Textzusammenstellungen – Beratung

BERATUNG

Eine Zusammenstellung des Universalen Hauses der Gerechtigkeit vom Februar 1978 mit Auszügen aus den Schriften Bahá’u’lláhs, `Abdu’l-Bahás und Shoghi Effendis und Botschaften des Universalen Hauses der Gerechtigkeit.

BAHÁ’Í-VERLAG

(c) Bahá’í-Verlag, GmbH,
D-6238 Hofheim-Langenhain
1979-136
ISBN 3.87037.110.2

AUS DEN SCHRIFTEN BAHÁ’U’LLÁHS

Das Erhabene Wesen spricht: Der Himmel göttlicher Weisheit erstrahlt durch die beiden Leuchten der Beratung und des Erbarmens. Beratet miteinander in allen Angelegenheiten, denn Beratung ist die Lampe der Führung, welche den Weg weist und Einsicht schenkt.74
Sprich: Der Mensch kann seine wahre Stufe nicht erlangen, es sei denn durch seine Gerechtigkeit. Keine Macht kann bestehen, es sei denn durch Einheit. Keine Wohlfahrt und kein Wohlergehen kann erreicht werden, es sei denn durch Beratung. Beratung verleiht tiefere Kenntnis und verwandelt Vermutung in Gewißheit. Sie ist ein strahlendes Licht, welches in einer dunklen Welt den Weg weist und Führung gibt. Für alles gibt es und wird es immer eine Stufe der Vollendung und Reife geben. Die Gabe der Einsicht zeigt ihre Reife in der Beratung. Solche Angelegenheiten sollten durch Beratung entschieden werden, und was immer aus der Beratung jener Erwählten hervorgeht, das ist in der Tat der Befehl Gottes, des Helfers in Gefahr, des Selbstbestehenden.
In allen Dingen muß beraten werden. Dieses solltest du nachdrücklich hervorheben, auf daß Beratung von allen beachtet werde. Die Absicht dessen, was von der Feder des Höchsten offenbart wurde, ist, daß Beratung unter den Freunden voll ausgetragen werde, da sie eine Ursache der Erkenntnis und des Erwachens und eine Quelle des Guten und des Wohlergehens ist und immer sein wird. Es geziemt ihnen, die Vertrauten des Barmherzigen unter den Menschen zu sein und sich fü ralle, die auf Erden wohnen, als die von Gott bestimmten Hüter zu betrachten. Es ist ihre Pflicht, miteinander zu beraten und so um Seinetwillen auf die Belange der Diener Gottes zu achten, wie sie auf ihre eigenen Belange achten, und das zu wählen, was richtig und ziemlich ist. So hat es der Herr, euer Gott, der Gnädige, der Vergeber, euch befohlen. Hütet euch, daß ihr nicht unbeachtet lasset, was in Seinem Tablet klar offenbart ist. Fürchtet Gott, o ihr, die ihr versteht! 75
Wenn in der ersten Gruppe von Menschen, die sich versammelt haben, keine Einmütigkeit erzielt wurde, so sollen neue Menschen hinzukommen. Dann soll aus ihrer Mitte eine Gruppe in der Zahl des Größten Namens oder weniger oder mehr durch Los gewählt werden. Dann soll die Beratung erneut aufgenommen werden; was immer das Ergebnis ist, dem soll gehorcht werden. Wenn beim zweiten Mal die Meinungen wieder auseinandergehen, wiederholt den Vorgang ein drittes Mal. Dieses Mal gehorcht der Stimmenmehrheit. Wahrlich, Er lenkt, wen Er will, auf den geraden Pfad.

74Aus bisher nicht übersetzten Tablets Bahá’u’lláhs
75Zitiert in einem Brief des Hüters vom 5. März 1922 an die Freunde in Amerika; Bahá’í Administration, S. 21
76Diese Darlegung steht in “ Questions and Answers „, das von Shoghi Effendi als ein Anhang zum “ Kitáb-i-Aqdas “ beschrieben wird. Es war offenbart worden, bevor Geistige Räte errichtet waren, als Antwort auf eine Frage nach den Bahá’í-Lehren über Beratung. Die Errichtung der Geistigen Räte, an die sich die Freunde immer wenden sollten, verbietet ihnen keineswegs, wenn sie es wünschen, das in der oben genannten Textstelle aufgezeichnete Verfahren zu befolgen, wenn sie ihre persönlichen Probleme beraten wollen. Das Zitat zeigt klar, daß Bahá’u’lláh Einmütigkeit vorzieht.

 

AUS DEN SCHRIFTEN UND ÄUSSERUNGEN `ABDU’L-BAHÁS

Es ist die Pflicht eines jeden, keinen Schritt zu unternehmen, ohne den Geistigen Rat zu befragen, und alle müssen gewißlich mit Herz und Seele seinem Gebot gehorchen und ihm folgen, damit die Dinge richtig geordnet und wohl geregelt seien. Andernfalls wird jeder unabhängig und nach seinem eigenen Gutdünken handeln, seinem persönlichen Wunsche folgen und der Sache Gottes Schaden zufügen.77
Die Haupterfordernisse für jene, die miteinander beraten, sind Reinheit des Beweggrundes, strahlender Geist, Loslösung von allem außer Gott, Hingezogensein zu Seinen göttlichen Düften, Bescheidenheit und Demut vor Seinen Geliebten, Geduld und Langmut in Schwierigkeiten, Dienstbarkeit an Seiner erhabenen Schwelle. Wenn sie mit gnädigem Beistand diese Eigenschaften erlangen, wird ihnen vom unsichtbaren Reich Bahás der Sieg gewährt… Ihre Mitglieder müssen in solcher Weise miteinander beraten, daß sich kein Anlaß für Unwillen oder Zwietracht ergibt. Dies ist erreichbar, wenn jedes Mitglied in vollkommener Freiheit seine eigene Meinung äußert und seine Beweisführung vorbringt. Er darf sich, sollte jemand widersprechen, auf keinen Fall verletzt fühlen, denn erst wenn eine Angelegenheit vollständig erörtert ist, kann sich der richtige Weg zeigen. Der strahlende Funke der Wahrheit erscheint nur nach dem Zusammenprall verschiedener Meinungen. Wenn nach der Beratung ein Beschluß einstimmig gefaßt wird, ist dies schön und gut; wenn aber, was der Herr verhüten möge, sich Meinungsverschiedenheiten ergeben sollten, muß die Stimmenmehrheit maßgebend sein.78
Die erste Bedingung ist vollkommene Liebe und Harmonie unter den Mitgliedern des Rates. Sie müssen völlig frei von Entfremdung sein, und in sich selbst die Einheit Gottes offenbaren, denn sie sind die Wellen eines Meeres, die Tropfen eines Stromes, die Sterne eines Himmels, die Strahlen einer Sonne, die Bäume eines Obstgartens, die Blumen eines Gartens. Sollten Harmonie im Denken und vollkommene Einheit nicht vorhanden sein, wird diese Zusammenkunft zersplittern, und die Sitzung ist umsonst gewesen. Die zweite Bedingung: Sie müssen, wenn sie zusammenkommen, ihr Angesicht dem Königreich der Höhe zuwenden und um Hilfe aus dem Reiche der Herrlichkeit bitten. Dann müssen sie in völliger Ergebenheit, Höflichkeit, Würde, Sorgfalt und Mäßigung ihre Ansichten zum Ausdruck bringen. Sie müssen in jeder Angelegenheit nach der Wahrheit forschen und nicht auf ihrer eigenen Meinung beharren; denn Starrsinn und hartnäckiges Festhalten an der eigenen Meinung wird schließlich zu Uneinigkeit und Streit führen, und die Wahrheit wird verborgen bleiben. Die ehrenwerten Mitglieder müssen ihre eigenen Gedanken in aller Freiheit aussprechen, und es ist in keiner Weise jemandem erlaubt, die Gedanken eines anderen herabzusetzen; man muß vielmehr die Wahrheit mit Mäßigung darlegen, und sollten sich Meinungsverschiedenheiten ergeben, so muß die Stimmenmehrheit entscheiden, und alle müssen gehorchen und sich der Mehrheit fügen. Es ist außerdem nicht erlaubt, daß irgendeines der ehrenwerten Mitglieder innerhalb oder außerhalb der Sitzung einen zuvor gefaßten Beschluß beanstandet oder kritisiert, selbst wenn dieser Beschluß nicht richtig wäre, denn solche Kritik würde verhindern, daß irgendein Beschluß durchgesetzt wird. Kurz: Was auch immer in Harmonie, Liebe und Reinheit des Beweggrundes zusammengefügt wird, dessen Ergebnis ist Licht; aber sollte die geringste Spur von Entfremdung herrschen, wird das Ergebnis Dunkel über Dunkel sein… Wenn dies so beachtet wird, dann wird jene Versammlung von Gott sein, andernfalls aber wird sie zu Kälte und Abneigung führen, die vom Bösen herkommen… Sollten sie sich bemühen, diese Bedingungen zu erfüllen, wird ihnen die Gnade des Heiligen Geistes zuteil, und jener Rat wird zum Mittelpunkt göttlicher

77Zitiert in einem Brief des Hüters vom 5. März 1922 an die Freunde in Amerika; Bahá’í Administration, S. 21
78Zitiert in einem Brief des Hüters vom 5. März 1922 an die Freunde in Amerika, Bahá’í Administration, S. 21

Segnungen werden; das Heer der göttlichen Bestätigung wird ihnen zu Hilfe kommen, und Tag für Tag werden sie eine neue Ausgießung des Geistes erlangen.79
Wenn einige wenige Seelen voller Liebe in einer Versammlung zusammenkommen, mit Gefühl für das Königreich, hingezogen zum Göttlichen, reinen Herzens und in völliger Reinheit und Heiligkeit, um sich in duftender Geistigkeit zueinander zu gesellen, wird diese Versammlung Einfluß auf die ganze Welt haben. Umstände, Worte und Taten dieser Versammlung werden eine Welt in ewiges Glück leiten und Zeugnis ablegen für die Gnade des Königreichs. Der heilige Geist wird sie stärken, die Himmlischen Heerscharen werden sie siegreich machen, und die Engel Abhás werden herniedersteigen.80 So müssen sie (die Mitglieder) in solcher Weise verhandeln und beraten, daß weder Uneinigkeit noch Abneigung vorkommen können. Wenn man sich zur Beratung trifft, muß jeder in völliger Freiheit seine Ansichten darlegen und den Beweis für seine Darstellung erbringen. Wenn ein anderer ihm widerspricht, darf er sich nicht aufregen, denn wenn die Fragen und Angelegenheiten nicht untersucht oder überprüft werden, wird die gemeinsame Ansicht weder entdeckt noch erkannt werden. Das strahlende Licht, das aus dem Zusammenprall der Gedanken entsteht, ist der `Erleuchter‘ der Tatsachen.81
Wenn sie in einer Sache einig sind, so ist dies, seien sie auch im Irrtum, besser als uneinig zu sein und recht zu haben, denn diese Uneinigkeit wird die göttliche Grundlage zerstören. Wenn auch eine der Parteien recht haben mag, und sie sind uneinig, so wird dies die Ursache für tausendfaches Irren sein; wenn sie aber übereinstimmen und beide Parteien im Irrtum sind, so wird, wenn es in Einigkeit geschieht, die Wahrheit offenbar, und das Falsche richtig werden.82 Die Frage der Beratung ist von äußerster Wichtigkeit und eines der mächtigsten Werkzeuge, um Ruhe und Glück der Menschen zu fördern. Zum Beispiel: Wenn ein Gläubiger in seinen Angelegenheiten unsicher ist, oder wenn er ein Vorhaben oder einen Handel verfolgen will, sollten sich die Freunde versammeln und eine Lösung für ihn ersinnen. Er seinerseits sollte danach handeln. Ebenso bei weitergehenden Fragen, wenn sich ein Problem erhebt oder eine Schwierigkeit auftaucht, sollten sich die Weisen versammeln, beraten und eine Lösung ersinnen. Sie sollten dann dem einen, wahren Gott vertrauen und sich auf Seine Vorsehung verlassen, auf welchem Wege sie auch offenbar werden mag, denn göttliche Bestätigungen werden unzweifelhaft beistehen. Darum ist Beratung eine der ausdrücklichen Verordnungen des Herrn der Menschheit.83
Der Mensch muß über alle Dinge, ob bedeutend oder gering, beraten, so daß er erkennen möge, was gut ist. Beratung gibt ihm Einsicht in die Dinge und befähigt ihn, sich in Fragen zu vertiefen, welche unbekannt sind. Das Licht der Wahrheit strahlt aus den Angesichtern derer, die sich der Beratung widmen. Solche Beratung läßt die lebendigen Wasser in den Wiesen der Wirklichkeit des Menschen fließen, läßt die Lichtstrahlen der altehrwürdigen Herrlichkeit auf ihn scheinen und schmückt den Baum seines Seins mit wunderbaren Früchten. Die beratenden Mitglieder aber sollten in äußerster Liebe, Harmonie und Aufrichtigkeit miteinander umgehen. Das Prinzip der Beratung ist eines der grundlegendsten Bestandteile des göttlichen Gebäudes. Selbst in ihren gewöhnlichen Angelegenheiten sollten die einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft beraten. Jeder der Freunde sollte den anderen aufs höchste loben, und jeder sollte sich selbst in der Gegenwart anderer für verschwindend klein und unendlich gering halten. Alle Angelegenheiten sollten in der Versammlung beraten werden, und was immer die Stimmenmehrheit ergibt, sollte ausgeführt werden. Ich schwöre bei dem einen, wahren Gott,

79Zitiert in einem Brief des Hüters vom 5. März 1922 an die Freunde in Amerika, Bahá’í Administration, S. 22
23
80Tablets of `Abdu’l-Bahá, S. 508
81Bahá’í World Faith, S. 406
82Bahá’í World Faith, S. 411
83Aus bisher nicht übersetzten Tablets `Abdu’l-Bahás

es ist besser, daß alle einer falschen Entscheidung zustimmen als daß eine richtige Stimme herausgehoben wird, da einzelne Stimmen Quellen von Zwietracht sein können, die zum Verderben führen. Wenn sie auch in einem Falle eine falsche Entscheidung treffen, so werden sie doch in hundert anderen Fällen richtige Entscheidungen annehmen, und Eintracht und Einheit werden gewahrt. Dies wird jede Unzulänglichkeit ausgleichen und schließlich zur
Berichtigung des Irrtums führen. Der Zweck der Beratung ist, zu zeigen, daß die Ansichten verschiedener Menschen ganz gewiß der eines einzelnen Menschen vorzuziehen sind, genauso wie die Kraft einer Anzahl von Menschen selbstverständlich größer ist als die Kraft eines einzelnen. So wird Beratung in der Gegenwart des Allmächtigen annehmbar und wurde den Gläubigen zur Pflicht gemacht, damit sie sich über alltägliche und persönliche Dinge wie auch über Angelegenheiten
allgemeiner und umfassender Natur beraten. Wenn zum Beispiel jemand ein Vorhaben auszuführen hat, sollte er mit einigen seiner Brüder beraten; was zustimmungswürdig ist, wird gewiß erforscht, vor seinen Augen enthüllt, und die Wahrheit wird sichtbar werden. In gleicher Weise sollten auf höherer Ebene die Leute eines Dorfes miteinander über ihre Angelegenheiten beraten, die richtige Lösung wird sicherlich offenbar werden. Auf gleiche Art sollten die Angehörigen jedes Berufsstandes, die Beschäftigten in der Industrie beraten, und jene im Handel sollten ihre geschäftlichen Dinge ähnlich beraten. Kurz, Beratung ist wünschenswert und annehmbar in allen Dingen und allen Fragen.84
Hinsichtlich deiner Frage über Beratung eines Vaters mit seinem Sohne oder eines Sohnes mit seinem Vater in Sachen des Handels und Gewerbes: Beratung ist eines der wesentlichen Elemente der Grundlage des Göttlichen Gesetzes. Eine solche Beratung ist ganz gewiß annehmbar, ob zwischen Vater und Sohn oder mit anderen. Es gibt nichts Besseres als dies. Der Mensch muß in allen Dingen beraten, denn dies wird ihn zum Kern jedes Problems führen und ihn befähigen, die richtige Lösung zu finden. Die ehrenwerten Mitglieder des Geistigen Rates sollten sich sehr bemühen, damit keine Zwistigkeiten vorkommen können, und wenn solche Zwistigkeiten doch vorkommen, sollten sie nicht den Punkt erreichen, wo sie Streit, Haß und Feindseligkeit erzeugen, welche Gefahr bringen. Wenn du bemerkst, daß ein Zustand erreicht ist, wo Feindseligkeit und Gefahr aufkommen wollen, solltest du die Diskussion über das Thema sofort zurückstellen bis Zank,
Streit und lautes Reden abklingen und eine günstige Zeit gekommen ist. Regelt alle Dinge, ob groß oder klein, durch Beratung. Tut keinen wichtigen Schritt in eueren eigenen persönlichen Angelegenheiten ohne vorherige Beratung. Kümmert euch umeinander. Fördert gegenseitig euere Vorhaben und Pläne. Sorgt euch umeinander. Laßt niemanden im ganzen Land in Not geraten. Erweist einander Freundschaft, bis ihr wie ein einziger Körper
werdet, einer und alle…
Jede Versammlung, die zum Zweck der Einigkeit und der Eintracht stattfindet, wird dazu beitragen, Fremde in Freunde und Feinde in Gleichgesinnte zu verwandeln. `Abdu’l-Bahá wird mit Herz und Seele in dieser Versammlung gegenwärtig sein.85
In dieser Sache Gottes ist Beratung von grundlegender Bedeutung; aber damit ist geistigerAustausch, nicht bloße Äußerung persönlicher Ansichten gemeint. In  Frankreich wohnte ich einer Sitzung des Senats bei, aber diese Erfahrung war nicht beeindruckend. Parlamentarisches Verfahren sollte zum Ziel haben, daß das Licht der Wahrheit über den eingebrachten Fragen erstrahle, es sollte nicht als Schlachtfeld für Widerstreit und Eigensinn dienen. Widerstreit und Widerspruch sind etwas Unglückseliges und immer der Wahrheit abträglich. In der erwähnten Parlamentssitzung kamen Wortwechsel und nutzlose Haarspalterei häufig vor, größtenteils mit dem Ergebnis von Verwirrung und Tumult, einmal griffen sich zwei Mitglieder sogar tätlich an. Es war keine Beratung, sondern eine Komödie.

84Zitiert in einem Brief des Hüters vom 15. Februar 1922 an den Geistigen Rat von Tihrán
85Tablets of `Abdu’l-Bahá, S. 533

Was ich damit zeigen will, ist, daß Beratung das Erforschen der Wahrheit zum Ziel haben muß. Wer eine Ansicht äußert, sollte sie nicht als wahr und richtig hinstellen, sondern als einen Beitrag zur übereinstimmenden Meinung darbringen; denn das Licht der Wirklichkeit tritt in Erscheinung, wenn zwei Meinungen übereinstimmen. Ein Funke entsteht, wenn Feuerstein und Stahl zusammentreffen. Der Mensch sollte seine Meinungen mit äußerster Gelassenheit, Fassung und Ruhe abwägen. Bevor er seine eigene Ansicht äußert, sollte er die bereits von anderen dargelegten Meinungen sorgfältig in Betracht ziehen. Findet er, daß eine der vorher dargestellten Ansichten der Wahrheit näher und wertvoller ist, sollte er sie sofort annehmen und nicht halsstarrig bei seiner eigenen Ansicht bleiben. Nach dieser ausgezeichneten Methode ist er bemüht, zur Einheit und Wahrheit zu gelangen. Opposition und Spaltung sind beklagenswert. Da ist es besser, sich die Meinung eines weisen, scharfsinnigen Mannes zu eigen zu machen; sonst machen es Widerspruch und Streit, mit denen verschiedenartige und auseinandergehende Ansichten geäußert werden, notwendig, daß ein Gericht die Entscheidung über die Frage fällt. Auch die Meinung der Mehrheit oder eine
allseitig übereinstimmende Ansicht kann falsch sein. Tausend Menschen können einer Ansicht sein und irren, während ein einziger Scharfsinniger recht haben kann. Deshalb ist wahre Beratung geistiger Austausch in liebevoller Haltung und Atmosphäre. Die Mitglieder müssen einander im Geiste der Freundschaft lieben, damit gute Ergebnisse erzielt werden. Liebe und Freundschaft sind die Grundlage. Das denkwürdigste Beispiel geistiger Beratung war die Versammlung der Jünger Christi auf dem Berge nach Seiner Himmelfahrt. Sie sagten: “ Seine Heiligkeit Jesus Christus ist gekreuzigt worden; wir haben nicht länger Umgang und Verbindung mit Ihm in Seiner Körperlichkeit. Deshalb müssen wir Ihm treu und ergeben sein; wir müssen Ihm danken und Ihn verehren, denn Er hat uns von den Toten auferweckt, Er machte uns weise, Er hat uns ewiges Leben gegeben. Was sollen wir tun, um Ihm Treue zu erweisen? “ Und so hielten sie Rat miteinander. Einer von ihnen sagte: “ Wir müssen uns lösen von den Ketten und Fesseln der Welt; anders können wir nicht treu sein. “ Die anderen antworteten: “ So ist es. “ Ein zweiter sagte: “ Entweder sind wir verheiratet und müssen dann unseren Frauen und Kindern treu sein, oder wir dienen unserem Herrn frei von diesen Bindungen. Wir können nicht mit der Sorge und Vorsorge für eine Familie befaßt sein und gleichzeitig das Reich Gottes in der Wildnis verkünden. Deshalb lasset die, welche unverheiratet sind, unverheiratet bleiben, und die verheiratet sind, mögen für den Unterhalt und die Bequemlichkeit ihrer Familien Sorge tragen und sodann ausziehen, die Frohe Botschaft zu verkünden. “ Es gab keine abweichenden Meinungen; alle stimmten zu und sagten: “ Das ist richtig. “ Ein dritter Jünger sagte: “ Um im Reich Gottes würdige Taten zu vollbringen, müssen wir des weiteren aufopferungsvoll sein. Von nun an sollten wir aller Bequemlichkeit und körperlichen Behaglichkeit entsagen, alle Schwierigkeiten auf uns nehmen, unser Ich vergessen und die Sache Gottes lehren. “ Dies fand bei allen anderen Zustimmung und Beifall. Schließlich sagte ein vierter Jünger: “ Es gibt noch einen weiteren Gesichtspunkt für unseren Glauben und unsere Einheit. Um Jesu willen werden wir geschlagen, eingekerkert und verbannt werden. Es ist möglich, daß sie uns töten. Laßt uns jetzt die Lehre daraus ziehen. Laßt uns klar erkennen und uns entschließen, daß wir, auch wenn wir geschlagen, verbannt, verflucht, bespien und zum Tode geführt werden, all dies freudig hinnehmen und jene lieben, die uns hassen und verletzen. “ Alle Jünger erwiderten: “ Das wollen wir sicherlich tun; wir sind einverstanden, das ist richtig. “ Dann stiegen sie vom Gipfel des Berges nieder, und jeder ging in eine andere Richtung seiner göttlichen Sendung nach. Dies war wahre Beratung. Dies war geistige Beratung und nicht bloße Äußerung persönlicher Ansichten in Gegenrede und parlamentarischem Wortstreit.86

86The Promulgation of Universal Peace, Band I, S. 68 70

Die erste Pflicht der Mitglieder ist, ihre eigene Einheit und Harmonie zu verwirklichen, damit sie gute Ergebnisse erzielen. Wenn die Einheit fehlt oder der Ausschuß zur Ursache von Zwietracht wird, so ist es zweifellos besser, daß er gar nicht existiert… Darum ist es, wenn die Einheit der Mitglieder des Ausschusses fest begründet ist, ihre zweite Pflicht, die Verse und Mitteilungen zu lesen, um in einem Zustand des Gedenkens und der Achtsamkeit zu sein, auf daß sie einander ansehen, als seien sie in der Gegenwart Gottes.87

87Star of the West, Band VIII, Nr. 9, S. 114

 

AUS DEN SCHRIFTEN SHOGHI EFFENDIS UND BRIEFEN, DIE IN SEINEM AUFTRAG
GESCHRIEBEN WURDEN

Laßt uns auch daran denken, daß der Grundton der Sache Gottes nicht diktatorische Gewalt, sondern demütige Freundschaft ist, nicht willkürliche Macht, sondern der Geist freier und liebevoller Beratung. Nichts außer dem Geist eines wahren Bahá’í kann je hoffen, die Prinzipien der Gnade und Gerechtigkeit, der Freiheit und Ergebenheit, der Heiligkeit persönlicher Rechte und der Selbsthingabe; der Wachsamkeit, Verschwiegenheit und Vorsicht einerseits und der Freundschaft, der Offenheit und des Mutes andererseits zu versöhnen.88
Die Pflichten derer, die die Freunde frei und gewissenhaft als ihre Vertreter gewählt haben, sind nicht weniger lebenswichtig und bindend als die Verpflichtungen jener, die sie gewählt haben. Es ist nicht ihre Aufgabe zu diktieren, sondern zu beraten, und nicht nur untereinander zu beraten, sondern so viel wie möglich auch mit den Freunden, die sie vertreten. Sich selbst dürfen sie nicht anders sehen denn als erwählte Werkzeuge für die noch wirksamere, noch
würdigere Darbietung der Sache Gottes. Niemals sollten sie sich zu der irrigen Meinung verleiten lassen, sie seien die Schmuckstücke im Mittelpunkt der Sache Gottes, den anderen wesenhaft überlegen an Fähigkeit und Verdienst, die alleinigen Förderer göttlicher Lehren und Prinzipien. Mit tiefster Demut sollten sie an ihre Aufgabe herangehen und bestrebt sein, durch ihre Aufgeschlossenheit, ihren hohen Sinn für Gerechtigkeit, ihr Pflichtbewußtsein, ihre Aufrichtigkeit, Bescheidenheit und völlige Hingabe an die Wohlfahrt und die Interessen der Freunde, an die Sache Gottes und die Menschheit nicht nur das Vertrauen, die wirksame Unterstützung und Achtung derer zu gewinnen, denen sie dienen, sondern auch ihre Wertschätzung und wirkliche Zuneigung. Zu allen Zeiten müssen sie den Geist der Abgeschlossenheit und den Geruch der Geheimniskrämerei vermeiden, müssen sich von anmaßendem Benehmen frei machen und jede Art von Vorurteil und Leidenschaft aus ihren Beratungen verbannen. Innerhalb der Grenzen weiser Zurückhaltung sollten sie die Freunde ins Vertrauen ziehen, sie mit ihren Plänen bekanntmachen, ihre Schwierigkeiten und Sorgen mit ihnen teilen, ihren Rat und ihre Empfehlung suchen. Wenn sie aufgerufen sind, zu einem
bestimmten Entschluß zu kommen, sollen sie sich nach leidenschaftsloser, bedachter und herzlicher Beratung im Gebet zu Gott wenden und mit Ernst, Überzeugung und Mut ihr Votum ablegen und sich an die Stimme der Mehrheit halten, von der unser Meister uns sagte, daß sie die Stimme der Wahrheit ist, die niemals abgelehnt, immer aus vollem Herzen befolgt werden soll. Dieser Stimme müssen die Freunde aufrichtig gehorchen und sie als das einzige Mittel ansehen, das den Schutz und die Verbreitung der Sache Gottes sichern kann.89
Nicht selten, nein, oft wird der einfachste, ungebildetste und unerfahrenste unter den Freunden durch die reine, belebende Kraft selbstloser, glühender Hingabe einen deutlichen, denkwürdigen Beitrag zu einer recht verwickelten Diskussion in einem Rat leisten können.90
Tatsächlich ist es immer der innige Wunsch `Abdu’l-Bahás, unseres Meisters, gewesen, die Freunde möchten in ihren Ratsversammlungen, örtlichen wie nationalen, durch ihre Offenheit, ihre reinen Absichten, ihre aufrichtige Gesinnung und ihre gründlichen Diskussionen Einmütigkeit in allen Fragen erreichen.91
Betrifft die Anwesenheit gewisser Personen bei der Sitzung eines Rates auf dessen Einladung hin: Shoghi Effendi betrachtet dies wie den Ratschlag eines Sachverständigen, der für gute Verwaltung absolut notwendig ist. Man kann nicht erwarten, daß die Mitglieder des Rates über jede Sache alles wissen; so können sie Personen, die in dieser Frage bewandert sind,

88Aus einem Brief an die Freunde in Amerika vom 23. Februar 1924, Bahá’í Administration, S. 63
89Aus einem Brief vom 23. Februar 1924 an die Freunde in Amerika, Bahá’í Administration, S. 64
90Aus einem Brief vom 29. Januar 1925 an den Nationalen Geistigen Rat der Vereinigten Staaten und Kanadas,
Bahá’í Administration, S. 79
91Aus einem Brief vom 29. Januar 1925 an den Nationalen Geistigen Rat der Vereinigten Staaten und Kanadas,
Bahá’í Administration, S. 80

einladen, zu den Sitzungen zu kommen und ihre Ansichten darzulegen. Doch werden sie natürlich kein Stimmrecht haben.92
Der Meister hat uns oft gesagt, daß wir unter solchen Umständen unsere Freunde und insbesondere die Geistigen Räte befragen und ihren Rat einholen sollten. Es wäre gut, wenn Sie diesem Rat folgen und einige Freunde ins Vertrauen ziehen würden. Vielleicht wird Gottes Wille am besten durch Beratung erreicht.93
Mit geeigneter Beratung wird sicher eine Methode gefunden werden. Es ist nicht nötig, zu warten, bis ein Geistiger Rat gebildet ist, um mit Beratung zu beginnen. Der Überblick zweier aufrichtiger Seelen ist immer besser als der einer einzigen.94
Das Prinzip der Beratung, eines der grundlegenden Gesetze der Verwaltungsordnung, sollte bei allen Bahá’í-Tätigkeiten angewandt werden, die die gemeinschaftlichen Belange des Glaubens berühren; denn es sind Zusammenarbeit und fortwährender Austausch von Gedanken und Ansichten, wodurch die Belange der Sache am besten geschützt und gefördert werden können. Persönliche Initiative, Fähigkeit und Findigkeit einzelner sind, obwohl unentbehrlich, vollkommen untauglich, eine so gewaltige Aufgabe zu bewältigen, wenn sie nicht durch gemeinsame Erfahrungen und Weisheit der Gruppe unterstützt und bereichert werden.95
Beratung, aufrichtig und unbeschränkt, ist die Grundlage dieser einmaligen Ordnung.96 Die Gläubigen sollten den Vorschriften und Anordnungen ihres Geistigen Rates vertrauen, selbst wenn sie nicht davon überzeugt sein sollten, daß diese gerecht und zweckmäßig sind. Wenn der Rat durch Stimmenmehrheit seiner Mitglieder zu einem Beschluß gekommen ist, sollten die Freunde bereitwillig gehorchen. Besonders jene Mitglieder im Rat, deren Meinung jener der Mehrheit der anderen Mitglieder zuwiderläuft, sollten der Gemeinde ein gutes Beispiel geben, indem sie ihre persönlichen Ansichten dem Grundsatz des Mehrheitsentscheides, auf dem die Wirksamkeit aller Bahá’í-Räte gebaut ist, zum Opfer bringen. Aber ehe die Mehrheit des Geistigen Rates zu einer Entscheidung kommt, ist es nicht nur das Recht, sondern die heilige Pflicht eines jeden Mitgliedes, seine Ansichten frei und offen zum Ausdruck zu bringen, ohne sich zu fürchten, irgendeinem anderen Mitglied zu mißfallen oder sich ihm zu entfremden. Im Hinblick auf dieses wichtige administrative Prinzip der freien und offenen Beratung, möchte der Hüter Ihnen raten, die Methode aufzugeben, andere Mitglieder zu bitten, Ihre Meinung und Ihre Vorschläge zu äußern. Dieser indirekte Weg, dem Rat Ihre Ansichten darzulegen, schafft nicht nur eine Atmosphäre der Heimlichkeit, die dem Geist der Sache völlig fremd ist, sondern dürfte auch zu vielen Mißverständnissen und Verwicklungen führen. Ratsmitglieder müssen Zivilcourage besitzen; sie müssen aber auch dem wohlbedachten Urteil und den Anordnungen der Mehrheit aller Ratsmitglieder rückhaltlos und unbedingt gehorchen.97
Wie `Abdu’l-Bahá festgestellt hat, wird der Funke der Wahrheit oftmals entzündet durch den Zusammenprall persönlicher Meinungen, und göttliche Führung wird offenbar. Die Freunde sollten sich nicht durch die Meinungsverschiedenheiten, die zwischen den Mitgliedern eines Rates bestehen mögen, entmutigen lassen, denn die Erfahrung zeigt und des Meisters Worte bezeugen, daß bei allen Beratungen des Rates Meinungsverschiedenheiten einen wertvollen Zweck erfüllen. Wenn aber die Meinung der Mehrheit einmal festgestellt ist, sollten alle Mitglieder des Rates ohne weiteres und rückhaltlos gehorchen und sie gewissenhaft

92Aus einem Brief vom 23. Oktober 1926 im Auftrag Shoghi Effendis an den Nationalen Geistigen Rat der
Britischen Inseln
93Aus einem Brief vom 12. November 1930 im Auftrag Shoghi Effendis an einen Gläubigen
94Aus einem Brief vom 16. Juni 1932 im Auftrag Shoghi Effendis an einen Gläubigen
95Aus einem Brief vom 30. August 1933 im Auftrag Shoghi Effendis an einen Gläubigen
96Nachsatz von Shoghi Effendi zu einem Brief vom 18. November 1933 an den Nationalen Geistigen Rat der
Vereinigten Staaten und Kanadas
97Aus einem Brief vom 28. Oktober 1935 im Auftrag Shoghi Effendis an einen Gläubigen

ausführen. Geduld und Zurückhaltung sollten indessen zu allen Zeiten die Besprechungen und Beratungen der gewählten Vertreter örtlicher Gemeinden auszeichnen, und sie sollten sich unter keinen Umständen in fruchtlose Haarspaltereien einlassen. „98
Ihre letzte Frage betrifft Fälle, in denen diejenigen, die bei der Beratung gebraucht werden, nicht verfügbar sind, und eine Person über die Richtung, die in einer wichtigen Angelegenheit einzuschlagen ist, unsicher ist. Sie fragen, ob es ihr dann erlaubt sei, auf die Praxis des „istikhárih“99 zurückzugreifen und dabei das Kitáb-i-Aqdas zu benutzen. Der Hüter hat dargelegt, daß es in solchen Fällen nötig und wesentlich für die Person ist, ihr Herz völlig Gott zuzuwenden und Hilfe von der Quelle der Gnade und Eingebung zu erflehen und nichts anderes. Falls es möglich ist, die Entscheidung aufzuschieben, bis die Voraussetzungen für die Beratung gegeben sind, so würde dies vorzuziehen und zweckmäßiger sein.100
Das Heilmittel gegen Uneinigkeit in einem Rat kann nicht im Rücktritt oder in der Abwesenheit eines seiner Mitglieder bestehen. Der Rat muß lernen, trotz störender Elemente als Ganzes weiterzuwirken, andernfalls würde das ganze System durch Ausnahmen von der
Regel unglaubwürdig werden. Die Gläubigen, die die Sache über alles lieben und deren Belange an die erste Stelle setzen, müssen bereit sein, die damit verbundenen Härten zu ertragen, gleich, welcher Natur sie sein mögen. Allein durch solche Beharrlichkeit und Selbstaufopferung können wir jemals hoffen,
einerseits unsere göttlichen Institutionen heil zu bewahren und andererseits uns selbst anzutreiben, edlere und bessere Werkzeuge zu werden, um diesem herrlichen Glauben zu dienen.101
Die Fragen, die Sie in Ihrem Brief über persönliche Führung stellen, haben sozusagen zwei Aspekte. Es ist richtig, daß Menschen sich zu Gott wenden und Seine Hilfe zur Bewältigung ihrer Probleme und zur Führung ihres Handelns wirklich jeden Tag ihres Lebens erflehen sollten, wenn sie den Wunsch dazu haben. Aber sie können unmöglich anderen aufdrängen, was sie als ihre Führung empfinden. Laßt die Räte oder Ausschüsse damit in Ruhe, denn Bahá’u’lláh hat ausdrücklich das Gesetz der Beratung niedergelegt und niemals angedeutet, daß irgend etwas anderes an seine Stelle träte.102
Der Hüter rät, daß Sie andere Ärzte befragen und dem Votum der Mehrheit folgen sollten.103
Sie haben darauf hingewiesen, daß es in beratenden Körperschaften manchmal geschehen mag, daß in einem bestimmten Fall die Ansicht eines der Mitglieder besser und von größerem Wert ist als die der anderen, diese Mitglieder aber nicht bereit sind, eine solche Ansicht zu
teilen. Der Hüter hob hervor, daß es notwendig und unbedingt erforderlich ist, offen und mit reinen Beweggründen zu beraten, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Wenn einmal die Entscheidung gefallen ist, obliegt es allen, der Ansicht der Mehrheit zu folgen, sie voranzutreiben und in die Tat umzusetzen, auch dann, wenn die Entscheidung falsch ist.104
Wir alle haben ein Recht auf unsere Meinungen, wir können nicht anders, als verschieden zu denken, aber ein Bahá’í muß die Mehrheitsentscheidung seines Rates annehmen und

98Aus einem Brief vom 18. April 1939 im Auftrag Shoghi Effendis an einen Gläubigen
99Dies ist eine Art Weissagung, geübt durch Bibliomantie, indem ein Heiliges Buch aufs Geratewohl geöffnet
und Führung für jemandes Problem durch Lesen von Abschnitten auf der geöffneten Seite des Buches gesucht
wird
100Aus einem Brief vom 23. April 1941, im Auftrag Shoghi Effendis an einen Gläubigen, aus dem Persischen
übersetzt
101Aus einem Brief vom 20. November 1941 im Auftrag Shoghi Effendis an einen Gläubigen
102Aus einem Brief vom 25. Januar 1943 im Auftrag Shoghi Effendis an einen Gläubigen
103Aus einem Brief vom 14. Februar 1945 im Auftrag Shoghi Effendis an einen Gläubigen, aus dem Persischen
übersetzt. Der Hüter gab diese Empfehlung, als der Fragesteller des Hüters Rat suchte, weil nach Ansicht eines
Arztes eine Operation erforderlich war, während ein anderer Arzt eine solche Operation nicht für nötig hielt.
104Aus einem Brief vom 12. Januar 1946 im Auftrag Shoghi Effendis an einen Gläubigen, aus dem Persischen
übersetzt

einsehen, daß Annahme und Eintracht sogar wenn ein Fehler gemacht wurde die wirklich wichtigen Dinge sind. Und wenn wir der Sache im Bahá’í-Sinne dienen, so wird Gott am Ende berichtigen, was falsch gemacht wurde.105
Es wird von den Bahá’í nicht verlangt, in einem Geistigen Rat gegen ihr Gewissen zu stimmen. Es ist besser, wenn sie sich der Mehrheitsmeinung fügen, so daß diese einmütig wird. Aber dazu sind sie nicht gezwungen. Was sie jedoch tun müssen, ist, sich an den Beschluß der Mehrheit zu halten, weil dieser Beschluß das ist, was wirksam wird. Sie dürfen nicht umhergehen und gegen den Rat wühlen, indem sie sagen, sie stimmten mit der Mehrheit nicht überein. Mit anderen Worten: Sie müssen der Sache Gottes den ersten Stellenwert geben und nicht ihren eigenen Meinungen. Er (ein Mitglied des Geistigen Rates) kann den Rat bitten, eine Angelegenheit noch einmal zu untersuchen, aber er hat kein Recht, sie dazu zu zwingen oder Uneinigkeit zu verursachen, weil sie keine Änderung wollen. Einstimmige Beschlüsse sind vorzuziehen, aber sie können den Ratsmitgliedern gewiß nicht durch spitzfindige Methoden, wie sie in anderen Gesellschaften gebräuchlich sind, aufgezwungen werden.106
Die Bahá’í müssen lernen, Persönliches zu vergessen, und den Wunsch überwinden, Partei zu ergreifen und darum zu kämpfen so natürlich das unter den Menschen auch ist. Sie müssen auch lernen, das große Prinzip der Beratung wirklich anzuwenden.107
In der Sache Gottes gibt es keine Gegenstimmen. Wenn die Mehrheit eines Rates eine Angelegenheit entscheidet, sollte die Minderheit, so hat es uns der Meister gesagt, dies annehmen. Darauf zu bestehen, daß eine Gegenstimme festgehalten wird, ist nicht richtig, und führt zu keinem guten Ende.108
Im Hinblick auf die Erklärung des Meisters, daß die Beratungen von Geistigen Räten geheim und vertraulich sein müssen, stellt der Hüter mit Bedauern fest, daß es nicht möglich ist, jemanden, der nicht Mitglied des Rates ist, an einer Sitzung des Nationalen Geistigen Rates teilnehmen zu lassen… Oft werden höchst persönliche Angelegenheiten, die der Ehre und dem Glück anderer schaden, von den Nationalen Räten behandelt, und die Gefahr, daß Vertrauliches verraten wird, ist groß genug bei den neun von der ganzen Gemeinde gewählten Vertretern geschweige denn bei Teilnehmern, die nicht Mitglieder des Rates sind. Sie müssen eben ihr Protokoll ein wenig gedrängter abfassen und notfalls den Nutzeffekt ihrer Arbeit drosseln, um diesen sehr wichtigen Grundsatz zu befolgen.109

105Aus einem Brief vom 19. Oktober 1947 im Auftrag Shoghi Effendis an einen Gläubigen
106Aus einem Brief vom 19. Oktober 1947 im Auftrag Shoghi Effendis an einen Gläubigen
107Aus einem Brief vom 30. Juni 1949 im Auftrag Shoghi Effendis an den Nationalen Geistigen Rat von
Deutschland und Österreich
108Aus einem Brief vom 19. März 1950 im Auftrag Shoghi Effendis an einen Gläubigen
109Aus einem Brief vom 5. Juli 1950 im Auftrag Shoghi Effendis an den Nationalen Geistigen Rat der
Vereinigten Staaten
Dieser Rat wurde vom Hüter als Antwort auf das Ersuchen des Nationalen Geistigen Rates gegeben, ein
Nichtmitglied bei den Beratungen zugegen zu haben, welches Aufzeichnungen macht und über die Beschlüsse
des Rates Protokoll führt. Dies steht nicht im Widerspruch zu der Empfehlung im Zitat auf S. 23/24.

 

BOTSCHAFTEN DES UNIVERSALEN HAUSES DER GERECHTIGKEIT

Obwohl örtliche Geistige Räte in erster Linie dafür verantwortlich sind, Gläubige hinsichtlich persönlicher Probleme zu beraten, mag es Zeiten geben, wo es nach dem Urteil des nationalen oder örtlichen Rates vorzuziehen wäre, Einzelpersonen oder Ausschüsse mit beratenden Aufgaben zu betrauen. Dies liegt im Ermessen des Rates.110
Es ist wichtig, zu erkennen, daß der Geist der Bahá’í-Beratung sehr von dem abweicht, der beim Entscheidungsprozeß in Nicht-Bahá’í-Körperschaften vorwaltet.
Das Ideal einer Bahá’í-Beratung ist es, zu einem einmütigen Beschluß zu kommen. Wenn dies nicht möglich ist, muß abgestimmt werden. Mit den Worten des geliebten Hüters: “ … wenn sie aufgerufen sind, zu einem bestimmten Entschluß zu kommen, sollen sie sich nach leidenschaftsloser, bedachter und herzlicher Beratung im Gebet zu Gott wenden und mit Ernst, Überzeugung und Mut ihr Votum ablegen und sich an die Stimme der Mehrheit halten, von der der Meister uns sagte, daß sie die Stimme der Wahrheit ist, die niemals abgelehnt, immer aus vollem Herzen befolgt werden soll. “ Sobald ein Beschluß gefaßt ist, wird es der Beschluß des ganzen Rates, nicht nur jener Mitglieder, die zufällig zur Mehrheit gehörten. Meint ein Ratsmitglied, wenn über eine Angelegenheit abgestimmt werden soll, daß es noch zusätzliche Tatbestände oder Gesichtspunkte gibt, die erforscht werden müßten, bevor es sich eine Meinung bilden und vernünftig über den Vorschlag abstimmen kann, sollte es diesen Eindruck dem Rat mitteilen, und der Rat hat zu entscheiden, ob weitere Beratung vor der Abstimmung nötig ist oder nicht. Wann immer beschlossen ist, über einen Vorschlag abzustimmen, ist es nur noch notwendig, festzustellen, wieviele Mitglieder dafür stimmen; ist es die Mehrheit der Anwesenden, wird der Antrag angenommen, ist es die Minderheit, ist der Antrag abgelehnt. So kommt die ganze Frage der Stimmenthaltung bei der Bahá’í-Abstimmung nicht auf. Ein Mitglied, das nicht zu Gunsten eines Vorschlags stimmt, stimmt in Wirklichkeit dagegen, auch wenn es selbst merkt, daß es ihm in diesem Augenblick nicht möglich war, sich in dieser Angelegenheit zu
entschließen.111
Ihr Brief vom 14. Februar 1973, mit der Anfrage über den Gebrauch der Bahá’í-Beratung, ist angekommen. Dies ist selbstverständlich eine Sache, in der Härte vermieden werden sollte. Hat ein Gläubiger ein Problem, worüber er eine Entscheidung treffen muß, so stehen ihm mehrere Wege offen. Wenn es eine Angelegenheit ist, welche die Belange des Glaubens betrifft, sollte er mit dem zuständigen Rat oder Ausschuß beraten, aber Einzelpersonen haben viele Probleme, die rein persönlicher Art sind, und sie sind nicht verpflichtet, solche Probleme den Institutionen des Glaubens zu unterbreiten. Da in der Tat die Erfordernisse der Lehrarbeit so dringlich sind, ist es besser, wenn die Freunde ihre Räte nicht mit persönlichen Problemen belasten, die sie selbst lösen können.
Ein Bahá’í, der ein Problem hat, mag nach Gebet und nachdem er alle Gesichtspunkte erwogen hat, den Wunsch haben, selbst eine Entscheidung zu treffen; er könnte es vorziehen, den Rat einzelner Freunde oder Fachberater, wie seines Arztes oder Rechtsanwaltes, zu suchen, so daß er deren Rat bei seiner Entscheidung in Betracht ziehen kann; oder wenn mehrere Menschen in einen Fall verwickelt sind, wie in einer Familienangelegenheit, mag er die Betroffenen versammeln wollen, so daß sie zu einem gemeinsamen Entschluß kommen können. Es ist auch nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Bahá’í eine Gruppe von Leuten bittet, zusammen ein Problem, dem er gegenübersteht, zu beraten. Man sollte daran denken, daß jede Beratung darauf ausgerichtet ist, zur Lösung eines Problems zu kommen. Sie ist ganz verschieden von der Art Seelenentblößung in Gruppen, die

110Aus einem Brief vom 27. März 1966 an den Nationalen Geistigen Rat von Bolivien
111Aus einem Brief vom 6. März 1970 an den Nationalen Geistigen Rat von Kanada

heutzutage in einigen Kreisen beliebt ist und an so etwas wie Beichte grenzt, die im Glauben verboten ist. Hinsichtlich der Beichte schrieb der Sekretär des Hüters in seinem Auftrag an einen Gläubigen: “ Es ist uns verboten, irgend jemandem unsere Sünden und Fehler zu bekennen, wie es die Katholiken vor ihren Priestern tun, oder öffentlich zu beichten, wie es bei einigen Sekten üblich ist. Wenn wir jedoch spontan eingestehen möchten, daß wir irgendwo im Unrecht waren oder daß wir irgendeinen Charakterfehler haben und jemand anderen dafür um Verzeihung bitten, steht uns dies ganz frei. Der Hüter möchte jedoch darauf hinweisen, daß wir nicht dazu verpflichtet sind. Es liegt ganz im Ermessen des einzelnen. „112
Die Aussage, die Sie im zweiten Absatz Ihres Briefes zitieren,113 ist einem Tablet `Abdu’l- Bahás entnommen, das Er an die Freunde in Tihrán zu einer Zeit richtete, als ohne Wissen und Erlaubnis des Geistigen Rates und gegen Anordnungen der Regierung einer der Freunde das Kitáb-i-Aqdas zu drucken unternahm. Die Richtlinien `Abdu’l-Bahás, die Sie anführen, wurden aus diesem Anlaß und in diesem Zusammenhang gegeben. Das Universale Haus der Gerechtigkeit hat betont, daß Shoghi Effendi, der die Aufgaben des örtlichen Geistigen Rates in Bahá’í Administration, S. 37, aufzählt, darauf hinweist, daß örtliche Angelegenheiten, die die Sache Gottes betreffen, dem örtlichen Geistigen Rat zu übergeben sind. Das bedeutet natürlich nicht, daß persönliche Schwierigkeiten den Bahá’í- Räten nicht unterbreitet werden können. Der örtliche Geistige Rat ist jedoch nicht die einzige Einrichtung oder Vermittlungsstelle, an die sich die Freunde wenden können, um persönliche Angelegenheiten zu beraten. Solche Beratung kann mit Mitgliedern der eigenen Familie, mit Freunden oder Sachverständigen gepflogen werden. `Abdu’l-Bahá faßt zum Beispiel in einem Seiner Tablets die Möglichkeit ins Auge, daß Fachleute desselben Berufes miteinander
beraten.114

112Aus einem Brief vom 19. März 1973 an den Nationalen Geistigen Rat von Kanada
113Vergl. erstes Zitat dieser Zusammenstellung auf S. 7.
114Aus einem Brief vom 8. April 1975 an einen Gläubigen

INHALT

Aus den Schriften Bahá’u’lláhs 3
Aus den Schriften und Äußerungen `Abdu’l-Bahás 7
Aus den Schriften Shoghi Effendis
und Briefen, die in seinem Auftrag geschrieben wurden 21
Botschaften des Universalen Hauses der Gerechtigkeit 35

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