze Bahá’u’lláhs entspricht, wobei jedoch die Nationen ihre göttliche Quelle noch nicht erkennen; geht dem Größten Frieden voraus.
Gestaltgebendes Zeitalter: auch Formgehendes Zeitalter genannt; es soll „von der Sammlung und Gestaltung der durch seine (Bahá’u’lláhs) Offenbarung ausgelösten schöpferischen Kräfte Zeugnis ablegen“.
Größte Offenbarung: die Offenbarung Bahá’u’lláhs
Größter Frieden: das Goldene Zeitalter des Glaubens, das Reich Gottes auf Erden; der Geringere Frieden und die Entfaltung der administrativen Bahá’í-Ordnung finden hierin ihre Krönung; in dieser Zeit beginnt die Bahá’í-Zivilisation, die „göttlich inspiriert, einzig in ihren Merkmalen, weltumfassend in ihrem Ausmaß und grundsätzlich geistig in ihrem Wesen“ ist.
Größter Name: Yá Bahá’u’l-Abhá = O Du Herrlichkeit der Herrlichkeiten – benutzt als Anruf Gottes; Allah-u-Abhá = Gott ist der Allherrlichste – unter den Bahá’í als Grußformel üblich.
Größtes Gefängnis: ehem. Gefängnis in ‚Akká, in dem Bahá’u’lláh eingekerkert war; von hier aus sandte Er Seine Tablets an die Könige und Herrscher der Erde.
Hájí: gläubiger Muhammadaner, der die Pilgerreise nach Mekka untemommen hat.
Hájí Mírzá Áqásí: Großwesir (Premierminister) von Persien – der Antichrist der Bábí-Religion.
Haus: bezeichnet das Haus in Baghdád, in dem Bahá’u’lláh wohnte.
Heroisches Zeitalter: das Zeitalter „des Urzustandes und der Apostelzeit des Glaubens Bahá’u’lláhs“, das durch den Märtyrertod von mehr als zwanzigtausend Gläubigen geprägt wurde.
Hohe Pforte: Bezeichnung des Hofes und der Regierung des Sultans der Türkei und des Türk. Reiches.
Hujah: (als Titel) Ehrwürden, seine Eminenz
Imám ‚Alí: s. ‚Alí
Imám: Titel der zwölf schiitischen Nachfolger Muhammads, auch Bezeichnung hoher geistlicher und weltlicher Würdenträger.
Imám Husayn: Sohn ‚Alís und der Fátimih, Enkel Muhammads, der dritte Imám; er fand 61 d. H. oder 680 n. Chr. den Märtyrertod.
Imám Ridá: eigtl. Name ‚Alí-ibn-i-Músá; achter Imám, fand 203 d.H. den Märtyrertod.
Íqán: vgl. Kitáb-i-Íqán
Islám: Name der durch Muhammad begründeten Religion; bezeichnet die Unterwerfung des eigenen Willens unter den Willen Gottes.
Jahr achtzig: 1280 d. H. oder 1863 n. Chr., das Jahr, in dem Bahá’u’lláh zum ersten Male öffentlich seine Sendung erklärte: im Garten Ridván bei Baghdád am 21. April 1863.
Jahr neun: bezeichnet im „Bayán“, dem Mutterbuch der Bábí-Religion, das Jahr, in dem die Gläubigen das Ziel ihrer Wünsche erreichen, d. h., es ist das Jahr, in dem Bahá’u’lláh selbst von seiner Sendung als Offenbarer Gottes erfuhr: im unterirdischen Verlies von Tihrán, Síyáh-Chál, im August 1852 (1269 d. H.), 9 Jahre nach der Erklärung des Báb.
Jahr sechzig: 1260 d. H. oder 1844 n. Chr., das Jahr, in dem der Báb Seine Sendung erklärte: am 22. Mai 1844 in Shíráz in Persien.
Jamál Páshá: türkisccher Oberstkommandierender in Syrien, der geschworen hatte, das Grabmal Bahá’u’lláhs dem Erdboden gleichzumachen und ‚Abdu’l-Bahá auf einem öffentlichen Platz in Konstantinopel zu kreuzigen; er wurde vernichtend geschlagen.
Kadscharen: turkmenischer Stamm, der sich widerrechtlich des persischen Thrones bemächtigte, die Dynastie regierte von 1795-1925.
Kalifat: ehemals höchstes geistliches und weltliches Amt im (sunnitischen) Islám.
Karbilá: Stadt im ‚Iráq, in der Imám Husayn den Märtyrertod fand (680 n. Chr.) und in der sich sein Grab befindet.
Kitáb-i-Aqdas: das „Heiligste Buch“ der Bahá’í-Religion, das im Jahre 1873 in ‚Akká geoffenbart wurde und als ein Hauptwerk Bahá’u’lláhs Seine Gesetze und die Charta Seiner Neuen Weltordnung enthält.
Kitáb-i-Íqán: das „Buch der Gewißheit“, von Bahá’u’lláh im Jahre 1862 in Baghdád offenbart, ist das wichtigste religiöse Buch der Bahá’í-Religion.
Kleinerer Frieden: vgl. Geringerer Frieden
Krimkrieg: russisch-türkischer Krieg, 1853-1856 Lateranvertrag: Bezeichnung für einen Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien. Die Lateranverträge von 1929 regelten das Verhältnis des Papsttums zum italienischen Staat.
Lawh-i-Burhán: Tablet des Beweises, ein Werk, das von Bahá’u’lláh im Heiligen Land an einen Gegner des Glaubens, den „Wolf“ (Shaykh Muhammad-Báqir) gerichtet wurde.
Lawh-i-Fu’ád: Tablet an Fu’ád Páshá, einen türkischen Außenminister, das den Sturz des Sultáns voraussagte.
Lawh-i-Haykal: auch Súratu’l-Haykal oder Súriy-i-Haykal; Súrih des Tempels, geoffenbart von Bahá’u’lláh; zusammen mit dem wichtigsten Seiner Tablets an die Herrscher der Erde ließ Er dieses Tablet in der Form eines Drudenfußes schreiben, um damit den „Tempel“ (Körper) des Menschen zu symbolisieren und ihn als den von Sacharja erwähnten „Tempel“ zu kennzeichnen.
Lawh-i-Ra’ís: Bahá’u’lláhs Tablet an den Großwesir des Türk. Reiches,’Alí Páshá.
Lawh-i-Sultán: Bahá’u’lláhs Tablet an den Sháh von Persien
Lotesbaum: auch Sadratu’l-Muntahá genannt; Baum, den die Araber früher an das Ende der Wege als Markierung pflanzten; symbolisch der offenbarer Gottes, der „göttliche Lotosbaum“, der „Baum, über den hinaus keiner gehen kann“. In der Bahá’í-Religion symbolisiert der Lotosbaum den offenbarer oder die Manifestation Gottes, d. h. in dieser Sendung Bahá’u’lláh.
Magier: Bezeichnung für den Gelehrtenstand, eine Priesterkaste oder einen geistlichen Orden im alten Medien und Persien. Zoroaster kann ein Magier gewesen sein, und die Perser benutzen das Wort, um damit einen Zoroastrier zu bezeichnen.
Máh-kú: Festung in der Nähe des Berges Ararat, in der der Báb eingekerkert war.
Manúchihr Khán: Gouverneur von Isfáhán, der dem Báb sehr ergeben war
Mashhad: Hauptstadt von Khurásán; hier befindet sich der Schrein des Imám Ridá, des „besonderen Ruhmes der schiitischen Welt“.
Mawlaví: Orden der Tanzenden Derwische, der im 13. Jahrhundert von Jalál-i-Dín Rúmí gegründet wurde.
Mázindarán: persische Provinz am Kaspischen Meer, in der die Heimatstadt der Familie Bahá’u’lláhs, Nur, liegt.
Medina: westarabische Stadt nördlich von Mekka; neben Mekka der bedeutendste muhammadanische Wallfahrtsort, in dem sich die Gräber Muhammads und Seiner Lieblingstochter befinden.
Mekka: Hauptstadt von Hedschas, Saudi-Arabien, nahe der Küste des Roten Meeres; bedeutendster Wallfahrtsort des Islám und Geburtsort Muhammads.
Mittelpunkt des Gottesbündnisses: kennzeichnet ‚Abdu’l-Bahá, den Sohn Bahá’u’lláhs, als Dessen autorisierten Nachfolger und bevollmächltigten Ausleger der heiligen Schriften der Bahá’í-Religion.
Muftí: Ausleger des muslimischen Gesetzes, der eine Fatvá (Urteilsspruch) in einem religionsrechtlichen Fall ergehen läßt.
Muhammad: Offenbarer Gottes (570-632 n. Chr.), der Stifter des Islám; Er offenharte das Heilige Buch des Qur’án.
Muhammad-Sháh: Sháh von Persien; er regierte von 1834-1848 Mullá: muhammadanischer Geistlicher, Theologe oder Richter
Murád V.: Nachfolger von Sultán ‚Abdu’l-‚Azíz,1876 Sultán, im selben Jahr abgesetzt.
Mustafá Kamál: Mustafá Kamál Páshá, auch Kamál Atatürk genannt, ein Führer der Jungtürkischen Bewegung, der erste Präsident der türkischen Republik, 1880-1938.
Mutterbuch: das Buch göttlichen Wissens, die Quelle der Offenbarung für alle Heiligen Schriften. Für die Bahá’í bedeutet das „Mutterbuch“, das „verwahrte Tablet“ oder das „behütete Tablet“ das Wort Gottes, die Manifestation Gottes oder Sein Buch. Das Mutterbuch der Sendung des Báb ist der Persische Bayán, das der Bahá’í-Religion das Kitáb-i-Aqdas.
Muttertempel: das jeweils auf einem Kontinent erste Haus der Anbetung der Bahá’í; sie werden auch Mashriqu’l-Adhkár, Aufgangsorte des Lohpreises und der Erinnerung Gottes genannt. Heute gibt es Muttertempel in Wilmette (Illinois, USA), Kampala (Uganda), Sidney (Australien) und Langenhain bei Frankfurt am Main; weitere Mashriqu’l-Adhkár oder Häuser der Andacht sind geplant.
Nabíl Nabíl-i-A’zam, Beiname von Mullá Muhammad-i-Zarandí.: Er verfaßte das sehr bedeutende zeitgenössische Geschichtswerk der Bahá’í-Religion, „The Dawn-Breakers“. Der Beiname bedeutet der „Größte Nabíl“. Nabíl wird auch als Poeta Laureatus, der gekrönte Dichter Bahá’u’lláhs bezeichnet.
Najaf: einer der beiden heiligsten Schreine der schiitischen Welt; er befindet sich im ‚Iráq, südlich von Karbilá.
Násiri’d-Dín Sháh: Sháh von Persien 1848-1896; der mächtigste Herrscher des schiitischen Islám. Er erhielt von Bahá’u’lláh den Beinamen: „Fürst der Bedrücker“.
Níyálá: persische Stadt, in deren Nähe Bahá’u’lláh gesteinigt wurde
Níyávarán: Dorf nördlich von Tihrán am Gebirgsrand mit einem Palais des Sháh
Páshá: Ehrentitel, der früher in der Türkei hohen Offizieren verliehen wurde
Qayyumu’l-Asmá‘: auch Qayyúm-i-Asmá‘. Kommentar zur Súrih von Joseph (Qur’án 12), die erste Offenbarungsschrift des Báb, in er die Leiden vorausgesagt werden, die Bahá’u’lláh von Seinem ungläubigen Bruder zu erdulden hatte. Bahá’u’lláh bezeichnet dieses in der Nacht der Erklärung der Sendung des Báb (23. Mai 1844) entstandene Werk als „das erste, größte und mächtigste aller Bücher“ in dcr Offenbarung des Báb.
Qá’ím-Maqám: Titel, vor allem des erlauchten Ministers von Muhammad Sháh Qájár, der auf Befehl des Sháh erdrosselt wurde.
Qur’án: das Heilige Buch des Islám, das von Muhammad offenhart wurde; Bahá’u’lláh nennt es das „nicht irrende Buch“.
Renan: Ernest, 1823-1892, franz. Religionswissenschaftler und Orientalist
Ridvánu’l-‚Adl: Paradies der Gerechtigkeit: ein Werk Bahá’u’lláhs, das das Kommen gerechter Könige vorhersagt.
Rote Arche: „Arche“ ist die Bezeichnung für jede der vorausgegangenen Offenbarungen Gottes. Die „Rote Arche“ kennzeichnet die Sendung Bahá’u’lláhs.
Safawiden: persische Dynastie, die von 1500-1736 n.Chr. herrschte
Scala santa: in der Vorhalle der alten Hauskapelle Sancta Sanctorum der Päpste befindliche Heilige Treppe, die nach der Legende aus dem Palast des Pilatus zu Jerusalem stammen soll; über sie soll Christus zum Verhör hinaufgestiegen sein.
Schiitischer Islám: Bezeichnung für die eine der beiden großen Glaubensrichtungen im Islám. Die sogenannte Zwölferschia ist Staatsreligion in Irán.
Sháh-Bahrám: der Erlöser der Welt und Verheißene in der zoroastrischen Religion ; diese Beinamen beziehen sich auf Bahá’u’lláh und finden in Ihm ihre Erfüllung.
Sháh in Sháh: persischer Herrschertitel: König der Könige
Sháh-Zádih: persische Rangbezeichnung: Prinz
Sharí’ah: auch Sharí’at; kanonisches Recht des Islám
Shaykh: verehrungswürdiger alter Mann; Anführer, Gelehrter, Oberster eines Derwischordens usw.
Shaykh Salmán: ein ergebener Gläubiger, der die Briefe der Bahá’í zu Bahá’u’lláh brachte und Seine Botschaften und Sendschreiben ihren Empfängern zutrug.
Shaykhu’l-Islám: muhammadanischer Hoherpriester; die höchste geistliche Würde im Islám. Das Oberhaupt des religiösen Gerichtshofes, das für jede große Stadt vom Sháh ernannt wurde.
Shíráz: Stadt in Südpersien, in der der Báb am 22. Mai 1844 Seine Sendung erklärte.
Sieben Beweise: vgl. Dalá’il-Sab’ih
Siegel der Propheten: Beiname Muhammads. Die Bezeichnung verdeutlicht, daß Er die letzte Manifestation des Prophetischen Zyklus vor dem Kommen des Tages Gottes, d.i. das Erscheinen Bahá’u’lláhs, war.
Síyáh-Chál: das „Schwarze Loch“ in den Elendsvierteln von Tihrán, in das Bahá’u’lláh 1852 zusammen mit Dieben und Mördern geworfen wurde. Hier wurde Er selbst zum ersten Mal mit Seiner hohen Sendung bekannt. Es ist der heiligste Platz der Bahá’í in der persischen Hauptstadt.
Siyyid: Nachkomme des Propheten Muhammad
Smithfield: Hinrichtungsstätte bei London; hier wurden unter Maria der Katholischen (1516-1558 ) zahlreiche Protestanten ihres Glaubens wegen auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Sohn Gottes: Beiname von Jesus Christus
Sommerschulen: in jedem jahr und in vielen Ländern der Welt stattfindende Lehr- und Arbeitstagungen der Bahá’í und ihrer Freunde.
Súfí: Mystiker im Islám; sie erstreben die Vereinigung mit Gott, von dem alle Dinge emanieren, durch Ekstase und Kontemplation.
Sulaymáníyyih: Stadt im Nordosten des ‚Iráq. Bahá’u’lláh lebte in völliger Zurückgezogenheit zwei Jahre lang in Kurdistan, zuerst auf einem einsamen Berg namens Sar-Galú, später in der Stadt Sulaymáníyyih in einem theologischen Seminar.
Sultanat: hohes Herrscheramt in muhammadanischen Ländern, vor allem höchster Titel der osmanischen Türken.
Sunnitischer Islám: Bezeichnung für die größte der beiden Glaubensrichtungen im Islám, die die ersten Kalifen als rechtmäßige Nachfolger Muhammads ansieht.
Súrih von Joseph: Súrih des Qur’án. Der Báb offenharte hierzu einen Kommentar, der in der Person von Joseph Bahá’u’lláh deutete.
Súriy-i-Mulúk: Súrih der Könige, „das bedeutendste Tablet, das von Bahá’u’lláh geoffenbart wurde“.
Tá: der Buchstabe „T“, der für Tihrán (Teheran) steht
Tablet: Bezeichnung für ein vom Báb, von Bahá’u’lláh oder ‚Abdu’l-Bahá geoffenbartes Werk.
Tabríz: Stadt in Nordwestpersien, wo der Báb am 9. Juli 1850 den Märtyrertod fand.
Tempel des Menschen: in den Bahá’í-Schriften häufig die Bezeichnung für den Körper oder die Gestalt des Menschen.
Tihrán: Teheran, Hauptstadt Persiens, Geburtsort Bahá’u’lláhs
Thora: die fünf Bücher Mose, die im Judentum auf Rollen aufgezeichnet und in der Synagoge aufbewahrt werden.
Turbanträger: der Turban in verschiedenen Farben und Größen wurde in islámischen Ländern von religiös hochstehenden und ausgezeichneten Männern getragen.
‚Umar: der zweite Kalif, 634-643 Urewige Schönheit: Beiname Bahá’u’lláhs
Verborgene Worte: bedeutsames Werk, geoffenbart von Bahá’u’lláh, um „den Geist der Menschen neu auszurichten, ihre Seelen zu erbauen und ihr Verhalten zu bessern“.
Volk von Bahá: Bezeichnung für die Bahá’í
Yá Bahá’u’l-Abhá: „O Du Herrlichkeit der Herrlichkeiten!“ Eine andere Form des Größten Namens, vgl. ebd.
[202] Index nicht eingefügt.
ENDE
Hinweis:
Diese Datei ist eine Textwiedergabe des u.g. Buches, jedoch in einem anderen äußeren Layout. Seitenzahlen #xyz findet man am Beginn von Absätzen, und befindet sich dieser hauptsächlich bereits auf der nächsten Seite, so ist diese angegeben. Dies reicht für eine eindeutige Textzuordnung anhand der nummerierten Absätze völlig aus.
Fußnoten befinden sich ia am Ende des jeweiligen Absatzes
Im eigentlichen Hauptwerk – ab Seite 21 – sind alle vom Hüter gesetzten Absätze in dieser Datei nummeriert nach der Syntax z.B. 5:3 Abschnitt 5 Absatz 3 Diese Datei verwendet nicht ‚dieses runde Apostrophe‘ für ineinandergeschachtelte Zitate und SpezialHervorhebungen, welche von WinWord nicht korrekt dargestellt werden und bei RTF-Konvertierungen häufig in das ‚gerade Apostroph‘ umgewandelt werden, sondern `dieses Apostroph` stattdessen. Dies garantiert zugleich schnelle globale eindeutige Veränderungsmöglichkeiten zu anderen Darstellungsarten im nachhinein.
DIE BAHÁ’Í-WELTRELIGION
Der Glaube, der von Bahá’u’lláh begründet wurde, entstand in Persien um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Nach längerer Verbannung des Gründers, zuletzt nach der türkischen Strafkolonie ‚Akká, und späterhin nach Seinem Tod und Seiner Beisetzung bei ‚Akká, hat der Glaube sein endgültiges Zentrum im Heiligen Land gefunden. Heute ist er im Begriff, die Grundlagen seines Verwaltungszentrums für die ganze Welt in der Stadt Haifa aufzubauen.
Wenn man seinen Anspruch, wie er unmißverständlich durch seinen Begründer verfochten wurde, und die Art des Wachstums der Bahá’í-Gemeinde in allen Teilen der Welt betrachtet, dann kann dieser Glaube nicht anders angesehen werden als eine Weltreligion, die dazu bestimmt ist, sich im Laufe der Zeiten zu einem weltumfassenden Gemeinwesen zu entwicheln. Das Kommen dieses Glaubens kündigt das Goldene Zeitalter der Menschheit an, jenes Zeitalter, das die Einheit des Menschengeschlechtes unerschütterlich begründen, seine Reife erreichen und seine Bestimmung durch die Geburt und Verwirklichung einer alles umfassenden Zivilisation erfüllen wird.
Neue Darlegung ewiger Wahrheiten
Obwohl dem schiitischen Islám entsprungen und in den ersten Entwicklungsphasen von den Anhängern des muhammadanischen und des christlichen Glaubens nur als eine obskure Sekte, ein asiatischer Kult oder ein Ableger der muhammadanischen Religion betrachtet, beweist dieser Glaube nunmehr in wachsendem Maße sein Anrecht auf eine andere Beurteilung als nur die eines weiteren religiösen Systems, das sich den bekämpfenden Glaubensbekenntnissen zugesellte, die so viele Geschlechter lang die Menschheit zerspalten und ihr Wohlergehen gestört haben. Vielmehr ist er eine neue Darlegung der ewigen Wahrheiten, die allen Religionen der Vergangenheit zugrunde liegen. Dieser Glaube ist eine einigende Macht, die den Anhängern dieser Religion einen neuen geistigen Antrieb, eine neue Hoffnung und Liebe zur Menschheit gibt und sie durch eine neue Betrachtungsart, die der grundsätzlichen Einheit der religiösen Lehren, anfeuert. Er zeigt vor ihren Augen die herrliche Berufung auf, die dem Menschengeschlecht winkt.
Die Anhänger dieses Glaubens stehen fest zu dem grundlegenden Prinzip, wie es von Bahá’u’lláh verkündet worden ist, daß religiöse Wahrheit nicht absolut, sondern relativ ist, daß Gottesoffenbarung ein fortdauerndes und fortschreitendes Geschehnis ist, daß alle großen Religionen der Welt göttlich in ihrem Ursprung sind, daß ihre Grundsätze miteinander in völligem Einklang stehen, daß ihre Ziele und Absichten ein und dieselben sind, daß ihre Lehren nur Widerspiegelungen der einen Wahrheit sind, daß ihr Wirken sich ergänzt, daß sie sich nur in unwesentlichen Teilen ihrer Lehren unterscheiden und daß ihre Sendungen aufeinanderfolgende geistige Entwichlungsstufen der Menschheit darstellen.
[8] Die Versöhnung der sich streitenden Bekenntnisse
Das Ziel Bahá’u’lláhs, des Gottesoffenbarers dieses neuen und großen Zeitalters, in das die Menschheit eingetreten ist – sein Kommen erfüllt die Prophezeiungen des Neuen und Alten Testamentes wie auch des Qur’án (Korans), die sich auf das Erscheinen des Verheißenen am Ende der Zeiten, am Tage des Gerichts beziehen – ist nicht die Aufhebung, sondern die Erfüllung der Offenbarungen der Vergangenheit. Er bringt die Versöhnung, nicht die Betonung der Gegensätze der sich streitenden Glaubensbekenntnisse, welche die heutige Menschheit noch zerreißen.
Bahá’u’lláh ist weit davon entfernt, die Stufe der Ihm vorausgegangenen Gottesoffenbarer herabsetzen oder Ihre Lehren schmälern zu wollen. Vielmehr will Er die Grundwahrheiten, die in allen diesen Lehren liegen, in einer Weise neu darlegen, wie sie den Nöten der Menschheit entspricht, auf ihre Fassungskraß abgestimmt ist und auf Fragen, Leiden und Verwirrungen der Zeit, in der wir leben, angewendet werden kann.
Seine Sendung ist zu verkünden, daß die Zeiten der Kindheit und Unreife des Menschengeschlechtes vorüber sind, daß die Erschütterungen der heutigen Stufe der Jugend langsam und schmerzvoll die Stufe der Reife vorbereiten und das Nahen jener Zeit der Zeiten verkünden, da die Schwerter in Pflugscharen umgewandelt werden, das von Jesus Christus verheißene Reich begründet und der Friede auf diesem Planeten endgültig und dauernd gesichert sein wird.
Auch erhebt Bahá’u’lláh nicht den Anspruch auf Endgültigkeit Seiner eigenen Offenbarung. Er erklärt vielmehr ausdrücklich, daß in den späteren Phasen der endlos weiterschreitenden Menschheitsentwicklung ein volleres Maß der Wahrheit enthüllt werden muß als Ihm von dem Allmächtigen in einem für die Menschheit so kritischen Zeitpunkt gestattet wurde.
[9] Einheit des Menschengeschlechtes
Der Bahá’í-Glaube hält die Einheit Gottes hoch, anerkennt die Einheit seiner Offenbarer und betont vor allem den Grundsatz der Einheit und Harmonie aller Menschenrassen. Er verkündet, daß die Einigung der Menschheit notwendig und unumgänglich ist, hebt hervor, daß wir uns dieser langsam nähern, und stellt die These auf, daß nichts anderes als der verwandelnde Geist Gottes, der durch sein erwähltes Sprachrohr an diesem Tage wirkt, letzten Endes diesen Zustand herbeiführeii kann. Der Bahá’í-Glaube erlegt seinen Anhängern vor allem die Pflicht des ungehemmten Suchens nach Wahrheit auf, verwirft alle Arten von Vorurteil und Aberglauben und erklärt, daß der Zweck der Religion die Förderung von Freundschaft und Einracht sei. Dieser Glaube werkünder in wesentlichen Fragen seine Übereinstimmung mit der Wissenschafl und erkennt diese als die größte Kraft für die Befriedigung und den geregelten Fortschritt der Menschheit. Er hält eindeutig den Grundsatz gleicher Rechte, gleicher Möglichkeiten und Vorrechte für Männer und Frauen hoch, besteht auf guter Erziehung als Pflicht, beseitigt die Extreme von Armut und Reichtum, schafft die Einrichtung des Priesterstandes ab, verbietet Sklaverei, Askese, Bettelei und Mönchtum, schreibt die Einehe vor, mißbilligt die Scheidung, betont die Notwendigkeit des Gehorsams gegenüber der Regierung, erhöht jede Arbeit, die im Geiste des Dienstes getan wird, zum Rang des Gottesdienstes, drängt auf die Schaffung oder Auswahl einer Welthilfssprache und gibt einen Umriß für die Einrichtungen, welche den Weltfrieden begründen und dauerhaft machen sollen.
[10] Der Herold
Der Bahá’í-Glaube kreist um drei Hauptgestalten, deren erste ein Jüngling aus Shíráz (Schiras) namens Mírzá ‚Alí Muhammad war, bekannt als der Báb (das Tor). Er erhob im Mai 1844, im Alter von 25 Jahren, unter Berufung auf die Heiligen Schriften früherer Offenbarungen den Anspruch, der Vorbote und Wegbereiter für das Kommen eines Größeren als Er selbst zu sein. Die Sendung dieses Einen sei, entsprechend diesen Schriften, eine Ära des Friedens und der Gerechtigkeit einzuleiten, die als die Vollendung aller früheren Sendungen begrüßt würde, und einen neuen Zyklus in der Religionsgeschichte der Menschheit zu begründen. – Rasch setzte strenge Verfolgung ein, die von den organisierten Mächten der Kirche und des Staates seines Geburtslandes ausging und schließlich zu seiner Gefangenschaff, Verbannung und Hinrichtung im Juli 1850 in Tabríz (Täbris) führte. Nicht weniger als 20 000 seiner Anhänger wurden mir so barbarischer Grausamkeit hingemordet, daß sie das warme Mitgefühl und die unbegrenzte Bewunderung abendländischer Schriftsteller, Diplomaten, Reisender und Gelehrter hervorrief.
[11] Bahá’u’lláh
Mírzá Husayn-‚Alí, genannt Bahá’u’lláh (die Herrlichkeit Gottes), aus der Provinz Mázindarán stammend, dessen Kommen der Báb verkündet hatte, wurde von diesen gleichen Mächten der Unwissenheit und des Fanatismus angegriffen, in Tihrán Teheran) eingekerkert, 1852 aus Seinem Heimatland nach Baghdád, von dort nach Konstantinopel und Adrianopel (heute Edirne) und schließlich in die Gefängnisstadt ‚Akká verbannt, wo Er nicht weniger als 24 Jahre lang gefangengehalten wurde. Unweit davon starb Er im Jahre 1892. In der Zeit Seiner Verbannung, vor allem in Adrianopel und in ‚Akká, gab Er den Gesetzen und Vorschriften seiner Sendung Ausdruck. Er erklärte in mehr als einhundert Schriften die Grundsätze seines Glaubens und verkündete seine Botschaft den Königen und Herrschern des Ostens und des Westens, Christen sowohl wie Muhammadanern.
‚Abdu’l-Bahá
Sein ältester Sohn, ‚Abbás Effendi, bekannt als ‚Abdu’l-Bahá (Diener Gottes), war von Bahá’u’lláh zu seinem gesetzlichen Nachfolger und bevollmächtigten Ausleger Seiner Lehren ernannt worden. Er war seit Seiner frühesten Kindheit Seinem Vater eng verbunden und teilte dessen Verbannung und Leiden. Er blieb ein Gefangener bis 1908, wo Er nach der jungtürkischen Revolution aus der Haft entlassen wurde. Nunmehr verlegte Er seinen Wohnsitz nach Haifa, brach dann bald zu einer drei Jahre währenden Reise nadi Ägypten, Europa und Nordamerika auf, in deren Verlauf Er vor vielen Menschen die Lehren seines Vaters auslegte und das Nahen der Katastrophe voraussagte, die bald darauf die Menschheit überkommen sollte. Seine Rückkehr erfolgte am Vorabend des Ersten Weltkrieges, in dem Er bis zur Befreiung Palästinas dauernden Gefahren ausgesetzt war.
1921 verschied ‚Abdu’l-Bahá. Er wurde auf dem Berge Karmel in dem Grabmal beigesetzt, das nadi dem Gebot Bahá’u’lláhs für die sterblichen Reste des Báb errichtet worden war.
[12] Die Verwaltungsordnung
Das Hinscheiden ‚Abdu’l-Bahás bedeutete das Ende des Heroischen Zeitalters des Bahá’í-Glaubens und bezeichnete zugleich den Beginn des Gestaltgebenden Zeitalters, das den schrittweisen Ausbau der Verwaltungsordnung des Glaubens bringen soll. Ihre Errichtung war vom Báb vorhergesagt, ihre Gesetze von Bahá’u’lláh geoffenbart und ihre Umrisse durch ‚Abdu’l-Bahá in seinem Willen und Testament vorgezeichnet worden.
Die Verwaltungsordnung des Glaubens von Bahá’u’lláh ist dazu bestimmt, sich zu einem Bahá’í-Weltgemeinwesen zu entwickeln. sie hat schon die Angriffe überdauert, die so furchtbare Feinde wie die Könige der Kadscharen-Dynastie, die Kalifen des Islám, die führenden Geistlichen Ägyptens und die Nationalsozialisten in Deutschland gegen ihre Institutionen gerichtet hatten. Sie hat ihre Zweige in alle Teile der Erde von Island bis zum südlichsten Chile ausgebreitet und zählt in ihren Reihen die Vertreter von nicht weniger als 31 Rassen, darunter Christen verschiedener Konfessionen, Mnlammadaner der sunnitischen und schiitischen Bekenntnisse, Juden, Hindus, Sikhs, Zoroastrier und Buddhisten. Sie hat durch ihre eingesetzten Organe Bahá’íSchriften in 48 Sprachen veröffentlicht und verbreitet1.
Diese Verwaltungsordnung ist, im Unterschied zu den anderen Systemen, die sich nach dem Tode der Gründer in den verschiedenen Religionen entwickelt haben, göttlich in ihrem Ursprung. sie ruht fest auf den Gesetzen, Vorschriften, Verordnungen und Einrichtungen, die vom Begründer des Glaubens selbst ausdrücklich niedergelegt und festgesetzt sind. Sie wirkt in genauer Übereinstimmung mit den eindeutig bevollmächtigten Auslegern der heiligen Texte.
Der Glaube, dem diese Ordnung dient, den sie schützt und fördert, ist, wie in diesem Zusammenhang klar gesagt werden sollte, in seinem Wesen übernatürlich, übernational, völlig unpolitisch, parteilos und allen Systemen oder Schulen von Ideen, die irgendeine besondere Rasse, Klasse oder Nation über die andere zu stellen suchen, völlig entgegengesetzt. Er ist frei von jeglicher Form von Kirdientum, kennt weder Priesterstand noch Riten und wird allein durch freiwillige Gaben seiner erklärten Anhänger getragen.
Obwohl die Bekenner des Bahá’í-Glaubens ihren Regierungen treu ergeben, in Liebe ihrem Vaterland verbunden und darauf bedacht sind, zu allen Zeiten deren Wohl zu fördern, so werden sie doch, weil sie die Menschheit als eine Einheit betrachten und sich deren Lebensinteressen tief verpflichtet fühlen, ohne Zögern jedes Einzelwohl, sei es persönlich oder national, dem übergeordneten Wohl der Mensdiheit als Ganzem unterordnen, sie wissen sehr wohl, daß in einer Welt der gegenseitigen Abhängigkeit der Völker und Nationen der Vorteil des Teiles am besten durch den Vorteil des Ganzen erreicht werden kann und daß kein Dauererfolg durch einen der zugehörigen Teile erlangt werden kann, wenn das Allgemeinwohl des Ganzen hintangestellt wird.
Shoghi Effendi
1 heute auf weit über 300 Sprachen angewachsen.
[14] Anm.: Shoghi Effendi starb im Jahre 1957. Von seinem Tode bis 1963 wurde der Glaube durch eine von ihm ernannte Körperschaft, die Hände der Sache Gottes, verwaltet. Im April 1963 berief diese Körperschaft die Mitglieder der zu dieser Zeit bestehenden 56 nationalen administrativen Einrichmngen zur Wahl des Universalen Hauses der Gerechtigkeit. Nach vollzogener Wahl übernahm diese Körperschaft die Verwaltung und Führung der Bahá’í-Religion.
[15] VORWORT
Die Feststellung, daß wir in einer Zeit der Krise leben, ist ein Gemeinplatz. Hunderte von Büchern, tausende von Artikeln, Ansprachen, Predigten und Vorträgen verbreiten sich vielfältig über dieses erschreiende Thema. Der nachgiebige Optimismus eines H. G. Wells, das irrationale Vertrauen in die automatischen Verbesserungen im menschlichen Leben, die zuversichtlichen Erwartungen eines allumfassenden Triumphes von Frieden und Demokratie sind der Angst, Furcht und Verzweiflung gewichen. Es besteht eine bemerkenswerte Übereinstimmung darüber, daß die Welt krank ist, daß „etwas schiefgelaufen ist“ mit der westlichen Zivilisation gerade zu einem Zeitpunkt, da sie im Begriff war, zur Weltzivilisation zu werden, daß die früheren Utopien sich als grausam enttäuschend erwiesen haben und daß die Zukunfl des Menschen bedroht wird durch seine eigenen zerstörerischen Triebe, die viel stärker sind als er vermutete und zu deren Kontrolle er unfähig scheint. Auf der anderen Seite besteht jedoch nur eine geringe Übereinstimmung über die Ursachen dieser Krise, und sie fehlt ganz bezüglich ihrer notwendigen Heilung. Verloren in einem Labyrinth einander widerstreitender Ideologien, geblendet durch glitzernde Theorien, die ihn für eine kurze Zeit ablenken, und eines lebensnotwendigen Wertesystems ermangelnd, folgt der moderne Mensch wider sein besseres Wissen dem Weg zur Katastrophe und Selbstvernichtung.
Weil der moderne Mensch seiner geistigen Natur abgeschworen und sich zu nichts mehr als zu einem höheren Tier erklärt hat, ist er bis jetzt unfähig, die einfache Wahrheit zu erkennen, daß sein Glück und sein bloßes Überleben von der Erreichung der Harmonie zwischen seinem eigenen Willen und dem Willen des Urhebers dieses Universums abhängen. Der Grund für diese Tragödie des Menschen liegt in seiner Zurückweisung derjenigen Grundsätze, die die einzige sichere Basis für das menschliche Dasein bieten, Grundsätze, die ebenso wirklich sind wie physikalische Gesetze, die aber eher durch Vernunft und Glauben als durch Vernunft und Verstand zu begreifen sind.
[16] Vor mehr als zwanzig Jahren, während des Zweiten Weltkrieges, richtete Shoghi Effendi an die Bahá’í des Westens einen langen Brief, der zu einem Buch wurde. In klarer und machtvoller Sprache legte er darin das Bahá’í-Verständnis der Krise unseres Zeitalters dar. „Die mächtigen Auswirkungen dieser titanischen Umwälzung“, so verkündet Shoghi Effendi unzweideutig, „sind nur allein denen verständlich, die die Ansprüche sowohl Bahá’u’lláhs als auch des Báb anerkannt haben. Ihre Anhänger wissen wohl, was sie ausgelöst hat und wohin sie schließlich führen wird.“ Die Gewißheit dieser Worte leitet sich her aus dem Glauben an Bahá’u’lláh als den göttlichen Boten, der eine neue Ara in der menschlichen Geschichte eröffnete.
Während in den letzten einhundert Jahren die meisten Denker versuchten, die Geschichte aus sich selbst heraus zu interpretieren – was eine nicht zu verwirklichende Aufgabe ist – oder die Gesamtheit menschlicher Tätigkeit nach ihren einzelnen Ausprägungen zu deuten, wie z. B. in bezug auf Volkswirtschaft oder Politik – was ebenfalls nicht möglich ist – betrachtet Shoghi Effendi die Geschichte im Lichte ihres eigentlichen Wesens: der Beziehung zwischen dem vergänglichen Menschen und dem ewigen Gott. So gesehen offenbart die Geschichte einen sinn und ein Bild, wie sie zuvor nicht erkennbar waren. Das Handeln des Menschen erlangt seine Bedeutung, wenn man dartut, daß es seine eigene Widerspenstigkeit und seine Zurückweisung des göttlichen Willens sind, die zu der Unruhe und den Umwälzungen führten, in die er so hoffnungslos verstrickt ist. In einem gewissen sinne können die Schrecken dieses Jahrhunderts als Gottes strafe für den Menschen angesehen werden, weil er die Bande zwischen sich und seinem Schöpfer zerrissen hat. In einem anderen Sinne ist die Not des Menschen das Ergebnis seiner eigenen hartnäckigen Weigerung, seine geistige Natur und die der sie regierenden geistigen Gesetze zu erkennen.
[17] Shoghi Effendi kennzeichnet beredt und kraßvoll die Grundzüge der Sendung Bahá’u’lláhs und die Wirkungen, die sie hervorrief. In zahlreichen Botschaften an „Kaiser, Könige und Fürsten, Kanzler und Minister, den Papst, Priester, Mönche und Philosophen, die größten Gelehrten, Politiker und Abgeordnete, die Reichen dieser Erde und die Anhänger aller Religionen“ verkündete Bahá’u’lláh seine Sendung und entfaltete vor den unaufmerksamen Augen der Herrscher der Welt den Göttlichen Plan, der dazu bestimmt ist, die Menschheit auf eine höhere Stufe ihrer Entwicklung zu heben und eine neue, geistig gesündere Welt zu schaffen.
Die Zersetzung der althergebrachten Grundlagen der zivilisierten Gesellschaft und der Sturz ihrer ehrwürdigen Institutionen und Werte ließen ein Vakuum entstehen, das notwendigerweise wieder ausgefüllt werden mußte. Als die Menschheit Bahá’u’lláh den Rücken kehrte und sich weigerte, seine Sendung anzunehmen, öffnete sie falschen und verderbten Lehren Tür und Tor, die schnell ihren Geist und ihr Herz ergriffen …
Obgleich die Gegenwart dunkel und trüb ist, trägt sie doch die Verheißung einer leuchtenden Zukunft in sich. Die zerfallende alte Ordnung hat bereits eine neue geboren. Dem Prozeß der Zersetzung läuft beinahe unsichtbar ein solcher des Wachstums parallel. Dieselben Leiden, die sich die Menschheit auferlegt hat, schaffen langsam aber sicher die notwendigen Voraussetzungen für die Vereinigung der Menschheit. Wiederholt betonte Shoghi Effendi, wie geheimnisvoll und „unwiderstehlich Gott seinen Plan verwirklicht, obgleich das, was wir heute sehen, das Bild einer in ihren schlingen hoffnungslos verfangenen Welt ist“, die zudem ihre hohe Bestimmung mißachtet.
„Der verheißene Tag ist gekommen“ ist keine Geschichte des letzten Jahrhunderts oder eine Philosophie der Geschichte im eigentlichen Sinne des Wortes. Dennoch gibt dieses Buch auf weniger als 170 Seiten ein wahreres Bild der umwälzenden Geschehnisse, die sich in Europa und Asien seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ereigneten, als ganze Bibliotheken schwerer wissenschaftlicher Werke. Die Analyse, die Shoghi Effendi vornimmt, dringt zum Wesen der Ereignisse und Persönlichkeiten vor. Seine kurzen Charakteristiken von Napoleon III., Papst Pius IX., Násiri’d-Dín Sháh und Wilhelm II. sind glänzende Beispiele kühner und treffender Zusammenfassung, in der wenige Sätze genügen, um die wesentlichsten Eigensdiaften eines jeden herauszuarbeiten. Dieselbe Begabung zur prägnanten Formulierung erweist sich auch in der Besprechung so verwickelter Erscheinungen, wie der Untergang monarchistischer Institutionen, der Zusammenbruch des Kalifats, der Niedergang religiöser Orthodoxie oder der Aufstieg des Bolschewismus. Unfehlbar kennzeichnet er die wesentlichen Grundzüge einer jeden, und das Geschehen, die Institution oder die Bewegung werden lebendig und enthüllen dem verwunderten Leser ihre eigentliche Bedeutung.
[18] Der exakte und sorgfältig ausgearbeitete Stil ist einzigartig. Einige Leser mögen ihn zunächst schwierig finden, aber sie werden bald entdecken, wie genau er der Aufgabe entspricht, die sich der Verfasser setzte, und wie vollkommen er zu dem dargestellten Gegenstand paßt. Die Sätze sind lang und der Wortschatz sehr groß, aber nirgends ist etwas überflüssig. Jedes Substantiv, jedes Verb und jedes Adjektiv ist dem Ziel des Verfassers untergeordnet und trägt seinen Teil zu dem bedeutenden Eindruck bei, den dieses Buch immer wieder auf den aufmerksamen Leser macht.
Obgleich es während des Zweiten Weltkrieges geschrieben und unmittelbar von den Ereignissen geprägt wurde, die bereits im Gedächtnis der Menschen zu verblassen beginnen, hat das Buch „Der verheißene Tag ist gekommen“ nichts von seiner Wichtigkeit und Bedeutung verloren und wird dies auch nicht in Zukunft tun. Im Gegenteil, seine Botschaft will uns nur noch dringlicher für eine Generation erscheinen, die unter dem drohenden Schatten der Bombe lebt, sie sollte besser als je zuvor die volle Bedeutung dieser Worte Bahá’u’lláhs verstehen, die Shoghi Effendi übersetzte und anführte: „Und wenn die vorbestimmte Stunde gekommen ist, wird plötzlich das erscheinen, was die Glieder der Menschen erzittern läßt.“
[19] Dieses ursprünglich an die Bahá’í im Westen gerichtete bedeutsame Buch ist eine Herausforderung an jeden. In raschem und dramatischem Fluß berichtet es die Geschichte des neuesten Gottesboten, der sich an die ganze Menschheit wandte, auf den aber nur einige wenige hörten. Es stellt auch die erschreckenden Folgen dieser Widerspenstigkeit dar: den Niedergang der alten Ordnung und die verborgene Geburt der neuen. Es zeigt aber auch die tiefe schwärze der heutigen Dunkelheit und verheißt eine neue Morgendämmerung für eine Menschheit, die dem göttlichen Ruf Folge leistet. Vor allem aber erinnert es den modernen Menschen eindringlich daran, daß er in diesem Universum nicht allein steht, daß sein Dasein nicht bedeutungslos, sondern vielmehr seine Bestimmung eine wesentliche ist, und daß der Weg zu Gott ihm wiederum geöffnet wurde.
Firuz Kazemzadeh, a.o. Professor für Geschichte an der Yale Universität
New Haven, Connecticut, Juni 1961