Freier Wille



Wenn man aber die Natur selbst betrachtet, sieht man, daß sie weder Verstand noch Willen besitzt. So liegt es zum Beispiel in der Natur des Feuers, daß es brennt, und es tut dies ohne Willen und Verstand; die Natur des Wassers ist, daß es fließt, und es tut dies ohne Willen und Verstand; die Natur der Sonne ist, daß sie leuchtet, auch sie leuchtet ohne Willen und Verstand; die Natur des Dampfes ist, aufzusteigen, und er steigt ebenso ohne Willen und Verstand auf. Damit ist klar erwiesen, daß alle natürlichen Bewegungen der erschaffenen Dinge zwangsläufige Vorgänge sind und sich nichts nach eigenem Willen bewegt, mit Ausnahme des Tieres und vor allem des Menschen. Der Mensch vermag sich der Natur zu widersetzen und von ihren Wegen abzuweichen, weil er die Struktur der Dinge entdeckt hat und damit den Kräften der Natur gebietet. Alle Erfindungen, die er gemacht hat, beruhen auf der Entdeckung der Struktur der Dinge. So hat er zum Beispiel die Telegraphie erfunden, die Ost und West verbindet. Darum sehen wir deutlich, daß der Mensch die Natur beherrscht. Kann nun, bei dieser systematischen Ordnung und Gesetzmäßigkeit, die man im ganzen Dasein erkennt, gesagt werden, dies alles sei aus dem Wirken der Natur heraus entstanden, obwohl sie selbst weder Verstand noch Wahrnehmungsvermögen besitzt? Dies zeigt uns deutlich, daß diese Natur, die weder Verstand noch Einsicht hat, in der Hand des Allmächtigen ruht und daß Er das Reich der Natur regiert und in ihr alles, was Er will, erscheinen läßt.

Abdu'l-Bahá, Beantwortete Fragen 1

Frage: Ist der Mensch in allen seinen Handlungen frei, oder handelt er gezwungen und ohne freie Wahl? Antwort: Diese Frage ist eine der wichtigsten und schwerverständlichsten göttlichen Probleme. Wenn Gott will, werden wir ein anderes Mal gleich zu Beginn der Mahlzeit uns ausführlich mit der Erklärung dieser Frage befassen; jetzt wollen wir sie nur kurz und in wenigen Worten erläutern. Einige Dinge, wie Gerechtigkeit, Unparteilichkeit, Gewalt und Ungerechtigkeit, unterstehen dem freien Willen des Menschen, wie auch alle guten und schlechten Taten; es ist offenkundig und klar, daß diese Handlungen weitgehend dem Willen des Menschen überlassen sind. Aber es gibt gewisse Dinge, zu denen der Mensch gezwungen ist und denen er sich unterwerfen muß, wie Schlaf, Tod, Krankheit, Verfall der Kräfte, Verletzungen und Unglücksfälle; diese Dinge unterstehen nicht dem Willen des Menschen, und er ist nicht verantwortlich für sie, denn er ist gezwungen, sie zu erdulden. Aber in der Wahl guter und schlechter Taten ist er frei, und er verübt sie nach seinem eigenen Willen. Zum Beispiel kann er, wenn er will, seine Zeit damit zubringen, Gott zu preisen, oder er kann mit anderen Gedanken beschäftigt sein. Er kann ein durch das Feuer der Liebe Gottes entzündetes Licht sein und ein Menschenfreund, der die Welt liebt, oder er kann ein Menschenhasser und tief in materielle Dinge versunken sein. Er kann gerecht oder grausam sein. Diese Handlungen und diese Taten unterstehen der Kontrolle des Willens des Menschen selbst, folglich ist er für sie verantwortlich. Aber nun erhebt sich eine andere Frage: Der Mensch ist völlig hilflos und abhängig, denn Macht und Stärke sind hauptsächlich Gott zu eigen. Sowohl Erhöhung als auch Erniedrigung hängen vom Wohlgefallen und Willen des Höchsten ab. Im Evangelium heißt es, daß Gott einem Töpfer gleicht, der „ein Gefäß zu Ehren und das andere zu unehren“ macht. Das entehrte Gefäß hat nun nicht das Recht, den Töpfer zu tadeln und zu sagen: „Warum hast du mich nicht zum kostbaren Becher geformt, der von Hand zu Hand gereicht wird?“ Die Bedeutung dieses Verses ist, daß die Stufen des Daseins verschiedene sind. Was auf der niedrigsten Stufe des Daseins steht, wie das Mineral, hat kein Recht, sich zu beklagen und zu sagen: „O Gott, warum hast du mir nicht die Vollkommenheit der Pflanze gegeben?“ Auch die Pflanze hat nicht das Recht, sich zu beschweren, daß sie der Vollkommenheiten der tierischen Welt beraubt ist. Gleichermaßen steht es dem Tier nicht zu, über das Fehlen der menschlichen Vollkommenheiten Klage zu führen. Nein, alle diese Daseinsformen sind auf ihrer eigenen Stufe vollendet, und sie müssen sich um die Vollkommenheiten ihrer eigenen Stufe bemühen. Die niedrigeren Daseinsformen haben, wie Wir schon gesagt haben, weder das Recht noch die Eignung für die Stufen der höheren Vollkommenheiten; nein, ihr Fortschritt muß auf der eigenen Stufe erfolgen. Auch die Untätigkeit oder die Bewegung des Menschen hängen von der Hilfe Gottes ab. Wenn ihm nicht geholfen wird, ist er nicht fähig, Gutes oder Böses zu tun. Aber wenn die Hilfe des Lebens von Gott dem Herrn, dem Großmütigen, kommt, ist er fähig, sowohl Gutes als auch Böses zu tun; wird ihm aber der Beistand entzogen, so bleibt er völlig hilflos. Darum wird in den heiligen Büchern von der Hilfe und Unterstützung Gottes gesprochen. So ist dieser Zustand dem eines Schiffes zu vergleichen, das durch die Kraft des Windes oder Dampfes getrieben wird; hört diese Kraft auf, kann sich das Schiff überhaupt nicht bewegen. Trotzdem ist es das Steuer, das das Schiff in jede Richtung lenkt, und die Kraft des Dampfes bewegt es nur in der gewünschten Richtung. Wird es nach Osten gesteuert, fährt es nach Osten, wird es nach Westen gesteuert, fährt es nach Westen. Die Bewegung aber geht nicht vom Schiff selbst aus, sondern vom Wind oder Dampf. Ebenso empfängt der Mensch bei jeder Art von Tätigkeit oder Untätigkeit Kraft durch die Hilfe Gottes; aber die Wahl des Guten oder Bösen liegt beim Menschen selbst. Wenn zum Beispiel ein König jemanden zum Gouverneur einer Stadt ernennt, ihm die gesetzmäßige Machtbefugnis überträgt und ihm die Wege von Gerechtigkeit und Unrecht entsprechend den Gesetzen zeigt, dieser Gouverneur dann aber Unrecht tut, so wäre der König frei von Ungerechtigkeit, obwohl der Gouverneur im Namen und durch die Macht des Königs handelt. Wenn er aber mit Gerechtigkeit handelte, so geschähe auch das im Namen des Königs, der darüber erfreut und zufrieden wäre. Das heißt, daß der Mensch, auch wenn die Wahl von Gut und Böse ihm zu eigen ist, unter allen Umständen von der Leben erhaltenden Hilfe, die vom Allmächtigen kommt, abhängig ist. Das Königreich Gottes ist sehr groß, und alle sind in der Hand Seiner Macht Gefangene. Der Diener vermag nichts aus eigener Energie; Gott ist der Starke, der Allmächtige und der Helfer aller Geschöpfe.

Abdu'l-Bahá, Beantwortete Fragen 70

O ihr beiden gesegneten Seelen! Eure Briefe sind angekommen. Sie zeigten, daß ihr nach der Wahrheit forscht und euch freigemacht habt von Nachahmung und Aberglauben, daß ihr mit eigenen und nicht mit fremden Augen schaut, mit eigenen und nicht mit fremden Ohren hört, daß ihr Geheimnisse mit eigenem und nicht mit fremdem Bewußtsein entdeckt. Wer nachahmt, sagt: Dieser Mensch hat etwas gesehen, dieser Mensch hat etwas gehört, dieser Mensch hat etwas entdeckt. Mit anderen Worten, er hängt von der Sicht, dem Gehör und dem Bewußtsein anderer ab und besitzt keinen eigenen Willen. Preis sei Gott, denn ihr habt Willenskraft bewiesen und euch der Sonne der Wahrheit zugewandt. Die Gefilde eurer Herzen hat der Herr mit dem Licht des Königreichs erleuchtet; ihr wurdet auf den geraden Pfad geführt und geht die Straße, die zum Reich Gottes führt. Ihr habt das Paradies Abhá betreten und euren Anteil erlangt an der Frucht vom Baum des Lebens.

Abdu'l-Bahá, Briefe und Botschaften 14:1

O Sohn des Geistes! Edel erschuf Ich dich, doch du hast dich selbst erniedrigt. So erhebe dich zu dem, wozu du erschaffen wurdest.

Bahá'u'lláh, Verborgene Worte Arabisch 22

O Sohn des Höchsten! Zum Ewigen rufe Ich dich, doch du suchst das Vergängliche. Was ließ dich Unseren Wunsch mißachten und deinem eigenen folgen?

Bahá'u'lláh, Verborgene Worte Arabisch 23

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